Süddeutsche Zeitung - 20.02.2020

(Sean Pound) #1
Berlin– Wenn von abgehängten Regio-
nen die Rede ist, geht es meist um Landstri-
che, in denen der Zug nur noch selten fährt
und in denen die Kneipe, der Bäcker und
der Arzt dichtgemacht haben. Zum Infra-
strukturschwund gehören aber auch die
Banken: 1990 gab es hierzulande 3344
Volks- und Raiffeisenbanken mit 21 000 Fi-
lialen, 2018 waren nur noch 875 Banken
und 10 500 Filialen übrig; bei den Sparkas-
sen sieht es ähnlich aus. Gründe sind der
Siegeszug des Onlinebanking und die de-
mografische Entwicklung auf dem Land.
Viele Banken suchen aber nach Alternati-
ven, um ihr löchriges Netz zu stopfen – et-
wa mit Bankbussen. So einer fährt seit ein-
einhalb Jahren auch durch Brandenburg.
Wie das funktioniert, erklären Florian Mol-
denhauer, Leiter des Kundenservice bei
der Volksbank Berlin Tegel, und Michael
Thieme, Abteilungsleiter im Vertriebsma-
nagement.

SZ: Herr Moldenhauer, Sie sind am An-
fang selbst im Bankbus mitgefahren, heu-
te leiten sie das Bankbusteam. Was ist das
eigentlich für ein Bus?
Florian Moldenhauer:Ein richtig großer,
Lkw-Größe, und er ist ausgestattet wie ei-
ne kleine Bankfiliale. Mit Schreibtisch und
Computer für die Bankmitarbeiter und
mit einem Wartebereich für die Kunden.
Und die können da Geld abheben, ETFs
kaufen und drei Feinunzen Gold?
Michael Thieme:Wir haben keinen Geldau-
tomaten dabei, an den Standorten, wo der
Bus hält, gibt es überall Geldautomaten.
Moldenhauer:Eine ETF-Beratung findet
im Bus nicht statt, da vermitteln wir Termi-
ne mit Experten. Die Kunden fragen eher
klassische Dinge nach, von der Überwei-
sung bis zum Dauer- und Freistellungsauf-
trag. Wir verstehen den Bankbus so, dass
wir damit unseren gesellschaftlichen und
genossenschaftlichen Auftrag wahrneh-
men, auch in ländlichen Gegenden weiter
Präsenz zu zeigen. Wir werden oft gefragt,
welche Alternativen es gibt, dann verwei-
sen wir auf unsere Telefonfiliale und die
Onlinekanäle. Der Unterschied aber ist,
dass wir die Kundschaft auf dem Land da-
mit nicht alleine lassen.
Thieme:Wir haben gemerkt, dass man
nicht einfach sagen kann: Die Filiale kön-
nen wir schließen, da steht ja ein Geldauto-

mat und alles andere machen die Leute on-
line. Für einen Teil unserer Kunden, größ-
tenteils Ältere, ist das eine Hürde, die ge-
hen nicht selbstverständlich ins Onlineban-
king. Die wollen ihre Überweisung abge-
ben und ihren Dauerauftrag von einem Mit-
arbeiter bearbeitet haben. Allerdings ha-
ben viele ältere Kunden schon ein Interes-
se an den digitalen Angeboten. Das ist auch
eine wichtige Aufgabe im Bankbus, den
Kunden zu zeigen, wie das funktioniert.

Wo ist der Bus unterwegs?
Moldenhauer:Er fährt ganz Brandenburg
ab, 800 Kilometer in der Woche. Vom nörd-
lichsten Punkt Fürstenberg bis runter
nach Eichwalde und Werder, mit festen
Haltestellen und Zeiten. Er hält nicht nur
in Dörfern, sondern auch in Städten. In vie-
len hatten wir vorher eine Filiale, die ge-
schlossen werden musste, weil weniger Be-
ratung vor Ort nachgefragt wurde.
Thieme:Der Bus ist ein Mittelweg zwi-

schen betriebswirtschaftlichen Notwendig-
keiten und den Kundenbedürfnissen.

Man braucht also keinen Termin, sondern
weiß: Dienstag, 14 Uhr, kommt der Bus?
Moldenhauer:Ja, man kommt hin, stellt
sich an, führt unter Umständen mit ande-
ren Wartenden interessante Gespräche.
Da entstehen auch ganz tolle Situationen
für unsere Kunden.
Das Schwätzchen, das man früher in der
Bank hielt, das findet heute im Bus statt?
Moldenhauer:Genau richtig. Wir haben
im Moment zwei feste Bankbusmitarbei-
ter. Wir wollen, dass unsere Kunden mög-
lichst auf die gleichen Gesichter treffen.
Dass sie wissen: Mensch, die Frau Wett-
stein oder der Herr Bischoff, die sind im-
mer da und helfen mir weiter.

Kommt eigentlich immer jemand?
Moldenhauer:In aller Regel stehen die ers-
ten Kunden schon da, fünf Minuten bevor

der Bus kommt. Es sind in der Tat oft die Äl-
teren. Die sagen uns aber auch jede Woche
aufs Neue, wie froh und dankbar sie sind.
Ist das die Zukunft des Bankings auf dem
Land?
Moldenhauer:Der Bus ist für unsere Kun-
den eine gute Brücke ins digitale Zeitalter.
Wenn wir feststellen, dass er stark nachge-
fragt wird, kann es durchaus sein, dass
noch mehr Standorte dazu kommen.
Thieme:Trotz fortschreitender Digitalisie-
rung sehen wir durchaus auch Tendenzen
weg vom Onlinebanking. Vielleicht ge-
winnt der persönliche Ansprechpartner so-
gar noch an Wert – als Gegenpol zum Digi-
talen. Unsere Bank hatte schon mal einen
Bankbus, Mitte der Neunziger. Dann hat
sich das wieder verloren und erst im Zeital-
ter der Filialschließungen eine Renais-
sance erfahren. Diese Themen gab es über
die Jahrzehnte immer mal wieder – so wie
früher der Eiermann über die Dörfer kam.
interview: henrike roßbach

Berlin– Die Bühne war groß, wie immer
wenn der Bosch-Konzern zu seiner Haus-
messe „Connected World“ einlädt. Die vor-
ab als bedeutend angekündigte Neuerung,
die dabei avisiert worden war, kam dann
am Mittwochmorgen in der Eröffnungsre-
de von Bosch-Chef Volkmar Denner aber
fast ein wenig beiläufig daher. Er sprach zu-
nächst über die größte gesellschaftliche
Herausforderung, den die Technikbran-
che mit zu bewältigen habe – den Klima-
wandel. Um ihn zu bekämpfen, investiere
die Branche verstärkt in künstliche Intelli-
genz (KI). Und dann die Neuigkeit: Der
Stuttgarter Technikkonzern hat sich selbst
auf einen KI-Kodex verpflichtet.
Der Kodex solle sicherstellen, dass der
Mensch bei der Produktentwicklung per-
manent die Kontrolle behalte, sagte Den-
ner. Es gehe um „verantwortungsvollen
Einsatz der Technologie“, man beachte
rechtliche Vorgaben und ethische Grund-
sätze. „Künstliche Intelligenz soll den Men-
schen dienen“, sagte er. KI ist eine Schlüs-
seltechnologie für den Konzern, bereits et-
liche Programme und Produkte sind mit ih-
rer Hilfe entwickelt worden oder funktio-
nieren mit ihr.

Bosch will bis 2025 erreichen, dass jedes
seiner Produkte über künstliche Intelli-
genz verfügt, mit ihr entwickelt oder produ-
ziert wurde. Und der Konzern weiß sehr
wohl, dass das Misstrauen gegenüber KI
hierzulande noch groß ist. Viele verstün-
den die komplexen Anwendungen nicht,
für sie sei KI eine „Blackbox“, sagte Ge-
schäftsführer und Technikchef Michael
Bolle später auf der Bühne. Menschen hät-
ten zudem durch die maschinelle Konkur-

renz Angst um ihren Job, sagte er. „Deswe-
gen müsse ein Algorithmus „immer selbst
erklärbar machen, was er tut.“
Der Kodex wurde Ende 2019 ausgearbei-
tet und erweitert nun den bestehenden Ko-
dex für die Produktentwicklung. Er be-
trifft Wissenschaftler und Ingenieure,
aber auch Mitarbeiter mit indirekten Funk-
tionen, also etwa die Personalabteilung. Di-
rekt mit KI beschäftigt sind bei Bosch der-
zeit etwa 1000 der 410 000 Mitarbeiter. In
den kommenden zwei Jahren will der Kon-
zern 20 000 Mitarbeiter mit einem Qualifi-
zierungsprogramm „fit für den Umgang
mit KI machen“. Auch Bosch-Chef Denner,
gelernter Physiker, lässt sich extra dafür
schulen.
Aktuell forscht Bosch auch an KI beim
autonomen Fahren. Technikchef Bolle
stellte eine Autokamera vor und warf da-
mit eine besonders umstrittene Frage der
KI auf – wie viel Kontrolle der Mensch letzt-
lich doch an die Technik abgibt. Die Bosch-
Kamera kann die Umgebung eines Fahr-
zeugs erkennen – Schilder, Fußgänger, an-
dere Fahrzeuge. Doch selbst gegen einfa-
che Tricks sind intelligente Systeme
manchmal nicht gefeit: Etwa wenn jemand
einen Sticker auf eine Ampel klebt und die
Kamera sie nun als Stoppschild identifi-
ziert und das Auto abrupt anhält.
Was, wenn noch drastischer, ein Bord-
computer bei einem drohenden Unfall zwi-
schen Leben und Tod entscheidet, etwa, in-
dem er das Fahrzeug so lenkt, dass es ei-
nem Hindernis ausweicht, und damit den
Fahrer schützt, aber womöglich einen un-
beteiligten Fußgänger verletzt?
Zwar könne der Fahrer bei Notbremsas-
sistenten nicht eingreifen, heißt es bei
Bosch. Aber auch hier, versicherte Technik-
chef Bolle, legten Experten bei der Entwick-
lung die Parameter fest – und überprüfen
im Nachhinein, ob sich die Maschine daran
gehalten hat. clara lipkowski

von karoline meta beisel

Brüssel– Tratschen ist menschlich, und
auch Politiker, Diplomaten und Beamte in
Brüssel sind davor nicht gefeit. Neben dem
European Green Deal und dem Streit über
das EU-Budget hat dieses hartnäckiges Ge-
rücht die Szene beschäftigt: Ist das Verhält-
nis zwischen Digitalkommissarin Margret-
he Vestager und dem französischem Bin-
nenmarktkommissar Thierry Breton wirk-
lich so schlecht, wie behauptet wird? Die
Pressekonferenz, bei der die beiden am
Mittwoch die künftige Digitalstrategie der
EU-Kommission vorstellten, machte zu-
mindest klar, wie unterschiedlich die bei-
den Schwergewichte im Kabinett von Kom-
missionspräsidentin Ursula von der Leyen
auf ihr gemeinsames Thema blicken.
Vestager, der als Vizepräsidentin der EU-
Kommission die Aufgabe zufällt, die gro-
ßen Linien der neuen Strategie aufzuzei-
gen, stellte in ihrem Vortrag vor allem die
Chancen in den Mittelpunkt, die die Digita-


lisierung den Menschen bringen kann: es
gehe darum, „Vertrauen zu schaffen, nicht
Ängste zu schüren“, sagte sie. Technologie
solle dem Bürger dienen, nicht anders her-
um, und außerdem könne die Digitalisie-
rung dabei helfen, die Ziele des Grünen
Deals zu erreichen, mit dem eine ökologi-
sche Wende der Industriegesellschaft ein-
geleitet werden soll. „Es geht mir nicht dar-
um, dass Europa mehr wie China oder wie
die USA sein soll“, betonte sie. „Ich will,
dass Europa mehr wie Europa ist.“
Breton dagegen, der als „einfacher“
Kommissar erst danach sprechen durfte,
dankte Vestager zu Beginn für ihre „sehr
vollständige Präsentation“, um dann die,
nun ja, ganz schweren Geschütze aufzufah-
ren: Man habe die „erste Schlacht“ um die
persönlichen Daten verloren, aber die
„Schlacht um die industriellen Daten“ be-
ginne erst jetzt, und Europa werde dabei
„das wichtigste Schlachtfeld“ sein.
Zwischen diesen beiden Linien bewegen
sich nicht nur die beiden Kommissare, son-

dern auch die Inhalte der neuen Digitalstra-
tegie, deren Bestandteile in den vergange-
nen Wochen bereits bekannt geworden wa-
ren: Innovationen fördern und erleichter-
ter Datenaustausch auf der einen Seite,
Schutz vor gefährlichen Anwendungen
und strengere Regeln für Plattformen auf
der anderen Seite. Konkrete Gesetze
schlug die EU-Kommission am Mittwoch
noch nicht vor, diese sollen erst nach einer
Konsultationsphase folgen.

Die neue Datenstrategie – eine der Säu-
len der Digitalvision – will „den Austausch
und die breite Nutzung von Daten kanali-
sieren und gleichzeitig hohe Datenschutz-,
Sicherheits- und Ethik-Standards wah-
ren“, wie es in dem zugrunde liegenden Pa-
pier heißt. „Je mehr Daten wir haben, des-

to klüger werden unsere Algorithmen“, hat-
te von der Leyen zuvor in einem kurzen
Statement gesagt.
Dem Papier zufolge ist das Ziel die Schaf-
fung eines „Binnenmarkts für Daten“, in
dem der Zugang zu öffentliche Daten er-
leichtert werden soll, und in dem es für pri-
vate Anbieter einfacher werden soll, vor-
handene Daten mit Wissenschaft oder For-
schung zu teilen. Allerdings können solche
gemeinsame Datenräume auch mit vor-
handenen Wettbewerbsregeln in Konflikt
geraten. Außerdem hocken Großkonzerne
auf Datenbergen, die auch für andere Fir-
men interessant sein können. Darum will
die Kommission prüfen, ob die EU-Wettbe-
werbsregeln für das digitale Zeitalter noch
geeignet sind: „Wir werden uns die domi-
nierenden Unternehmen in diesem Be-
reich genau ansehen“, sagte Vestager. „Wir
haben bisher aber noch nichts Konkretes
zu Papier gebracht.“
Die zweite Säule der Digitalstrategie be-
trifft Anwendungen der Künstlichen Intel-
ligenz (KI), die bei vielen Bürgern für Unbe-
hagen sorgen. Vestager sagte: „KI ist nicht
per se gut oder schlecht. Es kommt immer
darauf an, wie und zu welchen Zwecken sie
eingesetzt wird.“ Mit einem am Mittwoch
vorgestellten „Weißbuch“ will die EU-Kom-
mission in den kommenden Monaten zur
Diskussion anregen. Regulierungsansätze
sollten sich jedoch danach richten, wie ge-
fährlich eine konkrete Anwendung für den
Bürger sein kann. Bei der besonders um-
strittenen Gesichtserkennung zum Bei-
spiel sei es „etwas völlig anderes, ob es dar-
um geht, das eigene Smartphone zu ent-
sperren, oder um großflächige Gesichtser-
kennung im öffentlichen Raum“, sagte Ves-
tager. Die Datenschutzgrundverordnung
erlaube solche Verfahren nur im Ausnah-
mefall. Mit dem Weißbuch wolle man eine
Debatte anregen, unter welchen Bedingun-
gen Gesichtserkennung im öffentlich
Raum zulässig sein soll – falls überhaupt.
Schließlich bekräftigte die EU-Kommis-
sion erneut ihr Vorhaben, Online-Plattfor-
men strenger zu regulieren. „In einer Welt,
in der große Teile der öffentlichen Debatte
und der politischen Werbung auf das Inter-
net verlagert wurden, müssen wir auch be-
reit sein, unsere Demokratien energisch zu
verteidigen“, heißt es in der Digitalstrate-
gie. Konkrete Gesetzesvorschläge sollen
im vierten Quartal folgen.
In Brüssel wurden die Vorhaben der EU-
Kommission überwiegend positiv aufge-
nommen. Der Digitalverband Digital Euro-
pe begrüßte die Ankündigung als positi-
ven Schritt hin zu einem stärkeren digita-
len Europa. Es sei wichtig, dass Politik und
Industrie eng zusammenarbeiteten und
mögliche Regelungen erprobt würden um
sicherzustellen, dass die gesteckten Ziele
auch erreicht würden. Monique Goyens
vom europäischen Verbraucherverband
Beuc sagte, es sei zwar gut, dass die EU sich
nun dafür einsetze, dass Daten besser ge-
nutzt werden können. „Aber wenn es um
persönliche Daten geht, sollte der Verbrau-
cher immer selbst entscheiden können,
wie seine Daten genutzt und geteilt wer-
den.“

Berlin –Wer wenig Einkommen hat, eine
wachsende Familie oder eine bescheidene
Rente, bleibt auf der Suche nach bezahlba-
rem Wohnraum in deutschen Großstädten
immer öfter auf der Strecke. Die Grünen
wollen das nun ändern und die Idee der
Wohngemeinnützigkeit wiederbeleben.
Das geht aus einem Gesetzentwurf hervor,
der derSüddeutschen Zeitungvorliegt. Er
sieht vor, dass Wohnungsunternehmen
staatlich bezuschusst und steuerlich be-
günstigt werden, wenn sie dauerhaft güns-
tigen Wohnraum schaffen oder vermieten



  • an Arbeitslose, Studierende, junge Eltern
    oder Rentner in Gegenden mit angespann-
    tem Wohnungsmarkt.
    „Bezahlbares Wohnen ist die soziale Fra-
    ge unserer Zeit. Die Bundesregierung ver-
    schläft diese große Aufgabe“, sagte die
    Fraktionschefin der Grünen im Bundes-
    tag, Katrin Göring-Eckardt der SZ. Die Grü-
    nen wollten mit einem eigenen Entwurf
    „die Negativspirale beim sozialen Woh-
    nungsbau“ durchbrechen. Mietpreisbin-
    dung bei Sozialwohnungen laufe oft nach
    fünfzehn Jahren aus, so Göring-Eckardt.
    „Es braucht eine Gemeinnützigkeit, die
    wieder dauerhaft sozial gebundenen
    Wohnraum schafft.“ Vorbild seien Model-
    le, wie es sie in der Bundesrepublik bis En-
    de der 1980er-Jahre gegeben habe.


Gemeint sind gemeinnützige Woh-
nungsunternehmen, die vor 150 Jahren in
Wien oder Berlin gegründet wurden, um
Arbeiterfamilien aus maroden Hinterhö-
fen zu holen. In Wien leben bis heute 60
Prozent der Mieter in solchen staatlich sub-
ventionierten Wohnungen. In Deutsch-
land wurden sie abgeschafft. Ein Grund:
der Skandal um die „Neue Heimat“. Die zu-
nächst gemeinnützige, gewerkschaftseige-
ne Wohnungsgesellschaft war zu einem
verfilzten Konzern herangewachsen. Als
sich herausstellte, dass Vorstandsmitglie-
der sich bereichert und Millionenschulden
angehäuft hatten, wurde die „Neue Hei-
mat“ abgewickelt – und 1990 die Förde-
rung gemeinnütziger Wohnungsunterneh-
men in Deutschland abgeschafft.


In ihrem Gesetzentwurf nennen die Grü-
nen diesen Schritt „eine der größten Fehl-
entscheidungen in der Wohnungspolitik
seit 1945“. Damals habe die Bundesregie-
rung die Chance genutzt, „den Schutz von
bezahlbarem Wohnen in Deutschland zu
Gunsten einer marktliberale Wohnungspo-
litik zu beenden“. Von 3,3 Millionen Sozial-
wohnungen seien jetzt nur 1,5 Millionen üb-
rig, der Schwund halte an. Neben verstärk-
tem Sozialwohnungsbau sei die Wiederbe-
lebung der Wohngemeinnützigkeit nötig.
Der Entwurf, der von den Bundestagsab-
geordneten Lisa Paus und Chris Kühn erar-
beitet wurde, zielt besonders auf gemein-
wohlorientierte Wohnungsunternehmen.
Sie sollen einen Investitionszuschuss von
20 Prozent auf Baukosten erhalten, wenn
sie sich dauerhaft einer Sozialbindung ver-
pflichten. Der Entwurf sieht vor, ihnen Kör-
perschafts, Gewerbe- und Grund- und
Grunderwerbssteuer zu erlassen sowie die
Umsatzsteuer zu reduzieren. Förderbe-
rechtigt ist, wer bei Bau, Kauf, Modernisie-
rung oder Vermietung von Wohnungen ei-
ne Eigenkapitalrendite von maximal 3,
Prozent an die Anteilseigner ausschüttet.
Vermietet werden darf nur an natürliche
Personen, die unter einer bestimmten Ein-
kommensgrenze liegen. Die Miete muss
unter der ortsüblichen Vergleichsmiete lie-
gen. Als förderwürdig gelten nur Gegen-
den mit angespanntem Wohnungsmarkt.
Kosten: drei Milliarden Euro jährlich.
„90 Prozent der Gelder für die Investiti-
onszulagen kommen vom Bund, und nur
zehn Prozent von Seiten der Länder. Die
Länder und Kommunen profitieren von
dem Gesetz“, sagte Chris Kühn, wohnungs-
politischer Sprecher der Grünenfraktion.
Fragt man ihn, wie er verhindern will, dass
neuer Wohnungsfilz entsteht wie bei der
„Neuen Heimat“, verweist er auf Kontroll-
funktionen wie Mietermitsprache, die Eva-
luation durch das Bundesfinanzministeri-
um und regelmäßige Berichtspflichten.
Mit dem Entwurf machen die Grünen
der Linkspartei Konkurrenz. Sie rechnete
schon 2017 vor, dass gemeinnütziges, steu-
erbegünstigtes Bauen die Nettokaltmieten
in Neubauten von 10,30 Euro pro Quadrat-
meter auf 7,44 Euro senken könnte. Immo-
bilienverbände hingegen warnten vor ho-
hen Kosten, falschen Anreizen und gerin-
ger Wirkung. constanze von bullion

Ein Kodex für KI


Bosch will sicherstellen, dass der Mensch die Kontrolle behält


Gesichtsverlust


Die EU-Kommission stellt ihre Digitalstrategie vor. Die Ideen zum Datenaustausch oder zur Gesichtserkennung
sagen aber nicht nur etwas über Europas Ambitionen aus – sondern auch über die Weltsicht zweier Kommissare

Für bezahlbare Mieten


Grüne wollen zurück zur gemeinnützigen Wohnungswirtschaft


„So wie früher der Eiermann“


Wo Filialen sich nicht mehr lohnen, kommt die Bank schon mal zum Kunden statt umgekehrt – zum Beispiel mit dem Bus


Auch intelligente Systeme
sind manchmal nicht gegen
einfache Tricks gefeit

Brüssel will
einen Binnenmarkt für
Daten schaffen

Die Hauptlast der Kosten


in Höhe von drei Milliarden Euro


soll der Bund tragen


18 HF2 (^) WIRTSCHAFT Donnerstag, 20. Februar 2020, Nr. 42DEFGH
Der Bankbus – ausgestattet wie eine kleine Bankfiliale, mit Schreibtisch und Wartebereich für die Kunden. FOTO: OH
Bis zum Jahr 2025 will der Bosch-Konzern alle seine Produkte mit künstlicher Intel-
ligenz versehen – dafür müssen auch die Mitarbeiter geschult werden. FOTO: DPA
In der europäischen Digitalstrategie geht es auch um Anwendungen der künstlichen Intelligenz (KI) wie die Gesichtserken-
nung, die bei vielen Bürgern Unbehagen auslöst. FOTO: SVEN HOPPE/DPA

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