Süddeutsche Zeitung - 20.02.2020

(Sean Pound) #1
von peter burghardt

D


ie NDR-Sendung „Visite“ endet am
Dienstagabend mit dem Thema
Heilerde, danach geht es los. In den
politischen Morast, könnte man denken.
Denn im folgenden Programm stehen sich
Peter Tschentscher von der SPD und Katha-
rina Fegebank von den Grünen gegenüber.
Es ist das letzte TV-Duell vor der Hambur-
ger Bürgerschaftswahl am Sonntag, und es
geht um diese enormen Summen und die
Zweifel, die plötzlich wieder aufgekom-
men sind.
Das Thema Cum-Ex wirbelt den Wahl-
kampf durcheinander. Vorher schien
nichts mehr schiefgehen zu können für
den Ersten Bürgermeister Tschentscher,
seine SPD führt in den Umfragen klar vor
den aufstrebenden Grünen seiner Zweiten
Bürgermeisterin Fegebank. Doch seit ein
paar Tagen geht es um mögliche Steuerhin-
terziehung von Banken bei Aktiengeschäf-
ten – und um Fragen an Hamburgs SPD.
Ließ die Hansestadt 2016 fast 47 Millio-
nen Euro an möglicherweise fälligen
Steuerrückzahlungen der Hamburger
Privatbank Warburg liegen? Was bespra-
chen Hamburgs SPD-Spitzen wie Tschent-
schers Vorgänger Olaf Scholz mit dem War-
burg-Banker Christian Olearius?


In dessen Tagebuch, das im Zuge von Er-
mittlungen sichergestellt wurde, ist laut ei-
ner Mitteilung seiner Anwälte und eines
Faksimile über das Treffen mit Scholz dies
zu lesen: „ ... Dann berichte ich vom Sach-
stand bei Finanzbehörde, Staatsanwalt-
schaft. Ich meine, sein zurückhaltendes
Verhalten so auslegen zu können, dass wir
uns keine Sorgen zu machen brauchen ...“
Was heißt das? In ersten Medienversionen
hatte der Hinweis „zurückhaltendes Ver-
halten“ gefehlt.
Politische Einflussnahme stehe im
Raum, sagt Katharina Fegebank nun im
Studio des Norddeutschen Rundfunks. Es
gehe „um die Glaubwürdigkeit von Poli-
tik“. Sie verlangt dringend Aufklärung, da
müsse „Transparenz in die Sache rein“.
Warburg solle in diesem Fall das Steuerge-
heimnis aufheben. Peter Tschentscher, ihr
Chef und Rivale, sagt: Es gebe „viele Vor-
würfe ohne Beweise“, die Sache werde gera-
de in einem Gerichtsverfahren geklärt. Er
sei vor seinem Bürgermeisteramt sieben
Jahre lang Finanzsenator gewesen, die
Hamburger Finanzbehörden würden „je-
den Euro“ zurückfordern. Er sagt das so
ähnlich gleich mehrmals.
Es ist ein seltsamer Geschwisterkampf
um die Macht an Alster und Elbe, erweitert
durch diese diffuse Finanzaffäre. Seit 2011
regiert wieder die SPD, die schon von 1946
bis 2001 fast ununterbrochen regiert hat-
te, zwischendurch war die CDU am Ruder
gewesen, auch mit den Grünen. 2015 wur-
den die Grünen Juniorpartner der SPD und
wuchsen immer mehr, deshalb tritt Katha-
rina Fegebank gegen Peter Tschentscher
an, obwohl beide nebeneinander im rot-
grünen Senat sitzen und vermutlich weiter-
hin dort sitzen werden. Er gegen sie, Labor-
mediziner gegen Politologin. Die ewigen,
meist roten Männer gegen die erste Frau
und erste Grüne, die sich den Top-Posten
im Rathaus zutraut.
Historisch und persönlich ist das eine
reizvolle Auseinandersetzung, doch ge-
meinsam haben sie eine stabile Mehrheit.
Zwei Drittel der Hamburger sind mit Rot-
Grün zufrieden. Die Variante Grün-Rot ge-
nießt auch viele Sympathien, wird es aber
kaum schaffen. Die temperamentvolle Fe-
gebank, 42 Jahre alt, Wissenschaftssenato-
rin und Hamburgs Nummer zwei, hat sich
einen Namen gemacht. Die Nummer eins


wird wohl trotzdem der bedächtige
Tschentscher bleiben, 54 Jahre alt, Motto:
„Die ganze Stadt im Blick.“ Das ist viel-
leicht auch der Grund, weshalb die Heraus-
forderin von den Grünen ihren Vorgesetz-
ten von der SPD zwar in diesem NDR-Stu-
dio noch mal attackiert, vorneweg beim
Fall Cum-Ex, aber nicht mit voller Wucht.
Sie werden ja wohl im Duo weiterma-
chen. Und auch die Grünen scheinen keine
große Lust zu haben, zu sehr in sumpfigem
Terrain zu stochern. Obwohl das noch Stim-
men bringen könnte, wer weiß, und ob-
wohl Hamburgs Justizminister ein Grüner
ist. Die Causa Cum-Ex/Bank/Steuern
klingt Kritikern wie eine Fortschreibung
alter Zeiten, auch bei der inzwischen ver-
kauften HSH Nordbank ging es um exorbi-
tante Beträge. Diese von Hamburg und
Schleswig-Holstein geführte Landesbank
nannte sich zwischenzeitlich größter
Schiffsfinanzier der Welt – und häufte im-
mense Verluste an, die auch die Steuerzah-

ler trafen. Die SPD möchte trotz allem als
die Partei gelten, die Hamburg aufge-
räumt hat. Sie will nichts zu tun haben mit
dem roten Filz von einst. Und natürlich will
sie viel besser aussehen als die chaotische
SPD-Zentrale in Berlin, vor deren Anfüh-
rern Tschentscher in Deckung geht.

Hamburgs SPD ist die Scholz-SPD, wirt-
schaftsliberal statt links. Hamburg ist
Deutschlands zweitgrößte Stadt, 1,8 Millio-
nen Einwohner, ein Wirtschaftszentrum,
ein etwas schwächelnder und zuletzt wie-
der aufstrebender Welthafen mit riesigen
Geschäften und sehr verschiedenen Mili-
eus. „Wir sind ehrbare Kaufleute“, sagt der
rote Tschentscher, als es um die Finan-
zierung geplanter Großprojekte wie eine

neue Hafenbrücke und eine neue Hafen-
autobahn geht. Die Grüne Fegebank hat
nichts gegen solche Pläne, wenn Innovatio-
nen und Bezahlung gesichert seien. Hinter
dem Tandem steht die Meinung, in fünf
Jahren alles in allem gute Arbeit geleistet
zu haben. Die SPD legt als vorher allein re-
gierende Partei noch vier Jahre drauf. In ih-
re Ära fällt auch die Fertigstellung der Elb-
philharmonie, die sündteuer wurde, aber
ein Wahrzeichen und eine Touristenattrak-
tion. Den Berliner Flughafen und Stuttgart
21 ließ Hamburg souverän hinter sich. So-
gar die sogenannte Elbvertiefung begann,
damit die Containerriesen leichter an die
Kräne kommen, die Grünen fügen sich.
Klar, beim Klimaschutz sind sich die
beiden Wahlkämpfer nicht so einig, auch
nicht vor den Kameras des NDR. Sie wirft
der SPD beim Umweltschutz Blockaden
vor. Die Grünen glauben, Hamburg bis
2035 Co 2 -neutral machen zu können, die
SPD hält 2050 für realistisch. Die Grünen

möchten im staulastigen Hamburg das
Zentrum in eine autoarme Zone verwan-
deln, für Tschentscher ist das neuerdings
auch SPD-Konzept. „Aber Peter“, sagt Fege-
bank, die zwei duzen sich, „das kann doch
nicht dein Ernst sein. Das ist 1: 1 unser
Vorschlag.“
Zwei von drei Hamburgern wünschen
sich eine konsequentere Verkehrswende.
Am Freitag ist wieder „Fridays for Future“
in Hamburg, diesmal, kurz vor der Wahl,
mit Greta Thunberg. Die Grünen verspre-
chen viel mehr Radwege, die SPD ließ zu-
letzt eher Straßen bauen und flicken. Ka-
tharina Fegebank nennt Kopenhagen als
Vorbild, Peter Tschentscher Kopenhagen
bei den Rädern und Wien bei den Bahnen.
Rot-Grün hält SPD-Bürgermeister
Tschentscher für eine „sehr naheliegende
Option“, seine Vize von den Grünen wider-
spricht nicht. Aber Katharina Fegebank
kündigt „deutlich mehr Grün in der Koaliti-
on“ an, „deutlich mehr grüne Power“.

Das Auditorium der Hamburger Bucerius
Law School, wo die Spitzenjuristen von
morgen ausgebildet werden, ist eine gute
Bühne für Christian Lindner. Es ist Wahl-
kampf in Hamburg, sein Publikum ist an
diesem Abend so jung, wie der nun auch
schon 41-jährige Vorsitzende der FDP ger-
ne wirken würde, und es geht ums Ganze.
In Hamburg kämpfen die Liberalen um
den Wiedereinzug in die Bürgerschaft. Die
Wahl am Sonntag wird den jüngsten Umfra-
gen zufolge ein Balanceakt auf sehr dün-
nem Seil. Die eigentliche Botschaft hatte
Lindner, weißes Hemd, offener Kragen,
sehr gesunde Bräune im Gesicht, sicher-
heitshalber schon am Morgen imHambur-
ger Abendblattplatziert: „In Hamburg wird
nicht über mich abgestimmt.“


Knapp drei Wochen nach dem Thürin-
gen-Desaster, der Wahl des FDP-Minister-
präsidenten Thomas Kemmerich mithilfe
der AfD, will Lindner die Lösung sein, nicht
das Problem. Diese Deutung fiele ihm leich-
ter, wenn seine Partei nicht gleich die erste
Wahl weit weg von Erfurt wegen Erfurt ver-
löre. Er wolle nur ein paar Gedanken formu-
lieren, sagt Lindner, aber keine Rede hal-
ten. Er spricht dann fast 50 Minuten.
Thüringen, Kemmerich, AfD, die Krise
der Demokratie. Seit jenem vermaledeiten



  1. Februar kämpfen die Elb-Liberalen
    gleich gegen eine ganze Herde weißer Ele-
    fanten, die bei jedem Besuch einer Schule,
    an jedem Wahlkampfstand, auf jedem Po-
    dium durch die Kulisse trampeln. Wahlpla-
    kate werden beschmiert, Flyer zerrissen,
    am Abend von Erfurt diente die Parteizen-
    trale in der Innenstadt als Ziel vieler Hun-
    dert Demonstranten. Wenn sie nicht dafür
    beschimpft wird, Kemmerich aufgestellt
    zu haben, dann dafür, dass sie ihn hat fal-
    lenlassen. Und das, obwohl daran kein
    Hamburger schuld ist. Selbst Politiker an-
    derer Parteien bedauern in persönlichen
    Gesprächen das Dilemma ihrer Konkurren-
    ten. Mitleid, auch das noch.
    Plötzlich ist die FDP, die in Hamburg das
    ruhige Leben einer Sieben-Prozent-Partei
    führte, wieder wer. Nur wer? Wofür sollen
    die Liberalen streiten, fragen sich die frei-
    heitlichen Sinnsucher; unter dieses Motto
    hat die liberale Hochschulgruppe der re-
    nommierten Juristen-Schmiede auch den
    Abend mit Lindner gestellt. Die Partei, der
    in ihrer Geschichte oft der Vorwurf der Be-
    liebigkeit gemacht wurde, sucht ihren
    Standort umso mehr, da ihr jetzt auch noch
    eine geschmeidige Empfänglichkeit für un-
    moralische rechte Trickserein unterstellt
    wird. Der Wahlslogan „Die Mitte lebt“
    klingt da noch mehr wie der Notruf eines
    Ertrinkenden ans nächste Rettungsschiff:
    Hallo, hier ist noch jemand!
    Die Mitte ist auch Lindners Thema, ziel-
    gruppengerecht definiert er sie vor den jun-
    gen Akademikern wissenschaftlich, poli-


tisch und gesellschaftlich, erstens, zwei-
tens, drittens. Und immer kommt die FDP
dabei heraus. Die Menschen zwischen
oben und unten, zwischen Klimanotstand
und Klimazynismus, zwischen den rech-
ten und linken Systemveränderern. Die
Menschen, die „im verschneiten Hoch-
schwarzwald Diesel fahren müssen“, weil
sie sonst nicht zur Arbeit kommen und das
Auto außerdem noch nicht abbezahlt ha-

ben; die aber trotzdem auf dem Boden der
freiheitlich-demokratischen Grundord-
nung stehen. So ungefähr muss man sich,
50 Minuten sehr knapp zusammenfas-
send, Linders FDP vorstellen.
Tatsächlich wäre das nicht nur im Hoch-
schwarzwald ein großes Potenzial, aber in
Hamburg liegt es brach. Nur noch um die
fünf Prozent Zustimmung brachten die
letzten Umfragen für die FDP zu Tage, vor

diesem Hintergrund sind alle Regierungs-
optionen obsolet. Für Jamaika würde es
nicht reichen, und für eine von der Landes-
vorsitzenden Katja Suding noch Mitte Ja-
nuar ins Spiel gebrachte „Deutschland-Ko-
alition“, schwarz-rot-gelb, wäre gelb nach
aktuellem Stand auch nicht mehr nötig,
die beiden anderen könnten vielleicht
auch ohne FDP. Die verlockende Idee, da-
durch wären „die Grünen in der Oppositi-
on“, wie Suding träumte, stammt aus den
Tagen vor der neuen Thüringer Demut, als
die Hamburger Liberalen mit der Spitzen-
kandidatin Anna von Treuenfels sich zehn
Prozent zum Ziel gesetzt hatten.

Die Kemmerich-Wahl, Lindner nennt
sie an diesem Abend mal „das Fiasko von
Thüringen“, mal „Unfall“, mal „Weckruf“,
kam dazwischen. Linder lebt einen offensi-
ven Umgang damit vor, beklagt die Instru-
mentalisierung des Vorgangs, wenn nun
„alles, was nicht links oder grün ist, rechts
oder zu weit rechts sein“ müsse. Er spottet
ein bisschen über Greta Thunberg („Wie
heißt noch mal dieses Mädchen?“), zitiert
Dieter Nuhr („Würde Goebbels noch leben,
er würde Höcke auf Urheberrecht verkla-
gen“) und macht dann doch noch eine wich-
tige Aussage: „Die Äquivalenztheorie teile
ich nicht.“ Bei den Linken würden die Fra-

gen der parlamentarischen Demokratie an-
ders beantwortet als bei der AfD, sie seien
nicht gleich weit entfernt von der Mitte.
Am Tag zuvor, Gerhart Baum ist Gast in
Hamburg, wieder bei den Jung-Liberalen,
Kaffee aus Pappbechern, Schokoherzen
auf dem Tisch. „Mitte, Mitte“, brummt der
einstige Innenminister, 87, er sieht den Slo-
gan in seinem Rücken nicht („Die Mitte
lebt“), was sei das denn: „Jeder will in der
Mitte sein.“ Dann erinnert er kurz an Wei-
mar und stellt fest: „Es war die Mitte, die
die Demokratie nicht getragen hat.“ Baum
ist in allem ein Anti-Lindner, er mag keine
sich der AfD-Klientel anbiedernden Witze,
er hält nicht alle Verbote für schlecht, und
er vermisst klare Aussagen: „Die Grünen
sagen, was sie wollen – wir nur das, was wir
nicht wollen.“ Mehr Mut, mehr Streit,
mehr Personen, die dafür stehen, was die
FDP will – das empfiehlt er dem Partei-
nachwuchs. „Streiten Sie mit ihrem Vorsit-
zenden, dann bekommen Sie Profil.“
Es ist ein schwieriger Wahlkampf für
die verunsicherten Sinnsucher von der El-
be, die als Erste erfahren werden, wofür
man ihre Partei nach Thüringen noch hält.
Was sie schon gelernt haben, ist die Schnell-
lebigkeit des Geschäfts, wo die Aussage
von gestern sich heute schon liest wie Ge-
schichte. Denn wie sagte Spitzenkandida-
tin Treuenfels noch vor gut einem Monat:
„Wir Liberale haben einen klaren Kom-
pass: Vernunft statt Ideologie, Haltung
statt Beliebigkeit und keine Angst, son-
dern Mut.“ ralf wiegand

Grüne Frau und rote Männer


Die Sozialdemokraten haben in den vergangenen sieben Jahrzehnten die meiste Zeit
Hamburgs Bürgermeister gestellt. Da wäre ein bisschen Abwechslung nicht ganz verkehrt – oder?

Dass er Erster Bürgermeister der Freien
und Hansestadt Hamburg werden könnte,
hat Marcus Weinberg, 52, nie erwartet. Der
Bundestagsabgeordnete ist dem Ruf sei-
ner Heimatstadt eher pflichtschuldig ge-
folgt. Nachdem die Kandidatin erster
Wahl, die frühere niedersächsische Minis-
terin Äygul Özkan, schwer erkrankt war
und der Hamburger Fraktionsvorsitzende
André Trepoll nicht auf die Rolle des Front-
mannes zugreifen wollte, konnte Wein-
berg, früher Landesvorsitzender, kaum
Nein sagen. Aber Bürgermeisterkandidat
ist er nicht, er führt nur die Landesliste an.
Zu wenig ist von der großstädtischen, libe-
ralen und unkonventionellen Elb-CDU
noch übrig, die Weinberg einst gen Berlin
verlassen hat. Und die er mochte.

Weinberg hat beste Erinnerungen an
die Jahre von Ole von Beust. Dieser führte
die Union 2001 zwar erst in ein Bündnis
mit der FDP und dem Rechtspopulisten Ro-
nald Schill (man stelle sich diese Konstella-
tion heute vor, ersetze Schill durch AfD),
2004 aber holte er die absolute Mehrheit
für die CDU. „Großartige Zeit“, sagt Wein-
berg, stellt aber fest, dass die Aufstellung
seiner Partei inzwischen deutlich konserva-
tiver ist – und ungleich schwächer. Von
den 47 Prozent von einst sind in den Umfra-
gen heute noch 13 übrig.
So bleibt Weinberg nur die Rolles des Zu-
schauers beim Spiel der anderen. Während
sich SPD und Grüne die Simulation eines
Zweikampfs liefern, um danach wohl in al-
ter Konstellation weiterzuregieren, sind
Weinberg und die CDU nur die Größten un-
ter den Kleinen. Nun dürfte irgendein zwei-
stelliges Ergebnis reichen, um den Opposi-
tionsführer zu stellen, weil Linke, FDP und
AfD noch schlechter dran sind. Alle drei
Parteien sind mit sich selbst beschäftigt.
Die Linke plagt eine Debatte, wie seriös sie
mit ihrer Landesliste umgeht. Dort wütet
auf den hinteren Plätzen ein erst 18-jähri-
ger Kandidat, beschimpft die eigene Par-
tei, der er erst seit 2019 angehört, und belei-
digt und verleumdet alle Genossen persön-
lich, die ihm nicht nachsehen wollten, dass
er den Klimawandel auf Twitter mit dem
Holocaust verglichen hatte. Ein Parteiaus-
schlussverfahren gegen den Schüler ist auf
den Weg gebracht worden, Anwälte sind in
Stellung, Anhänger der AfD feiern den
Jung-Linken im Netz schon als einen der Ih-
ren. Die spannendste Frage bei den Linken
ist daher, ob das Hamburger Wahlrecht
den Mann nicht doch ins Parlament bringt.
Die AfD wiederum, die mit Dirk Nocke-
mann antritt, einem einstigen Schillianer,
versucht in Hamburg krampfhaft, nicht
wie eine rechte Partei auszusehen. Den
Thüringer Fraktionschef Björn Höcke bat
sie jüngst (vergeblich), Pegida in Dresden
fernzubleiben, weil das unschöne Bilder
für den Wahlkampf liefern könnte. In der
Stadt hat sie sogar das Wort „Weltoffen“
auf Plakate gedruckt, „aber nicht für Clans
und kriminelle Banden“. Sie steckt bei
sechs bis sieben Prozent. Die FDP schließ-
lich kämpft gegen die Schatten von Thürin-
gen ums Überleben(siehe Text unten).
Ob Weinberg eine solche Opposition
überhaupt anführen will – oder ob er darf?
Sollte die CDU ihr Ergebnis von 2005, nur
15,9 Prozent, unterschreiten, wird Wein-
berg wahrscheinlich nicht mal mehr diese
undankbare Rolle bleiben. rtw

2 HF3 (^) THEMA DES TAGES Donnerstag, 20. Februar 2020, Nr. 42 DEFGH
„In Hamburg wird nicht über mich abgestimmt“: Christian Lindner mit den Lan-
desspitzen Anna von Treuenfels (Mitte) und Katja Suding. FOTO: A. LENTHE / IMAGO
Auf Sinnsuche
Die FDP muss um den Wiedereinzug in die Bürgerschaft bangen. Das hat viel mit dem Verhalten der Parteifreunde in Thüringen zu tun
„Die ganze Stadt im Blick“: Die Koalitionspartner Grüne und SPD konkurrieren in Hamburg um die Macht im Rathaus. FOTO: MORRIS MACMATZEN/GETTY
Groß unter
Kleinen
Das Duell SPD gegen Grüne drängt
die CDU in den Hintergrund
Ließ die Hansestadt sich 2016
fast 47 Millionen Euro an
Steuerrückzahlungen entgehen?
„Wir sind ehrbare Kaufleute“,
sagt der SPD-Bürgermeister
der Hansestadt
Die Linke streitet mit einem
ihrer jungen Kandidaten wegen
dessen Holocaust-Vergleich
Sie werden dafür beschimpft,
Kemmerich aufgestellt zu haben –
oder ihn fallen gelassen zu haben
„Streiten Sie mit Ihrem
Vorsitzenden“, fordert Gerhart
Baum vom Parteinachwuchs
Hamburg vor der Wahl In den Umfragen liegt die SPD schon wieder vorn, die Grünen sind klar auf den Platz des Juniorpartners verwiesen.
Doch in den letzten Tagen des Wahlkampfs bringt eine eigentlich abgehakte Finanzaffäre das Rennen erneut in Schwung.
Es geht um vielleicht verschwendetes Steuergeld, vor allem aberum die Frage: Gibt es den legendären roten Filz in der Stadt noch immer?

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