Süddeutsche Zeitung - 20.02.2020

(Sean Pound) #1
von claudio catuogno

W


enn es um die Körperteile geht,
mit denen Fußballer am liebsten
Tore erzielen, zählt die Nase
nicht dazu. Die Präzision im Abschluss
lässt bei Nasentoren zu wünschen übrig,
außerdem tun sie weh – aber zählen tun
sie halt schon, die Nasentore, weshalb
man sich auch im Wortsinneeine Nasen-
längeim Abseits befinden kann.
Nun standen weder der Chelsea-Stür-
mer Olivier Giroud noch Roberto Firmino
vom FC Liverpool mit der Nase im Abseits,
als ihnen am Wochenende in der Premier
League – jeweils nach Intervention des Vi-
deoschiedsrichters – ihre Treffer aber-
kannt wurden. Aber als Beleg, dass es so
nicht weitergehen kann mit der ständigen
Stornierung von Toren, bloß weil auf dem
TV-Screen ein Knie, eine Fußspitze oder
eine Haarlocke „der gegnerischen Torli-
nie näher ist als der Ball und der vorletzte
Gegenspieler (inklusive des Torwarts)“ –
als Beleg also dafür, dass in Zeiten des
VAR zu exzessiv auf Abseits entschieden
wird, musste wieder mal die arme Nase
herhalten.


„Wenn du eine große Nase hast, dann
bist du heutzutage im Abseits“, hatte
schon im Dezember der Uefa-Präsident
Aleksander Ceferin geklagt. Nun bewies
Arsène Wenger denselben, nun ja: Riecher
für jene Populärthemen, die den Fußball-
fan aufregen. Das größte Problem hätten
„die Leute“ seit Einführung der Videotech-
nik „mit der Abseitsregel“, sagte der lang-
jährige Trainer des FC Arsenal, „wir hat-
ten Abseits wegen eines Bruchteils von ei-
nem Zentimeter, sprichwörtlich: wegen ei-
ner Nasenlänge“. Man müsse da jetzt
„schnell handeln“.
Handeln heißt für Wenger wie für
Ceferin allerdings nicht, die Auslegung
der Abseitsregel durch das Videogericht
zu hinterfragen. Sondern: die Abseitsre-
gel selbst zu ändern. Der Uefa-Chef hatte


vorgeschlagen, beim Abseits „eine Tole-
ranzgrenze von zehn bis 20 Zentimetern“
zu verankern. Wenger geht nicht ganz so
weit. Er will die Regel so abwandeln, dass
ein Spieler nicht mehr wie bisher mit
einemzur Torerzielung erlaubten Körper-
teil im Abseits sein kann: mit dem Fuß,
dem Knie, dem Kopf. Sondern dass so lan-
gekeinAbseits gepfiffen wird, wie sich
mindestens noch ein Körperteil auf glei-
cher Höhe befindet. „Das würde es klä-
ren“, behauptet Wenger, „man hätte dann
nicht länger Millimeter-Entscheidungen,
wenn nur ein Bruchteil eines Angreifers
vor der Verteidigungslinie ist.“
Das mag so stimmen, bloß: Stattdessen
hätte man dann die Millimeter-Entschei-
dung, ob ein Bruchteil eines davonstür-
menden Angreifers nochaufder Verteidi-
gungslinie ist. Das gleiche gilt für Ceferins
Idee. Man würde dann halt vermessen, ob
sich ein Angreifer 19 (im Toleranzbe-
reich!) oder 21 Zentimeter (Abseits!) vor
der Verteidigungslinie befindet. Man wird
die Millimeterfrage immer nur verlagern.
Man müsste also darüber diskutieren, ob
der VAR wegen der Schwankungsbreite
seiner Technik solche Millimeterfragen in
jedem Fall treffen sollte.
Weil Wenger aber überzeugt zu sein
scheint, die Sache „klären“ zu können,
steckt jetzt ein Risiko in seinem Plan. Wen-
ger hat seinen Vorschlag nicht als Ex-Trai-
ner gemacht, sondern als neuer Fifa-Di-
rektor für globale Fußballförderung. In
dieser Funktion sitzt er auch im Bera-
tungsgremien des International Football
Association Board (Ifab), das über alle Re-
geländerungen befinden muss. Das Ifab
tagt wieder am 29. Februar, Wenger
drängt darauf, die Änderung der Abseits-
regel möglichst rasch zu beschließen, da-
mit sie zum 1. Juni weltweit in Kraft treten
kann. Das klingt ziemlich irre.
Schiedsrichter, Videoassistenten und
Spieler hätten dann eine exquisite Bühne,
um die neue Regel erstmals zu testen: die
Fußball-EM. Es würden dort kuriose Tore
fallen, über die man leidenschaftlich dis-
kutieren könnte, und am Ende würde
man sich vermutlich wünschen, Arsène
Wenger hätte seine Nase nie in dieses ver-
zwickte Abseitsthema gesteckt.

Biathlon

WM in Antholz, Einzelrennen
Männer, 20 km
Gold: Fourcade (Frankreich) 49:43,1 Min.
(1 Schießfehler = 1 Strafminute)
Silber: J.T. Bö (Norwegen) + 0:57,0 Min. (2)
Bronze: Landertinger (Österr.) 1:22,1 (1)



  1. Fak (Slowenien) 1:30,2 (1), 5. Weger
    (Schweiz) 2:25,5 (2), 6. T. Bö (Norwegen)
    2:33,6 (3), 7. Fillon Maillet (Frankreich) 2:34,6
    (4), 8. Nordgren (USA) 3:04,3 (0), 9. Dale (Nor-
    wegen) 3:20,1 (4), 10. Samuelsson (Schwe-
    den) 3:35,3 (2); 12. Doll (Breitnau) 3:54,7 (4),

  2. Horn (Frankenhain) 4:23,0 (4), 26. Kühn
    (Reit im Winkl) 4:54,3 (5), 47. Nawrath (Nessel-
    wang) 6:39,8 (5), 50. Peiffer (Clausthal-Zeller-
    feld) 6:49,3 (6).


Eishockey

DEL, 46. Spieltag
Ingolstadt – Köln 2:1 (0:0, 1:1, 1:0)
Kölns 16. Niederlage in Serie.


Krefeld – Schwenningen n.V. 3:2(1:0, 1:1, 0:1)
Bremerhaven – Wolfsburg 3:4 (0:2, 0:1, 3:1)
Augsburg – Berlin Do. 19.30



  1. EHC München 46 159:111 102
    2. Adler Mannheim 46 161:116 91
    3. Straubing Tigers 46 160:117 90
    4. Eisbären Berlin 45 146:124 82
    5. Düsseldorfer EG 46 113:103 74
    6. FP Bremerhaven 46 138:134 73
    7. Wolfsburg 46 134:130 70
    8. ERC Ingolstadt 46 144:143 70
    9. Nürnberg IT 46 133:145 67

  2. Augsburger Panther 46 124:135 62

  3. Kölner Haie 46 105:141 52

  4. Krefeld Pinguine 46 124:147 50

  5. Iserlohn Roosters 46 101:146 42

  6. Schwenningen 45 101:151 38
    England, vom 28. Spieltag
    Manchester City – West Ham 2:0 (1:0)
    1:0 Rodrigo (30.), 2:0 De Bruyne (62.).

  7. FC Liverpool 26 61:15 76

  8. Manchester City 26 67:29 54

  9. Leicester City 26 54:26 50

  10. FC Chelsea 26 43:36 41

  11. Tottenham Hotspur 26 43:34 40

  12. Sheffield United 26 28:24 39

  13. Manchester United 26 38:29 38

  14. Wolverhampton 26 35:32 36

  15. FC Everton 26 34:38 36

  16. FC Arsenal 26 36:34 34

  17. FC Burnley 26 30:39 34

  18. FC Southampton 26 32:48 31

  19. Newcastle United 26 24:40 31

  20. Crystal Palace 26 23:32 30

  21. Brighton & Hove Albion 26 31:38 27

  22. AFC Bournemouth 26 26:40 26

  23. Aston Villa 26 34:50 25

  24. West Ham United 26 30:45 24

  25. FC Watford 26 24:40 24

  26. Norwich City 26 24:48 18


Handball

Champions League, Gruppe A, 13. Spieltag
Flensburg-Hand. – Szeged 34:26 (17:11)


  1. FC Barcelona 12 11 0 1 418:327 22

  2. Pick Szeged 13 9 2 2 381:340 20

  3. Paris St. G. 12 9 0 3 376:338 18

  4. Flensburg-Hand. 13 6 1 6 359:353 13

  5. Aalborg HB 12 6 1 5 356:361 13

  6. RK Celje 12 3 0 9 304:363 6
    Frauen, Bundesliga, vom 10. Spieltag
    TuS Metzingen – Thüringer HC 29:22 (19:12)

    1. BVB Dortmund 15 514:377 30:0

    2. SG Bietigheim 15 494:393 27:3

    3. TuS Metzingen 15 455:370 24:6

    4. Thüringer HC 15 482:361 22:8

    5. Blomberg-Lippe 15 438:414 21:9

    6. Bayer Leverkusen 15 397:387 20:10

    7. Buxtehuder SV 15 427:419 16:14

    8. HSG Bensheim 15 430:449 12:18
      9. SU Neckarsulm 15 390:446 10:20



  7. VfL Oldenburg 15 387:460 9:21

  8. FA Göppingen 15 388:423 8:22

  9. Bad Wildungen 15 392:442 4:26

  10. FSV Mainz 05 15 350:481 4:26

  11. Kurpfalz Bären 15 366:488 3:27


Hockey

Frauen, Länderspiel in Madrid
Spanien – Deutschland 1:5 (1:2)

Tennis

Männer, Rio de Janeiro (1,76 Mio. US-Dollar)


  1. Runde: Thiem (Österreich/1) – Rodrigues Al-
    ves (Brasilien) 6:2, 4:6, 6:1, Lajovic (Serbi-
    en/2) – Cecchinato (Italien) 6:4, 6:7 (4), 6:1.
    Achtelfinale: Garin (Chile/3) – Delbonis (Ar-
    gentinien) 6:4, 6:3.
    Männer, Marseille (769 670 Euro)
    Achtelfinale: Tsitsipas (Griechenland/2) –
    Ymer (Schweden) 6:1, 6:3, Pospisil (Kanada) –
    Hurkacz (Polen/8) 6:3, 6:4.
    Männer, Delray Beach (602 935 US-Dollar)
    Achtelfinale: Kwon Soon Woo (Südkorea) –
    Harrison (USA) 6:4, 3:6, 7:6 (0), Nishioka (Ja-
    pan) – Rubin (USA) 6:1, 6:2.


Frauen, Dubai (2,644 Mio. US-Dollar)
Achtelfinale: Halep (Rumänien/1) – Jabeur
(Tunesien) 1:6, 6:2, 7:6 (7), Ka. Pliskova (Tsche-
chien/2) – Mladenovic (Frk) 6:1, 6:2, Sabalen-
ka (Weißrussland/7) – Mertens (Belgien) 6:4,
6:3, Martic (Kroatien/8) – Strycova (Tschechi-
en) 6:3, 6:3, Muguruza (Spa/9) – Kudermeto-
wa (Rus) 7:5, 4:6, 6:4, Brady (USA) – Vondrou-
sova (Tschechien) 4:6, 6:4, 6:1, Rybakina (Ka-
sachstan) – Siniakova (Tschechien) 6:3, 6:3.
Im Viertelfinale (Donnerstag)
Halep – Sabalenka, Rybakina – Pliskova, Bra-
dy – Muguruza, Martic – Kontaveit.

Volleyball

Männer, Champions League
Gruppe B: Kemerovo – Berlin RV 3:2 (22:25,
25:19, 25.14, 20:25, 15:8). – 1. Nowy Urengoi
4:1 Siege, 2. Kemerovo 4:2, 3. Berlin 2:4,


  1. Ljubljana 1:4.
    Gruppe E: Zaksa Kedzierzyn-Kozle – VfB Fried-
    richshafen 3:0 (25:21, 25:21, 25:22). – 1. Zak-
    sa Kedzierzyn-Kozle 6:0, 2. Knack Roeselare
    4:2, 3. Friedrichshafen 2:4, 4. Novi Sad 0:6.


Männer, Bundesliga, 19. Spieltag
TSV Giesen – Netzhoppers KW 3:1 (25:16,
13:25, 25:20, 25:21).


  1. Berlin Volleys 18 54:10 50

  2. AlpenVolleys Haching 17 44:24 38

  3. UV Frankfurt 17 42:26 35

  4. VfB Friedrichshafen 17 41:27 35

  5. TSV Herrsching 17 35:34 27

  6. SVG Lüneburg 17 31:34 24

  7. SWD Düren 17 28:36 22

  8. TV Rottenburg 17 30:38 20

  9. Netzhoppers KW 18 30:43 20

  10. TSV Giesen 17 23:42 14

  11. TV Bühl 17 22:44 12

  12. VC Eltmann 17 20:42 12
    Frauen, Challenge Cup, Viertelfinale
    Hinspiele: AO Thiras – Dresdner SC 3:1 (19:25,
    26:24, 25:15, 25:17), Aachen – Beziers 0:3
    (20:25,21:25,18:25).


Live-Sport im Fernsehen

Donerstag, 20. Februar
10.35 – 15.15 Uhr, Eurosport: Langlauf, Welt-
cup in Meraker/Norwegen, 38 km Freistil
Massenstart Frauen und Männer (13.20).
15.05 – 16 Uhr, ARD & Eurosport: Biathlon,
WM in Antholz, Single-Mixed-Staffel.
16 – 18 und 19.45 – 0 Uhr, Eurosport: Snoo-
ker, World Main Tour in Watford, 1. Runde.
21 – 23 Uhr, RTL Fußball, Europa League,
1/16-Finale, Bayer Leverkusen – FC Porto.

ABSEITSREGEL

Das Kreuz mit der Nase


Keine Zeit zu trauern: Keine 50 Stunden nach der dramatischen
Niederlage im deutschen Pokal-Finale gegen Dresden mit fünf ver-
gebenen Matchbällen überzeugten die Volleyballerinnen des MTV
Stuttgart bei ihrem 3:0-Erfolg in der Champions-League-Grup-
penphase gegen Chimik Juschni. Das deutsche Team festigte da-
durch Platz zwei. FOTO: SANDY DINKELACKER / IMAGO

AKTUELLES IN ZAHLEN


Madrid/München– Später, als er darüber
reden sollte, was zum Sieg gegen den FC Li-
verpool geführt habe, wusste Diego Simeo-
ne, der Trainer von Atlético Madrid, den
Ausgangspunkt genau zu benennen. Und
es war kein Spielzug und kein Trick, über
den er redete. Sondern eine aufwühlende
Reise im Mannschaftsbus in das im Jahr
2017 eröffnete Estadio Metropolitano:
„Von dem Augenblick an, da wir im Kreis-
verkehr zum Stadion abgebogen sind und
eine Menge gesehen habe, die voller Enthu-
siasmus war und ohne Angst, haben wir an-
gefangen zu gewinnen“, sagte Simeone.

Und in der Tat: Wer später die Bilder
sah, der durfte beeindruckt sein, auch
wenn er nicht im Bus gesessen hatte, vom
glutroten Horizont, vom Rauch, der zum
Himmel stieg, vom Lärm.
Simeone, 49, ist seit acht Jahren bei Atlé-
tico als Trainer beschäftigt, und er bekann-
te, „so einen Empfang noch nie gesehen“
zu haben. „Es gibt Nächte, die man nicht
vergisst, und die heutige werden die Men-
schen nicht vergessen. Die beste Mann-
schaft der Welt ist gekommen, und wir ha-
ben sie geschlagen.“ Mit 1:0, um genau zu
sein, durch ein Tor, das sinnigerweise Saúl
Ñíguez erzielte. Der Mann, der nach eige-
nem Torerfolg nie eine Partie verlor (34 Sie-
ge, fünf Unentschieden), und am Vorabend

der Partie im englischenGuardianeine
„magische Nacht“ beschworen hatte.
Ob dem Metropolitano im Vergleich
zum alten Estadio Vicente Calderón etwas
fehle, war Saúl gefragt worden, und er ant-
wortete: „Ja. Zeit.“ Zeit, um „epische Spie-
le, Aufholjagden, Siege, große Nächte ge-
gen große Teams“ beherbergt zu haben. So
wie gegen Liverpool, das zum ersten Mal
seit dem 0:1 beim SSC Neapel von Novem-
ber 2018 wieder ohne Schuss aufs gegneri-
sche Tor blieb. Trotz 72 Prozent Ballbesitz.
Liverpools Trainer Jürgen Klopp, 52,
hatte am Spiel seiner Mannschaft nichts
auszusetzen. Im Gegenteil. In Sachen Auf-
bau, Pressing, Gegenpressing und Inten-
sität habe seine Mannschaft „das Beste
seit langem“ geboten, sagte Klopp nach
der Rückkehr in das Stadion, das im ver-
gangenen Jahr die Bühne des Champions-
League-Finals und damit des jüngsten kon-
tinentalen Triumphes der Reds gewesen
war. Sie hatten tatsächlich nichts unver-
sucht gelassen. Aber: Sie waren bei eigener
Unzulänglichkeit („Im letzten Drittel kön-
nen wir besser spielen“, sagte Klopp) auch
auf eine Mannschaft gestoßen, die eine der
besten und durchdachtesten Abwehr-
schlachten der vergangenen Jahre geboten


  • und all die Kritiken der vergangenen Wo-
    chen und Monate vergessen gemacht hat-
    te. Wegen des Ambientes hatte Klopp gar
    das Gefühl, „dass Atlético andauernd zur
    Tankstelle ging, während wir mit einer Fül-
    lung durchfahren mussten“. Dafür sorgte
    auch Simeone, der das Publikum im Stile
    eines Windrads aufwiegelte und später sag-


te, einen Abend verlebt zu haben, an dem
er „am liebsten wieder die Stiefel ge-
schnürt“ hätte. „Ich glaube nicht, dass er
viel vom Spiel gesehen hat“, sagte Klopp.
Die erste Explosion erschütterte das Me-
tropolitano, als Saúl, 25, nach kaum mehr
als drei Minuten die Führung erzielt hatte.
Nach einem Eckstoß war der Ball Liver-
pools Mittelfeldspieler Fabinho auf den
Schuh und dann Atléticos Saúl vor die Fü-
ße gefallen. Er hatte keine Mühe, Liver-
pools brasilianischen Torwart Allison zu
überwinden. Dem Treffer haftete aber der
Makel einer Fehlentscheidung an, denn
der Eckball entstand nur deshalb, weil der
Referee den Spaniern unmittelbar zuvor
einen Einwurf zuerkannt hatte, der eigent-

lich Liverpool gehört hätte. Klopp hielt sich
zwar nicht lange, aber durchaus deutlich
mit dieser Szene auf, sie zählte aus seiner
Sicht zu den Momenten, die belegten, dass
der Schiedsrichter mit dieser Atmosphäre
überfordert gewesen sei.
Ihm habe insgesamt ein Gespür für die
Partie gefehlt, weshalb er beispielsweise
Atléticos Fisimatenten habe durchgehen
lassen. „Nach 30 Minuten lagen drei Atléti-
co-Spieler auf dem Boden, ohne verletzt zu
sein“, klagte Klopp, und dass Stürmer Sa-
dio Mané zur Halbzeit ausgewechselt wer-
den musste, habe daran gelegen, dass der
Senegalese nach einer gelben Karte rot-
gefährdet war. Dessen Gegenspieler „ging
schon zu Boden, wenn Mané Luft holte“.
Noch viel mehr ärgerte Klopp, dass Atléti-
co nach der Partie sehr ausgiebig feierte.
Das Gebaren der Atlético-Gemeinde hätte
in ihm das Gefühl keimen lassen, die Spani-
er glaubten, sie hätten schon irgendwas ge-
wonnen, meinte Klopp. Doch da dürfte er
sich irren, im Lager der Madrilenen herrscht
noch die Erinnerung an das vergangene
Jahr vor, als Atlético bei Juventus in Turin
noch einen 2:0-Hinspielsieg verspielte –
und Liverpool drehte 2019 ja ebenfalls ein
0:3 gegen den FC Barcelona.
Für alle Fälle versuchte Jürgen Klopp
aber, den Spaniern schon mal so etwas wie
Angst einzusingen. Allen Atlético-Fans,
die ein Ticket für das Rückspiel in Liver-
pool bekommen, gelte schon jetzt ein ein-
schüchternd gemeinter Willkommens-
gruß: „Welcome to Anfield. Es ist noch
nicht vorbei.“ javier cáceres

von christof kneer

W


enn man neu irgendwo hin-
kommt, ist man höflich, aber
meistens auch ein bisschen zu-
rückhaltend. Der richtige Tonfall ist wich-
tig in einer neuen Gesellschaft, man will
nicht schüchtern wirken, aber auch nicht
der Typ sein, der gleich die besten Witze
macht. Die ersten Pointen überlässt man
am Anfang lieber dem Gastgeber, mit zu-
nehmender Dauer des Abends darf man
dann ein bisschen lockerer werden. Der
junge Fußballklub RB Leipzig hat von die-
ser Art Knigge womöglich noch nie etwas
gehört, jedenfalls hat er sich ziemlich kna-
ckig vorgestellt auf dieser Party, auf die er

zum allerersten Mal eingeladen war. Zum
ersten Mal war RB Leipzig in die heiligsten
Hallen der Champions League vorgedrun-
gen, sie durften in der K.o.-Runde mit den
Besten feiern, und es dauerte nicht mal an-
derthalb Minuten, bis sogar der berühmte
Partygast José Mourinho merkte, dass die
Leipziger da waren. Im Achtelfinal-Hin-
spiel bei Tottenham Hotspur hatte RB in
den ersten anderthalb Spielminuten vier
Großchancen, das ist vermutlich nur des-
halb kein Rekord, weil sich bisher noch kei-
ner die Mühe gemacht hat, die Statistik
„Großchancen nach anderthalb Spielminu-
ten“ zu führen. Nach 28 Sekunden schoss
RB-Angreifer Schick knapp vorbei, und ei-
ne halbe Minute später reihte RB gleich

drei Chancen aneinander: Tottenhams Ver-
teidiger Sanchez blockt einen Schuss von
Timo Werner ab, den Abpraller donnert RB-
Verteidiger Angelino ins Eck, Keeper Lloris
reagiert glänzend, der Ball kommt wieder
zu Werner, Schuss, wieder hält Lloris. Will-
kommen im Achtelfinale, RB Leipzig!
Diese ersten anderthalb Minuten reich-
ten schon, um zu begreifen, welchen Plan
der Tabellenzweite der Bundesliga verfolg-
te. Die Idee war, offensiv mit den eigenen
Defiziten umzugehen. Neben den verletz-
ten Verteidigern Orban und Konaté hatte
sich auch noch Abwehrchef Upamecano
wegen einer Gelbsperre abgemeldet, so
dass Trainer Julian Nagelsmann auf die
komplette Stamm-Verteidigung verzich-

ten musste und einen 19-Jährigen namens
Ethan Ampadu zum Zentralspieler in einer
Dreierabwehr beförderte. Immerhin hatte
Nagelsmann eine Aufstellung gewählt, die
so viel defensive Verlässlichkeit wie mög-
lich versprach, die Techniker Forsberg und
Olmo ließ er auf der Bank. Dennoch hatte
er eine mutige Spielweise angeordnet, die
sich am Ende auszahlen sollte: Die frechen
Leipziger nahmen aus London einen
1:0-Auswärtssieg mit nach Hause, der ih-
nen eine ausgezeichnete Perspektive bie-
tet, um im Rückspiel erstmals in der Klub-
geschichte ins Viertelfinale einzuziehen.
Dieses Spiel hatte ja von Anfang an eine
interessante Versuchsanordnung geboten:
Während Leipzig ohne seine erste Abwehr
spielen musste, blieb der Elf des Trainers
Mourinho nichts anderes übrig, als es ohne
ersten Sturm zu versuchen. Tottenhams
Weltklasse-Angreifer Harry Kane und
Heung-min Son mussten wegen Verletzun-
gen ebenso passen wie die drei Leipziger
Verteidiger, und so stand das Thema des
Spiels schon vor dem Anpfiff fest: Wer wür-
de besser mit seinen Verlusten umgehen?

Die Antwort hieß „Leipzig“, und so kam
RB durch Schick (17.) und Werner (36.) zu
weiteren großformatigen Chancen. Nagels-
manns Elf tat so, als sei ihr die geschwäch-
te Abwehr total egal, die einstige Konter-
Elf RB dominierte das Spiel, und es wurde
nicht ganz klar, ob Mourinhos Team in ei-
nem Heimspiel bewusst auf Konter lauerte
oder ob gar nicht anders konnte, als vor die-
sen kessen Leipzigern zurückzuweichen.
Nicht immer sagen Zahlen die Wahrheit
über ein Spiel, aber den Zahlen zur Halb-
zeit durfte man trauen: 66 Prozent Ballbe-
sitz, 13:3 Torschüsse – vieles sprach für
Leipzig, nur auf der Anzeigetafel stand ei-
ne Null. Um auch in dieser relevantesten al-
ler Statistiken in Führung zu gehen, benö-
tigte RB gegnerische Hilfe: Bemerkens-
wert ungelenk bremste Tottenhams Da-
vies im Strafraum den Leipziger Laimer,
Schiedsrichter Cakir entschied sofort auf
Elfmeter. Timo Werner verwandelte souve-
rän (58.). Eine verdiente Führung war das,
aus der am Ende ein verdienter Sieg wur-
de, auch wenn RB gegen stürmischere Gast-
geber noch kritische Momente überstehen
musste – was auch dank Torwart Gulacsi
gelang, der freundlicherweise all das hielt,
was die Ersatzabwehr durchließ.

Düsseldorf– Noch vor rund einem halben
Jahr schien die Zeit des neuen Vorstands-
vorsitzenden von Fortuna Düsseldorf
schon wieder abzulaufen. Weil Thomas
Röttgermann in einigen Medien eine unab-
gesprochene Nebentätigkeit sowie öffent-
liche Falschaussagen vorgeworfen wurden
und er sich intern rechtfertigen musste,
schien das Amt, das er erst im April 2019 an-
getreten hatte, in Gefahr zu geraten. Doch
nur fünf Monate später steht Röttgermann
plötzlich als stärkster Mann im Klub da,
weil alle anderen wichtigen Personen in
der Zwischenzeit entlassen wurden oder
einen Rückzieher gemacht haben. Der Auf-
sichtsratsvorsitzende Reinhold Ernst trat
Ende 2019 vom Vorsitz zurück und ist nur
noch einfaches Mitglied im Aufsichtsrat.
Der Trainer Friedhelm Funkel wurde im
Januar entlassen. Und der Sportdirektor
Lutz Pfannenstiel hat am Dienstag seinen
Rücktritt zum Saisonende angekündigt. In
einer Phase des drohenden Bundesliga-Ab-
stiegs bleibt Röttgermann, zuvor Ge-
schäftsführer beim VfL Wolfsburg, derweil
Vorstandsvorsitzender.
Es ist vermutlich zu spät, die Auflösungs-
erscheinungen des 125 Jahre alten Vereins


am kommenden Montag auf dem Motto-
wagen der Fortuna beim Rosenmontags-
zug noch zu berücksichtigen. Für das Jubi-
läumsjahr 2020 des 1895 gegründeten
Klubs sind vielmehr allerhand Feierlichkei-
ten in Planung. Dass es derweil hinter den
Kulissen drunter und drüber geht, will zur
Feierstimmung so recht nicht passen. Sein
nun angekündigter Rücktritt als Sport-
direktor nach gerade einmal 15 Monaten
erfolge „aus rein privaten Gründen“, beteu-
ert Pfannenstiel. Hintergründe deutet er
allerdings keine an und verbittet sich auch
diesbezügliche Fragen. Einen sofortigen
Rückzug, wie ihn örtliche Medien sogleich
forderten, wies die Fortuna zurück. Pfan-
nenstiels letzter Arbeitstag soll der 31. Mai
sein, einen Tag später tritt der bisherige Ka-
derplaner und Scouting-Chef Uwe Klein
die Nachfolge an, rein fachlich wohl kein
allzu großer Sprung für ihn.
Die Trennung von dem in Düsseldorf so
beliebten Trainer Friedhelm Funkel vor
drei Wochen, nach der Pfannenstiel von
vielen Fans Kritik und offenbar auch Belei-
digungen hatte einstecken müssen, könn-
ten seinen Entschluss zum Rücktritt for-
ciert haben. Unter dem neuen Trainer Uwe
Rösler spielt Düsseldorf zwar einen etwas
moderneren und schnelleren Fußball als
zuvor, mehr als zwei Punkte aus drei Spie-
len sind aber nicht herausgesprungen.
Der Rückstand auf den rettenden viert-
letzten Platz beträgt fünf Punkte. Am
3.März erhält die Fortuna aber immerhin
die Gelegenheit, mit einem Sieg beim Viert-
ligisten Saarbrücken erstmals seit 1996
wieder ins Halbfinale des DFB-Pokals ein-
zuziehen. Aufregende drei Monate werden
das also für den Trainer Rösler und den auf
Abruf stehenden Sportchef Pfannenstiel,
den sie in örtlichen Medien schon als „la-
me duck“ diskreditieren, als „lahme Ente“.
Die mediale Stimmung gegen ihn ist seit
seinem Rücktritt sehr schnell sehr abwei-
send geworden. ulrich hartmann

Arsène Wenger will die


Abseitsregel ändern – die Folgen


für die EM wären wohl kurios


Ständig an der Tankstelle


Atlético feiert das 1:0 gegen Liverpool. Jürgen Klopp warnt die Spanier aber schon mal vor der Atmosphäre im Rückspiel


Frechheit siegt


Ersatzgeschwächte Leipziger überraschen Tottenham in der Champions League mit mutigem Offensivfußball.
Nach dem 1:0-Auswärtserfolg könnte RB erstmals in der Klubgeschichte ins Viertelfinale einziehen

Trübes Jubiläumsjahr


Düsseldorf drohen nach Manager-Rücktritt aufregende Monate


„Ich glaube nicht, dass er viel vom
Spiel gesehen hat“, sagt Klopp
über seinen Trainerkollegen

Ein ungelenkes Foul,
ein eindeutiger Elfmeter –
Timo Werner verwandelt sicher

34 HMG (^) SPORT Donnerstag, 20. Februar 2020, Nr. 42DEFGH
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Saúl
Ñiguez erzielt das Siegtor gegen Titelver-
teidiger Liverpool. FOTO: MICHAEL REGAN / GETTY
Cool mit rechts ins Eck: Nach einem halben Dutzend vergebener Großchancen für Leipzig verwandelt Timo Werner sicher
den Foulelfmeter. Schiedsrichter Cakir achtet derweil darauf, dass niemand die Party stört. FOTO: ADAM DAVY / IMAGO
Werden nicht lange als Duo in Düsseldorf
zusammenarbeiten: Fortuna-Sportdirek-
tor Lutz Pfannenstiel (links) und Trainer
Uwe Rösler. FOTO: NORBERT SCHMIDT / IMAGO

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