Süddeutsche Zeitung - 20.02.2020

(Sean Pound) #1
von björn finke
und matthias kolb

Brüssel– Sein Ziel hat Charles Michel klar
formuliert. „Es ist an der Zeit, auf unserer
Ebene Einigung über den mehrjährigen Fi-
nanzrahmen zu erzielen“, schrieb er Ende
Januar an die 27 Staats- und Regierungs-
chefs der EU und lud sie zu einem Sonder-
gipfel ein, der am Donnerstagnachmittag
beginnt. Es geht um den EU-Haushalt für
die Jahre 2021 bis 2027, und in Brüssel und
in den Hauptstädten wurden zwei Dinge re-
gistriert: Der Ratspräsident nannte keinen
Endtermin für die Sitzung und schien eine
inoffizielle Regel zu hinterfragen.
Die besagt nämlich, dass bei Budgetver-
handlungen ein Gipfel scheitern muss, be-
vor alle Mitgliedstaaten im zweiten Anlauf
zustimmen können. Dieses Drama sei nö-
tig, damit sowohl die Vertreter der Netto-
zahler – also jener Staaten, die mehr Geld
nach Brüssel überweisen als sie zurücker-
halten – als auch die Politiker der Empfän-
gerländer zuhause sagen können, dass sie
bis zum Ende gekämpft haben. Wie EU-
Kommissionspräsidentin Ursula von der

Leyen ist Michel erst seit Dezember im
Amt, und der Nachfolger von Ratspräsi-
dent Donald Tusk wagt einiges mit dem Si-
gnal, in einer einzigen Marathonsitzung
den Durchbruch erzielen zu wollen.
Beim Haushalt hat schließlich jedes EU-
Mitglied ein Vetorecht, und die Ausgangsla-
ge ist so kompliziert wie nie. Da mit Groß-
britannien ein großer Beitragszahler weg-
fällt, fehlen jedes Jahr zehn bis zwölf Milli-
arden Euro, die zu kompensieren sind. Zu-
gleich will die EU mehr für neue Aufgaben
ausgeben, etwa den Kampf gegen den Kli-
mawandel, Grenzschutz und Forschungs-
förderung. „Alle werden mehr zahlen müs-
sen und am Ende weniger bekommen“,
sagt ein hochrangiger EU-Diplomat.
Klar ist auch, dass Deutschland als wirt-
schaftsstärkstes Mitglied einen dicken Bat-
zen der Zusatzbelastung tragen muss. Die
Frage ist nur, wie sehr der Beitrag steigt.
Michel setzt auf intensive Gespräche:
Kaum hatte der Liberale seine Einladung
verschickt, traf der frühere belgische Pre-
mier der Reihe nach seine ehemaligen Kol-
legen. 17 Unterhaltungen, die bis zu drei
Stunden dauerten, packte der 44-Jährige

in eine Woche. Meist waren Fachleute da-
bei, aber Michel sprach auch stets unter
vier Augen mit den Gästen. Am Schluss
standen Videoschalten mit Bundeskanzle-
rin Angela Merkel sowie mit Frankreichs
Präsident Emmanuel Macron.
Am Freitag präsentierte Michel seine
neue negotiation box, wie im EU-Jargon
ein Haushaltsentwurf genannt wird. Der
enttäuschte vor allem die Netto-Zahler.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz sprach
von einem „Rückschritt gegenüber frühe-
ren Vorschlägen“. Die Regierungschefs von
Österreich, Schweden, Dänemark und den
Niederlanden – die sogenannten frugal
four, die sparsamen Vier – reagierten mit
einem Artikel in derFinancial Timesund
bekräftigten ihre Forderungen, die weit
entfernt sind von Michels Plan.
Größter Streitpunkt ist das Volumen
des siebenjährigen Finanzrahmens. Die
EU-Kommission schlug 2018 vor, dass die
Union gut 1,11 Prozent der Wirtschaftsleis-
tung ihrer Mitglieder ausgeben darf. Das
Europaparlament, das am Ende zustim-
men muss, verlangt sogar 1,3 Prozent, was
allerdings als völlig utopisch gilt und nicht

ernst genommen wird. Der aktuelle Finanz-
rahmen, der 2020 ausläuft, gibt ein Pro-
zent als Obergrenze vor – doch ein Prozent
von einem größeren Kuchen, weil noch die
Wirtschaftskraft Großbritanniens einbe-
rechnet wird. Deutschland und die sparsa-
men Vier fordern trotzdem, dass der De-
ckel bei einem Prozent bleibt. Staaten, die
stark von Hilfsgeldern für arme Regionen
profitieren, liegen bei ihren Positionen da-
gegen näher am Kommissionsentwurf.
Michels Kompromiss sieht 1,074 Pro-
zent vor. Die Unterschiede sehen nach we-
nig aus, aber jedes Hundertstel Prozent
steht für gut zehn Milliarden Euro. Der
Wert des Belgiers bedeutet, dass die EU in
den sieben Jahren fast 1,1 Billionen Euro an
Finanzzusagen treffen kann – eine Billion
ist eine Zahl mit zwölf Nullen. Für Deutsch-
land stiege die Netto-Belastung von durch-
schnittlich 13 Milliarden Euro pro Jahr im
laufenden Haushaltsrahmen auf mehr als
22 Milliarden Euro. Diese Zahl berücksich-
tigt allerdings keine Rabatte. Und das ist
der zweite Knackpunkt.
Nach dem Austritt der Briten profitieren
nur noch die Bundesrepublik und die fru-

gal four von Nachlässen. Sowohl die EU-
Kommission als auch Michel wollen die Ra-
batte schrittweise auslaufen lassen. Die
fünf Begünstigten argumentieren jedoch,
ohne Nachlass müssten sie allein den Groß-
teil der Brexit-Folgen tragen, und das sei
unfair. Für Frankreich – ein Land ohne Ra-
batt – würde der Netto-Beitrag um weni-
ger als ein Viertel steigen, für Deutschland
hingegen um drei Viertel, wenn Berlin auf
einmal ohne Nachlass dastünde, wie aus
Kalkulationen einer Hauptstadt hervor-
geht. Kanzlerin Merkel nannte die Rabatte
am Mittwoch als Beispiel dafür, dass der
Entwurf „unsere Belange an vielen Stellen
noch nicht ausreichend berücksichtigt“.

Dritter Streitpunkt ist die Verwendung
des Gelds. Michel will Agrarsubventionen
und Hilfsgelder für arme Landstriche kür-
zen und mehr in neue Aufgaben investie-
ren. Allerdings fällt diese Umschichtung
kleiner aus als im Entwurf der Kommissi-
on. Berlin wünscht sich eine stärkere Mo-
dernisierung des Budgets, aber einige Staa-
ten schrecken davor zurück. So sorgt sich
Frankreich um seine Bauern, andere um
Regionalförderung. Als erfahrener Ver-
handler hat Michel in den Bereichen Agrar
und Regionalhilfen jedoch elf Milliarden
Euro an Manövriermasse zurückgehalten.
Umstritten ist auch, ob Zahlungen ge-
kürzt werden können, wenn Staaten rechts-
staatliche Prinzipien verletzen. Dies dürfe
die wirkungslosen Artikel-7-Verfahren,
die wegen schwerwiegender Verstöße ge-
gen Polen und Ungarn eingeleitet wurden,
nicht ersetzen, betonen Experten. Es gehe
nur um den Schutz des Haushalts. Aller-
dings gilt die Drohung mit dem Stopp von
Förder-Milliarden als wirksamer Hebel,
die nationalkonservativen Regierungen in
Warschau und Budapest zum Einlenken zu
bewegen. Dass Michel in seinem Entwurf
den Mechanismus verwässert hat, um sol-
che Strafen zu verhängen, erzürnt viele
Nord- und Westeuropäer. Die sehen das als
vorschnelles Zugeständnis. „Da hat sich
Michel verkalkuliert“, sagt ein Diplomat.
Auf dem Gipfel stehen also mühselige
Diskussionen an. In Brüssel fragen sich vie-
le, wie lange Michel Einzelgespräche führt
und in großer Runde debattieren lässt, be-
vor er aufgibt und das Thema auf einen
zweiten Sondergipfel – vielleicht schon im
März – vertagt. Immerhin war Michel bis
Oktober Ministerpräsident eines Landes,
in dem Verhandlungen wegen der zersplit-
terten Parteienlandschaft sehr lange dau-
ern können. „Wir nehmen niemanden als
Geisel“, heißt es dazu aus seinem Umfeld.
Dort betont man, dass 2013 das erste
Sondertreffen zum Haushalt auch scheiter-
te, weil der damalige Ratspräsident Her-
man Van Rompuy die Einzelgespräche erst
auf dem Gipfel führte. „Wir haben bessere
Vorarbeit geleistet“, sagt ein Mitglied von
Michels Team. „Der Präsident weiß, was er
wem gegeben hat, wo die echten roten Li-
nien verlaufen und wo es Spielraum gibt.“
Und all die Kritik vorab? Nichts als Lärm;
nun erst seien die Verhandlungen „Chefsa-
che“. Die Brüsseler Verkehrsbetriebe berei-
ten sich jedenfalls auf einen langen Gipfel
vor: Die Gesellschaft sperrt die Stationen
rund um den Veranstaltungsort, das Rats-
gebäude, bis Samstag.  Seite 4

Moskau– Russland hat die Türkei vor
einer Offensive in der syrischen Rebel-
lenhochburg Idlib gewarnt. Ein solches
Vorgehen sei ein „Worst-Case-Szena-
rio“, sagte ein Sprecher von Präsident
Wladimir Putin am Mittwoch. Russland
sei strikt dagegen. Man sei aber auch
weiter mit Ankara in Kontakt, um Span-
nungen zu vermeiden, die zu einer wei-
tere Eskalation führen könnten. Zuvor
hatte der türkische Präsident Recep
Tayyip Erdoğan erklärt, eine Offensive
in Idlib sei nur noch eine Frage der Zeit,
nachdem Gespräche mit Russland kei-
ne Einigung auf die Umsetzung eines
Waffenstillstands gebracht hatten. Die
Türkei unterstützt in dem seit neun
Jahren währenden Bürgerkrieg in Syri-
en einige Rebellengruppen, Russland
steht hinter der Regierung von Präsi-
dent Baschar al-Assad. In Moskau lau-
fen seit Tagen Verhandlungen zur Um-
setzung einer Waffenruhe. reuters


Peking– Aus Protest gegen einen als
beleidigend empfundenen Kommentar
imWall Street Journalzum Ausbruch
der Lungenkrankheit weist China drei
Korrespondenten der Zeitung aus. Ih-
nen werde mit sofortiger Wirkung die
Akkreditierung entzogen, teilte der
Sprecher des Außenministeriums, Geng
Shuang, am Mittwoch vor der Presse in
Peking mit. Es ist das erste Mal in der
jüngeren Geschichte der Volksrepublik,
dass gleich mehrere Korrespondenten
einer internationalen Nachrichtenorga-
nisation des Landes verwiesen werden.
Vizebürochef Josh Chin und Reporter
Chao Deng, die US-Bürger sind, sowie
Reporter Philip Wen, ein Australier,
wurden aufgefordert, China innerhalb
von fünf Tagen zu verlassen, berichtete
die Zeitung. US-Außenminister Mike
Pompeo verurteilte die Ausweisung der
Korrespondenten. dpa


Berlin/München– Ungeachtet des Aus-
gangs laufender Verhandlungen zwischen
den USA und den Taliban hat die Bundesre-
gierung den Weg geebnet für eine Fortset-
zung des Bundeswehreinsatzes in Afgha-
nistan. Das Kabinett stimmte am Mitt-
woch der Verlängerung des Einsatzes im
Rahmen der Nato-Mission „Resolute Sup-
port“ um ein weiteres Jahr zu. Unverändert
sollen bis zu 1300 Soldatinnen und Solda-
ten entsandt werden können. Dem muss
bis Ende März allerdings noch der Bundes-
tag zustimmen.

„Trotz sichtbarer Fortschritte“ sei Af-
ghanistan weiter auf die Beratung seiner Si-
cherheitskräfte angewiesen, um eine „flä-
chendeckende Verbesserung der Sicher-
heitslage zu erreichen“, sagte Vize-Regie-
rungssprecherin Ulrike Demmer. Aller-
dings gelte: „Der Konflikt in Afghanistan
kann nur politisch gelöst werden“. Vor-
dringliches Ziel seien daher innerafghani-
sche Friedensverhandlungen.
Ob solche jedoch bald stattfinden kön-
nen, ist nach der Verkündung des Ergebnis-
ses der Präsidentschaftswahl fraglicher
denn je: Nach mehr als vier Monaten Aus-
und Nachzählen meldete die Wahlkommis-
sion am Dienstag, Amtsinhaber Aschraf
Ghani habe die Abstimmung mit 50,64 Pro-
zent gewonnen. Die politische Dauerkrise
am Hindukusch ist mit dem Ende der Hän-
gepartie aber nicht vorbei, im Gegenteil:
Ghanis wichtigster Gegenspieler, der bishe-
rige Regierungsgeschäftsführer Abdullah
Abdullah, will das Ergebnis nicht anerken-
nen und eine Gegenregierung bilden.
Diese Entwicklung kommt für die in Af-
ghanistan engagierten ausländischen
Mächte zur Unzeit: Am 29. Februar wollten
die USA eigentlich ein Abkommen mit den
islamistischen Taliban zur Reduzierung
der Gewalt unterzeichnen, das langfristig
einen Abzug der US-Soldaten ermöglichen
soll. In die Verhandlungen war Kabul zwar
nicht eingebunden, doch sollte sich an das
Abkommen ein innerafghanischer Frie-
densprozess anschließen. Ein solcher er-
scheint jedoch unrealistisch, solange Ka-

bul durch zwei sich um Kompetenzen strei-
tende Regierungen gelähmt ist.
Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes
verwies auf die „schwierige“ Lage nach Ver-
kündung des Wahlergebnisses. Gerade des-
halb seien „weitere Anstrengungen“ nötig,
um das Land auf dem Weg „in eine demo-
kratische und friedliche und für die Men-
schen auch sichere Zukunft nicht alleine
zu lassen“. Hierfür sei „strategische Ge-
duld“ nötig. Sie verwahre sich dagegen,
„das Geleistete klein reden zu wollen“.
Auch ein Sprecher des Verteidigungsminis-
teriums verwies auf Erfolge. So sei Afgha-
nistan nicht mehr „Brutstätte internationa-
len Terrors“. Auch die gesellschaftliche
Stellung von Frauen habe sich nachhaltig
verbessert. Bei der Ausbildung afghani-
scher Streitkräfte sei eine „Lernkurve“ fest-
zustellen. Es gebe aber auch Rückschläge.
Die Bundeswehr ist seit 18 Jahren in Af-
ghanistan präsent. Im Rahmen der Ausbil-
dungs- und Unterstützungsmission Reso-
lute Support, die 2015 den Kampfeinsatz
der Isaf-Truppe abgelöst hat, ist sie an der
Stärkung der afghanischen Streitkräfte be-
teiligt. Die meisten Bundeswehr-Soldaten
sind in Masar-i-Scharif im Norden des Lan-
des stationiert. Ein kleines Kontingent be-
rät die afghanische Armee auch in Kundus
und ist im dortigen Außenposten Camp Pa-
mir wiederholt unter Beschuss geraten.
Bei einem Besuch im Dezember hatte sich
Bundesverteidigungsministerin Annegret
Kramp-Karrenbauer für die Bitte nach ei-
nem Schutz durch bewaffnete Drohnen of-
fen gezeigt. Dies ist jedoch im Bundestag
umstritten. Die Debatte darüber laufe un-
abhängig von der Mandatsverlängerung,
sagte der Sprecher des Ministeriums.
US-Verteidigungsminister Mark Esper
hatte Kramp-Karrenbauer während der
Münchner Sicherheitskonferenz über die
laufenden Verhandlungen mit den Taliban
unterrichtet. Ausgehandelt worden sei ein
Plan, der zunächst die Verringerung der Ge-
walt vorsieht. Die USA streben eine deut-
lich geringere Truppenpräsenz an. Auch
der Beschluss der Bundesregierung soll ei-
ne flexible Verringerung der Zahl deut-
scher Soldaten in Afghanistan ermögli-
chen. Grundsätzlich gelte die Devise „Zu-
sammen rein, zusammen raus“, hieß es.
moritz baumstieger, daniel bröss-
ler

Dubai– Iran will den Flugschreiber der
versehentlich abgeschossenen ukraini-
schen Passagiermaschine nicht an ande-
re Länder übergeben. Das Land habe
das Recht, die Blackbox selbst auszuwer-
ten, erklärte Außenminister Moham-
med Dschawad Sarif staatlichen Medi-
en zufolge. Man sei aber mit anderen
Ländern, insbesondere der Ukraine, im
Gespräch über die Ermittlungen. Vertei-
digungsminister Amir Hatami sagte,
der Flugschreiber sei beschädigt. Zu-
nächst müsse er repariert werden, dann
könnten die Daten ausgewertet werden.
Bei dem Abschuss im vergangenen
Januar wurden alle 176 Menschen an
Bord getötet. Die meisten von ihnen
waren Iraner mit einer zweiten Staats-
bürgerschaft. reuters


China weist Journalisten aus


Das angekündigte Drama


Ratspräsident Charles Michel will auf dem Sondergipfel eine Einigung beim EU-Haushalt erzwingen.
Nach dem Brexit ist die Ausgangslage kompliziert. Für Deutschland könnte es teuer werden

Hindernis am Hindukusch


Afghanistans Machtkampf gefährdet die Abzugspläne der USA


Washington– US-Justizminister Wil-
liam Barr erwägt Medienberichten zufol-
ge seinen Rücktritt. Grund seien Twit-
ter-Kommentare von Präsident Donald
Trump, die sich auf Ermittlungen des
Ministeriums bezogen, sagte eine mit
der Lage vertraute Person der Nachrich-
tenagentur Reuters. Seit Trumps Amts-
antritt gibt es immer wieder Vorwürfe,
Trump und die Regierung versuchten
die Justiz zu beeinflussen. Barr geriet
zuletzt zunehmend in die Kritik. Am
Wochenende forderten mehr als 1000
ehemalige Mitarbeiter des Justizminis-
teriums in einem offenen Brief seinen
Rücktritt. Anlass war der Umgang mit
dem Fall Roger Stone, einem Vertrauten
Trumps, der im November für schuldig
befunden worden war, den Kongress
belogen zu haben. Nach massiver Kritik
Trumps an dem von der Staatsanwalt-
schaft geforderten Strafmaß hatte das
Justizministerium für eine mildere
Strafe plädiert.ap/reuters Seite 4


Kampala– Im Kampf gegen die Heu-
schreckenplage(FOTO: GETTY)in Ostafrika
setzt Uganda die Armee ein. 2000 Solda-
ten und mehrere Flugzeuge wurden in
die betroffenen Gebiete im Osten des
Landes verlegt, wie die Wochenzeitung
The East Africanam Mittwoch berichte-
te. Mehrere Länder in der Region wer-
den von riesigen Schwärmen Wüsten-
heuschrecken heimgesucht, die Teile
der Ernte zerstören und damit eine
Ernährungskrise zu verursachen dro-
hen. Uganda hat dem Bericht zufolge
eigens zwei Flugzeuge angeschafft, um


die Schwärme mit Pestiziden aus der
Luft bekämpfen zu können. Laut Regie-
rung breiten sich die Heuschrecken in
immer mehr Regionen des Landes aus.
Auch im Nachbarland Südsudan wur-
den inzwischen die ersten Schwärme
gemeldet. Besonders betroffen sind
Äthiopien, Kenia und Somalia, das be-
reits den Notstand ausgerufen hat. Die
UN-Organisation für Landwirtschaft
und Ernährung (FAO) befürchtet drama-
tische Folgen für die Region. epd


Berlin– Deutschland hätte derzeit größte
Mühe, militärisch einen kraftvollen Bei-
trag für eine EU-Mission zur Überwa-
chung des Waffenembargos im Libyen-
Konflikt zu leisten. Nach Informationen
derSüddeutschen Zeitunghat die Marine
wieder erhebliche Schwierigkeiten mit der
Einsatzbereitschaft ihrer Flotte. Von neun
Fregatten seien demnach aktuell lediglich
drei Schiffe uneingeschränkt einsatzfähig,
von den fünf Korvetten lediglich eine. Die
einsatzfähigen Schiffe seien zudem entwe-
der in anderen Einsätzen gebunden, dafür
eingeplant oder zu frisch vom Einsatz zu-
rück, um sie sofort wieder in See stechen
zu lassen. Nach Einschätzung aus Exper-
tenkreisen ist eine solche zusätzliche Missi-
on mit den vorhandenen Kapazitäten der-
zeit „eigentlich nicht machbar“; die Mari-
ne habe keinerlei Reserven für einen zu-
sätzlichen Auftrag.

Noch Anfang der Woche hatte sich Ber-
lin erfreut darüber gezeigt, dass die Euro-
päische Union auch auf Drängen Deutsch-
lands mehr Verantwortung übernehmen
will, um zu einem Frieden in Libyen zu
kommen. Die Außenminister der 27 Mit-
gliedstaaten hatten sich am Montag dar-
auf geeinigt, sich an der Überwachung des
UN-Waffenembargos gegen Libyen zu be-
teiligen. Außenminister Heiko Maas (SPD)
sprach am Montag von einer „Grundsatz-
entscheidung“ und betonte, dass die Kon-
trollen nicht nur aus der Luft über Satelli-
ten, sondern auch mit Schiffen erfolgen
werde. Ohne eine „maritime Komponente“
sei ein komplettes Lagebild unmöglich.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-
Karrenbauer setzt sich seit ihrem Amtsan-
tritt im Sommer 2019 vehement für ein
stärkeres Engagement der Bundeswehr im
Ausland ein. Nun zeigt sich, dass die Bun-
deswehr weiteren Anforderungen momen-
tan nicht gewachsen zu sein scheint.
Im Fall des Waffenembargos steht die
Frage im Raum, wie ein angemessener Bei-
trag Deutschlands aussehen könnte. Aus
Kreisen des Verteidigungsministeriums
verlautete, dass Berlin im Idealfall eine Fre-

gatte in einen Einsatz schicken müsste. Ein
solch großes Kriegsschiff hätte den Vorteil,
dass es einerseits das Personal aufnehmen
könnte, um eine derartige Mission von See
aus zu führen. Das wäre ein wichtiges Si-
gnal an Partnernationen. Andererseits ist
ein so großes Schiff dafür ausgelegt, Boar-
ding-Teams mit ihrer Ausrüstung mitzu-
führen. Das sind jene speziell ausgebilde-
ten Soldaten, die in der Lage sind, sich von
Speedbooten oder Hubschraubern Zugang
zu fremden Schiffen zu verschaffen, um ge-
gebenenfalls auch unter Zwang Kontrollen
durchzuführen. Mit den kleineren Korvet-
ten ist dies auch möglich. Doch gerade bei
diesen Kampfschiffen herrscht Mangel.
Von den drei komplett einsatzfähigen
Fregatten ist die Mecklenburg-Vorpom-
mernerst am 17. Januar in Richtung Ägäis
ausgelaufen und hat dort dieHamburgals
Teil eines ständigen Nato-Verbandes abge-
löst. Die FregatteLübecksoll in ein paar Ta-
gen zu einem neuen Manöver auslaufen.
Die anderen Schiffe liegen entweder plan-
mäßig in der Werft, sind zur Reparatur
oder die Besatzungen befinden sich noch
in der Ausbildung. Bei den Korvetten sieht
es ähnlich düster aus, die einzige voll ein-
satzbereite Korvette Ludwigshafen am
Rheinist auf Mission der Vereinten Natio-
nen vor der Küste Libanons. Von den übri-

gen vier Korvetten würden drei wegen Lie-
gezeiten in der Werft ausfallen, bei einer
sei quasi der Schiffs-TÜV abgelaufen. Die
Marine wartet auf neue Schiffe, aber sie
kommen viel später als geplant. Der Wehr-
beauftragte des Bundestages, Hans-Peter
Bartels, wies in seinem Jahresbericht dar-
aufhin, dass die Marine „nie kleiner war“
als heute.
Unlängst hatte auch Marineinspekteur
Andreas Krause unumwunden einge-
räumt, dass es trotz aller Bemühungen bis-
lang nicht gelungen sei, die Einsatzbereit-
schaft zu erhöhen. Tatsächlich ist es mög-
lich, dass die Marine in diesem Jahr aber-
mals auf einen neuen Tiefstand bei der Ein-
satzbereitschaft zusteuert, weil Schiffe län-
ger als geplant in den Werften lägen und
sich dadurch andere Instandsetzungen ver-
zögerten.
Abgesehen von den Schiffen könnte
Deutschland aus der Luft mit Seefernauf-
klärern einen Beitrag leisten. Aber auch
hier gibt es Probleme. Die Marine hat be-
tagte Flugzeuge vom Typ P-3C Orion.
Mehr als zwei dieser acht Spezialflugzeu-
ge, über die die Bundeswehr verfügt, sind
in der Regel nicht einsetzbar. Und dieOri-
onist eigentlich eingeplant für die Anti-Pi-
raterie-Mission Atalanta, am Horn von
Afrika. mike szymanski

6 HF3 (^) POLITIK Donnerstag, 20. Februar 2020, Nr. 42DEFGH
Am 29. Februar wollten die USA
eigentlich ein Abkommen
mit den Taliban unterzeichnen
Die zwei Neuen: Ratspräsident Charles Michel begrüßt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einer Veranstaltung in Brüssel. Beide sind seit Dezember im
Amt. An diesem Donnerstag beginnt Michels erste Bewährungsprobe, er will bei einem Gipfeltreffen den Streit um den Haushalt beenden. FOTO: VIRGINIA MAYO/POOL/AFP
Die einzige voll einsatzfähige Korvette der Bundesmarine:die Ludwigshafen am
Rhein, hier im Stützpunkt Warnemünde. FOTO: BERND WÜSTNECK/DPA
Die Fregatten sind in der Werft,
in Manövern – oder die Crews
sind noch nicht fertig ausgebildet
Merkel sagt, die Belange Berlins
seien „an vielen Stellen noch nicht
ausreichend berücksichtigt“
Barr denkt an Rücktritt
Iran verweigert Herausgabe
Soldaten gegen Heuschrecken
Russland warnt Türkei
AUSLAND
Marine-Einsatz vor Libyen fraglich
Deutschland fehlt es an Schiffen für EU-Mission zur Überwachung des Waffenembargos

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