Süddeutsche Zeitung - 20.02.2020

(Sean Pound) #1
Die Allianz der Freien Künste fordert eine
drastische Absenkung der vom Bundeska-
binett beschlossenen Zugangsbedingun-
gen zur Grundrente. Die geplante Ausge-
staltung des Gesetzes führe dazu, dass Tau-
sende professionelle Kunstschaffende kei-
ne Grundrente erhielten, obwohl sie die
Mindestanforderung von 33 Beitragsjah-
ren erfüllten, kritisierte das Bündnis am
Mittwoch in Berlin. Die Allianz bezieht sich
dabei auf eine Statistik der Künstlersozial-
kasse. Diese weise knapp 20 000 Künstle-
rinnen und Künstler aus, die danach vom
Anspruch auf Grundrente ausgeschlossen
wären, weil sie die im Gesetzentwurf vorge-
sehenen 30 Prozent des jährlichen Durch-
schnittseinkommens nicht erzielten. epd
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Abgesehen von den Grammys, die ja we-
nigstens so etwas Ähnliches wie eine halb-
wegs ernstzunehmende Jury haben, sind
alle großen Pop-Preise des Planeten nicht
mehr als sehr teure Aprilscherze. Der gera-
de wieder letzte wurde am Dienstag in Lon-
don bei den diesjährigen Brit Awards aufge-
führt. Und hier jetzt die „Gewinner“ aufzu-
zählen, hieße im Grunde schon, auf ihn her-
eingefallen zu sein. Wobei andererseits ei-
nen Gag zu genießen, von dem man vorher
weiß, dass er auf die Kosten des eigenen
Verstandes gemacht wird, auch wieder so
etwas ist wie die Definition schlechthin
von Pop. Die Sache geht also schon irgend-
wie in Ordnung. Am Ende gilt in solchen
Fällen ja immer, was der amerikanische
Stand-up-Essayist Glenn O’Brien einmal
über Kunst geschrieben hat. Kunst sei der
Witz für Witze – das, worüber die anderen
Witze lachen. Je ernster sich also eine Ver-
anstaltung wie die Brit Awards selbst
nimmt und je ernster sie genommen wird


  • umso lustiger isses. Blieben drei Dinge:
    Besser als die Echos, das vor zwei Jahren
    zum Glück abgeschaffte deutsche Gram-
    my-Pendant, sind die Brits natürlich im-
    mer. Billie Eilish, Lizzo, Tyler The Creator,
    Dave und Stormzy haben jede Aufmerk-
    samkeit verdient. Und wie der Moderator
    der Gala, Jack Whitehall, die völlig berech-
    tigte Kritik aufnahm, dass mal wieder viel
    zu wenige Frauen nominiert waren, war
    denkwürdig lakonisch. Er sagte auf der gro-
    ßen Bühne: „Im Geist der Nachhaltigkeit
    haben die Brits alle Arten von Entschuldi-
    gungen dafür recycelt, warum so wenige
    Frauen nominiert wurden.“ crab


Niedlich sieht er aus. Bunte, Liberace-opu-
lente Ringe an den Fingern, die Augen
waschbärdick mit Kajal umrandet und ein
weit aufgerissenes Lachen im Gesicht. Ins-
gesamt ein bisschen wie eine Siebenjähri-
ge, die Muttis Schmuck- und Schminkscha-
tullen geplündert hat und jetzt verzückt be-
trachtet, welcher Schabernack sich damit
treiben lässt. Das ist eine gute Nachricht.
Ozzy Osbourne ist endgültig in die Phase
des großen, kindlichen Staunens alter
Männer eingetreten. Wurde auch Zeit.
Was man hinter den ganzen sagenhaf-
ten Geschichten um diesen quartalsmäßi-
gen Schwerstsäufer und Großmaniker
schließlich leicht vergisst: Osbourne lebte
selbst im schlimmsten Delirium noch von
einer fast welpenhaften Nahbarkeit. Klar:
Er war der Typ, der den Heavy Metal mitbe-
gründete, als er sich Anfang der Siebziger
mit den Kollegen vonBlack Sabbathdie
ganze tiefschwarze Wut über die Heimat
Birmingham, über den Dreck, die Armut
und die Hoffnungslosigkeit von der rußi-
gen Seele brüllte – düster, bösartig, jeder-
zeit bereit, einen Hippie zu schächten.
Aber da war auch immer eine pennälerhaf-
te Unmittelbarkeit, wie sie nur wenige in
diesem Rock’n’Roll-Zirkus hatten. Anders
hätte er das alles wohl auch nicht überlebt


  • auch kommerziell nicht.
    Ozzy Osbourne wird ja auch deshalb so
    geliebt, weil er irgendwo, weit hinter dem
    Wahnsinn immer auch verwundbar wirk-
    te. Menschlich. Fast normal. „Die Wahrheit
    ist: Ich möchte nicht als gewöhnlicher Typ
    sterben“, heißt es im Titelsong seines neu-
    en Albums „Ordinary Man“. Nette Ballade.
    Die zwei Hardcore-Drogis Elton John und
    Ozzy Osbourne berichten da vom Rand des
    Exzesses, an dem sie nach Bedeutung und
    Größe gesucht haben. Heldengeschichten
    für Rock-Fibeln und Junggesellenabschie-
    de. Und darin doch auch grober Unfug.
    Spätestens zu Hause sind sie dann ja
    doch alle gleich klein, wenn der Wasser-
    hahn leckt oder der Fernseher keinen Emp-
    fang hat. Bei Ozzy konnte man das aus der
    Nähe miterleben, als der Sender MTV ihn


(und irgendwie auch er sich selbst) der Lä-
cherlichkeit einer Reality-Show preisgab.
Er tatterte darin durch sein Haus und
kämpfte mit den täglichen Gemeinheiten
des Lebens: komplizierten Fernbedienun-
gen, aufmüpfigen Hunden, Kindern. Grau-
enhaft. Aber es war eben auch seine gutmü-
tige Naivität, die ihn da einigermaßen un-
beschadet durchbrachte. Heute ist MTV
tot. Und Osbourne am Leben. So viel zur
kosmischen Gerechtigkeit.
Und jetzt noch ein neues Solo-Album.
Wobei es so formuliert womöglich richti-
ger ist: Jetzt ein neues Hard-Rock-Album,
auf dem Ozzy Osbourne singt. Schwer zu
sagen, wie groß sein Einfluss ansonsten
war. Er ist nach allem, was man so hört, ja
schon länger nicht bei bester Gesundheit.
Und er war auch in fitteren Tagen nicht als
detailversessener Arrangeur bekannt.

Auf „Ordinary Man“ ist da jedenfalls ein
Sänger, der im besseren Sinne Kräfte
schont. Der eher listig beobachtet, wartet,
lauert: Wo habe ich überhaupt was zu sa-
gen? Und wo lassen die Anderen mir genug
Platz? Und dann, wenn er den Platz gefun-
den hat, schießt er seltsame kleine Bon-
mots raus, von denen „I’ll make you scre-
am, I’ll make you defecate“ („Straight to
Hell“) eines der Befremdlicheren ist.
Nur, wo es unbedingt nötig ist, wagt er
ein paar getragene Refrain-Zeilen dar-
über, dass die Sonne schwarz und der Him-
mel rot ist, und seine ja seit jeher etwas
zum Kikeriki neigende Stimme hustet da-
bei an den Rändern der Sätze hoffnungs-
voll dem Ende entgegen. Der Rest ist groß-
äugiges Bewundern dessen, was die Leute
um ihn herum so machen.
Was die Leute machen – Duff McKagan
zum Beispiel oder dessenGuns n’ Roses-
Kollege Slash, derRed-Hot-Chili-Peppers-
Drummer Chad Smith oder Tom Morello
vonRage Against the Machine– ist, nun:
schon oft etwas zu große Rock-Oper. Aber
darin auch ein enormer Spaß. Es sind auf-
geplusterte, alte Riffrock-Songs, die sie
spielen, mit den Produktionsmöglichkei-
ten von heute. Das geht ja selten gut und
hier heißt es, dass man permanent gegen
eine gigantische Wand oder auch mal ein
Bergmassiv aus Gitarren rennt. Überall Gi-
tarren. Quasi alle im Klang zu Raupenpan-
zern hochkomprimiert und in wirklich je-
der Beziehung absolut humorlos.
Aber zwischendrin lugt immer wieder
dieser Ozzy Osbourne hervor und erfreut
sich am Spektakel. Guckt, staunt, befindet
alles für laut genug und tritt wieder ab. Das
ist sehr alterswürdig.
Zumal auf der Rückseite des Albums
noch ein Foto ist: Osbourne von hinten, die
Hände am Hosenstall. Er pinkelt also wohl
gleich in die Rabatten vor einem Haus, und
man kann jetzt nur mutmaßen, aber es ist:
wahrscheinlich sein eigenes. Es könnte ein
letztes possierliches Auflehnen gegen die
Bürgerlichkeit sein. Sozusagen.
jakob biazza

Die Publizistin Carolin Emcke, die auch als
Kolumnistin für dieSüddeutsche Zeitung
arbeitet, erhält den diesjährigen Carl-von-
Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Po-
litik. „Carolin Emcke tritt der offenen oder
versteckten Gewalt seit Jahren als enga-
gierte Stimme der Aufklärung und Huma-
nität entgegen“, so die Jury in ihrer Begrün-
dung. Die 52-jährige promovierte Philoso-
phin Emcke erhält die mit 10 000 Euro do-
tierte Auszeichnung am 27. Mai. sz

Bei den Verhandlungen um ein Abkom-
men zwischen der EU und Großbritannien
wird es möglicherweise nicht nur um Fisch-
fangquoten und Zölle gehen, sondern auch
um den Parthenonfries. Auf Betreiben von
Griechenland und mit Unterstützung von
Italien und Zypern wurde eine Klausel in
den Verhandlungsentwurf der EU aufge-
nommen, nach der „widerrechtlich ent-
fernte kulturelle Objekte“ an ihre „Ur-
sprungsländer“ zurückzugeben sind.
Die Passage ist auf den Handel mit illegal
ausgeführten Antiken gemünzt. Doch in
London fürchtet man, dass Griechenland
kalkuliert, damit auch die Kunstwerke der
Akropolis zurückzuerhalten, die seit zwei-
hundert Jahren im British Museum in Lon-
don gezeigt werden. Die Griechen fordern
deren Rückgabe seit Langem erfolglos. Erst
vor einigen Wochen sprach die griechische
Kulturministerin Lina Mendoni im Zusam-
menhang mit dem Fries erneut von einem
„offenkundigen Fall des Diebstahls“.
Lord Elgin, damals britischer Botschaf-
ter im Osmanischen Reich, hatte die Giebel-
skulpturen und große Teile des Frieses – mit
erschlichener offizieller Erlaubnis – von
1801 an aus dem Athena-Tempel auf der
Akropolis brechen und nach London schaf-
fen lassen. 1816 verkaufte er sie ans British
Museum. Elgin und das Museum wurden
schon im 19. Jahrhundert heftig kritisiert.
Hermann von Pückler-Muskau sprach von
einer „Schändung“ der Akropolis, Lord By-
ron und Bayerns Kronprinz Ludwig beklag-
ten den Raub. Viele halten die britische An-
eignung der „Elgin Marbles“ für einen der
spektakulärsten Fälle von Kunstraub.
Die britische Regierung reagierte laut
Timeserbost über den neuen Passus. Eine
Rückgabe „wird es einfach nicht geben“,
wird ein Sprecher zitiert. Auch der Direk-
tor des Museums, der deutsche Kunsthisto-
riker Hartwig Fischer, bekräftigte in der
BBC die offizielle britische Position, nach
der die Werke „mit ausdrücklicher Erlaub-
nis des Osmanischen Reichs“ ausgeführt
worden seien, Griechenland also keine An-
sprüche geltend machen könne. jhl


von susan vahabzadeh

D


ie 70. Berlinale wird für Carlo Cha-
trian und Mariette Rissenbeek die
erste sein, zumindest als Berlinale-
Leitung. Im vergangenen Jahr haben die
beiden zusammen den Posten von Dieter
Kosslick übernommen, am Donnerstag-
abend beginnt nun das erste Festival unter
ihrer gemeinsamen Führung. Die Arbeits-
teilung ist klar: Mariette Rissenbeek, ehe-
malige Produzentin und zuletzt bei der
deutschen Exportorganisation German
Films, ist für die Verwaltung zuständig;
Chatrian, der vorher künstlerischer Leiter
des Festivals in Locarno war, konzentriert
sich auf die Filme selbst.
Für Chatrian wird es nicht nur kühler
als beim sommerlichen Filmfest in Locar-
no, wo jeden Abend großes Open-Air-Kino
auf der Piazza Grande stattfindet. Er wird
auch auf ziemlich hohe Erwartungen tref-
fen – alles soll doch ganz anders werden,
wenn jetzt der Cineast Chatrian entschei-
det, was im Wettbewerb zu sehen ist. Denn
die Berlinale ist zwar in den fast zwanzig
Jahren, die Dieter Kosslick sie leitete, zu
einem gigantischen Filmmarkt angewach-
sen; aber für den besten Wettbewerb des
Jahres war sie nicht berühmt.


Der Eröffnungsfilm, „My Salinger
Year“, klingt vielversprechend, aber vorher
weiß man ja nie: Margaret Qualley und Si-
gourney Weaver spielen da mit, und es
geht um eine junge Frau, die in einer New
Yorker Agentur einen Job annimmt. Sie
soll Fanbriefe beantworten – einer der Kli-
enten der Agenturen ist der Schriftsteller
J. D. Salinger, ein scheuer Kauz, der selbst
ganz bestimmt keine Fanpost gelesen hat.
Einige alte Bekannte werden jedenfalls
in den kommenden zehn Tagen in der Kon-
kurrenz um den Goldenen Bären dabei
sein. Die Britin Sally Potter gehört seit eini-
gen Jahren zu den Stammregisseuren der
Berlinale, diesmal zeigt sie „The Roads Not
Taken“, mit Javier Bardem und Salma Hay-
ek. Die Belgier Benoît Delépine und Gusta-
ve Kervern, mit „Effacer l’historique“ im
Wettbewerb, hatten mit „Mammuth“ vor
zehn Jahren in Berlin ihren ersten großen
Aufritt. Und Hong San-soo, ursprünglich ei-
ne Entdeckung des Festivals in Cannes,
war schon mit drei Filmen in Berlin dabei –
gehörte aber in den letzten Jahren auch zu
den Stammgästen in Locarno, wo er auch
schon einen Goldenen Leoparden gewon-
nen hat.
Die Amerikanerin Kelly Reichardt aber,
eine der eigenwilligsten Filmemacherin-
nen überhaupt, darf zwar als frühe Berlina-
le-Entdeckung gelten – ihr Debütfilm „Ri-
ver of Grass“ lief 1994 im Panorama. Da-
nach aber wurde sie eher in Cannes und in
Venedig gefeiert – mit „First Cow“ kehrt
sie nun zurück und konkurriert erstmals
um den Goldenen Bären. Auf eine Filmema-
cherin zu setzen, die so sehr gegen den
Strom schwimmt, lässt schon darauf hof-
fen, dass der Wettbewerb in diesem Jahr ei-


ne eigene Handschrift entwickelt. Und
dann gibt es ja noch die neue Reihe „En-
counters“, in der zwar einige Veteranen
neue Filme zeigen – beispielsweise Heinz
Emigholz und Alexander Kluge – bei der
aber die Klammer, die das alles zusammen-
halten soll, erst so richtig klar werden
muss. Es geht jedenfalls um die Schnittstel-
le zwischen Spielfilm und Dokument.
Chatrian hatte in Locarno schon lange ei-
ne Reihe kuratiert, als er 2012 dort Festival-
chef wurde. Er hat im Vorfeld der 70. Berli-
nale immer wieder betont, dass er einen
Brückenschlag im Sinn hat: Die Berlinale
ist im Gegensatz zur Konkurrenz in Vene-
dig und Cannes ein echtes Publikumsfesti-
val, und Chatrian will die Zuschauer aus
der „Wohlfühlzone herauslocken“, wie er
es formuliert hat. Das soll heißen: Es muss
möglich sein, dass Filme eine kleine Her-
ausforderung für ihr Publikum sind, die
auch angenommen wird. Die Zeiten sind
für diese Art von Kino tatsächlich nicht die
besten – Filmverleiher beklagen schon seit
einigen Jahren, dass im normalen Kinobe-
trieb alles, in dem keiner Superkräfte hat,
nur noch halb so viele Zuschauer anlockt
wie vor zwanzig Jahren. Deswegen werden
Festivals aber nicht unwichtiger. Ganz im

Gegenteil: Sie sind dann die letzte Bastion,
um die Diversität des Kinos zu verteidigen.
Ein paar grundsätzliche Gegebenheiten
lassen sich nicht ändern, egal, wer die Berli-
nale leitet: Sie ist für amerikanisches Kino,
das viel Publikum anzieht, schlecht im
Jahr positioniert – die kleinen, unabhängi-
gen Produktionen laufen nur wenige Wo-
chen vorher in Sundance, die großen
Filme, für die es Oscar-Hoffnungen gibt,
halten die Studios oft zurück bis zu den
Filmfestspielen in Venedig, weil kurz da-
nach ohnehin die Saison der Preisverlei-
hungen in den USA beginnt. Und der Febru-
ar in Berlin bleibt der Februar in Berlin –
selbst wenn das Wetter keine besonderen
Kapriolen wie Stürme, Eis und Schnee zu
bieten hat, ein Outdoor-Festival wird die
Berlinale nie.
Auf der Piazza Grande hat der Italiener
Chatrian jedenfalls, zwischen Englisch,
Französisch und Italienisch lässig hin und
her wechselnd, jeden Abend unter Beweis
stellen dürfen, dass er auf einer Bühne
durchaus unterhaltsam sein kann; auch
das muss ein Festivalchef können. Die Ein-
führung in die Open-Air-Galas ist eine rela-
tiv langwierige Geschichte, denn bevor da
der Film verhandelt wird, den es anschlie-

ßend zu sehen gibt, werden fast täglich Ne-
benpreise verliehen, und der Festivaldirek-
tor hat einiges zu tun.
Die aufs ganze Festival verteilte Eh-
rungsinflation muss man aus Locarno
nicht zwingend importieren. Vor allem in
einem Punkt aber ist viel Raum für Verän-
derung – in der Wahrnehmung. Wie attrak-
tiv erscheint internationalen Filmema-
chern das Festival und gilt es in der Bran-
che als ein Ort, an dem ein Film eine wun-
dersame Reise zu ungeahnten Erfolgen be-
ginnen kann? Asghar Farhardis „Nader
und Simin – Eine Trennung“ war für die
Berlinale der letzten Jahre ein Sonderfall,

erst gab es den Goldenen Bären, dann war
der Film im Kino ein Erfolg, und dann ge-
wann er auch noch einen Oscar als bester
fremdsprachiger Film. Früher waren Berli-
nale-Sieger, die sich auch jenseits des Festi-
vals als Gewinner erwiesen, eher die Regel,
von Sidney Lumets „Zwölf Geschworene“
(1957) über Ang Lees „Hochzeitsbankett“

(1993) bis „Central Station“ (1998) von Wal-
ter Salles. Nun waren früher auch viele Ber-
linale-Sieger englischsprachige Filme, wie
„Rain Man“ und „Sinn und Sinnlichkeit“
und „Magnolia“, die tun sich im internatio-
nalen Kino leichter, haben große Stars –
brauchen eigentlich kein Festival. Ein Gol-
dener Bär ist längst keine Garantie mehr
für einen Achtungserfolg an den Kinokas-
sen. Da noch einmal das Ruder herumzurei-
ßen, wird gar nicht so einfach – weil es da-
bei ja gar nicht nur um die Filmauswahl
des Festivals geht, die Gesamtsituation des
Kinos spielt schon auch eine Rolle.
Vielleicht wird bei dieser Berlinale ja al-
les neu, so neu und ungewohnt, dass man
sie kaum wiedererkennt. Wird man am
Ende ein Visum brauchen, um in eine
Vorführung von „DAU.Natasha“ zu kom-
men, einem Kino-Ableger des Kunstpro-
jekts DAU über Totalitarismus, der bei der
Berlinale im Wettbewerb erstmals gezeigt
wird? Als Ilya Khrzhanovskys „DAU“ mit ei-
niger Verzögerung im vergangenen Jahr in
Paris erstmals Publikumskontakt hatte,
hat eine Eintrittskarte jedenfalls nicht
gereicht.

 mehr Berlinale siehe folgende Seite

DEFGH Nr. 42, Donnerstag, 20. Februar 2020 HF2 9


Raum für Veränderung


Die 70. Berlinale eröffnet unter neuer Leitung: Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek legen ein


Programm vor, das Hoffnung auf eine andere, eine eigene Handschrift macht


Recycling


Ist es gut, dass es Pop-Preise
wie die „Brit Awards“ gibt?

Weit hinter dem Wahnsinn


Ozzy Osbournes neues Album ist, nun: altersgerecht possierlich


Carl-von-Ossietzky-Preis


für Carolin Emcke


Film
Vorfreude: Begegnung mit dem
Regisseur Burhan Qurbani und
andere Berlinale-Highlights 10

Feuilleton
Wunderkind in grüner Heide:
Die Schauspielerin Sonja Ziemann
ist gestorben 11

Literatur
Nach dem Ende der Imperien:
Quinn Slobodians Geschichte
des Neoliberalismus 12

Wissen
Doppelt schädlich: Der Abbau
fossiler Energieträger setzt
große Mengen Methan frei 14

 http://www.sz.de/kultur

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Künstlerarmut


Berufsvertreter fordern
niedrigere Hürde für Grundrente

Brexit als Hebel


Fordert die EU von London
den Parthenonfries zurück?

Ein Bärengewinner, der auch bei
den Oscars siegt und Publikum
anlockt? Leider ein Sonderfall

FEUILLETON


Die Berlinale-Doppelspitze vor ihrer ersten Bewährungsprobe: Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian. FOTO: THE NEWYORKTIMES/REDUX/LAIF

HEUTE


Hier und da gibt’s seltsame Bonmots,
schwer zu sagen, was er sonst noch bei-
trug: Ozzy Osbourne, anno 2020.FOTO: SONY

VOVOM REGISSEURM REGISSEUR VON VON SKSKYFYFALLALL


ZEIT IST DER FEINDZEIT IST DER FEIND


JEJETZT IM KINOTZT IM KINO


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