Frankfurter Allgemeine Zeitung - 20.02.2020

(Darren Dugan) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Feuilleton DONNERSTAG, 20.FEBRUAR2020·NR.43·SEITE 11


Am kommenden Samstag werden sich
prominente Unte rstützer derKampa-
gne gegendas Auslieferungersuchen
der VereinigtenStaatenfür den austra-
lischenWikilea ks-GründerJulian As-
sang evorAustraliaHousetreffen,dem
Sitzder australischen Hochkommissi-
on amTrafalgar Square.Vondem oft
als Herzdes Empire bezeichneten
Platz planen sie einen Protestma rsch
hinunter zurMutterder Parlamente.
Zwei Tage später beginnen an einem
Gericht nahedemGefängnisvonBel-
marsh ,indem Assangeseit Ap rilver-
gangenen Jahresinhaftiertist,die Ver-
hand lungenüberdenAuslieferungsan-
trag, beidenen, so deraustralische
JournalistJohnPilger,der„wahreJour-
nalismus daseinzig eVerbrechenist,
das auf dem Prüfstand steht“.
Pilger ,der es zu seiner Lebensaufga-
begemachthat,die„imperiale “Außen-
politik derVereinigtenStaaten undih-
rerVerbündeten anzuprangern,macht
vielaus de rSymbolik derSchauplätze.
IneinemBeitragüberdasbevorstehen-
de Verfahrenbezeic hneteerAustralia
House alsRelikt des Empiredas „anti-
podischenPolitikern eine angenehme
Pfründebietet: ein ‚Kumpel‘wirdbe-
lohnt oder einUnruhesti fter exiliert.“
Das Empire-Motiv weiterführend be-
ruftersichaufdenberühmtenSatz
vonLordCurzon, denviktorianischen
Vizekönig in Indien, derdie Länder
Zentalasiensals Stücke aufeinem
Schachbrettbezeichnete, au fdem „das
große Spiel um dieWelther rschaft“
ausgetragenwerde.
Es pas st in Pilger sWeltbild, Wikile-
aksinseiner langen Tirad egegen de-
mokratischePolitiker,die das „große
Spiel“ mitfabrizierten illegalen Krie-
genfortsetzten, alsein eOrganisation
zubezeichnen,die„dasMusterdesver-
brecherischenLügensindenDemokra-
tienbloßstellt“.Dieseseien heute
nochgenausoraublustig wie zu Lord
CurzonsZeit.Pilger zitiertCurzon un-
genau, um den Eindruckzue rwecken,
der habe alle Ländergemeint, nicht
bloßjeneZentralasiens.
Diekleine Verzerrung is tbezeich-
nend für mancheder Ungenauigkei-
ten, Übertreibungenund Verschwö-
rungstheorien, die sich in dieDebatte
um Assange eingeschlichen haben und
zumindestteilweise erklärenmögen,
weshalb dasUnre chtsempfinden ,das
Pilgerund vornehmlichlinkePromi-
nenteamSamstag aufdie Straße trei-
benwird,nichtweiter verbreit etist.Da-
bei wirddas vondem Labour-Premier
Tony Blair 2003 zur Beschleunigung
derAuslieferungvonTerror-Verdächti-
genausgehandelteAuslieferungsab-
kommen mitden VereinigtenStaaten
auchvon konser vativenPolitikernals
einseitigkritisiert,weilein Ungleichge-
wicht derKritierien die Auslieferung
aus Britannienleichtermache alsum-
gekehrt, wie derehemaligeBrexit-Mi-
nisterDavid DavisvorwenigenTagen
aus anderemAnlassbemängelte. Da-
vissetztsichfüreinenbritischenUnter-
nehmerein, der seineFirmaanden
Computerkonzern Hewlet tPackard
verkauft hat. Diese rbeschuldigt den
Unternehmer des Betrugs. Obwohl
dasUrteilimZivilverfahrennochnicht
gesprochen ist, hat das amerikanische
Justizministeriumbereit sein Ausliefe-
runggesucheingeleitet.
Einkritische Einstellung ließ auch
BorisJohnsondurchblicken,alsderLa-
bour-Parteiführer JeremyCorbyn ihn
im Parlamentüber„das tiefeMissver-
hältnis“ zurRede stellte, das„in Kürze
bloßgelegtwerde nwird, wenn die Ge-
richte entscheiden, ob derWikileaks-
Verleger an dieVereinigten Staaten
ausgeliefer twerden wird.“ Cor bynfor-
derte ,dass dieRegierun gsichder Aus-
lieferung widersetze unddass sie die
Rechte vonJournalisten un dWhistle-
blowernzumWohlalleraufrechterhal-
te.Johnso nwollt esichzuAssange
nichtäußern,bezeichneteesjedochals
„offensichtlich“, das dieRechte von
Journalisten undWhistleblowernauf-
rechterhalten werden müssten, und
legt eeine Überprüfungdes „unausge-
wogenen“ Auslieferungsübereinkom-
mens nahe.
In diesem Zusammenhang istbe-
zeichnend, dass derVersuch, die Aus-
lieferung der in dieVereinigtenStaa-
ten„geflücht eten“Diplomaten-Gattin
zu erwirken, die beschuldigt wird,den
VerkehrstodeinesjungenBritenverur-
sacht zu haben, in der britischen Öf-
fentlichkeit größereAnteilnahmefin-
detals der Fall Assange.Das liegt frei-
lichnichtnuraneinerverbreit etenAuf-
fassung,dassAssange einigeserspart
gebliebe nwäre, wenn er nichtgegen
die Kautionsauflagen verstoßen hätte.
Es ha tauchmit der Persönlichkeitvon
Assangezutun, de rmit seinemeigen-
willigen Verhalten Sympathien ver-
spielthat.Bedenken übersein Vorge-
heninsgesamtveranlassenauchdietra-
ditionellenMedien eherzurückhal-
tend zu seininihrer Berichterstattung,
obwohl sie vorden möglichen Auswir-
kungendesFallesAssangeaufdieAuf-
gabe de sJournalismuswarnen,die
Staatsg ewalt zurRechenschaft zu zie-
hen. GINATHOMAS


„Kön ntenSie besonders nett zu mir
sein?“ Mitdieser schon in den späten
fünfziger Jahrenkaum misszudeutenden
Bittewendet sichinGottfried Reinhardts
„Menschen imHotel“einIndustrielleran
seine Sekretärin. Sieschafft es, mit einer
eleganten Bewegung die Zudringli chkeit
abzuwehren, undsichsobereitzuhalten
fürden Bu chhalterOttoKringelein,von
demsie da allerdingsnochnichts weiß.
Fürdie Schauspielerin Sonja Ziemann
wardiese Figur Fräulei nFlamm,genannt
„Flämmchen“, in vielerlei Hinsicht ein
Höhepunkt in ihremWerk.Denn hier,
zwischen dem nachmaligen Bond-Schur-
kenGertFröbe und der personifizierten
sexuellenZurückhaltung in Gestaltvon
Hein zRühmann,konnte sie endlichein-
mal zumindestinAnsätzenmoder nwer-
den. Unddas hieß damals nicht zuletzt:
Sexualität nichtzuverdrängen, auch
wenn sie sichdann zuerst einmal als Be-
gehrlichkeit einerunappetitlichen Cheffi-
gur zeigt.
SonjaZiemann wurdeals Schauspiele-
rinbekanntundbeliebt in einerZeit,in
derweiblicheStarsinerster Linie brav
waren. Siekam1926 in Eichwalde bei
Berlin zurWelt, das hieß,sie machtedie
erstenSchrittein die Welt de rUnterhal-
tung nochwährend der NS-Jahre. Ihre
Zeit kamdannaber,als na ch dem Krieg
zumersten Mal wiedersoetwas wie „Un-
schuld“vorstellba rwurde .Zum Beispiel
in Gestalt vonBärbele Riederle, das
„Schwarzwaldmädel“ in dem Operetten-

film vonHans Deppe aus dem Jahr 1950.
Hier istallesfeinsäuberlichgeordnet, die
Hauptrolle trägtDirndl, dieweiblicheNe-
benrolle is tein Revuestar, den Bärbele
durch schier eNatürlichkeit aussticht.

Mit diesemRollenbildwarZiemann
ersteinmal ausgelastet, so ging das dann
ein Jahrzehnt mehr oderweniger eindeu-
tig oder unzweideutigweiter (von „Grün
istdie Heide“ über„Kaiserball“ biszu
„Nichts alsÄrgermit de rLiebe“).Aber
dasWirtschaftswunder hatte dann auch
gewisseNebenef fekte, zum Beispiel be-
schäftigungspolitische,betreffenddie Er-
werbsarbeitvonFrauen.
Sonja ZiemannwechselteEndeder
fünfziger Jahredas Fach und damit auch
die Diens tkleidung.Sie wurde Sekretä-
rin,hieß nunFräulein Flamm,oder,inih-
remnächs tenbedeutendenAuftritt,Lies-
chenMüller.Eine Bankangestellteaus ei-
ner „kleinenGroßstadtoder großen
Kleinstadt“,einepatent ejungeFrau mit
Kurzhaarschnitt und Ideenvoneinemso-
zialen Aufstieg. „DerTraumvon Lies-
chen Müller“vonHelmutKäutner istei-
nerder vielen langeZeit un terschätzten
deutschenFilme ausder Zeit nac hVeit
Harlan undvorKluge-Herzog-Fassbin-
der, auf die es sichlohnt, heuteneu zu
schauen.Sie sindvonmehr alsnurmenta-
litätshistorischem Interesse.
UnübersehbarentwickelteSonjaZie-
mann um 1960 herum einInteressean
Filmkunst,sie suchteHeraus forderun-
gen, fand sie aber nurgelegentlich: Her-
vorzuheben istvor allem „Derachte Wo-
chentag“ vonAleksander Ford,eine
deutsch-polnische Produktion, die bei-
nahe neorealistische Momente aufweist.
Ziemann spieltedamals dieAgnes. Bei

den Dreharbeitenlernt esie de nVerfas-
ser de rVorlag ekennen, den Schriftstel-
ler Marek Hlasko. Die beiden heirateten


  1. EswarihrezweiteEhe, si eendete
    tragis ch mitdem Selbstmord vonHlasko.
    Die ersteEhe, mit einemStrumpffabri-
    kanten, warkurzgewesen, derdritten,
    mit CharlesRegnier ,war dann Glück be-
    schieden.
    Die Schauspielerin verschwand im
    Laufder sechziger Jahreallmählich aus
    demKino. FürInteressentenanfilmhisto-
    rische nKuriosakönnteman noch„Das
    ausschweifende Leben des Marquis de
    Sade“von Cy Endfield nennen, ein spe-
    kulativerKostümfilm,andem nichts mit
    einemWerk etw avon FellinioderViscon-
    ti zu verwechseln ist. Mit ihren Me-
    moire nließ sichSonja Ziemanndann
    wieder zu dem Sound ihrer frühen Jahre
    verlocken: „Ein Morgengibt es immer“,
    so sprachman si ch nachden Trümmer-
    jahren Mutzu. Am Montag istSonja Zie-
    mannimAlter von94Jahrengestorben.
    BERTREBHANDL


Vonwegen


Symbol


Wiedenkt England


über Julian Assange?


VonGina Thomas,


London


Wenn es um den Islamgeht, noch
dazu um ein Buch, dasvom„verfalle-
nen Haus desIslam “spricht und die
„religiösenUrsachenvonUnfreiheit,
Stagnation und Gewalt“ er forschen
will,is tzuerwarten,das seseinesgera-
de nichtgeben wird–Konsens.Der
niederländische Sozialwissenschaftler
RuudKoopmans,andessenislamkriti-
schenThesensichschonhitzigeDebat-
tenentzündet haben, hättebei einem
Podiumsgesprächüber seinneues
BuchimWisse nschaftszentrum Ber-
lin sicherRede und Antwortgestan-
den –wäreerdenn gefragt worden.
Cem Özdemir und die Migrations-
forscherin NaikaForoutanwarenals
Gesprächpartner aufgeboten. Und
Koopmans nahmkein Blattvorden
Mund:Demokratienhätteninderisla-
mischen Welt mittlerweile kaum
nochBestand. Gewalt sei hier un-
gleichstärker ausgeprägt, Menschen-
rech te würden nicht beachtet,religiö-
se Minderheiten undFrauen unter-
drückt .Die Ursache für diese rück-
schrittlichen Entwicklungen–denn
esseiumdieLänderschoneinmalbes-
ser bestellt gewesen –sieht Koop-
mans nichtetwa,wie es heutesobe-
liebt ist, als Erbe deswestlichenKolo-
nialismus.Nicht Armut sei ausschlag-
gebend: DieWurzel desÜbels liege
im islamischenFundamentalismus.
Dabeigeht es Koopmans, der als is-
lamkritisch, nicht als islamfeindlich
verstandenwerden will, ausdrücklich
nicht um den Islam an sich, sondern
umseinefundamentalistischeAusprä-
gung. Außer Fragesteht für ihn, dass
sichandieser Problemlagenichts än-
dernwird, solangedie islamische
Weltsic hnichtändert.Koopmansprä-
sentierte also lauter Themen, die die
Bürgerdieses Landes bewegen–und
polarisieren. Man hättegerne mehr
vondem Autorgewusst: Handelt es
sichhierumeinreligiösesodereinpo-
litisches Problem?Wasbedeutet das
für die AufnahmevonMigranten aus
islamischen Ländern?Wiekann Inte-
grationgelingen,wenn radikale Is-
lam-Verbände einen sostarkenEin-
flussauf die muslimischen Gemein-
den haben?Undvor allem:Wiekön-
nen wirvernünftig und sachlichüber
den Islam sprechen–ohne Probleme
wiefehlendeFrauenrechteauszublen-
den oder aber islamfeindlicheVorur-
teile zu bedienen?
Foroutan, die dasPodium zugleich
moderierte,sahmanchesoffenbarkri-
tisch, kamaber selten auf den Punkt.
Die Mitschuld derwestlichenPolitik
an der Situation der islamischen Län-
dernfand sie nicht ausreichend be-
leucht et,dieEntkräftungderKolonia-
lis mus-These zukurz gedacht .Man
brauchegarnichtunbedingtdemokra-
tische Erfahrungen, um sicheine De-
mokratie vorzustellen. Man könne
sichjaa uchLiebevorstellen,ohnever-
liebt gewesen zu sein.
Während man über diesen Analo-
gieschluss nur staunenkann,war
auchCem Özdemirkeine große Er-
kenntnishilfe, obwohl ersehrvielRe-
dezeitinAnspruchnahm.Etwas we-
sentlichNeues hatteerauf diesem
Wohlfühlpodiumnicht zu sagen.
Fast schon hätte man diese allesglät-
tende Konsensorientierung alsRe-
formmodell der Zukunftgesehen,
wenn Koopmans nicht klargestellt
hätte:Ein verord neterKonsens sei
gerade nicht dasZiel,denn genau
dascharakterisier edenFundamenta-
lismus–eineneinzigwahren Islam
als deneinzigwahren Glauben zu
verkünden.Esg ehe vielmehr darum,
den Dissens zuakzeptieren.
Diewirklic hinteressantenFragen
kamen aus dem Publikum.Sie könne
die katholische und dieevangelische
Kircheöffentlichkritisieren, ohne
diffamiert zu werden,sagteeine
Frau.Wenn sie sich aber kritisch
zum Islamäußere,geltesie sofortals
Rassistin. Wo bleibe hier die Zivilge-
sellschaft? Eine Antwortbliebdas
Podiumschuldig. Dakann man nur
empfehlen:WerangehaltvollenAna-
lysen interessiert ist, su chesichein
anderes Forum–und leseKoop-
mans’ Buch. HANNAH BETHKE

Brahms: The BoyII– Horrorgrote skemit
Katie Holmes und OwainYeoman.
Limbo – DeutscherThrillervonTim Dün-
schede (F.A.Z.vongestern).
WeißerweißerTag– IsländischesSorgen-
dramavonHlynur Palmason.

Lieschen MüllersTraum


FrauenrollenbilderderNachkriegszeit:ZumTod derFilmschauspielerin SonjaZiemann


Sonja Ziemann, 1926 bis 2020 FotoDavids

D


iePressekonferenz hatteimAf-
fenhaus statt gefunden.Vor
den Gorillakäfigen gabBen
Beckerfreimütig Auskunft
über seine Sicht auf dieWelt und seine
Bewohner.Gott, beziehungsweise der
Verrat an ihm, daswarjadas Thema sei-
ner letztenTournee-Showgewese n(„Ich,
Judas“), jetzt musstealso folgerichtig die
Welt drankommen, über diewolle er et-
wassagen, „naiv natürlich, alsKünstler“,
so kündigteerseinenneuen, vomBerli-
ner Boulevard mit Spannung erwarteten
Auftritt an. Unddaertief in seinem Her-
zen, „immer nochKommunist“ sei–als
Showproduzent und Barbesitzer musste
Beckerkurznachschieben:„nicht im rea-
len, sondernimideellen Sinne“–,habe
er vor, ein philosophischesFragmentvon

Friedric hEngels über den„Anteil derAr-
beit an der Menschwerdung des Affen“
auf die Bühnezu bringen, gepaartmit
Franz Kafkas Zivilisationssatire„Bericht
für eine Akademie“.
Zum„Affen“ würde Ben Becker sich
also machen, so viel wurde klar,umauf
das Unrechtinunserer Gesellschafthin-
zuweisen, die Dialektikdes Fortschritts,
auf Greta, den Tierschutz, womöglich
das ganze verbrecherische Kapitalsys-
tem. Im Affenzahn dieVerhältnisse um-
drehen: Es isst der Mensch, esfrisstdas
Pferd, dochmeistens istesu mgekehrt.
Deswegenkurz vorder Berlinalealso
nocheinmal auf zurFriedrichstraße, in
denAdmiralspalast, dawo sonst „Wewill
roc kyou“ gezeigtwirdoder „Hair“.
Rechts neben dem Eingangstehteine
Aquafit-Gruppe aus Emden bei Maredo
Schlange, im Hof istein rote rTeppich
ausgerollt, auf dem niemand sorechtlau-
fenwill. Das Haus fülltsichschnell, auf
derMännertoilettetauschtmansichüber
die letzten Becker-AuftritteimFernse-
hen aus, die Damen an der Garderobe
schwören, dass„der Junge“ ein paargute
Kilo abgenommen habe.
Sie reden überden Showstardes
AbendswieeinealteKneipenbekannt-
schaft,vertrautund leichtgehässig, im
Duktus jeneraltehrwürdigen Berliner
Schnauze, die in einemnur halbironi-
schenWerbespotder BerlinerVerkehrs-
betriebe unlängstdem allgemein schüt-
zenswertenWeltkulturerbeanempfohlen
wurde. „EineType“ nennt man hier in

manchen widerständigen Kreisen immer
noch,wasBen Becker ist:ein aus Film,
Funk undFernsehen bekannter Charak-
ter- und Selbstdarsteller mitverrauchter
Stimme, Embonpoint und einem Herz
fürdie Hells Angels, dertapfergegen alle
neuen Moden anstinkt und anspielt.
Auch er ein HauptmannvonKöpenick.
Trompeter für den freienWillen.
Der „Affen“-Abend aber,umeskurz
zumachen,isttheatralgeseheneinerech-
teEnttäuschung.DerSolist,dergleichzei-
tig sein eigenerRegisseur zu sein meint,
läuftnacheinerkurzen Filmsequenz
über die Entwicklungsgeschichtedes
Menschenim orangen Overall aufder lee-
renBühnehin und her und deklamiert
mit heißgemeintem Bemühen den Theo-
rietextvon Engels. Sagt Sätzeüber den
Ursprung des Menschengeschlechts aus
dem aufrechten Gang, der ihm die Hän-
de freigab und somiterstdie Arbeiter-
möglichte, dann auchSprache nötig
macht eund denKehlkopf ausbildeteund
den Gedanken anWerkzeug und Eigen-
tum aufkommen ließ und an Produktion
und Profit und soweiter.
Spätertritt BeckerdannalsKafkas Rot-
peter auf,umvor den „hohenHerrender
Akademie“über seine äffische Mensch-
werdung zu berichten.Aber sosehr er
auchvon einer Bühnenseitezur anderen
wandeltund mit den Händen diegespro-
chenen Sätze nachformenwill –wem
man hier zuschaut,das is tund bleibt ein
selbstbewusster Sprecher,der seinen
Text mit rauchigerStimme ohnegroße

Nuancen aufsagt.Ein führungslosesSub-
jekt, das unbedingteWahrheitausspre-
chen will, aber in seinen bestenMomen-
tenhöchs tens ein bisschenWunschwahn
zum Ausdruck bringt.
So siehtesder hochmütigeTheater-
blick. Aber an diesemAbend (undden si-
cher vielenfolgenden)geht es um ande-
res: Um das Phänomen Ben Becker näm-
lich, der beiTausenden Zuschauer nof-
fenbar eine alteSehnsucht nachdem
Volksschauspieler befriedigt,einem
Startypus, der sein Leben in dieWaag-
schale wirft und die Hallen füllt, egal,
waserspielt. Das er es ist,reicht seinen
Anhängern aus.
Im Grunde istdas, wasBen Becker tut,
der Versuch, eine Artdeutschen Broad-
wayzuerfinden, angesiedelt zwischen
demgehobenenBoulevard undderniede-
renStadttheateraufführung. Es isteine
eigene Marke,die hier auftritt, das muss
einem klar sein,wenn manverstehen
will, warumdie Zuschauer nachder letz-
ten, mühsamen Schlusspointesofor tauf-
springen, die Hände in die Höhestrecken
unddem Matadorenzujubeln wienachei-
nem Stierkampf.
Undder,kurzdavor,wie ein bühnen-
tauchenderRockstar ins Publikum zu
springen, reckt dieFaustund brüllt unter
Tränen seinen Dankindie Menge. „Stellt
euch!“,rufternochheiserundverschwin-
detimDunkel. Damit istseine nächste
De utschland- Tournee eröffnet, BenBe-
cker kommt –bald auchinein Festspiel-
haus in IhrerNähe. SIMONSTRAUSS

Ein Star,der sein Leben in dieWaagschale wirft –und dieFans lieben ihn dafür:Ben BeckerinBerlin Fotodpa

Das Käthe-Kollwitz-Museumin Ber-
lin zieht im übernächstenJahr in den
TheaterbaudesSchlossesCharlotten-
burg.Darauf haben sichdie Stiftung
Preußische Schlösser undGärtenund
die Berliner Senatsverwaltung für
Kultur geeinigt.Das privat betriebe-
ne Kollwitz- Museum suchteein neu-
es Domizil, seit 2017 bekanntgewor-
den war, dassesseinen bisherigen
Standortinder Fasanenstraße am
Kurfürstendammverlassen muss.Zu-
nächs twareineUnterbringunggegen-
über vonSchlossCharlottenburgge-
plant gewesen. Der Theaterbau des
Schlosses wurde um 1790 nachPlä-
nen vonCarlGotthardLanghans er-
richtet. Bis 2009 beherbergteerdas
Museum fürVor- und Frühgeschichte
der Staatlichen Museen Berlin. kil

NeuimKino


Kafkaund Engels auf demBroadway


Zur Lage


des Islams


ImKonsens:Koopmans,


Foroutan und Özdemir


Kollwitz-Museum


in Charlottenburg


DasPhänomen Ben


Becker oder Diealte


Sehnsuchtnachdem


Volksschauspieler:


„Affe“, einSoloabendin


Berlins Admiralspal ast


überdie Folgen des


aufrech tenGangs.

Free download pdf