Frankfurter Allgemeine Zeitung - 20.02.2020

(Darren Dugan) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft DONNERSTAG, 20.FEBRUAR2020·NR.43·SEITE 17


W


enn Andreas Scheuer und
Cem Özdemir aufeinander-
tref fen, is tKonfrontation
nicht weit.Özdemir,derGrü-
nen-Politiker und Vorsitzende desVer-
kehrsausschusses im Bundestag, macht
keinen Hehl daraus,dasserden CSU-Poli-
tiker Scheuerim Verkehrsressortgrund-
sätzlich für eineFehlbesetzung hält.Der
Verkehrsministerwetter tgegen die in sei-
nen Augen ideologischeVerkehrspolitik
der Oppositionspartei. Grün und Schwarz
–das passt in derVerkehrspolitik bislang
nicht zusammen.Umso erstaunlicher ist
die Allianz, die beide auf dem 2. Mobili-
tätsgipfel derF.A.Z. am Dienstag in Berlin
eingegangen sind. Gleichbei einerReihe
umstrittener Themen besiegelten die bei-
denVerkehrspolitiker per Handschlag Ge-
setzesvorhaben,dieakuteVerkehrsproble-
me in Ballungsräumen lindernsollen.
In schwarz-grüner Koalition wollen
Scheuer und Özdemir schneller als bisher
geplant dafür sorgen, dassLastwagen
künftig nur nochmit Abbiegeassistenten
indi eInnens tädtedürfen.DieseAssistenz-
systeme, die optische oderakustische Si-
gnaleaussenden,sollendievielenfürRad-
fahrer ofttödlichenUnfä lle an Kreuzun-
genverhindern. Die Bestimmungen sind
eigentlich Sache der EuropäischenUnion.
Die Mitgliedstaatenhaben sichzwardar-
auf geeinigt, dietechnischen Helfer einzu-
führen–aberer st vomJahr2024an.Özde-
mir schlugvor, Kommunen dasRecht zu
geben,Verkehrssicherheitszonenzuschaf-
fen, in die Lastwagen nur einfahren dür-

fen, wenn sie Assistenzsysteme eingebaut
haben,Scheuer reichte ihm daraufhin die
Hand und ergänzte: „Rechtsabbiegende
LkwdürfenkeinetödlicheGefahrfür Fuß-
gänger undRadfahrer sein.“ Erwolle,
dassinZukunf tdie örtlichen Behörden
das RechtsabbiegenvonLkw ohneAbbie-
geassistenten an Kreuzungen verbieten
können.„AufEU-Ebenewirdein solcher
Vorschlag gerade geprüft. Sobald esgrü-
nes Licht gibt,wollen wir in Deutschland
diese Regelung ermöglichen.“
Gemeinsamwollen Scheuer und Özde-
mir außerdem dafürsorgen, dassInfra-
strukturprojekte künftig schnellergeplant
und umgesetztwerden. Nachdem derVer-
kehrsminister sein „Planungsbeschleuni-
gungsgesetz III“ erstvorige Woche durch
den Bundesratgebracht hat, soll nun um-
gehend ein viertes Gesetzespaket folgen.
Konkret soll die Elektrifizierung von
Bahnstreckenerleichtertwerden, indem
dabei künftigaufeinePlanfeststellungver-
zichte twerden kann. Eine ähnlicheRege-
lung gibt es schon fürAutobahnen–aus

Sicht derPolitiker spricht nichts dagegen,
auf diese Artauchdie Elektrifizierung der
Schienezubeschleunigen.Zudemgriffen
Scheuer und Özdemir einen Vorschlag
auf, der die Radwegeplanung vereinfa-
chen und entbürokratisieren soll. „Nächs-
tesJahr legen wir Ergebnissevor“,ver-
sprac hScheuer.
Lob bekam der Minister für die in den
nächstenJahren erheblich wa chsendenFi-
nanzmittel, die der Bundden Ländernfür
den Ausbau des öffentlichenNahver kehrs
(ÖPNV)zurVerfügungstellenwird.Sosol-
lendieMittelausdemGemeindeverkehrs-
finanzierungsgesetz vonderzeit 333 Mil-
lionen Euro im Jahr bis zum Jahr2025auf
zwei Milliarden Eurojährlic hsteigen. Die
nicht ganzernstgemeinteFrage,obdiebei-
den Politikerindemonstrativer Einigkeit
nicht gleicheinenschwarz-grünenKoaliti-
onsvertrag unterzeichnen wollten, ver-
neinten sie allerdings.
Der zweiteTeil des Mobilitätsgipfels,
den dieF.A.Z. in Kooperation mit dem
Verband Deutscher Verkehrsunterneh-
men(VDV),demADAC sowiedemHaupt-

verband der Deutschen Bauindustriever-
anstaltet,kreisteumdieFrage, wasdieMo-
bilitätsbranche tun kann, um denVer-
kehrskollapsindenGroßstädtenabzuwen-
den. Gilles Dostert,Generaldirektor des
VerkehrsverbundesLuxemburg, stelltedie
PlänedesGroßher zogtumsvor, dasinKür-
ze als erstes Land derWelt komplett kos-
tenlosenNahver kehr anbieten wird. Aller-
dings sind Busse und Bahnen inLuxem-
burgohnehin schon sehr vielstärkerals in
Deutschland subventioniert. VDV-Präsi-
dent Ingo Wortmann machtedeutlich,
dassdas Nachbarlandkeine Blaupause für
Deutschland seinkönne. „Allein für Mün-
chen würde dasKosten vonmehr als 500
Millionen Eurobedeuten“, sagteerund
fügtean: „Wir müssenetwasganz anderes
tun,wir müssen den ÖPNV ausbauen.“
Auch Scheuer hattedeutlichgemacht,
dassniedrig ePreise allein–zum Beispiel
365 -Euro-Jahrestickets–dieVerkehrspro-
bleme in denStädten nicht linderten.
Ernüchterung herrschtzumindest in
Berlin mit Blickauf neueMobilitätsfor-
men,die das Angebotdes ÖPNV ergänzen

und verbessernsollen. In der Hauptstadt
steht der „Berlkönig“, ein per Appverfüg-
bares Sammeltaxi, ausfinanziellen Grün-
den vordem Aus. Frank Nägele, Staatsse-
kretärinderBerlinerSenatskanzlei,erläu-
terte, das sandersals erhofft nur ein sehr
geringer Teil der Nutzer vomAutoauf das
Sammeltaxi umgestiegenist.Stattdessen
hätten überwiegendFußgänger undRad-
fahrer das Angebotgenutzt.
Nicht nur diePolitiker ,sondern auch
die Praktiker beschäftigten sichmit der
Frage, wie Infrastrukturprojektekünftig
schnellerrealisier twerdenkönnen. Mat-
thias Jacob, VizepräsidentTechnik des
Bauindustrieverbandes,gingendieAnkün-
digungen vonScheuer und Özdemirnicht
weit genug. DasWissen der Branche müs-
se früher in den Prozesseinbezogenwer-
den. Anstatt Planung undUmsetzungge-
trennt zu behandeln, müsse beidesstärker
integ riertwerden.
Bei aller Begeisterung für denAusbau
vonBus und Bahn wurde auf derKonfe-
renz aber auch deutlich, dassdas Auto
auchkünftig eine wichtige Rolle spielen
wird. Diese Ansichtvertratjedenfalls
Karsten Schulze,Technikpräsident des
Automobilverbandes ADAC.Gerade in
ländlichenRegionen und für vielePend-
ler werdeesa uf absehbare Zeit keine Al-
ternativezum Autogeben.„Wir haben
viele Menschen, die einfac hauf das Auto
angewiesen sind“, sagteSchulze und
macht esichaußerdem dafürstark, Park-
and-ride-Angebote auszubauen. Auch
F.A.Z.-HerausgeberGerald Braunberger
warnte davor, das für viele unverzichtba-
re Autozustigmatisieren.Zum einen
würden viele Menschen bewusst das
Auto und nicht den ÖPNV nutzen,weil
das Auto für sie privater Lebensraum sei.
„Das kann kein Sammeltaxi, kein Zug
und auchkein Carsharing“, sagteBraun-
berger. Zudemkönne ein harterKursge-
gendas AutopopulistischenParteien die
Gelegenheitgeben, sichals An walt der
Autofahrer zu profilieren und das Auto
zuihremneuenGroßthemazumachen.
Braunbergerzeigte sichamEnde der
Konferenzoptimistisch,dasseine Mobili-
tätswende i nden Städtentatsächlichge-
lingenkönne. Er erinnerteaber an einen
wichtigenFaktor ,der in Debattenüber
Digitalisierung, Wandel undVerkehrs-
wende zukurz komme:„Wienehmen wir
eigentlichdie Menschen mit?“ F.A.Z.

hvb.de/krone


International wachsen. #DasIstMirWichtig


Im Emsland sagt


man nicht


GRÖSSENWAHN,


sondernZiel.


BernardKrone,


Gemeinsamkann mangrößerdenken :Die H -
fast70 Länder. Indemwir di eRisiken im
Absatzfinanzierun geinbringen, mache.

Vorgeschmack auf eine schwarz-grüneKoalition? Scheuer (rechts) und Özdemir (links)reichen sichdie Hände. FotoMarco Urban

Die schwarz-grüne Verkehrskoalition


itz. BERLIN.Die Deutschen fürch-
ten, das ssie derKohleausstieg teuer
zu stehen kommt.Einer Umfrag edes
Bonner Marktforschungsunterneh-
mens EuPDResearch zufolg eerwar-
ten85Prozent, dassdas im Januar
vomBundeskabinett beschlossene
Ausstiegsgesetz zu „stark steigenden
Strompreisen“ führen wird. 75 Pro-
zent befürchteteneine zunehmende
AbhängigkeitvonStromlieferungen
aus demAusland. Immerhin zeigte
sichdie Hälfte der Befragten über-
zeugt, dassdie Abschaltung aller
Braun- undSteinkohlekraftwerke bis
zum Jahr 2038 einen positiven Bei-
trag zu den Klimazielen leistenwird.
UnterdessenhatdieUmweltor ganisa-
tionBUNDamMittwochinBerlinge-
gendas neue Steinkohlekraftwerk
Datteln4imRuhrgebietprotestiert.
AnlasswarderBesuchderfinnischen
Ministerpräsi dentin Sanna Marin im
Kanzleramt vonAngela Merkel
(CDU).Helsinki müsse die Inbetrieb-
nahmevonDatteln 4durch den künf-
tigen Mehrheitseigner,den finni-
schenStaatskonzernFortum,verhin-
dern, fordertendie Demonstranten.
Lob für die Berliner Klimapolitik
kamindes vonder Internationalen
Energieagentur IEA.Die eingeleitete
Energiewende sei ein „eindrucksvol-
ler Plan“ zu einer hauptsächlichauf
erneuerbareTrägergestütztenVersor-
gung, lobteder IEA-Geschäftsführer
Fatih Birol auf einergemeinsamen
Veranstaltung mitWirtschaftsminis-
terPeterAltmaier (CDU). In derkoh-
lendioxidneutralen Elektrizitätser-
zeugung sei Deutschland besonders
weit, dochmüsse jetzt wiederver-
stärkt in denAusbau derWindkraft
an Land, in die Ertüchtigung ausge-
dienter Anlagen und in denNetzaus-
bau in vestiertwerden.Auch geltees,
die Genehmigungsverfahren zu be-
schleunigenunddie Akzeptanz in der
Bevölkerung zustärken. Deutschland
müsse seine Gasversorgung diversifi-
zieren und dafür sorgen, dassnach
der Stromerzeugung jetzt auchder
Verkehr und dieWärmeversorgung
klimafreundlicher würden.

Verkehrsmini ster


Scheuerund der


Grünen-Politiker


Özdemireinigen


sich auf dem


F.A.Z.-Mobilitätsgipfel


in Be rlin auf


gemeinsame


Gesetzesvorstöße.


Kohleausstieg


macht Sorgen


Deutsche fürchten


steigendeStrompreise

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