Handelsblatt - 20.02.2020

(Ann) #1

Covestro


Bayer im


Glück


M


an kann der Bayer AG eini-
ges vorwerfen, was die
jüngste strategische Neu-
ordnung betrifft. Die Fokussierung
auf Pharma, Saatgut und Pflanzen-
schutzmittel sehen viele kritisch.
Noch mehr stößt die 63 Milliarden
Dollar teure Übernahme von Mon-
santo in der Öffentlichkeit und bei
einigen Fonds auf Ablehnung. Von
den geerbten Rechtsrisiken, die
Bayer wohl mit Milliardenbeträgen
zugunsten der Kläger aus der Welt
schaffen muss, ganz zu schweigen.
Man kann das Management aber
auch einmal beglückwünschen. Es
zeigt sich mehr und mehr, dass der
im Herbst 2014 beschlossene Aus-
stieg aus dem Kunststoffgeschäft
der richtige strategische Schritt war.
Bayer hätte heute operativ zu lei-
den, wenn man die in der neu for-
mierten Covestro AG eingebrachten
Kunststoffe behalten hätte.
Die Euphorie war anfangs groß,
vor allem bei den Anlegern. Sie trie-
ben die Covestro-Aktie nach der Ab-
spaltung 2015 vom Ausgabepreis
von 24 Euro auf mehr als 90 Euro.
Schließlich stieg der operative Ge-
winn rasant und stetig bis zum Re-
kordwert von 3,2 Milliarden Euro
im Jahr 2018. Danach mussten die
Anleger lernen, dass die Herstellung
von Kunststoffen ein zyklisches Ge-
schäft ist – und noch dazu eines, in
dem asiatische Chemiefirmen für
immer stärkeren Preisdruck sorgen.
Die Folgen zeigen sich in dem Er-
gebnis von Covestro für das Ge-
schäftsjahr 2019: Der bereinigte Be-
triebsgewinn hat sich auf 1,6 Milliar-
den Euro halbiert und wird in
diesem Jahr weiter sinken. Als ei-
genständiger Konzern kann Cove-
stro an der Börse dafür geradeste-
hen – als Teil von Bayer aber hätte
die Entwicklung den Konzernvor-
stand in Erklärungsnot gebracht.
Bayer hat sich während der Hoch-
phase von Covestro in Tranchen
von der Beteiligung getrennt und
die Aktien im Schnitt für 73 Euro
verkauft. Ein guter Deal, denn heu-
te notieren sie bei 40 Euro. Man
kann darüber streiten, ob es gut
war, die Milliardeneinnahmen in
den Kauf von Monsanto zu stecken.
Die Trennung vom Kunststoff war
hingegen eindeutig richtig.


Die Trennung vom Kunststoff -
geschäft stellt sich als richtiger
Schritt für Bayer heraus,
meint Bert Fröndhoff.

„Es tut uns Deutschen gut, wenn ein
deutsches Unternehmen es einmal schafft,
in einer Schlüsselindustrie, in einer
Hightech-Industrie, in den USA eine führende
Rolle einzunehmen.“
Tim Höttges, Vorstandschef Deutsche Telekom, über die
bevorstehende Fusion von T-Mobile US und Sprint

Worte des Tages


Der Autor ist Teamleiter
Industrie.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]


U


nternehmen in Europa leisten sich ei-
nen äußerst fragwürdigen Luxus: den
Kampf der Alphatiere in den Führungs-
etagen. Die Liste der Namen ist lang
und prominent: Thyssen-Krupp, Credit
Suisse, Deutsche Bahn oder Heidelberger Druckma-
schinen. In all diesen „Firmen“ tobte über Monate
und manchmal sogar Jahre eine Auseinandersetzung
zwischen den Akteuren. Mal innerhalb des Vor-
stands oder Aufsichtsrats, mal zwischen den beiden
Gremien.
Die Folgen sind verheerend. Thyssen-Krupp etwa
ist nicht nur, aber auch deshalb nur noch ein Schat-
ten seiner selbst. Es fehlt Geld, nur der Verkauf von
wichtigen großen Unternehmenseinheiten kann und
soll jetzt die Rettung bringen. Ein ähnliches Bild bie-
tet sich in Heidelberg beim gleichnamigen Maschi-
nenbauer. Der Marktführer für Bogendruckmaschi-
nen muss hektisch die Bilanz richten. Rettende In-
vestoren werden gesucht. Es ist einfach nur traurig,
ansehen zu müssen, wie sich diese Industrie-Ikonen
selbst ihrer Zukunft berauben, weil sich die Topma-
nager bekämpfen, statt an einem Strang zu ziehen.
Wenig besser ist die Situation bei der Deutschen
Bahn. Der Streit zwischen Bahn-Chef Richard Lutz
und dem mittlerweile ausgeschiedenen Finanzchef
Alexander Doll hat dazu geführt, dass der geplante
Verkauf der Tochter Arriva zur endlosen Geschichte
geworden ist. Dabei sollte der Verkaufserlös mit da-
zu beitragen, die Ertüchtigung der Bahn für die Zu-
kunft zu finanzieren. Diese Aufgabe ist gewaltig, soll
die Bahn doch ein entscheidender Hebel für eine er-
folgreiche Verkehrswende sein. Das erfordert die
volle Konzentration des Managements.
Bei Credit Suisse wiederum hat der monatelange
Machtkampf zwischen dem kürzlich ausgeschiede-
nen CEO Tidjane Thiam und Verwaltungsratspräsi-
dent Urs Rohner zu einem Aderlass im Management
und einem erheblichen Imageschaden geführt.
Selbst Spionagevorwürfe standen im Raum.
Die Gründe für diese Auseinandersetzungen sind
natürlich in der Mischung aus übertriebenem Ego
und einer großen Hybris der handelnden Personen
zu suchen. Doch auch der enorme Druck, sich wan-
deln zu müssen, dürfte ein treibender Faktor sein.
Gerade die Digitalisierung forciert Auseinanderset-
zungen im Topmanagement. Weil sie für viele so
schwer zu fassen ist, haben sich Unternehmen Un-
terstützung ins Management geholt. Die Digital Of-
ficers schauen ganz anders auf das Geschäft, und das
sollen sie auch tun. Sie wollen den raschen Wandel,
weil sie wissen, wie schnell die Welt draußen mittler-
weile tickt.

Die Tempomacher fordern aber Widerstand he-
raus. Die etablierten Kräfte in Vorstand oder Auf-
sichtsrat kommen nicht mit. Sie verstehen vieles
nicht, fürchten um ihre Pfründe. Und sie fühlen sich
in ihrer Meinung häufig bestätigt. Denn das bisherige
Kerngeschäft funktioniert ja noch halbwegs.
Erneuerer und Bewahrer prallen heftig aufeinan-
der. Je länger so ein Konflikt an der Spitze dauert,
desto tiefer gräbt er sich in das Unternehmen. Jeder
Mitarbeiter fühlt sich in erster Linie seinem Vorge-
setzten verpflichtet. Das fördert die Lagerbildung in
der gesamten Organisation. Gleichzeitig bekommen
jene Mitarbeiter, die weiter entfernt von der Zentrale
sind, mit, dass die Richtung unklar ist, in die sie
marschieren sollen. Also machen sie weiter wie zu-
vor, denn da wissen sie wenigstens, wie das funktio-
niert.
Eine gefährliche Situation. Nicht nur Kunden wer-
den den Schlingerkurs des Unternehmens früher
oder später mitbekommen und sich vielleicht umori-
entieren. Auch notwendige Antworten auf die digita-
len Herausforderungen bleiben aus. Dabei erfordert
gerade dieser enorme Wandel eine klar kommuni-
zierte Strategie.
Sich darauf zu verlassen, dass das bestehende Ge-
schäftsmodell schon noch eine Weile funktionieren
wird, ist fatal. Ständig kommen neue Unternehmen,
die das Geschäft mit ganz anderen Ideen angehen –
vor allem aber ohne eine lange Tradition im Gepäck,
die schnell auch zu einer Altlast werden kann. Wer
sagt, dass Geld künftig noch über Banken transfe-
riert wird? Wer sagt, dass Inhalte in Zukunft weiter
gedruckt werden?
Sicher ist es schwer, Denkmäler zu stürzen. Vor al-
lem dann, wenn die Fehde zwischen Vorstand und
Aufsichtsrat tobt. In solchen Situationen fehlt der
Supervisor, der die Lage klären kann. Im Fall von
Credit Suisse war es am Ende wohl der Druck der In-
vestoren, dem das Management nachgeben musste.
Das funktioniert aber nicht immer.
Doch es gibt keine Alternative. Das Umfeld, in dem
sich Unternehmen bewegen und behaupten müssen,
verändert sich immer schneller. Für das Ausleben
von Eitelkeiten und die Verteidigung von Burggrä-
ben ist einfach kein Platz mehr. Die Kräfte müssen
gebündelt werden. Das geht nur, wenn man ganz
oben beginnt. Und es geht nur, wenn Führungskräf-
te ihre Stärke nicht darüber definieren, dass sie ver-
meintliche Gegner rausdrängen.

Führung


Fatale


Egotrips


Thyssen-Krupp,
Credit Suisse,
Deutsche Bahn,
Heidelberger
Druck –
Führungsstreit
blockiert die
Unternehmen. In
Zeiten des
digitalen
Umbruchs ist das
gefährlich, warnt
Jens Koenen.

Tempomacher


fordern Wider-


stand heraus.


Die etablierten


Kräfte in


Vorstand oder


Aufsichtsrat


kommen


nicht mit.


Der Autor leitet das Büro Unternehmen & Märkte
in Frankfurt. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Meinung


& Analyse


DONNERSTAG, 20. FEBRUAR 2020, NR. 36
28


„5,5 Milliarden Euro
sind nicht das Limit
dieser Marke.“
Björn Gulden, Vorstandschef von Puma,
über die Umsatz-Wachstumsziele des
Unternehmens

„Wir sind mit Abstand die Nummer
eins im Onlinegeschäft in Europa.
Und im Gegensatz zu vielen
Wettbewerbern ist unser
E-Commerce-Bereich
hochprofitabel.“
Tina Müller, Vorstandschefin Douglas

Der Zahlungsverkehr gehört eigentlich zum Kern ei-
ner Bank. Schließlich haben alle Kunden – Privatkun-
den wie Firmen – Zahlungsverpflichtungen, und alle er-
halten Geld. Dennoch: Viele Geldhäuser lagern die Ab-
wicklung des Zahlungsverkehrs aus.
Die DZ Bank geht nun just in die andere Richtung. Sie
will die Abwicklung von Zahlungen wieder ins eigene
Haus holen. Bisher hat sie das an den Dienstleister
Equens-Worldline ausgelagert, der auch einige andere
deutsche Geldhäuser bedient. Die DZ Bank peilt zudem
auch an, zu investieren. Eine eigene Plattform für Zah-
lungsabwicklungen soll entstehen. Der Schritt der DZ
Bank ist mutig. Denn die Zahlungsabwicklung ist ein
Massengeschäft und erfordert doch beständig Investi-
tionen, weil es gerade im Zahlungsverkehr viele Innova-
tionen gibt. So dürften sich Echtzeitzahlungen nach
und nach durchsetzen. Auch das mobile Bezahlen per
Smartphone, das in Deutschland noch ganz am Anfang
steht, wird wahrscheinlich irgendwann populär.
Gerade weil der Zahlungsverkehr ein Standardge-
schäft ist, lagern etliche Banken diese Dienstleistung

teils oder komplett aus. Der Gedanke dahinter: Wenn
Spezialisten die Abwicklung für viele Kunden überneh-
men, ist es effizienter, die Kosten sinken. Das ist wich-
tig, weil die Geldhäuser in Zeiten von Negativzinsen um
ihre Erträge fürchten. Hinzu kommt, dass sich mit Zah-
lungsaufträgen wenig verdienen lässt. Schließlich be-
rappen deutsche Bankkunden für Überweisungen in
der Regel keine extra Gebühr.
Doch mit der Auslagerung der Zahlungsabwicklungen
geben die Kreditinstitute auch etwas aus der Hand: ei-
nen Teil des direkten Kundenzugangs und die Hoheit
darüber, wann sie welche Neuheiten anbieten. Auch in
anderer Hinsicht wächst die Abhängigkeit: Passieren
Pannen im Zahlungsverkehr, sind betroffene Banken
darauf angewiesen, dass ihre Dienstleister das Problem
auch rasch in den Griff bekommen. Zudem sollte ein
anderer Zweig des Zahlungsverkehrs den deutschen
Banken eine Warnung sein. Als Dienstleister für digitale
Zahlungen im Handel spielen sie kaum eine Rolle mehr.
Ihren gemeinsamen Zahlungsdienstleister Concardis
haben sie vor drei Jahren verkauft. Ihr gemeinsamer
Online-Bezahldienst Paydirekt, der dem US-Wettbewer-
ber Paypal Paroli bieten sollte, führt ein Nischendasein.
Dabei boomt dieses Geschäft, weil Verbraucher an der
Ladenkasse immer weniger bar und immer mehr per
Karte bezahlen, was auch das deutliche Plus bei der Nut-
zung der EC-Karte, heute offiziell „Girocard“, zeigt. Die
Zahl der Girocard-Transaktionen ist im vergangenen Jahr
um rund 20 Prozent gewachsen. Zudem wächst das On-
line-Shopping rasant. Die Erträge in diesem Geschäft
steigen, die deutschen Banken haben davon wenig.

DZ Bank


Selbst ist die Bank


Die DZ Bank will den
Zahlungsverkehr wieder ins
eigene Haus holen. Das ist ein
mutiger Schritt, der sich lohnen
könnte, findet Elisabeth Atzler.

Die Autorin ist Finanzkorrespondentin in Frankfurt
Sie erreichen sie unter:
[email protected]

Mit der


Auslage-


rung der


Zahlungs-


abwick-


lungen ge-


ben die Kre-


ditinstitute


etwas aus


der Hand.


ddp images/Juergen Schwarz, AFP, Marc-Steffen Unger für Handelsblatt

Scout24


Das Leben


danach


S


cout24 ist nicht mehr, was es
mal war. Als „Betreiber ver-
schiedener Vergleichsportale“
wurde die Gruppe oft beschrieben.
Nach dem Verkauf von Autoscout24
und Finanzcheck.de ist im Kern nur
noch Immoscout24 übrig: das Por-
tal, das Wohnungssuchende, Immo-
bilienbesitzer und Makler zusam-
menbringt. Und das ist eine Chance


  • vielleicht sogar die einzige für das
    Münchener Unternehmen.
    Der Markt der Vergleichsanbieter
    ist hart umkämpft. Längst sind die
    Tech-Riesen Google und Amazon in
    viele Marktsegmente vorgedrungen.
    Scout24 steht trotzdem gut da, mit
    ansehnlichen Zahlen für 2019. Der
    Konzernumsatz stieg um mehr als
    15 Prozent, die bereinigte Wachs-
    tumsrate liegt bei über 13 Prozent.
    Dass die Aktie zunächst fiel, dürfte
    daran liegen, dass Anleger auf spek-
    takuläre Überraschungen gehofft
    hatten. Der Kurs bewegte sich zu-
    letzt auf Allzeithoch.
    Vorstandschef Tobias Hartmann
    hat zuletzt häufig betont, es gäbe
    „kaum Synergien“ zwischen dem
    Auto- und Immobiliengeschäft. Das
    wirkte wie ein hilfloser Versuch,
    den Verkauf von Autoscout unter
    dem Druck strategischer Investoren
    zu verteidigen. Aber das ergibt Sinn

  • nicht nur mit Blick auf Scout24.
    Im Plattformgeschäft geht es
    längst nicht mehr bloß um die Ge-
    genüberstellung von Angebot und
    Nachfrage und den Vergleich von
    Preisen. Wer sich darauf be-
    schränkt, hat gegen Google und
    Amazon mit ihrer Bekanntheit und
    ihren Datenmengen keine Chance.
    Ein Ausweg: Der Fokus auf Segmen-
    te, in denen Kunden und Verkäufer
    mehr Rat suchen und Zeit investie-
    ren, zum Beispiel weil es um viel
    Geld geht – wie beim Kauf einer
    Wohnung. Allerdings sind die Nut-
    zer nach einer Transaktion auch
    schnell wieder weg.
    Es ist riskant, sich auf ein Ge-
    schäft zu konzentrieren, aber auch
    vorausschauend: Scout24 bietet
    Kunden und Verkäufern in wach-
    sendem Umfang Rundumservices.
    Nur sind die Bedürfnisse von Nut-
    zern im Auto- und im Immobilien-
    markt völlig unterschiedlich. Die
    Trennung macht also Sinn.


Die neue Strategie des
Unternehmens sagt viel über den
Markt für Vergleichsportale aus,
beobachtet Larissa Holzki.

Die Autorin ist Redakteurin im
Ressort Unternehmen und Märkte.
Sie erreichen sie unter:
[email protected]

Unternehmen & Märkte


DONNERSTAG, 20. FEBRUAR 2020, NR. 36
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