Handelsblatt - 20.02.2020

(Ann) #1
Yasmin Osman Frankfurt

N


ormalerweise freuen sich Investoren,
wenn ihre Aktien steigen. Für Hedge-
fonds wie Marshall Wace oder AQR Ca-
pital gilt das nicht, zumindest nicht im
Moment. Sie gehören zu einer Hand-
voll Hedgefonds, die im nennenswerten Stil auf
Kursverluste von Geldhäusern wie der Deutschen
Bank und der italienischen UBI Banca gesetzt hat-
ten. Nur: Eingetreten ist seit Jahresbeginn das Ge-
genteil. Das hat bei den Hedgefonds zum Teil zu Mil-
lionenverlusten geführt oder bereits erreichte Ge-
winne deutlich geschmälert, wie öffentlich verfüg-
bare Daten zeigen.
Die zwei prominentesten Beispiele für misslunge-
ne Wetten sind derzeit Deutsche Bank und UBI Ban-
ca. Beide Aktien haben mit weitem Abstand den
besten Jahresstart unter den europäischen Banken
hingelegt: Der Anteilsschein der Deutschen Bank
liegt knapp 42 Prozent im Plus. Übertroffen wird
dieser Wert nur noch von der UBI Banca, deren Ak-
tien sich dank des Übernahmeangebots ihres Riva-

len Intesa seit Jahresbeginn sogar um 46 Prozent
verteuert haben.
Zugleich liefen gegen Aktien dieser beiden Institu-
te die meisten Kurswetten. Bei der Deutschen Bank
etwa laufen den jüngsten verfügbaren Daten zufolge
noch Wetten im Umfang von 4,65 Prozent ihrer Ak-
tien gegen das Institut. Das ist das höchste Leerver-
kaufsvolumen unter den Werten im Deutschen Ak-
tienindex Dax, wie die Leerverkaufsdatenbank des
Handelsblatts zeigt. Bei UBI Banca waren es sogar
sechs Prozent, wie eine Aufstellung der italienischen
Börsenaufsicht aufführt. In beiden Fällen waren
Marshall Wace und AQR Capital mit von der Partie.
Transaktionen, bei denen Investoren in einem
meldepflichtigen Umfang auf fallende Kurse bei
Großbanken spekulieren, sind eher selten. Am häu-
figsten wetten Hedgefonds gegen Kreditinstitute in
Märkten, die als umkämpft und schwierig gelten
oder auch gegen Banken, die als angeschlagen ange-
sehen werden. Wetten in nennenswertem Umfang
laufen derzeit vor allem gegen Banken aus Deutsch-

Leerverkäufer

verzocken sich

Der kräftige Kursanstieg von Aktien der Deutschen Bank und


von UBI Banca hat einige Hedgefonds kalt erwischt. Sie hatten


auf fallende Kurse gewettet.


Handelssaal der
Frankfurter Börse:
Wetten mit möglichen
Millionengewinnen.

dpa

Leerverkauf In der Regel handelt es sich bei
den Leerverkäufern um Hedgefonds. Wenn sie
auf fallende Kurse wetten wollen, leihen sie sich
zunächst Aktien bei Großinvestoren wie Banken
oder Versicherungen für eine bestimmte Frist.
Diese Aktien verkaufen sie am Markt. Gegen
Ende der Leihfrist kaufen sie die Aktien wieder
zurück und geben die geliehenen Papiere an
den Eigentümer zurück.

Wer verdient? Egal, wie sich die Aktie entwi-
ckelt, der Verleiher der Aktien erhält vom Leer-
verkäufer eine Leihgebühr. Der Hedgefonds
hofft, dass er die Aktien, die er verkauft, am
Ende der Leihfrist günstiger wieder zurückkau-
fen kann. Die Differenz ist sein Gewinn.

Wetten auf Kursverluste

Finanzen


& Börsen


DONNERSTAG, 20. FEBRUAR 2020, NR. 36
30


Bank und Commerzbank mitgeteilt, dass sie von der
Europäischen Zentralbank (EZB) die Erlaubnis erhal-
ten haben, diese Gesetzesänderung auch wirklich zu
nutzen.
Doch insgesamt gilt der europäische Bankenmarkt
im Vergleich zu dem der USA als unterlegen, weil die
Zinslandschaft in Nordamerika für Kreditinstitute
sehr viel günstiger ist. Außerdem ist der europäische
Markt zersplittert. Der Leiter des Asset-Manage-
ments der Privatbank Merck Finck, Marc Decker, et-
wa rät bei Bankaktien nach wie vor zur Vorsicht.
„Trotz der guten Performance von europäischen
Bankaktien in der zweiten Jahreshälfte 2019 sowie
der zuletzt durch den Kurssprung der Deutschen
Bank ausgelösten Fantasien steht eine Renaissance
von Banktiteln nicht bevor“, warnt Decker. „Was die
Rahmenbedingungen für Banken angeht, hat sich je-
denfalls nichts zum Besseren gewendet“, sagt er. De-
ckers Ansicht nach führen „das ultraniedrige Zinsni-
veau und die regulatorischen Daumenschrauben“
dazu, dass sich europäische Banken nach wie vor
schlechter entwickeln werden als ihre amerikani-
schen Wettbewerber.
Darauf mögen viele der Hedgefonds spekuliert ha-
ben. Zumal solche Leerverkäufe nicht immer eine
Spekulation auf fallende Kurse eines einzelnen Werts
sein müssen. Solch ein „shorten“, wie es in der Fach-
sprache heißt, kann Teil einer größeren Investment-
strategie sein. Wenn ein Hedgefonds beispielsweise
erwartet, dass die Kurse von börsennotierten US-
Banken sich besser als ihre deutschen Pendants ent-
wickeln, kann er auch Aktien von US-Geldhäusern
kaufen und gleichzeitig die Papiere von deutschen
Banken „leerverkaufen“.
Mit dieser Strategie verringert der Fonds das Risi-
ko. Denn er kann sogar bei fallenden Kursen eine
Rendite erzielen. Einzige Bedingung: Die Perfor-
mance der US-Geldhäuser muss besser sein. Bei fal-
lenden Kursen des gesamten Marktes reicht es,
wenn die Kursverluste der US-Institute geringer sind
als die der heimischen Banken. Klar ist aber auch:
Unternehmen mit einer hohen Leerverkaufsquote
wird keine bessere Performance als die der Mitbe-
werber zugetraut.
Dennoch scheint den ersten Hedgefonds mittler-
weile der Appetit auf Bank-Wetten verloren zu ge-
hen. Einige der wichtigsten Hedgefonds haben in
den vergangenen Wochen ihre Wetten auf Deutsche
Bank und UBI Banca reduziert oder auch ganz aufge-
geben.
Das dürfte zum Kursanstieg beider Aktien beige-
tragen haben. Wenn Leerverkäufer ihre Wetten be-
enden, müssen sie die entsprechenden Aktien am
Markt zurückkaufen. Das generiert Nachfrage und
trägt zu höheren Kursen mit bei. Solche Notkäufe
von wettenden Hedgefonds gelten als ein Grund,
weshalb die Aktienkurse der beiden Banken bei
günstigen Nachrichten so extrem deutlich angestie-
gen sind.
Mitarbeit: Jürgen Röder

Wirecard

Spekulation mit


Tradition


D


ie Aktie des Zahlungsdienstleisters Wire-
card ist schon seit über einem Jahrzehnt
ein beliebtes Ziel von Spekulanten. Erst
recht seit dem vergangenen Jahr, als Vorwürfe
um Betrug, Geldwäsche und Bilanzmanipulation
dem Kurs erheblich zusetzten. In den vergange-
nen Wochen hat der Druck jedoch etwas nachge-
lassen. Am Dienstag meldete Coltrane Asset Ma-
nagement über den Bundesanzeiger, dass die
Netto-Leerverkaufsposition des Hedgefonds bei
0,57 Prozent nach zuvor 0,61 Prozent liegt.
Das war in der Vorweihnachtszeit noch anders.
Damals hatten sich sechs dieser spekulativen In-
vestoren aus den USA und Großbritannien posi-
tioniert. Ab einer Größe von 0,5 Prozent des aus-
gegebenen Aktienkapitals müssen sie ihren Anteil
im Bundesanzeiger melden.
Schwer zu durchleuchten ist allerdings weiter-
hin, wie viele sogenannte Shortseller sich unter-
halb der Meldeschwelle von 0,5 Prozent noch im-
mer gegen Wirecard positioniert haben. Die Fi-
nanzanalysefirma S3 hatte dazu im Januar Daten
veröffentlicht, wonach zu diesem Zeitpunkt rund
20 Prozent der Wirecard-Aktien leerverkauft wa-
ren. Im Moment soll die Zahl noch bei rund
18 Prozent liegen, berichten Insider.
Im Vergleich zur Situation vor rund einem Jahr
ist die jetzige Gemengelage allerdings nicht au-
ßergewöhnlich. Weil die Aufseher der Bafin da-

mals vermuteten, dass Spekulanten von der Ver-
öffentlichung kritischer Berichte gewusst und
sich entsprechend positioniert hatten, erließen
sie ein zweimonatiges Leerverkaufsverbot.
Auf der Gegenseite zu den Hedgefonds finden
sich seit einigen Wochen internationale Großban-
ken, die ihre Stimmrechte bei Wirecard aufge-
stockt haben und damit auf steigende Kurse set-
zen. Erst am Mittwoch meldete der Finanzinves-
tor Blackrock, dass dort nun insgesamt 5,57
Prozent an Wirecard-Anteilen gehalten werden.
Dabei wurden die direkt gehaltenen Aktien auf
2,89 Prozent leicht reduziert, die indirekt über
Derivate gehaltenen Papiere wurden mit 2,68
Prozent etwas mehr. In den Tagen davor hatten
Société Générale, Bank of America, Morgan Stan-
ley und Goldman Sachs ihre Stimmrechte aufge-
stockt. Dabei halten Morgan Stanley und Gold-
man Sachs Stimmrechte im zweistelligen Pro-
zentbereich. Den größten Teil jedoch nicht
direkt, sondern über Derivate. Christian Schnell

land, Italien und Griechenland sowie in Großbritan-
nien gegen die angeschlagene Metro Bank. Dagegen
machen die „Zocker“ einen Bogen um jene Groß-
banken, die als besonders stabil und profitabel gel-
ten – zum Beispiel die spanische Santander oder die
französische BNP Paribas.
Ein besonders schlechtes Timing bewiesen die
Hedgefonds Marshall Wace sowie Caxton Europe.
Wenige Tage, nachdem sie ihre jüngsten Wetten ge-
gen die Deutsche-Bank-Aktie aufgesetzt hatten, gab
das Institut am 6. Februar den Einstieg der Capital
Group als neuer Großaktionär bekannt. Dabei han-
delt es sich um einen langfristig orientierten Inves-
tor. Das katapultierte den Aktienkurs deutlich nach
oben. Die britische Tochter des US-Hedgefonds Cax-
ton zog die Reißleine noch am selben Tag – und ver-
lor dabei wohl knapp 12,9 Millionen Euro, wie die
Leerverkaufsdatenbank des Handelsblatts zeigt.
Die Wette von Marshall Wace läuft dagegen noch,
liegt derzeit aber rund 16 Millionen Euro unter null.
Marshall Wace mag sich damit trösten, dass seine äl-
teren Wetten gegen die Deutsche Bank wesentlich er-
folgreicher verliefen. Rechnet man alle Transaktio-
nen seit Ende 2016 zusammen, dürfte der Investor
mit seinen wiederholten Spekulationen etwa 70 Mil-
lionen Euro verdient haben.

Gute Nachrichten bei den Banken
Auch die Wetten von Hedgefonds wie Millennium In-
ternational oder WorldQuant sind aktuell defizitär.
Etwas glücklicher agierte zuletzt AQR Capital Ma-
nagement. Immerhin liegt die seit Herbst 2017 exis-
tierende Wette gegen den Kurs der Deutschen Bank
noch mit 122 Millionen Euro im Plus. Im August 2019
war die Position allerdings einmal fast 300 Millionen
Euro wert.
Ob sich die Wetten langfristig gesehen doch wie-
der lohnen, muss sich erst noch zeigen. Es gibt eini-
ge gute Gründe dafür, dass es zuletzt für europäische
Banken an den Aktienmärkten etwas besser lief.
Zum einen gab es bei der Deutschen Bank und bei
der Ubi Banca ganz individuelle gute Nachrichten.
Bei der Deutschen Bank etwa hat sich die Kapital-
quote stabilisiert. Bei der Ubi Banca war es das Über-
nahmeangebot des Konkurrenten Intesa.
Einige Investoren zeigen sich außerdem erleichtert
über die Lockerung wichtiger Kapitalvorschriften für
Banken in Europa. Im Laufe dieses Jahres ändern
sich bestimmte Gesetze in der Europäischen Union.
Sie führen dazu, dass Banken ihre Kapitalpolster
künftig nicht mehr vollständig mit dem teuren har-
ten Kernkapital – damit sind Aktien und einbehalte-
ne Gewinne gemeint – befüllen müssen, sondern mit
verschiedenen aktienähnlichen Instrumenten wie
zusätzlichem Kernkapital oder Ergänzungskapital.
Die Ratingagentur Scope sprach daraufhin schon
im Dezember von einem Signal, „dass die Regulie-
rung im Bankensektor ihren Höhepunkt erreicht
hat“. Reagieren tun Investoren allerdings erst all-
mählich. Inzwischen haben Unicredit, Deutsche

Leerverkäufe
Netto-Leerverkaufspostionen
für die Deutsche Bank

Anteil von Netto-Leerverkaufspositionen

Dax
1

2
3

1

2
3

12

24

Deutsche Bank

Wirecard
Lufthansa

4,7

4,1
4,0

16,9

13,2
11,0

3,4

1,8

K+S

Evotec
Thyssen-Krupp

...
Aareal Bank

...
Commerzbank

MDax

HANDELSBLATT Quellen: Bundesanzeiger, vwd, eigene Berechnungen. Erstellt von Handelsblatt u. Data Science and Stories


  1. Q.
    2017

    1. Q.
      2018



  2. Q.
    2019

  3. Q.
    2020


7 6 5 4 3 2 1 0

in Prozent des Aktienkapitals

Wirecard-
Messestand:
Der Zahlungs -
verkehrsdienstleister
ist häufig Ziel
von Attacken.

REUTERS

Was die


Rahmen -


bedingungen


für Banken


angeht, hat


sich nichts


zum


Besseren


gewendet.


Marc Decker
Merck Finck

Finanzen & Börsen


DONNERSTAG, 20. FEBRUAR 2020, NR. 36
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