Handelsblatt - 20.02.2020

(Ann) #1
Susanne Schier Frankfurt

B


ei einem Sturz vom
Fahrrad oder von der
Leiter bleiben manch-
mal dauerhafte Schäden
zurück. Gut ist, wenn
der Verunglückte zumindest gegen
die finanziellen Folgen abgesichert
ist. Versicherer verkaufen daher ger-
ne private Unfallversicherungen. Die-
se Policen können sinnvoll sein, bie-
ten aber nicht in jedem Fall den rich-
tigen Schutz.
Die Zahlen zu Unfällen werden in
Deutschland nicht einheitlich erfasst.
Zuletzt hat die Bundesanstalt für Ar-
beitsschutz und Arbeitsmedizin
(BAuA) eine Gesamtsumme aus ver-
schiedenen Datenquellen ermittelt:
Demnach gab es im Jahr 2015 rund
zehn Millionen Unfallverletzte und
fast 25 000 Unfalltote. Etwa jeder
achte Mensch hatte also statistisch
gesehen hierzulande einen Unfall.
Fast 40 Prozent all dieser Unfälle er-
eigneten sich in der Freizeit.
Zahlreiche Verbraucher sind versi-
chert: Dem Gesamtverband der
Deutschen Versicherungswirtschaft
(GDV) zufolge hatten die privaten Un-
fallversicherer 2018 insgesamt 25,4
Millionen Verträge im Bestand. Für
die Versicherungskonzerne ist das
Geschäft einträglich. Beiträgen in Hö-
he von 6,5 Milliarden Euro standen
nur knapp 3,4 Milliarden Euro an ge-
zahlten Leistungen an die Versicher-
ten gegenüber.
Kern der privaten Unfallversiche-
rung ist eine Kapitalleistung. Der Ver-
sicherer zahlt diese, sofern eine dau-
erhafte Schädigung nach dem Unfall
zurückbleibt. Dauerhaft heißt in der
Regel mindestens drei Jahre – und
ohne Aussicht auf Besserung.
Die Police ist also vor allem dafür
da, einen größeren Geldbedarf nach
einem Unfall zu decken, um bei-
spielsweise ein Fahrzeug oder die
Wohnung umzubauen. Die Kosten

für die unmittelbare Behandlung
nach dem Unfall übernimmt dagegen
die Krankenversicherung, die jeder
Bürger in Deutschland haben muss.
„Wenn umfangreiche Bergungsar-
beiten notwendig sind, die von den
gesetzlichen Krankenkassen nur teil-
weise übernommen werden, zahlt
die Unfallversicherung auch diese
Kosten, zumindest bis zur vereinbar-
ten Versicherungssumme“, erklärt
Bianca Boss vom Bund der Versicher-
ten (BdV). Daher empfehlen Exper-
ten die private Unfallversicherung
vor allem Sportlern mit Hobbys wie
Paragliding, Skifahren oder Tauchen.
„Allerdings sollten Verbraucher ihrer
Sportart beim Abschluss der Versi-
cherung unbedingt angeben, damit
bei einem Unfall dann auch tatsäch-
lich ein Versicherungsschutz be-
steht“, sagt Elke Weidenbach, Versi-
cherungsreferentin bei der Verbrau-
cherzentrale NRW.

Was als Unfall gilt
Als Unfall wird indes ein Ereignis be-
zeichnet, das plötzlich von außen auf
den Körper einwirkt. „Stürzt jemand
einfach so ohne erkennbaren Grund,
zählt das für die Versicherung nicht
unbedingt als Unfall“, schränkt das
Internetportal „Finanztip“ ein. Ist
der Versicherte dagegen über eine
Baumwurzel oder eine lose Gehweg-
platte gestolpert, gelte das als Einwir-
kung von außen. Das Verbraucher-
magazin „Finanztest“ weist zudem
darauf hin, dass nur sehr gute Tarife
zahlen, wenn der Unfall Folge einer
Bewusstseinsstörung durch Alkohol-
oder Medikamentenmissbrauch, ei-
nes epileptischen Anfalls oder eines
Herzinfarkts war.
Kommt es zum Versicherungsfall,
zahlt der Versicherer einen Prozent-
satz der vereinbarten Invaliditäts-
summe. Dieser Prozentsatz orientiert
sich daran, wie stark der Versicherte

in seiner körperlichen und geistigen
Leistungsfähigkeit beschränkt ist. Für
einige Körperteile und Sinnesorgane
sind feste Prozentsätze vereinbart,
die sogenannte Gliedertaxe.
Finanztest hat private Unfallversi-
cherungen zuletzt im September
2018 unter die Lupe genommen und
kam zu dem Ergebnis, dass die ange-
botenen Tarife sehr unterschiedlich
seien. Oftmals werde im Ernstfall zu
wenig gezahlt. Die Gliedertaxen un-
terscheiden sich demnach teilweise,
sowohl zwischen einzelnen Versiche-
rern als auch zwischen den verschie-
denen Tarifen eines Anbieters.
Ein Betroffener erhalte dadurch je
nach Tarif bei gleicher Beeinträchti-
gung eine unterschiedliche Geldleis-
tung. Gute Policen gebe es schon ab
69 Euro pro Jahr. Auch lohne es sich
häufig, Altverträge zu wechseln.
Weidenbach empfiehlt „vielen Ver-
brauchern, einen Vertrag mit einer

Invaliditätsgrundsumme von mindes-
tens 100 000 Euro zu wählen“. Ist
die Familie vom Einkommen des Ver-
sicherten abhängig, gilt laut BdV fol-
gende Faustregel: Bei einem 30-jähri-
gen Versicherten sollte die Summe
dem sechsfachen Bruttojahresein-
kommen entsprechen, bei einem
40-jährigen dem fünffachen Brutto-
jahreseinkommen und bei einem
50-jährigen dem vierfachen Brutto-
jahreseinkommen.
Der Tarif sollte zudem eine Pro-
gression von 225 bis 350 Prozent bei
Vollinvalidität beinhalten. Je höher
der Invaliditätsgrad, desto höher fällt
die Versicherungsleistung aus. Auch
eine Todesfallsumme von 10 000 bis
20 000 Euro halten die Verbraucher-
schützer für sinnvoll.
Nach einem Unfall sollten Versi-
cherte darauf achten, bestimmte
Fristen einzuhalten. So sollten sie zü-
gig einen Arzt aufsuchen und am bes-

Versicherungen


Unfallversicherungen


von Fall zu Fall


Eine Absicherung für dauerhaft bleibende Schäden


nach einem Unfall ist sinnvoll. Den richtigen


Schutz bieten die Policen allerdings nicht immer.


Westend61/Getty Images

Wenn


umfangreiche


Bergungs -


arbeiten


notwendig


sind, die von


gesetzlichen


Krankenkassen


nur teilweise


übernommen


werden,


zahlt die


Unfallver -


sicherung


auch diese


Kosten.


Bianca Boss
Bund der Versicherten

Größte private Unfallversicherer 2018 nach Verträgen

3 937 498
1 965 006
1 815 111
1 399 872
1 230 866
1 096 833
1 038 033
1 017 809
949 569
937 952
924 652

Allianz
Debeka Allg.
Ergo
R+V Allg.
Aachenmünchener
Signal Iduna Allg.
Bayer. Versicherungsverband
Huk-Coburg a.G.
LV M
DEVK Allg.
Huk-Coburg Allg.

Spitzenreiter Allianz

HANDELSBLATT Quellen: V.E.R.S. Leipzig GmbH, Versicherungsjournal

Private Geldanlage
DONNERSTAG, 20. FEBRUAR 2020, NR. 36
36

ten die Versicherung informieren,
selbst wenn noch nicht sicher ist, ob
ein dauerhafter Schaden von dem
Unfall zurückbleibt. Die Invalidität
muss ein Arzt spätestens nach 15 Mo-
naten feststellen, damit der Versiche-
rungsschutz greift.

Assistance-Leistungen
Möglich ist, die Unfallversicherung mit
sogenannten Assistance-Leistungen zu
kombinieren. Angeboten werden
Dienstleistungen wie etwa ein Menü-
service, eine Begleitung bei Arzt- und
Behördengängen oder eine Haustier-
betreuung. Insbesondere für Senioren
kann ein solcher Zusatz sinnvoll sein.
Laut BdV sollten Verbraucher da-
rauf achten, dass der Versicherer die-
se Hilfsleistungen nicht nur vermit-
telt, sondern auch die Kosten dafür
übernimmt. Zudem steht meist im
Kleingedruckten, wie lange diese
Leistungen in Anspruch genommen
werden können.
Senioren sollten bei der Tarifwahl
ihrer Unfallversicherung auch auf
den sogenannten Mitwirkungsanteil
achten. Dieser sollte mindestens 50
Prozent betragen, damit die Versiche-
rung ganz oder teilweise zahlt, wenn
Vorerkrankungen zum Unfall beige-
tragen haben. Bei der Unfallversiche-
rung einen Tarif mit Prämienrückge-
währ zu wählen, hält der BdV hinge-
gen nicht für sinnvoll. Auch auf
andere Extras wie eine Dynamik
oder ein Unfall-Krankenhaustagegeld
sollten Verbraucher eher verzichten.
Besonders wichtig ist eine private
Unfallversicherung für Selbstständige
und Personen ohne Beruf. Beschäf-
tigte sind hingegen über ihren Arbeit-
geber in der gesetzlichen Unfallversi-
cherung pflichtversichert. Diese ist
zur Absicherung bei Arbeitsunfällen
und Berufskrankheiten da. Sie ist ne-
ben der medizinischen Behandlung
vor allem für die Rehabilitation und
Wiedereingliederung des Beschäftig-
ten ins Arbeitsleben zuständig. Bei
dauerhaften Schäden zahlt sie auch
eine monatliche Rente.
Auch Kitakinder, Schüler und Stu-
denten sind gesetzlich unfallversi-
chert. Der Schutz gilt jeweils nur bei
der Arbeit, in der Kita, Schule oder
Hochschule sowie auf dem Weg dort-
hin und zurück. „Da dieser Versiche-
rungsschutz jedoch nicht immer und
überall gilt und auch keine hohen Ka-
pitalzahlungen für Unfallgeschädigte
vorsieht, empfiehlt es sich, ergän-
zend eine private Unfallversicherung
abzuschließen“, rät Finanztest.
Was die gesetzliche Unfallversiche-
rung als Arbeits- oder Wegeunfall ak-

zeptiert, ist nicht immer ganz einfach
zu beantworten. Im Fall einer Frau,
die im Homeoffice arbeitete, ein Glas
Wasser trinken wollte und sich auf
dem Weg in die Küche verletzte, ent-
schied das Bundessozialgericht (BSG)
beispielsweise, dass dies kein Fall für
die gesetzliche Unfallversicherung sei
(AZ: B 2 U 5/15 R). Das Trinken habe
keinen Bezug zur beruflichen Tätig-
keit gehabt.
Professor Tim Jesgarzewski, Ar-
beitsrechtler an der FOM-Hochschu-
le, gab in einem Interview mit der
Verlagsgruppe Madsack vor Kurzem
zu bedenken, dass der Fall wohl an-
ders ausgegangen wäre, wenn die
Frau auf dem Weg vom Arbeitsplatz
zur Kantine ausgerutscht wäre.
Solche Grenzfälle führen häufiger
zu Streitigkeiten: Erst im Januar hat
das BSG mehrere weitere Urteile zur
Unfallversicherung gesprochen.
Demnach ist auch ein Unfall bei ei-
nem Tankstopp auf dem Heimweg
nicht von der gesetzlichen Unfallver-
sicherung abgedeckt (Az. B 2 U 9/18
R), ebenso wenig wie einer auf dem
Weg zur Kita bei Homeoffice-Be-
schäftigten (Az. B 2 U 19/18 R). Wer
hingegen nicht von seinem Wohnort
sondern von einem dritten Ort aus
auf direktem Weg zur Arbeit fährt
und einen Unfall hat (Az. B 2 U 2/18
R und Az. B 2 U 20/18 R), kann auf
Geld von der Unfallkasse setzen.

Invaliditätsversicherung
Der BdV weist indes darauf hin, dass
die Unfallversicherung grundsätz-
lich nicht geeignet sei, den Verlust
der Arbeitskraft finanziell abzufe-
dern. Hierfür sollten Beschäftigte ei-
ne Berufsunfähigkeitsversicherung
(BU) abschließen, die im Versiche-
rungsfall eine Rente zahlt. „Für
Menschen, die wegen Vorerkran-
kungen keine oder nur eine sehr
teure BU abschließen können, bietet
eine Unfallversicherung aber we-
nigstens einen gewissen, wenn auch
nur punktuellen Schutz“, sagt Wei-
denbach von der Verbraucherzen-
trale NRW.
Bei Kindern rät sie zu einer Invali-
ditätsversicherung. „Sie macht vor
allem deshalb Sinn, weil die Wahr-
scheinlichkeit deutlich höher ist,
dass Kinder wegen einer Krankheit
invalide werden und nicht wegen ei-
nes Unfalls“, so die Versicherungs-
expertin. Allerdings sind die Beiträ-
ge für die Kinderinvaliditätsversi-
cherung deutlich höher als für die
Unfallversicherung. Es ist also eine
Abwägungssache, was sich die El-
tern leisten können oder wollen.

Dossier Ratgeber
Versicherungen

Für Premium-Nutzer
Lesen Sie in unserem
31-seitigen PDF-
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brauchen. Download
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com/ratgeber-versi-
cherungen

Versicherer

Check24-Urteil


im April


HUK Coburg wirft dem
Vergleichsportal irreführende
Werbung vor. Das Kölner
Landgericht will nun bald
eine Entscheidung fällen.

Carsten Herz Frankfurt

D


er Rechtsstreit zwischen der
HUK Coburg und dem Ver-
gleichsportal Check24 vor
dem Kölner Landgericht läuft auf ei-
ne Entscheidung zu. Die Richter
nannten am Mittwoch mit dem 22.
April jetzt erstmals einen Verkündi-
gungstermin für ein Urteil über die
Klage des oberfränkischen Versiche-
rers gegen die „Nirgendwo-günstiger-
Garantie“ von Check24. Das bestätig-
ten Sprecher des Portals und des Ver-
sicherers übereinstimmend. Zuvor
hatten die Richter beide Seite erneut
in einer mündlichen Verhandlung an-
gehört. HUK Coburg wirft Check24
vor, mit der „Nirgendwo-günstiger-
Garantie“ auf den Webseiten des Por-
tals die Kundschaft in die Irre zu füh-
ren. Die Versicherung argumentiert,
dass sich auf dem Portal keineswegs
immer die günstigsten Versicherun-
gen finden.
Es ist nicht das erste Mal, dass bei-
de Seiten sich vor Gericht sehen. Das
größte deutsche Vergleichsportal
steht schon länger in langwierigen
Rechtsstreitigkeiten mit dem Versi-
cherer. So ist es bereits die zweite
Klage des oberfränkischen Versiche-
rers allein in Köln gegen das Werbe-
versprechen der Münchener. Nach
dem ersten Prozess hatte Check24
die Garantie nachgebessert, die kla-
gende Versicherung hält das aber
nicht für ausreichend. Die HUK Co-
burg verkauft ihre Policen nicht über
Check24, weil sie die Provisionen
nicht zahlen will, die das Münchener
Online-Unternehmen von den Versi-
cherungen verlangt.
Erst vor wenigen Tagen erzielte
HUK Coburg vor dem Landgericht
Berlin einen Etappensieg gegen
Check24. Die Richter erklärten im
Streit der beiden Seiten über den
Kündigungsservice des Portals in der
Kfz-Versicherung per einstweiliger
Verfügung bestimmte Formulierun-

gen der Münchener für irreführend.
Das Gericht betonte, dass Check24 ei-
ne Botenvollmacht benötige, um die
Kündigungen umzusetzen. Das Ver-
gleichsportal hält den Streit in der Sa-
che allerdings noch nicht für beige-
legt. Das Hauptsacheverfahren um
den Kündigungsservice und das dies-
bezügliche Verhalten der HUK sei
noch nicht eröffnet, betonte das Por-
tal. Eine entsprechende Klage werde
derzeit von der Firma vorbereitet.
Abgesehen von der HUK Coburg
hat auch der Bund der Versicherungs-
kaufleute Check24 mehrmals ver-
klagt. Erst Anfang Februar untersagte
das Münchener Landgericht dem Ver-
gleichsportal, weiter mit Konstruktio-
nen wie den „Versicherung Jubiläums
Deals“ zu werben. Demnach darf das
Vergleichsportal keine finanziellen
Zuwendungen von Dritten mehr bei
Abschluss eines Versicherungsvertra-
ges gewähren. Die Vorsitzende Rich-
terin sprach gleich zu Beginn der Ur-
teilsverkündung von einer „vollum-
fänglichen Klagestattgabe“.
Bereits seit dem Jahr 2015 schwelt
der Konflikt zwischen dem BVK und
Check24. Mehrmals trafen sich die
Kontrahenten vor Gericht. Im We-
sentlichen ging es dabei um die Fra-
ge, ob das Vergleichsportal gegen das
Provisionsabgabeverbot verstößt. Da-
bei erzielten die Versicherungskauf-
leute mitunter juristische Erfolge.
Die Klagen sind auch Ausdruck ei-
ner verschärften Konkurrenzsituati-
on. So gewinnen digitale Plattformen
bei der Neugewinnung von Kunden
immer mehr an Bedeutung. Viele
Menschen buchen Flüge nicht bei
einzelnen Airlines, sondern über Por-
tale wie Expedia oder Opodo. Hotels
werden über Vermittler wie HRS
oder Booking.com vermarktet, und
auch Versicherungsverträge werden
zunehmend über Portale wie
Check24 oder Verivox vermittelt.
„Wir werden angegriffen, weil wir so
erfolgreich sind“, klagte jüngst
Check24-Gründer und -Geschäftsfüh-
rer Henrich Blase. Das Portal habe in
fünf Jahren insgesamt sechs Millionen
Fahrzeuge in der Kfz-Versicherung
vermittelt. Die Portale leben aller-
dings von Provisionen, auch wenn sie
für die Kunden objektiv erscheinen.

 
    
 
 



  

 


 



 

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DONNERSTAG, 20. FEBRUAR 2020, NR. 36
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