Handelsblatt - 20.02.2020

(Ann) #1

M


itglieder einer libanesischen Fa-
milie, die mafiöser Verbrechen
verdächtigt werden wie Erpres-
sung, Drogenhandel, Diebstahl
einer Riesengoldmünze (100
kg!) aus dem Berliner Bode-Museum und der
Geldwäsche von Millionen von Euro durch Im-
mobiliengeschäfte. Diese Geschichte aus Berlin
erinnert die ganze Welt daran, dass Deutschland
wenig Grund hat, Länder zu verspotten, die von
Veruntreuungsskandalen wie den jüngsten Luan-
da-Leaks in Angola erschüttert werden. Deutsch-
land erscheint als große Wirtschaft, international
vernetzt, mit einer Kultur der Geheimhaltung
und praktisch chancenlos, Geldwäscher zu ent-
larven und zu bestrafen. Davon träumen Krimi-
nelle. Jedes Jahr werden hierzulande bis zu 100
Milliarden Euro gewaschen, so eine wissenschaft-
liche Studie für das Finanzministerium.
Wenn illegale Gelder im Immobiliensektor ge-
waschen werden, finanziert das nicht nur Mafias
und Terroristen, sondern trägt auch zu steigen-
den Mieten und Kaufpreisen bei. In Berlin stie-
gen die Umsätze mit Wohnimmobilien von 3,6
Milliarden Euro im Jahr 2009 auf elf Milliarden
Euro in 2018, die Preise explodierten. Deshalb
können wir nur begrüßen, dass Deutschland
nach Jahren des Leugnens endlich entschlossen
scheint, seinen Ruf als „Gangsterparadies“ loszu-
werden. Laut dem vom Tax Justice Network – ei-
nem in London ansässigen Thinktank, in dessen
Vorstand ich bin – veröffentlichten Schattenfi-
nanzindex 2020 konnte Europas führende Wirt-
schaft ihren Beitrag zur globalen Schattenfinanz-
wirtschaft drastisch reduzieren. Sie ist von Platz
sieben im Index 2018 auf Platz 14 zurückgefallen.


Diese Verbesserung ist vor allem auf die Um-
setzung neuer EU-Richtlinien zurückzuführen –
zum Beispiel das Ende der Verschleierung von
Offshore-Investoren durch Register für Unter-
nehmenseigentum. Bisher konnten sich Krimi-
nelle hinter anonymen Firmenmänteln verste-
cken. Durch die neuen Register wird für alle in
der Europäischen Union gegründeten Firmen
aufgedeckt, wer diese letztlich kontrolliert.
Nur wenige Länder haben diese Regeln recht-
zeitig umgesetzt. Das zügige Handeln Deutsch-
lands ist umso beeindruckender, als die Offenle-
gungspflichten auf ausländische Trusts und
Briefkastenfirmen, die deutsche Immobilien er-
werben, ausgeweitet wurde. Das geht sogar über
das von der EU Verlangte hinaus. Diese Ent-
scheidung fiel trotz heftiger Widerstände insbe-
sondere vonseiten der mächtigen „Deutschland-
dynastie“: Im Namen der Tradition drohen gro-
ße Familienunternehmen, ihre Kultur der
Geheimhaltung vor Gericht zu verteidigen.
Viele Unternehmen glauben, dass sie ein
Recht darauf haben, ihre Gewinne nicht offen-
zulegen – obwohl viele von ihnen in Wirklichkeit
multinationale Konzerne sind. Ihr Gegenangriff
hat bereits begonnen. Im vorigen November war
Deutschland wegen ihrer Lobbyarbeit eines der
15 europäischen Länder, die einer neuen EU-
Richtlinie ihre Unterstützung versagten. Diese
fordert von multinationalen Unternehmen auf-
zudecken, wie viel Gewinn sie machen und wie
wenig Steuern sie in jedem Land der Erde zah-
len.
Wenn es Konzernen und Superreichen ge-
lingt, ihren fairen Anteil an Steuern nicht zu
zahlen, können Regierungen nicht in den Zu-

gang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und in
Renten investieren oder Maßnahmen zur Milde-
rung der Klimakrise ergreifen. Mit dem Verweis
auf leere Kassen entscheiden sich Regierungen
oft für Sparmaßnahmen, die populistische Ge-
genreaktionen und den Autoritarismus fördern.
Berlin muss nun beweisen, dass es seine
strengeren Gesetze durchsetzen will. Dazu wird
es bald Gelegenheit geben, wenn die Experten
der Financial Action Task Force (FATF), dem
wichtigsten internationalen Gremium zur Ver-
hinderung von Geldwäsche, Deutschland ab
April unter die Lupe nehmen. Im Jahr 2010 wa-
ren die Experten entsetzt. Deutschland hatte 20
der 49 Kriterien nicht erfüllt und war der
schwarzen Liste des Gremiums nur knapp ent-
kommen. Um eine Wiederholung zu verhin-
dern, sollte Berlin mutige Schritte gehen: Staats-
anwaltschaften, Polizei und Aufsichtsbehörden
besser ausstatten und alte Inhaberaktien, die ih-
ren Besitzern trotz aller Transparenzregister
völlig anonymen Besitz von Unternehmen er-
möglichen, annullieren.
Mit dem Brexit besteht die Gefahr, dass sich
Großbritannien in ein „Singapur an der Them-
se“ verwandelt, also in einen noch schädliche-
ren Schattenfinanzplatz. Aber der Brexit bietet
auch eine Chance: Außerhalb der EU wird das
Königreich Maßnahmen gegen das britische
Spinnennetz aus Steueroasen in Brüssel nicht
mehr blockieren können. Brüssel und Berlin ha-
ben dann keine Entschuldigung mehr dafür, die
Finanztransparenz nicht auszubauen.

Gangsterparadies


Deutschland


Unternehmer, die ihre Gewinne gezielt


verschleiern, kritisiert Markus Meinzer.


Der Autor ist Direktor bei der Nichtregierungs -
organisation Tax Justice Network.

ddp/INTERTOPICS/pa [M]

Mit dem Brexit


besteht die


Gefahr, dass


sich Groß -


britannien in


ein ,Singapur


an der Themse‘


verwandelt,


also in einen


noch


schädlicheren


Schatten -


finanzplatz.


     


 
  
  
 

 
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Gastkommentar
DONNERSTAG, 20. FEBRUAR 2020, NR. 36
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