Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1

»Die Union


wird sich


von ihrem


Dogma


lösen


müssen«


»Die Linke


hat einen


anderen


Wertekanon


als die


Union«


Karin Prien, 54,
ist seit 2017
CDU-Bildungsministerin
von Schleswig-Holstein

STREIT

»Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine.« HELMUT SCHMIDT


DIE ZEIT: Frau Prien, Sie stammen aus einer jü-
dischen Familie, die erst von den Nazis, dann von
Kommunisten verfolgt wurde. Trotzdem finden
Sie, die CDU sollte sich für eine Zusammenarbeit
mit der Linkspartei öffnen und in Thüringen
Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten-Amt
verhelfen. Warum?
Karin Prien: Ich kann mitnichten plötzlich dem
Kommunismus etwas abgewinnen, denn der hat
in seinen Ausprägungen genauso totalitäre Züge
wie der Nationalsozialismus. Trotzdem schaue ich
mir, wie im Fall der Linken in Thüringen, genau
an: Was sind das für Menschen? Welche Positio-
nen vertreten sie? Und gibt es eine Möglichkeit,
mit ihnen punktuell zusammenzuarbeiten, um
dieses Bundesland regierungsfähig zu machen?
ZEIT: Aber dazu müsste die CDU eben einem Mi-
nisterpräsidenten der Linken zustimmen.
Prien: Nach dem Debakel der Wahl Kemmerichs
und der verpassten Chance mit Christine Lieber-
knecht als Interimsministerpräsidentin muss es ja
irgendwie weitergehen. Bodo Ramelow sollte
nicht von der gesamten CDU-Fraktion gewählt
werden. Eine mehrheitliche Enthaltung wäre der
bessere Weg, zumal Ramelows Amtszeit auf ein
Jahr begrenzt wäre. Das mag nicht die beste Lö-
sung sein, aber vielleicht ist es der einzige Ausweg
aus dieser verfahrenen Situation. Vor allem zeigt
das Ganze, dass es Möglichkeiten gibt für Grau-
töne, wie immer im politischen Leben.
Holger Stahlknecht: Für Thüringen wäre eine
Neuwahl der bessere Weg. Eine Zusammenarbeit
mit der Linken würde unsere Partei, gerade im
Osten, zerreißen. Wir haben hier Mitglieder, die
vor 1989 auf die Straße gegangen sind, die in der
Kirche engagiert waren und sind, die verfolgt wur-
den, im Gefängnis saßen. Denen kann man nicht
sagen: Dreißig Jahre später ist das vergessen und
die Welt eine andere!
Prien: Das verstehe ich. Aber die CDU kann auch
nicht auf Dauer das Mantra »Rechts ist genauso
schlimm wie links, deshalb kommt beides nicht
für uns infrage« wiederholen und unsere Partei-
freunde in Thüringen – und vielleicht demnächst
auch anderswo – mit solchen Ergebnissen allein
lassen. Viele Wählerinnen und Wähler, übrigens
auch solche der CDU, sehen in Bodo Ramelow
einen Reformsozialisten. Wir würden doch auch
jemanden wie Alexander Dubček (ein ehemaliger
tschechoslowakischer Kommunist, der sich zum

Regimegegner wandelte, Anm. d. Red.) nicht in die
Nähe von Stalin stellen.
Stahlknecht: Unabhängig von Bodo Ramelow
bleibt die Linke die Linke. Wenn ich als Innenmi-
nister auf die Sicherheitsarchitektur in Deutsch-
land verweisen darf, gerade nach den grausamen
Anschlägen von Halle und Hanau: Ich kann doch
nicht mit einer Linken zusammenarbeiten, die in
den Bundesländern die Verfassungsschutzbehörden
auflösen will. Solche Forderungen bleiben etwas
unbeachtet, wenn sie von einem charismatischen
Ministerpräsidenten überdeckt werden. Die grund-
legende Frage über Thüringen hinaus aber lautet:
Wie gehen wir mit solchen Wahlergebnissen um?
Prien: Genau!
Stahlknecht: Und da würde ich fragen, was die
CDU, und zwar auch in Berlin, tun muss, damit
solche Wahlergebnisse nicht eintreten. Wir müssen
uns auf Inhalte konzentrieren statt auf Personal-
fragen. Das, was die Menschen am Frühstückstisch
besprechen, kommt in der medial vermittelten
Politik kaum noch vor: Können wir uns ein neues
Auto leisten, und zwar keinen Tesla, sondern einen
gebrauchten Passat? Mit welchem Nahverkehrs-
mittel kommen die Kinder morgens zu welcher
Schule? Hat der Vati in der Lausitz morgen noch
Arbeit im Tagebau? Diese Themen haben wir in
der CDU zuletzt zu wenig besetzt.
ZEIT: Eine Mehrheit der Unionsanhänger, Frau
Prien, lehnt eine Zusammenarbeit mit der Linken
ab, 64 Prozent laut Politbarometer. Selbst wenn
eine Kooperation Thüringen kitten würde, würde
sie nicht das Vertrauen in die Union zerstören?
Prien: Das käme drauf an. Wenn man bei entschei-
denden Zukunftsfragen wie Bildung und Sicher-
heit punktuelle Kompromisse findet, warum sollte
man diese nicht nutzen? Politik hat auch etwas mit
der Anerkennung von Tatsachen zu tun, und eine
Tatsache ist, dass Bodo Ramelow bei den Thürin-
gern eine Zustimmungsrate von 70 Prozent hat.
Stahlknecht: Ich würde hier differenzieren. Wenn
die Linke eine kluge Idee hat, wäre es töricht,
wenn die CDU diese aus ideologischen Gründen
ablehnte. Wir sind dem Wohl eines Landes ver-
pflichtet, nicht der eigenen Eitelkeit. Wenn aber
jetzt ein linker Ministerpräsident mitgewählt wer-
den sollte, hätte das eine ganz andere Symbolkraft,
auch nach innen.
Prien: Das ist mir klar. Auf der anderen Seite hat
das, was in Thüringen passiert ist, die Wahl eines

Ministerpräsidenten mithilfe der AfD, die ganze
Republik erschüttert. Und es ist einfach nicht
glaubwürdig, wenn mancher in der CDU keine
klare Abgrenzung von der AfD über die Lippen
bringt, ohne sich im gleichen Satz von der Linken
abzugrenzen. In Wahrheit ist es doch so, dass die
CDU selbst im Bundestag in Verfahrensfragen
schon lange mit der Linken zusammenarbeitet.
Mit der AfD darf das nicht geschehen – die Brand-
mauer gegenüber der AfD muss stehen, ohne
Wenn und Aber. Diese unterschiedlichen Parteien
müssen unterschiedlich behandelt werden.
Stahlknecht: Das teile ich. Wir dürfen niemals in
die Not geraten, die extremistischen Positionen der
AfD mittransportieren zu müssen. Nur sehen das
leider nicht alle in unserer Partei so, Frau Prien.
Wenn wir uns jetzt der Linken annähern, höre ich
schon, was kommt: Na, dann können wir das ja
wohl auch mit der AfD machen, mit denen haben
wir schließlich auch vereinzelt Schnittmengen! Das
brächte uns in gefährliche Argumentationsnot.
ZEIT: Aber ist eine Linke, die sich immer deut-
licher zur freiheitlichen Demokratie bekennt, nicht
etwas prinzipiell anderes als eine AfD, die sich im-
mer weiter von den Verfassungswerten entfernt?
Stahlknecht: Ich würde ungern eine Gleichsetzung
von Linken und AfD zulassen. Bei den Linken
sprechen andere Gründe gegen eine Kooperation,
zum Beispiel ihr unklares Bekenntnis zur Frage, ob
die DDR ein Unrechtsstaat war. Das liegt daran,
dass sie die Rechtsnachfolgerin der SED ist, also
dieselbe Partei unter anderem Namen. Sie hat
einen anderen Wertekanon als die Union, eine
andere Vorstellung von Eigentum und Vermögen.
Die Linke hat darüber hinaus ihr Verhältnis zum
Linksextremismus nie geklärt.
Prien: Einige Linke bemühen sich durchaus um
Aufarbeitung – auch wenn das bisher nicht aus-
reichend geschieht. Ich würde den antikapitalis-
tischen Ansatz der Linken immer bekämpfen, ich
finde diese Verstaatlichungs- und Enteignungsfan-
tasien furchtbar. Trotzdem hat das eine andere
Qualität als die Menschenverachtung der AfD.
Die Union wird sich von ihrem Dogma der
Linken- Abgrenzung lösen müssen.
Stahlknecht: Ihre Meinung, um das mal deutlich
zu sagen, wird sich derzeit, zumindest im Osten
Deutschlands, nur äußerst schwer umsetzen las-
sen. Ihrer Argumentation – lieber das weniger
Schlimme in Kauf zu nehmen, um das absolut

Böse abzuwenden – kann man sich allenfalls
schrittweise annähern. Über Nacht geht das nicht,
zumindest nicht in dem Teil Deutschlands, in dem
ich lebe. Und schon gar nicht auf Anordnung.
Prien: Ich gestehe Ihnen sofort zu, dass die Sicht-
weise bei Ihnen in Sachsen-Anhalt nicht die gleiche
sein kann wie etwa in Schleswig-Holstein. Aber der
Unvereinbarkeitsbeschluss des CDU-Parteitages
gegenüber AfD und Linken war in gewisser Hin-
sicht bequem. Dadurch musste man manche Argu-
mentationen gar nicht erst entwickeln. Jetzt muss
man es. Das wird ein schmerzhafter Prozess.
ZEIT: Frau Prien, Sie finden, die Linke sei der po-
litische Gegner, die AfD der politische Feind der
CDU. Was meinen Sie mit der Unterscheidung?
Prien: Die AfD ist eine Partei, die unsere Gesell-
schaftsordnung zerstören will. Herrn Ramelow un-
terstelle ich das nicht. Allerdings fällt es auch ihm
schwer, sich von bestimmten Gruppen zu distanzie-
ren, die zu Recht vom Verfassungsschutz beobach-
tet werden. Nicht, dass wir uns da falsch verstehen.
Stahlknecht: Ich würde noch weiter gehen: Die
AfD ist nicht nur unser Feind, sondern der Feind
unserer Verfassung. Das würde ich über die Lin-
ken im Parlament nicht sagen. Sicher gibt es in
den hinteren Reihen welche, die einen System-
wechsel wollen. Dennoch ist da schon ein qualita-
tiver Unterschied. Wir müssen uns bei allen Dis-
kussionen aber fragen, gerade nach dem historisch
schlechten Wahlergebnis in Hamburg: Bleibt die
CDU dann eine Volkspartei? Oder marginalisie-
ren wir uns dadurch wie die SPD?
Prien: Wir leben nun mal in einer Zeit, in der
Leute weniger Lust haben auf Volksparteien als
stabilisierenden Faktor. Ich finde das falsch, aber
wir haben inzwischen Landesparlamente, in denen
sich Wähler für fünf, sechs, sieben Parteien ent-
scheiden. Das ist die Realität – und Politik fängt
mit der Anerkennung der Realität an.
Stahlknecht: Da könnte man von der anderen Seite
genauso argumentieren, was wir beide nicht wollen:
Auch die AfD ist Realität. Wir müssen jetzt auf-
passen, dass wir uns wegen eines singulären Falles in
Thüringen nicht noch weiter ins Abseits schieben
und dadurch noch mehr solcher Ergebnisse provo-
zieren. Wir sind stark, wenn wir uns als CDU da-
rauf konzentrieren, was die Menschen bewegt.
Prien: Da sind wir uns völlig einig. Der sächsische
Ministerpräsident Michael Kretschmer hat bewie-
sen, dass man das so machen kann.

Stahlknecht: Oder Markus Söder, der eine klare
Linie gegenüber der AfD in Bayern vertritt.
Prien: Ein anderer Aspekt ist mir noch wichtig:
Wenn wir über den Umgang mit der Linken spre-
chen, sprechen wir in Wahrheit über den Umgang
mit unserer gemeinsamen und getrennten Ge-
schichte in Deutschland. Wie schaffen wir die
gesellschaftliche Aussöhnung, 30 Jahre nach dem
Mauerfall? Wie gehen wir mit Menschen um,
die sich gemeingemacht haben mit dem DDR-
Regime? Gerade uns Christdemokraten stellt sich
da die Frage: Gebe ich Menschen irgendwann
auch eine zweite Chance?
ZEIT: Die Thüringer Linke hat auf ihrem letzten
Parteitag Mathias Günther zu ihrem Geschäfts-
führer gewählt. Günther hat jahrelang für die
Stasi gespitzelt und war Unteroffizier bei den
Grenztruppen. Würden Sie sich mit ihm an einen
Kabinettstisch setzen?
Prien: An einen Kabinettstisch nicht, wir sprechen
ja hier nicht über Koalitionen. Ich kenne Herrn
Günther zwar nicht, aber ich würde mit ihm re-
den. Und ich würde ihn fragen, wie er zu seiner
Vergangenheit steht und welche Konsequenzen er
daraus für heute zieht. Es geht erst um das Land
und dann um die Partei, da sind wir uns, glaube
ich, auch einig.
ZEIT: Was soll »Land vor Partei« jetzt konkret
bedeuten?
Prien: Ich bin auch dafür, dass es in Thüringen
Neuwahlen geben sollte. Dann werden die Bürge-
rinnen und Bürger entscheiden, wie es weitergeht.
Die CDU kann daraus nur stark hervorgehen,
wenn sie sich in diesem Prozess schüttelt – und
dann auch Verantwortung übernimmt.
Stahlknecht: Im Verlaufe dieses Gespräches haben
sich Elbe und Ostsee, also Magdeburg und Kiel,
immer weiter angenähert. Das ist schon mal schön.
Die Versöhnungsfrage ist auch eine, die weit über
Politik hinausgeht. Gerade wenn jemand in jun-
gen Jahren in einem System sozialisiert wurde und
die Dinge später mit Abstand betrachtet, stellt
derjenige häufig fest: Er hätte gewisse Dinge viel-
leicht anders gemacht. Dann braucht man selbst
Demut – und die Größe des anderen, verzeihen zu
können. Ich glaube, genau das brauchen wir, um
eine Gesellschaft geschlossen zu halten.

Moderation:
Jochen Bittner und Josa Mania-Schlegel

Die Zerreißprobe


Soll sich die CDU für eine Zusammenarbeit mit der Linken öffnen? Ja, sagt die Kieler Bildungsministerin Karin Prien: Unter Umständen könne das klug sein.
Bloß nicht, widerspricht der Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht: Das würde die Union ruinieren

Holger Stahlknecht, 55,
ist seit 2011
CDU-Innenminister
von Sachsen-Anhalt

10 27. FEBRUAR 2020 DIE ZEIT No 10


Fotos: Henning Kretschmer für DIE ZEIT (l.); Rafael Heygster für DIE ZEIT (r.)

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