Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1

Von Tillmann Prüfer


Eine sehr verbreitete Variante des Fast Foods ist die Bowl. Also das,
was man im vorigen Jahrhundert einen »bunten Teller« genannt
hätte. Auf einer Basis aus beispielsweise Reis, Grünkohlblättern
oder Quinoa werden verschiedenste Zutaten in einer Schüssel auf-
einandergeschichtet: Avocadoscheiben, Mais, Paprika, Brokkoli,
Ei – Hauptsache, das Ganze sieht nachher schön bunt und gesund
aus. Auch in der Mode tauchen jetzt zunehmend Looks auf, die
optisch an Bowls erinnern: Es werden nicht nur möglichst zusam-
menhanglos verschiedenste Kleidungsstücke miteinander kom-
biniert, sondern auch Komponenten, die in ihrer Verbindung
höchst ungewöhnlich oder sogar unästhetisch erscheinen. Wer das
Geschmacklose liebt, dem nehmen gut ausgebildete Modedesigner
nun die richtige Auswahl ab.
Los ging es vor zwei Jahren mit »Ugly Sneakers«: Turnschuhen,
die bewusst klobig und unharmonisch gestaltet sind. Mittlerweile
werden unterschiedlichste Schuh-Gattungen miteinander gepaart.
Hogan hat zum Beispiel einen merkwürdigen Schuh im Angebot,
der eine Kombination aus Mokassin, Wildlederstrumpf und Sport-
schuh darstellt: Er hat eine dicke Gummisohle und eine in die
Höhe gezogene Form, die an eine Socke erinnert. Hinzu kommen
mehrere Lagen bunter Lederfransen.
Mag sein, dass Disharmonie gut in die Gegenwart passt. Im Kino
laufen ja auch keine Romantic Comedys wie Pretty Woman mehr,
sondern eher Scheidungsdramen wie Marriage Story. In der Politik
scheitern die gewohnten Koalitionen, und sogar die Royal Family
in Großbritannien zerbricht. Warum sollte es bei so viel Dysfunk-
tionalität ausgerechnet in der Mode noch harmonisch zugehen?
Mismatch sieht man derzeit überall: Bei Louis Vuitton gibt es eine
Bluse mit Kordeln, Keulenärmeln und großer Schluppe. Comme
des Garçons bietet eine Hose mit rosa Blumenapplikationen und
großen gefrästen Löchern an. Und Dolce & Gabbana kombiniert
bei einem Blazer Streifen mit Leopardenmuster und Strass-Steinen.
In einer Zeit, in der nichts mehr zueinanderzufinden scheint, passt
irgendwie alles.
Man kann nur spekulieren, wann sich das Chaos lichten wird.
Vielleicht wird einem mit der Zeit einfach all das, was heute als
anstößig und unharmonisch gilt, bald als ziemlich normal erschei-
nen. Beim Essen gibt es ja auch Speisen, die als traditionell gelten,
gleichzeitig aber total krude Kombinationen sind – wie etwa das
norddeutsche Gericht Labskaus, das aus Rollmops, Rindfleisch,
Kartoffeln, Roten Beten, Ei und sauren Gurken besteht. Dagegen
wirkt jede Bowl wie von gestern.


Soll gar nicht passen


Stil

Grillen ist so herrlich gesellig. Mit meiner Familie wohne ich im
Erdgeschoss eines Mietshauses. Wenn ich im Sommer vor der Tür
den Grill anschmeiße, ist das schon eine halbe Einladung an die
Nachbarn. Oft setzen sich Leute einfach zu uns, die etwas zum
Grillen dabeihaben, Maiskolben oder Kartoffeln zum Beispiel.
Dann sitzen wir lange beisammen und trinken Bier. Gibt es ein
schöneres Sommergefühl?
Mit dem tragbaren LotusGrill wollte ich nun ausprobieren, ob
dieses Gefühl auch mit Kollegen im Büro aufkommen kann. Das
Design gefällt mir, es erinnert mich an die Feuertöpfe, die man
in asiatischen Hot-Pot-Restaurants bekommt, wo viele Gerichte
auf dem eigenen Tisch zubereitet werden. Der Grillrost und die
Innenschale des Geräts sind aus Edelstahl, man kann sie also
problemlos in der Spülmaschine reinigen. Obwohl der Grill mit
Holzkohle betrieben wird, braucht man dank einer mitgelieferten
Brennpaste nur wenige Minuten, um ihn richtig anzuheizen. Der
Hersteller wirbt damit, der Grill sei raucharm, man könne ihn
»nahezu rauchfrei« anzünden. In der Tat ist ein kleiner batterie-
betriebener Lüfter eingebaut, der die Kohle belüftet. Er saugt den
Rauch nach unten in das Gerät hinein, die Ausdünstungen hängen
aber natürlich trotzdem im Raum.
Wir haben alles Mögliche gegrillt: Knoblauch, Lauch, Maiskolben.
Der Grill funktioniert einwandfrei. Leider haben wir unterschätzt,
wie intensiv das gegrillte Essen – auch ohne den Geruch verbrannter
Holzkohle – riechen wird. Wochenlang hat unser Büro nach unserer
Grillparty gestunken. Wir mussten viel lüften. Ich würde den Grill
empfehlen, ihn in Zukunft aber lieber in einer Laube oder auf dem
Balkon nutzen. Ich warte auf den Sommer.

Mirko Borsche heizt


im Büro einen raucharmen Grill an


Unter Strom

Mirko Borsche, Creative Director des ZEITmagazins,
schreibt jede Woche die Kolumne »Unter Strom«

Foto

LotusGrill

Foto Peter Langer


Technische Daten
Durchmesser Grillrost: 32 cm; maximale Kohlemenge: 250 g;
Gewicht: 3,7 kg; Preis: 169 Euro

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