Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1

N


icht einmal mehr an die einfachsten
Vorgaben halten sie sich in der CDU
jetzt noch. Eigentlich sollte beim
Treffen des Parteipräsidiums am
Montag dieser Woche eine neue
Regel der Parteichefin gelten: Alle lassen ihr Handy
aus! Zu oft wurden Interna in der Vergangenheit
direkt aus der Sitzung heraus an Journalisten ge-
simst. Aber auch an diesem Montag werden die
Medien wieder gefüttert: Noch während Annegret
Kramp-Karrenbauer mit ihren Parteikollegen den
Zeitplan für die Neuwahl des CDU-Vorsitzenden
bespricht, meldet eine Nachrichtenagentur schon
die Details.
Wenn der engste Kreis der CDU-Spitze dieser
Tage über sich selbst spricht, fällt gelegentlich das
Wort »Schlangengrube« – ein Beleg für das gegen-
seitige Misstrauen, vor allem aber für das Durch ein-
an der und die Führungslosigkeit in der Partei. Die
CDU mag immer noch eine Parteichefin haben, und
sie stellt auch immer noch die Kanzlerin. Dennoch:
Zum ersten Mal überhaupt in ihrer Geschichte ist die
größte deutsche Volkspartei kopf- und orien tie rungs-
los. Man spürt dieses Durch ein an der in Berlin, wo
sich das Kandidatenfeld für den Parteivorsitz binnen
weniger Tage ganz neu sortiert hat – aber noch lange
nichts entschieden ist. Und man spürt es in Thürin-
gen, wo CDU-Politiker bei der nächsten Minister-
präsidentenwahl heimlich für einen Linken stimmen
wollen und im Livemodus zu besichtigen ist, wie ein
Landesverband komplett die Orien tie rung verliert.
Bei der Hamburg-Wahl am vergangenen Sonntag
sagten 83 Prozent der Wähler, seit Angela Merkel den
Parteivorsitz abgegeben habe, wisse man nicht mehr,
wer in der CDU das Sagen habe. 80 Prozent bemän-
gelten, dass sich die CDU im Bund mehr um Per-
sonen und Ämter kümmere als um politische Inhalte.
Seit diesem Dienstag ist nicht nur klar, dass es einen
offenen Wettbewerb um den Parteivorsitz geben wird,
sondern welche relevanten Anwärter antreten wer-
den – und prompt haben sich die Kräfteverhältnisse
im Kandidatenfeld verschoben. Der parteipolitisch
mächtigste Mann, Armin Laschet, hat sich mit Jens
Spahn verbündet und damit einen Konkurrenten an
die Seite geholt. Norbert Röttgen – vergangene Wo-
che noch als großer Herausforderer angesehen – ist
auf einmal in die Außenseiterrolle gerutscht und will
nun als Doppelspitze zusammen mit einer Frau
kandidieren. Und Friedrich Merz, der immer schon
alles allein machen wollte, wirkt noch mehr als loner,
als Einzelgänger.
Viele in der CDU hoffen, die »tiefste Krise in der
Geschichte der Partei« (Spahn) möge sich durch Per-
sonalentscheidungen lösen lassen. Aber allen schwant,
dass es damit nicht getan sein wird. Denn hinter der
Führungskrise steckt eine fundamentale Orien tie-
rungs kri se: Die CDU weiß nicht mehr, wer sie ist und
wer sie sein will.
Genau deshalb wirkte Röttgens überraschende
Kandidatur, als habe jemand den Grauschleier bei-
seitegezogen: Klarheit, Entschiedenheit und eine
innere Überzeugung sprachen da, die man aus der
zerrissenen Union kaum noch kennt. Röttgen musste
nicht in die Statuten schauen, um zu wissen, was die
CDU von der AfD trennt, und er musste nicht nach
der Sprache des Kalten Kriegs greifen, um die Unver-
einbarkeit mit der Linkspartei zu beschreiben.
Aber schon in der Montagssitzung des Parteiprä-
sidiums brach auch die Wut über Röttgen durch.
Eine »absolute Unverschämtheit« sei es, Absprachen
in der Parteispitze als »Hinterzimmer-Deals« zu be-
zeichnen. Der nordrhein-westfälische Arbeitsminis-
ter Karl-Josef Laumann habe, so berichten Teil-
nehmer, mit der Faust auf den Tisch gehauen und
gerufen: »Der hat uns doch schon mal in die Scheiße

MACHT UND ...


E


s gab einen Moment, da schien die Karriere
von Olaf Scholz an ihrem Endpunkt ange-
kommen zu sein. Noch im Dezember, nach
seiner Niederlage im Rennen um den SPD-Vorsitz,
wirkte er wie jemand, der nicht mehr damit rech-
nete, dass er noch einmal aufsteigt. Keine zwei
Monate später tigert derselbe Mann durch Wahl-
sendungen, gibt den großen SPD-Erklärer und
schaut wieder hoffnungsfroh in die Zukunft.
Scholz will es noch einmal wissen. Und er hat
einen Plan, der ihn dorthin bringen soll, wo seiner
Meinung nach sein Platz ist: ins Kanzleramt.
Die Wahl in Hamburg spielt dabei eine zentrale
Rolle. Im Scholz-Lager glaubt man: Während das

neue Spitzenduo Esken/Walter-Borjans die SPD nach
links rücken will, zeigt das gute Ergebnis in der
Hanse stadt, dass die Partei nur mit einem Mitte-Kurs
Wahlen gewinnen kann. Wohnungen bauen statt
Wohnungsbesitzer enteignen, Sozialarbeiter ein-
stellen statt über Sozialismus reden. Politik machen
also, wie Scholz sie stets gemacht hat: ordentlich und
solide, auch wenn andere das für langweilig halten.
Scholz will nun beweisen, dass sich mit der Me-
thode Hamburg auch im Bund etwas bewegen lässt.
Im März wird er ein Konzept zur Sanierung der Kom-
munalfinanzen vorlegen. Damit Städte und Gemein-
den wieder mehr investieren können, sollen deren
Schulden auf den Bund übertragen werden. Dazu

soll sogar die Schuldenbremse im Grundgesetz ein-
malig ausgesetzt werden – bislang ein Tabu für die
Koa li tion. Im Juli will er ein internationales Ab-
kommen auf den Weg bringen, damit Digitalkon-
zerne wie Google oder Face book ihre Gewinne nicht
mehr so leicht in Steueroasen verschieben können.
Scholz glaubt, dass er als Kanzlerkandidat mit
Heimvorteil in die nächsten Wahlen gehen könn-
te. Wenn Merkel nicht mehr antritt, wäre er unter
allen Mitbewerbern derjenige mit der größten po-
litischen Erfahrung. Friedrich Merz? Schied aus
der Politik aus, bevor das iPad auf den Markt kam.
Armin Laschet? Ein Mann fernab des Machtzen-
trums. Norbert Röttgen? Ein Welterklärer ohne

Truppen. Scholz dagegen gehört zu den beliebtes-
ten Politikern des Landes und hat als Finanzminis-
ter regelmäßig mit den Regierungen von Trump,
Putin und Johnson zu tun. Die Wähler schätzen
Kandidaten, die den Eindruck vermitteln, man
könne sich in einer unübersichtlichen Weltlage
auf sie verlassen. So sieht es Scholz.
Das Problem: Wer Kanzlerkandidat der SPD
werden will, der muss von den Genossen aufgestellt
werden. Und bei denen ist er weniger populär als im
Rest des Landes. Es wäre nicht der erste Karriereplan
des Olaf Scholz, der daran scheitert.
Damit das nicht wieder passiert, folgt er nun dem
Leitsatz: Wer seine Gegner nicht besiegen kann, muss

sie umarmen. Er stimmt sich trotz inhaltlicher Dif-
ferenzen mit Walter-Borjans und Esken ab und ver-
meidet Kritik. In einer Partei, in der das Lästern zum
guten Ton gehört, ist das keine leichte Übung.
Am Grundkonflikt zwischen der linken Partei-
spitze und dem pragmatischen Vizekanzler ändert
das zwar wenig. Doch Scholz kann darauf setzen, dass
niemand in der SPD Walter-Borjans oder Esken für
aussichtsreiche Kanzlerkandidaten hält. Wohl nicht
mal sie selbst. Und Franziska Giffey, bislang eine
mögliche Konkurrentin, will nun Bürgermeisterin
von Berlin werden. Scholz, der Verlierer des Jahres
2019, könnte also der Gewinner sein, wenn Ende
2020 der Kandidat gekürt wird.

Ein Verlierer plant den Sieg: Wie Olaf Scholz nach dem SPD-Erfolg in Hamburg ganz nach oben will VON MARK SCHIERITZ


Operation Kanzleramt


Das neue Dreamteam: Armin Laschet hat sich Jens Spahn an die Seite geholt

Wer sind wir –


und wie viele?


Seit Wochen befindet sich die CDU im SPD-Modus: Personaldebatten,
Richtungsstreit und jede Menge Selbstzweifel. Doch jetzt scheint sich die Lage zu sortieren
VON MARC BROST, MARIAM LAU UND MARTIN MACHOWECZ

eigentliche Unterschied zwischen dem Wahlergebnis
vom Sonntag und dem in Thüringen 2019 war: In
Hamburg holten AfD und Linke zusammen 14,
Prozent, in Thüringen dagegen 54,5 Prozent. Wer es
nur mit einer winzigen AfD und einer schwachen
Linken zu tun hat, muss sich um das Verhältnis zu
den beiden Enden des politischen Spektrums keine
Sorgen machen. Aber in Thüringen?
»Nach Kemmerichs Ministerpräsidentenwahl hat
man hier deutlich die Zerrissenheit der Gesellschaft
gespürt«, sagt Henry Worm, CDU-Abgeordneter
und Vizepräsident des Thüringer Landtags. »Auf der
einen Seite bekamen wir Glückwünsche, super, end-
lich Rot-Rot-Grün abgelöst. Im nächsten Moment
Wut: Wie könnt ihr nur, das geht gar nicht, hört
sofort auf!« Auch Worm gehört zu jenen, die Kem-
merich gewählt haben. Bei ihm bekommt man ein
Gefühl dafür, wie die CDU in Thüringen Stück für
Stück in die Nähe der AfD rutschte, weil sie, füh-
rungslos, weitgehend sich selbst überlassen war.
Es gehört zu den absurden Folgen des Thürin-
ger Durch ein an ders, dass nun ausgerechnet ein
Politiker der Linken die äußere Einheit der CDU
wahren muss. Am 4. März soll Bodo Ramelow,
der Ex-Ministerpräsident der Linken, im Thürin-
ger Landtag wieder ins Amt gewählt werden –
mit den Stimmen einiger CDU-Parlamentarier,
aber ohne dass diese darüber reden. Das ist der
Deal, und so etwas hat es auch noch nicht oft ge-
geben. Gerade weil diese Vereinbarung so seltsam
und damit kippelig ist, hat Ramelow in den ver-
gangenen Tagen viele SMS an seine rot-rot-grünen
Koalitionspartner in spe geschickt, mit der Auf-
forderung, die Bundes-CDU bloß nicht weiter zu
provozieren. Auf keinen Fall soll die Thüringer
CDU öffentlich erklären müssen, dass sie ihn,
den Linken, in der kommenden Woche mit-
wählen wird.
Angela Merkel hat sich zuletzt gar nicht mehr zu
den Verwerfungen in Thüringen geäußert; die Kanz-
lerin hielt sich – nachdem sie einmal, direkt nach der
Wahl Kemmerichs, öffentlich interveniert hatte –
zurück. Noch immer ist Merkel die Beliebteste unter
den deutschen Politikern, aber seit Längerem schon
hat die CDU nichts mehr von dieser Popularität. Aus
den Niederungen der Innenpolitik hat sich Merkel
längst verabschiedet.
Umso mehr stellt sich für alle Kandidaten um den
Parteivorsitz die Frage, wie es nach dem Sonderpar-
teitag im April weitergehen soll – wie lange Merkel
im Amt bleiben wird und wie ein vernünftiger Über-
gang aussehen könnte. Es sei viel mit Merkel gespro-
chen worden, ist in diesen Tagen in Berlin zu hören.
Für Jens Spahn etwa, der die Aussichtslosigkeit
einer eigenen Bewerbung um das Amt des Parteivor-
sitzenden erkannt und sich auf den Posten des Vize
hinter Laschet verlegt hat, hätte eine Teambildung
mit Merz inhaltlich eigentlich nähergelegen. Partei-
freunde spekulieren, dass Merz aber Spahn nichts zu
bieten gehabt habe – während Laschet, dessen Kan-
didatur die Kanzlerin mit Wohlwollen betrachtet,
ihm womöglich im Zuge einer Kabinettsumbildung
durch Merkel zum Amt des Innenministers ver-
helfen könnte.
Wie also wollen es die Kandidaten mit der Kanz-
lerin halten, wenn einer von ihnen Parteichef ist?
Merkel zum Rücktritt drängen? Den Bruch inszenie-
ren? Danach klingt es weder bei Laschet noch bei
Merz oder Röttgen. Aus dem Umfeld der Kanzlerin
hört man auch, dass Merkel gar nicht daran denke,
ihr Amt aufzugeben. Sie sei schließlich für die volle
Legislaturperiode gewählt.
Es brauche gute Gründe, eine Ko a li tion aufzu-
kündigen und einen Bundestag aufzulösen. Die
Krise der CDU ist kein solcher Grund.

geritten« – eine Anspielung auf die Wahlniederlage
der NRW-CDU von 2012, als Röttgen Landesvor-
sitzender war.
Weitere Spitzen folgten am Dienstag, als Jens
Spahn und Armin Laschet vor die Presse traten.
Man brauche keine »theoretischen Abhandlungen«,
um die Herausforderungen der aktuellen Weltlage
zu bestehen, sagte Laschet, als er seine Kandidatur
erklärte. Und auch Spahn erinnerte an NRW 2012,
das »schlechteste Ergebnis unserer Geschichte«.
Noch während Laschet und Spahn sprachen,
schlug ihnen der vorm Fernseher zuschauende
Röttgen ein kleines Schnippchen: »Die zweite Per-
son in meinem Team wird eine Frau sein«, twitter-
te er. Ups! Frauen, Ostdeutsche, Menschen mit
Migrationshintergrund – selbstverständlich hätten
all diese in einer von ihm geführten Partei ihren
Platz, sicherte Laschet eilig zu. Aber das Etikett

»weiß, männlich und westlichstes Westdeutsch-
land«, das klebte da schon. Und als Laschet wieder-
holt versicherte, es werde mit ihm »keinen Bruch«
mit der Ära Merkel geben, stand endgültig die
Frage im Raum, warum ein Weiter-so die richtige
Antwort auf die »tiefste Krise unserer Geschichte«
sein sollte. Zumal die Partei nach dem Willen
Spahns zugleich »laufen lernen«, sich also von der
Kanzlerin emanzipieren soll.
Und Friedrich Merz? Wäre man nur entschieden
genug – so suggerierte er bei der Ankündigung seiner
Kandidatur am Dienstag –, dann gäbe es keine auf-
müpfigen Ostverbände, keine AfD, keine Neo nazis.
Die AfD halbieren, lautet Merz’ Versprechen – doch
parteiintern wird das eher skeptisch gesehen. »Das
bringt uns fünf Prozentpunkte«, sagt einer aus der
CDU-Spitze, »aber was ist mit den zehn, die wir an
die Grünen verlieren?«

Dürfte allein die Thüringer CDU-Fraktion über
den nächsten Vorsitzenden der Bundespartei ent-
scheiden, Merz hätte schon gewonnen. Schon in den
ostdeutschen Wahlkämpfen des vergangenen Jahres
wurde er als der Heilsbringer bejubelt. Aber die Thü-
ringer CDU-Fraktion repräsentiert nicht den ge-
samten Osten, und von den ostdeutschen Befindlich-
keiten versteht Merz wenig.
Durch keine andere Partei verläuft ein so tiefer
Riss zwischen Ost und West, zwischen der Bundes-
partei und den eigenen Leuten. Es ist gerade der
Osten, der die ostdeutsche Kanzlerin Merkel inzwi-
schen scharf ablehnt – und mit ihr deren Nachfolge-
rin und Immer-noch-Parteichefin AKK. Es ist der
Osten, der besonders konservativ tickt – und dessen
Wahlergebnisse gleichzeitig besonders pragmatische
Lösungen verlangen. Nach der Hamburg-Wahl
wiesen viele CDU-Strategen darauf hin, was der
Auf einmal Außenseiter: Norbert Röttgen Immer schon Einzelgänger: Friedrich Merz

Fotos: Maja Hitij/Getty Images (gr.); imago (l.); Jens Schicke/imago (r.)


2 POLITIK 27. FEBRUAR 2020 DIE ZEIT No 10

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