Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1

Illustration: Erich Brechbühl für DIE ZEIT


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schon
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geben?
Ein Führungsvaku-
um, das nicht kommt
und wieder geht, son-
dern sich ausdehnt. So
weit, dass man sich ir-
gendwann sorgen muss,
dass nach und nach alle Par-
teien eingesaugt werden.
So ist jedenfalls die Lage
im Februar 2020: Die CDU
hat überhaupt keine Führung
mehr, die FDP eine ziemlich zer-
zauste, die SPD eine, deren Macht
kurz hinter den Mauern des Willy-
Brandt-Hauses endet, und die Linke ist
froh, wenn gerade niemand so genau bei
ihr hinschaut. Umgekehrt bedeutet dies,
wenn man die AfD einmal außen vor lässt, bei
der man ohnehin nie genau sagen kann, wer hier
eigentlich wen führt: Eine intakte Spitze besitzen
in diesen Tagen nur zwei Parteien, die CSU und
die Grünen.
Kein Wunder, dass in dieser Leere die Wünsche
wachsen. »Was dieses Land braucht, ist Leader-
ship«, sagt die Welt. Man müsse »mehr Autorität
wagen«, sagt der Spiegel. »Dieses Land braucht
poli tische Führung«, sagt Friedrich Merz.
Es ist die Zeit von Führungssehnsucht und
Führungsromantik, von Orientierungsbedarf und
Entschiedenheitsprosa. Und in dieser Situation
mag es helfen, das Geheimnis des politischen Füh-
rens von unterschiedlichen Seiten zu betrachten
und sich dabei ein paar Fragen zu stellen:


  1. Was steckt hinter der Sehnsucht?

  2. Was verspricht politische Führung?

  3. Wo liegen die Widersprüche?


Das Zackigkeitsbedürfnis


Jede Sehnsucht beginnt mit dem, was ist. In die-
sem Fall also die stilprägende Regierungstechnik
der Ära Merkel, die man sich noch einmal kurz ins
Gedächtnis rufen muss: Macht durch Moderation,
Problemlösung mittels Pragmatismus. Das Ideo-
logisieren, Argumentieren, Erklären besser bleiben
lassen. Damit macht man sich nur angreifbar.
Politik, so formulierte es einmal sinngemäß ein
einflussreicher Merkel-Berater, solle die Menschen
möglichst nicht mit Politik belästigen, und es ist
verständlich, dass in den Abendstunden einer Ära
ein entgegengesetztes Bedürfnis zu spüren ist.
Unterargumentiertes Regieren erzeugt Ar gu men-
ta tions sehn sucht. Nichtsprechen fördert den Ge-
sprächsbedarf. So weit, so nachvollziehbar.
Aber worum geht es bei all den Führungsdebat-
ten eigentlich?
An dieser Stelle noch einmal zurück zu dem
Mann, auf den sich gerade die Sehnsucht konzen-
triert. Friedrich Merz’ Chancen auf den CDU-Vor-
sitz sind vor allem deshalb so gut, weil man ihm
zutraut, die rechtsdrehenden Teile der Partei wieder
einzufangen, die AfD zu bekämpfen und insbeson-
dere im Osten des Landes verlorenes Unions ter rain
zurückzuerobern. Nur zur Erinnerung: Merz ist
Wirtschaftsliberaler (Stichwort: Sorgen und Nöte),
er ist Transatlantiker (Stichwort: Dialog mit Putin),
und er fliegt ein Privatflugzeug (Stichwort: die da
oben). Der west deutsches te und elitärste Politiker,
der sich derzeit finden lässt, soll nun also der Retter
für einen abstiegs be sorg ten und identitätsgeplagten
Osten sein.
Dass dies nicht sofort völlig abwegig klingt, legt
den Schluss nahe, dass es in der Führungsfrage we-
niger um die viel zitierte geistige Orien tie rung geht
oder gar um Inhalte. Vielmehr geht es um Gesten.
Merz, das ist das Leadership-Versprechen auf eins
neunzig, das ist erdbebensicheres Selbstvertrauen
und Ich-Vergrößerung mittels Rhetorik. Merz ist
ein Redner-Redner, der lieber zu viel sagt als zu

wenig.
»Europa
muss jetzt« –
»Dieses Land hat
zu lange« – »Unsere
Partei braucht«. So begin-
nen Merz-Sätze, und sie enden
eigentlich immer mit einem Ausrufezei-
chen. Seine größte Stärke ist der Ent schie den heits-
odem, den er verströmt, wann immer er seinen
Kopf über ein Rednerpult irgendwo zwischen Kre-
feld und Cottbus neigt.
Zackigkeit als Methode, Sprechen als Prinzip,
die Geste als Politik. So sähe er aus, der habituelle
Bruch mit den Merkel-Jahren. Bloß sollte man
sich darauf einstellen, dass die Ästhetik der Klar-
heit heute mit allerlei Widersprüchen und Unklar-
heiten zurechtkommen muss.

Antiautoritarismus von rechts


Die Führungsparadoxien beginnen schon mit ihrer
zentralen Herausforderung: dem modernen Populis-
mus. Gern wird er in erster Linie als Autoritarismus
begriffen, was wiederum die »Führung« als ein wirk-
sames Gegenmittel erscheinen lässt. Doch stimmt
das höchstens zur Hälfte. Der Politikwissenschaftler
Torben Lütjen hat die radikale Rechte zuletzt treffend
als im Kern antiautoritäre Bewegung beschrieben.
Sie zielt auf eine Ermächtigung des Einzelnen gegen-
über »bevormundenden« Strukturen, sie kennt keine
heiligen Texte, keine letzten Wahrheiten, ja nicht
einmal wirklich starke Führer.
Die scheinbar autoritären Anführer der heuti-
gen Zeit sind im Verhältnis zu ihren eigenen An-
hängern keine strengen Vaterfiguren, sondern eher
»moderne Kumpelväter« (Lütjen). Sie verlangen
ihren Wählern nichts ab. Sie fordern sie nicht he-
raus, sie wollen nichts von ihnen, sondern bestäti-
gen sie vielmehr in ihrem Zorn auf alles, was als
Zumutung empfunden wird. Nicht du musst dich
an die Welt anpassen, sondern die Welt muss sich
an dich anpassen, so fasst der Soziologe Steffen
Mau das populistische Versprechen zusammen.
Dieser Antiautoritarismus von rechts ist zum
einen ein Problem für alle, die mittels gemäßigt
autoritärer Führung Wähler von der AfD abwer-
ben wollen. Zum anderen ist er eine invasive Ideo-
logie, die insbesondere den Konservatismus unter
Spannung setzt. Denn von jeher waren gerade für
die Konservativen starke Figuren an der Spitze von
besonderer Bedeutung.
Als Weltanschauung, die es sich zur Aufgabe
gemacht hatte, das Vergehende zu bewahren, lei-
det der Konservatismus naturgemäß an einem ge-
wissen Vergeblichkeitsschmerz. Permanent muss
er sich einverleiben, was er gestern noch bekämpft
hat, und damit dies nicht als Kränkung empfun-

den wird, braucht es Führungspersönlichkeiten,
die diese Spannungen aushalten, sie erträglich und
bearbeitbar machen. Die Obrigkeitsfixierung des
Konservatismus war, so betrachtet, stets weniger
ein Ausdruck von Untertanengeist, sondern viel-
mehr ein politisch-psychologischer Selbstschutz.
Heute dagegen hat sich in Thüringen eine ge-
samte Landtagsfraktion dazu entschlossen, konse-
quent das genaue Gegenteil von dem zu tun, was
die CDU-Spitze von ihr verlangt. Erst stimmte sie
gemeinsam mit der radikalen Rechten, um einen
Linken zu verhindern. Nun will sie den Linken
wählen, um Neuwahlen zu verhindern. Und wäh-
rend in Erfurt die Äquidistanz zum Anything goes
wird, steht im Konrad-Adenauer-Haus ein er-
schöpft dreinblickender Generalsekretär und sagt
Beschlusslagensätze, die mit jedem Tag ein biss-
chen mehr wie Folklore klingen.
Ist das noch Chaos oder schon Agonie? Es ist je-
denfalls ganz sicher mehr als »Führungsversagen«.
Vielmehr scheint es heute nicht mehr ganz ausge-
schlossen, dass sich Teile der grundvernünftigen
CDU von der Institutionenfeindlichkeit, dem anar-
chischen Eigensinn der Rechten stärker angezogen
fühlen, als man es für möglich gehalten hätte. In
Erfurt regierte schließlich in den vergangenen Wo-
chen nicht nur die Planlosigkeit, sondern auch ein
sehr energischer Widerstandsgeist, der Wunsch, die
Dinge selbst in die Hand zu nehmen und sich von
»Berlin« nicht länger vorschreiben zu lassen, was zu
tun oder zu lassen sei. Unversehens zählt die gewählte
Parteiführung zur abgehobenen Elite.
Alle wollen Führung, aber niemand will sich
führen lassen. Das Reaktionäre ist revolutionär, das
Autoritäre anarchisch. Wie kommt man da heraus?

Legitimation und Frustration


Wer Klarheit sucht, braucht Verfahren. Doch
ausgerechnet im Prozeduralen offenbart sich für
die Prozeduralpartei CDU ihr ganzes Drama. Erst
einigte sich die Parteispitze vor zwei Wochen da-
rauf, ihre Führungsfrage im Dezember zu klären,
um wenige Stunden später zu bemerken, dass die-
ser Plan in etwa so praxistauglich war wie ein
Äquidistanzbeschluss.
In der Zwischenzeit machte sich die Führungs-
riege daran, ihre Führungsfrage unter sich zu

lösen.
Das Mo-
dernitäts-
und Mitglieder-
pathos, das sich die
CDU in ihren basisbewegten
Zeiten gerade noch (vor 14 Mona-
ten, um genau zu sein) antrainiert hatte,
wollte man schleunigst wieder vergessen. Statt-
dessen galt das umgekehrte Gesetz der poli-
tischen Partizipation: Je kleiner das Hinterzim-
mer, desto besser. Womöglich hätte die CDU ihr
Heil tatsächlich in der Verbonnerung gesucht,
hätte nicht Norbert Röttgen seine Kandidatur
erklärt und damit eine »einvernehm liche« (im
Sinne von ausgekungelte) Lösung verhindert.
Jetzt gibt es immerhin unterschiedliche Kandi-
daten. Aber um Gottes willen keine Regionalkon-
ferenzen, bitte keine Beteiligungsformate, sondern
am besten einen möglichst kurzen Prozess.
Und wer sollte es der Union verübeln? Schließ-
lich zeigte die SPD erst vor einigen Wochen, dass
auch das Gegenmodell nicht zum Erfolg führen
muss. Das größte und schönste Partizipationsfeuer-
werk aller Zeiten hat die wohl wackligste Führung
in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie
hervorgebracht. Die Revolte hatte sich bereits erle-
digt, bevor das Establishment einmal »Grundrente«
sagen konnte. Selbst ein Maximum an Mitbestim-
mung kann zu einem Minimum an Macht führen.
Partizipation garantiert keine Legitimation. Sie ga-
rantiert überhaupt nichts.
Das Rätsel politischer Führung bleibt einstweilen
ungelöst: Die Demokratisierung der Entscheidungs-
prozesse führt zu Spaltung, die Feudalisierung zu
Frustration. Statt Legitimation durch Verfahren gibt
es lauter Verfahren, aber keine Legitimation.

Kellnernde Köche


Wenn man die Regierungsmethode von Angela
Merkel nicht psychologisch, sondern politisch er-
klären will, stößt man rasch auf das Problem, das
jede Führung auch in Zukunft bearbeiten muss:
Komplexität.
In ihrer Kanzlerschaft war Angela Merkel
mit Ausnahmesituationen konfrontiert, die
sich nicht abwechselten, sondern aufaddierten.
Sie musste mit einer Weltordnung umgehen,
die ihren Namen nicht mehr verdiente, und
mit der Erkenntnis, dass der Kontrollverlust in
der Politik etwas Alltägliches sein kann. Prak-
tisch folgte daraus: Krisenbewältigung als
Daueraufgabe, mühsames Austarieren von
wachsenden Abstoßungskräften, Integration
von Interessen, die man manchmal mehr erah-
nen als erkennen kann.

Die Metho-
de Merkel be-
deute Komple-
xitätsreduktion
durch Abwarten
plus Situations-
geschick. Führung
im tradi tionellen
Sinne dagegen ver-
spricht Komplexitäts-
reduktion durch Ziel-
strebigkeit plus Entschei-
dungslust.
Es ist ein Instrumentari-
um, das aus einer Zeit
stammt, als vieles noch in Ord-
nung schien, was heute im Argen
liegt. Das beginnt mit den Regie-
rungsbündnissen, in denen es keinen
Koch mehr gibt mit seinem Kellner,
sondern nur noch Sous-Chefs (Schwarz-
Grün) beziehungsweise nicht einmal Einigkeit
über das Rezept (Kenia, Jamaika). Und es endet
auf der internationalen Ebene, wo es ebenfalls nicht
viel übersichtlicher zugeht. Auch die ruhigste Hand
beginnt da ganz unweigerlich zu zittern. Und der
klare Kompass kann in die Irre führen.
Denn um mit all dem Neuen fertigzuwerden,
bedarf es womöglich einer doppelten Dosis des
Alten: Ausgleich, Moderation, Abwarten.

Realitätsdemut


Gibt es schließlich etwas, das Baerbock/Habeck auf
der einen und Markus Söder auf der anderen Seite
in ihrer Unterschiedlichkeit verbindet? Vielleicht,
ohne Anspruch auf Vollständigkeit, vor allem zweier-
lei: eine gewisse Realitätsdemut, gepaart mit norma-
tiver und strategischer Orien tie rungs kraft.
Nach seiner Beinahe-Wahlniederlage vor an-
derthalb Jahren hat Markus Söder bemerkenswert
offen eingestanden, was für alle zu erkennen war:
dass seine Partei mit der neuen Bedrohung durch
die AfD überfordert war. Und dass rechts reden,
um die Rechten zu bekämpfen, ein Kalkül war,
das nicht aufging. Das Angenehme, etwa im
Gegensatz zu Chris tian Lindner nach dem
Thüringen- Debakel, war, dass Markus Söder sein
Versagen nicht wegnuschelte, sondern besprach,
um aus der Läuterung umgehend eine Stärke zu
machen. Die eigene Unfertigkeit anzuerkennen
kann befreiend wirken. Und auch der Zweifel
lässt sich politisieren (wobei Söder gewiss eher ein
taktischer Zweifler ist).
Ähnlich ist es auch bei der Grünen-Spitze, die
(vielleicht ein bisschen zu) offen zugibt, auf die eine
oder andere Frage noch keine abschließende Antwort
zu haben. Auch wenn sich dieses Prinzip nicht ewig
durchhalten lässt: Womöglich stimmt es eben nicht,
dass sich Wähler ausschließlich Politiker wünschen,
die nie um eine Antwort verlegen sind und die nach-
her alles vorher gewusst haben wollen. Vielleicht ist
in Zeiten der Unsicherheit eine Frage hin und wieder
die bessere Antwort.
Sowohl Söder als auch Baerbock/Habeck er-
füllen das Bedürfnis nach öffentlichem Sprechen,
ohne dass es bei ihnen als Selbstzweck erscheint.
Sie übertönen die Realität nicht, sondern lassen
sich auf sie ein. Sie vermitteln Orien tie rung, ohne
herrisch zu wirken.
Autorität braucht Elastizität. Und weil nicht
jeder alles zugleich sein kann, wie etwa Markus
Söder, gibt es in der CDU neben dem herkömm-
lichen nun auch ein ganz neues Führungsmodell:
die ideologisch quotierte hängende Doppelspitze.
Armin Laschet und Jens Spahn als sein oberster
Stellvertreter versprechen Kontinuität und Auf-
bruch, Erneuerung und Weiter-so im Paket. Wo-
möglich ist das alles zu viel Paradoxie. Aber viel-
leicht ist es auch die widersprüchliche Lösung, die
es in widersprüchlichen Zeiten braucht.

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  1. FEBRUAR 2020 DIE ZEIT No 10 POLITIK 3

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