Die Zeit - 27.02.2020

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4 POLITIK 27. FEBRUAR 2020 DIE ZEIT No 10


DIE ZEIT: Herr Keller, vor Ihrer Wahl zum DFB-
Präsidenten haben Sie gesagt: »Wer mich wählt,
der wählt die Veränderung.« Wie weit sind Sie?
Fritz Keller: Wir sind mittendrin. Gleich nach
meinem Amtsantritt haben wir eine Generalinven-
tur beschlossen. Ihr Ziel ist die Antwort auf die
Frage: Wo und wofür steht dieser Verband eigent-
lich? Außerdem gibt es, um nur eine der Einzel-
maßnahmen zu nennen, nun eine Gleichstellungs-
beauftragte, Hannelore Ratzeburg, ihre Rolle im
Präsidium unseres Verbandes haben wir dadurch
deutlich gestärkt.
ZEIT: Frau Ratzeburg ist noch immer die einzige
Frau im Präsidium. Ist das nicht ein Skandal?
Keller: Das ist sehr bedauerlich. Aber ich kann Sie
beruhigen, das wird sich ändern.
ZEIT: Ihr Verband wirkt nach außen noch immer
wie ein reiner Männerverein.
Keller: Da gibt es nichts zu beschönigen: Auch der
DFB muss weiblicher werden. Ein wichtiger Schritt
war die Bündelung des wirtschaftlich orientierten
Geschäftsbetriebs in einer GmbH. Das haben wir
gemacht, um das Gemeinnützige vom Wirtschaft-
lichen zu trennen. Aber ich verspreche mir davon
auch, den Verband jünger, effizienter und weibli-
cher zu machen.
ZEIT: Das müssen Sie erklären.
Keller: Im DFB haben wir den Frauenanteil an der
Belegschaft zuletzt auf 30 Prozent erhöhen kön-
nen. Auch die Anzahl der Frauen in Führungsposi-
tionen, also auf Team- und Abteilungsleiterebene,
ist gestiegen und wird weiter steigen. Dies gilt auch
für unsere ehrenamtlichen Strukturen. Hier ha-
ben wir – ebenso wie unsere Landesverbände –
Nachholbedarf. Zu oft wurden Männer von Män-
nern in Gremien gewählt. Frauen hatten wenig
Chancen. Deswegen haben wir unter anderem
Leadership-Programme für Frauen im DFB und
in den Landesverbänden auf den Weg gebracht.
ZEIT: Vielleicht sollten besser die Männer geschult
werden ...
Keller: Solange wir keine sichtbaren Veränderun-
gen erreichen, können wir nicht zufrieden sein.
ZEIT: Wäre die Quote eine Option für Sie?
Keller: Wenn es gar nicht anders geht: ja. Wir
müssen mit allen Mitteln versuchen, den Frauen-
anteil in den Führungspositionen unserer Mitglie-
derstruktur anzupassen. Von unseren 7,1 Millio-
nen Mitgliedern sind 1,1 Millionen Frauen.
ZEIT: Klingt gut, aber verändert eine Gleichstel-
lungsbeauftragte gleich eine ganze Kultur?
Keller: Nicht allein, aber als Signal ist das mehr als
ein Einzelfall. Insgesamt benötigen wir jedoch
dringend auch einen neuen Umgang mit Fehlern
in diesem Haus.
ZEIT: Von denen es ja eine Menge gab in den letz-
ten Jahren ...
Keller: Nur wer arbeitet, macht auch Fehler. Krea-
tivität funktioniert nur in Verbindung mit Frei-
heit, mit der Freiheit der Gedanken, dann fallen
Schranken, das ist meine Erfahrung als Unterneh-
mer. Aber ich glaube, ich hätte auch so festgestellt,
dass wir hier alles auf den Kopf stellen müssen.
ZEIT: Wie lange wäre es beim DFB noch gut ge-
gangen ohne eine kulturelle Revolution?
Keller: Das ist eine hypothetische Frage.


ZEIT: Aber eine besonders interessante.
Keller: Hochinteressant. Hier arbeiten gut ausge-
bildete Menschen, viele von ihnen haben offenbar
darauf gewartet, abgeholt zu werden.
ZEIT: Wo lauern die Gefahren bei diesem »Draht-
seilakt«, wie Sie das genannt haben, zwischen dem
»sportlich Notwendigen und dem politisch sowie
gesellschaftlich Unverzichtbaren«?
Keller: Wo ich der Versuchung erliegen würde, als
Fußballfunktionär Fragen zu beantworten, auf die
selbst die Gesellschaft keine Antwort hat, dann
könnte die Luft dünn werden.
ZEIT: Das klingt sehr vage und eher nicht nach
klarer Haltung.
Keller: Wir sind nicht unpolitisch und nicht neu-
tral. Ich weiß um die enorme Kraft des Fußballs –
gerade in Richtung der jungen Generation. Natür-
lich will ich die nutzen, um unsere Werte zu trans-
portieren.
ZEIT: Da waren Sie schon einmal präziser: In ei-
nem Interview mit der Badischen Zeitung sagten Sie
nach Ihrem Amtsantritt, Sie wollten Rechtsextre-
mismus und Populismus entgegentreten. Was heißt
das konkret?
Keller: Wir treten entschieden ein gegen jede
Form der Diskriminierung. Übrigens gemeinsam
mit den Vereinen und der überwältigenden Mehr-
heit der Gesellschaft, wie wir jüngst nach den An-
schlägen von Hanau in allen Ligen erlebt haben.
ZEIT: Der Bundesligist Eintracht Frankfurt hat
beschlossen, AfD-Mitgliedern die Vereinsmit-
gliedschaft zu entziehen oder sie gar nicht auf-
zunehmen. Wie reagierten Sie, wenn ein Mitar-
beiter des Deutschen Fußball-Bundes für die
AfD Parteiwerbung machen würde?
Keller: Es wäre zunächst unsere Aufgabe, ihn von
unseren Werten zu überzeugen, anstatt ihn auszu-
grenzen. Wir stehen für Vielfalt und Integration
aller Menschen aus allen gesellschaftlichen Kreisen.
ZEIT: Gibt es eine rote Linie?
Keller: Klar könnte ich jetzt sagen: Wir nehmen
keinen AfDler auf. Aber so einfach ist es nicht.
Vieles, was diese Partei verbreitet, ist ebenso
grundfalsch wie brandgefährlich. Aber durch eine
pauschale Ausgrenzung erreichen wir nichts. Wer
unsere Werte teilt, ist in unserer Gemeinschaft
willkommen. Wer sich aktiv dagegenstellt, muss
außen vor bleiben.
ZEIT: Zurück zum DFB. Mehrere Staatsanwalt-
schaften haben sich mit der Affäre um die Vergabe
der Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland be-
schäftigt. Trotzdem hat man nicht den Eindruck,
der Fall sei geklärt.
Keller: Es wurde auch intern versucht, den Dingen
auf den Grund zu gehen.
ZEIT: Nicht in jeder Phase schien dieser Versuch
der lückenlosen Aufklärung verpflichtet.
Keller: Aus der Distanz konnte der Eindruck ent-
stehen, dass immer nur das eingeräumt wurde, was
bereits geleakt worden war. Das war in der Tat
nicht besonders glaubwürdig, und hier hätte grö-
ßere Transparenz sicher geholfen.
ZEIT: Am 9. März stehen Ihre Vorgänger Theo
Zwanziger, Wolfgang Niersbach und der frühere
Generalsekretär Horst R. Schmidt in Zürich vor
Gericht. Die Schweizerische Bundesanwaltschaft

erhob im August 2019 Anklage gegen die ehema-
ligen Funktionäre. Zwanziger und Schmidt wird
Betrug in Mittäterschaft vorgeworfen, Niersbach
Gehilfenschaft zu Betrug. Werden Sie das auch
intern aufarbeiten?
Keller: Das haben wir bereits getan und werden es
weiter tun, sobald es neue Erkenntnisse gibt. Ju-
ristisch betrachtet gilt jedoch die Unschuldsver-
mutung.
ZEIT: Teilen Sie diese Vermutung?
Keller: Ich möchte nicht ins Detail gehen, aber
offensichtlich ist da etwas grundsätzlich schiefge-
laufen. Verdrängen hilft da nicht.
ZEIT: Sind die verschärften Compliance-Regeln
eine direkte Reaktion auf die unzureichende Auf-
klärungsarbeit?
Keller: Sie sind eine Reaktion auf die gesamten
Vorkommnisse. Ich kann so viele Regeln aufstellen,
wie ich will, wenn ich Mitarbeitern keinen Mut
mache, ohne Angst vor ungerechtfertigten Kon-
sequenzen Fehler zu erkennen und diese offenzu-
legen, helfen auch keine 25 Compliance-Officer.
2006 war ich mit meinen Söhnen im Stadion,
überall, wo wir hinkamen, herrschten Euphorie
und Lebensfreude. Wir haben so lange gewartet,
dieses Bild vom lebensfrohen, fröhlichen Deut-
schen zeigen zu können. Das alles wurde durch
ein paar wenige kaputt gemacht, und diese weni-
gen sollten endlich mal offenlegen, welchen An-
teil sie daran haben. Das erwarte ich jenseits des
Prozesses, denn sie haben nicht nur dem Fußball,
sondern auch unserem Land Schaden zugefügt.
ZEIT: Könnte sich nicht auch die von Ihnen
jüngst erst wieder verteidigte Entscheidung, bei
der Fußball-WM 2022 in Katar anzutreten, als
großer Fehler erweisen?
Keller: Das glaube ich nicht. Wir werden dort
spielen.
ZEIT: In jedem Fall?
Keller: Ja. Außer, wir qualifizieren uns nicht.
ZEIT: Wie lässt sich das mit den Werten, über die
Sie vorher sprachen, verbinden?
Keller: Ein Boykott bringt gar nichts. Wir werden

hinfahren und das sagen, was wir denken, um so in
einer konservativen Umgebung progressive Kräfte
zu unterstützen.
ZEIT: Wie könnte das konkret aussehen?
Keller: Ich habe die Vergabe der WM an Katar
immer kritisch betrachtet, sehe aber auch die
konkreten Verbesserungen, etwa der Arbeitsbedin-
gungen, die bisher durch den Fokus auf Katar
bereits erzielt wurden. In Katar und im Vorfeld der
WM werden wir, wie es der DFB auch in Russland
getan hat, den Dialog mit der Zivilgesellschaft und
mit Nichtregierungsorganisationen führen und
dabei beides ansprechen: positive Veränderungen
und bestehende Missstände.
ZEIT: Ein Missstand ganz anderer Art ist für viele
der Einsatz des Videoassistenten in den Profi ligen.
Müsste der Fan im Stadion die Entscheidungen
des Assistenten nicht nachvollziehen können?
Keller: Es gibt ein Kommunikationsproblem mit
dem Fan, das ist offensichtlich und wurde uns
auch im Dialog von Fanorganisationen so gespie-
gelt. Mich nervt es auch, wenn ich im Stadion
nicht weiß, ob ich jubeln darf oder heulen muss.
Ich war, als über die Einführung des Videoassis-
tenten entschieden wurde, sehr skeptisch. Es gab
damals eine Enthaltung, ich weiß, wer das war.
Aber die Vereine haben mit überwältigender
Mehrheit für die Einführung gestimmt. Der Vi-
deoassistent hat den Fußball objektiv gerechter
gemacht. Wir sollten mit dieser doch immer noch
neuen Technik auch Geduld haben. Aber grund-
sätzlich bin ich ein Fan der Idee des einen, alles
umfassenden Fußballs – von der Spitze bis zur
Kreisliga. Und ich fände es schön, wenn für alle
die gleichen Regeln gelten würden.
ZEIT: Sie haben vor dem Hintergrund der Gewalt
gegen Amateurschiedsrichter den Kampf gegen
den Werteverfall im Profifußball aufgenommen.
Sowohl das Protestieren als auch jedes andere
aggressive Verhalten gegenüber dem Schiedsrichter
bis hin zum Zeitspiel wird nun sofort mit einer
Karte geahndet. Spieler und Verantwortliche kriti-
sieren, Sie würden dem Sport so die Emotionen
nehmen. Haben Sie sich verschätzt?
Keller: Nein, mit der Kritik habe ich gerechnet.
Betroffene finden Änderungen immer nervig. Wir
bekommen für diese Linie aber viel mehr Zu-
spruch als Kritik.
ZEIT: Dabei haben Sie sich in Ihrer Funktion als
ehemaliger Präsident des SC Freiburg selbst ein
paarmal für alle sichtbar über Schiedsrichterent-
scheidungen aufgeregt.
Keller: Stimmt. Ich weiß ja, wie schnell man emo-
tional werden kann, wenn man sich falsch behan-
delt fühlt. Trotzdem bleibe ich dabei: Der Respekt
muss wieder einkehren. Deshalb empfehle ich, bei
den Fußballlehrer-Lehrgängen auch wieder den
Schiedsrichterschein einzuführen. Jeder, der Trai-
ner werden will, sollte in Zukunft auch fünf Spiele
pfeifen. Am meisten hasse ich es übrigens, wenn
ein Athlet schauspielert auf dem Platz. Dieses
Täuschen des Schiedsrichters und der Zuschauer
ist mir zuwider.
ZEIT: Lassen Sie uns noch ein persönliches Thema
ansprechen. Das Verhältnis zu Ihrem Vater, der
wie Sie Winzer war, haben Sie selbst als kompli-

ziert beschrieben. Kann es sein, dass Sie über den
Fußball die Anerkennung bekommen haben, die
Ihnen von Ihrem Vater verwehrt geblieben ist?
Keller: Da ist schon was dran. Mein Vater hat auf
der einen Seite wundervolle Dinge gemacht, in
Umweltfragen zum Beispiel hat er sich in einer
Zeit vorbildlich engagiert, als das noch nicht en
vogue war. Leider hatte er aber auch die für diese
Zeit typische Unfähigkeit, mit der nächsten Gene-
ration umzugehen. Da war er ja kein Einzelfall, das
waren die kranken Geister einer kaputt gemachten
Nation.
ZEIT: Ihr Vater wurde 1927 geboren.
Keller: Er wurde in den letzten Kriegstagen noch
als Jugendlicher in den Osten nach Königsberg ge-
schickt. Ich glaube, er hat manche Sachen nicht
verarbeitet, das muss man zur Entschuldigung
sicher sagen. Jedenfalls war es nicht einfach für
mich, Fußball zu spielen. Mein Vater hat es mir
verboten, weil es seiner Meinung nach eine Droge
sei, der man nicht verfallen dürfe. Damals brauch-
te man für die Spielberechtigung noch eine sport-
ärztliche Bescheinigung mit Unterschrift eines Er-
ziehungsberechtigten. Meine Mutter wollte ich da
nicht mit reinziehen, deshalb konnte ich erst spie-
len, als ich seine Unterschrift zu fälschen wusste.
ZEIT: Sie haben schon mit acht Jahren im Famili-
enbetrieb ausgeholfen. Wünschten Sie sich manch-
mal auszubrechen?
Keller: Das bin ich ja in gewisser Weise, als ich auf
ein Internat für schwer erziehbare Kinder kam.
Das hat zwar im Sinne meines Vaters nicht viel
gebracht, aber ich durfte dort immerhin Fußball
spielen.
ZEIT: Wo waren Sie?
Keller: In Fürstenstein im Bayerischen Wald. Bei
den Nonnen. Für mich bedeutete das Freiheit. Ir-
gendwie war ich schon immer davon überzeugt,
dass Freiheit Kreativität fördert. So habe ich dann
auch versucht meine drei Söhne zu erziehen.
ZEIT: Die alle in Ihre Fußstapfen getreten sind.
Keller: Aber nicht, weil ich sie dazu gezwungen
habe. Der eine arbeitet im Scouting beim SC Frei-
burg, der Jüngste ist gerade zur Weiterbildung als
Koch in Asien und der Dritte wurde mit mir zu-
sammen 2018 zum Winzer des Jahres gewählt.
Das ist ein Riesengeschenk für mich.
ZEIT: Hätten Sie Ihren Kindern erlaubt, an den
Fridays-for-Future-Protesten teilzunehmen?
Keller: Ich hätte nichts dagegengehabt – aber nur,
wenn sie danach ihre Hausaufgaben noch gemacht
hätten. Bildung ist das, worauf wir auch im Fußball
aufbauen müssen. Und Fußball, so wie ich ihn ver-
stehe, nämlich als Mannschaftssport, ist Bildung:
Gemeinsam mit anderen zu gewinnen, und auch zu
verlieren, aus dieser Erfahrung erwachsen verant-
wortungsvolle Menschen für unsere Gesellschaft.
Sometimes you win, sometimes you learn. Der Satz
stammt nicht von mir, aber ich mag ihn sehr. Ent-
weder gewinnst du, oder du lernst das Beste daraus.
Wenn wir das bezogen auf Bildung und Haltung
für unsere jungen Spielerinnen und Spieler hinkrie-
gen, dann haben sie gewonnen – und wir dazu.

Die Fragen stellten
Cathrin Gilbert und Moritz Müller-Wirth

»Der DFB muss weiblicher werden«


Präsident Fritz Keller will mit dem Deutschen Fußball-Bund dem Rechtspopulismus entgegentreten – aber AfDler nicht zwangsläufig ausschließen


Fritz Keller mit Jugendlichen des Fußballvereins Türkiyemspor Berlin

Keller wurde 1957 in Freiburg
geboren und ist nach seinem
Patenonkel Fritz Walter benannt,
dem Fußballweltmeister von 1954.

Mit seiner Frau Bettina übernahm er
1990 das elterliche Weingut und ist
heute einer der berühmtesten Winzer
und Gastronomen in Deutschland.

Bis 2019 war Keller Präsident des
Bundesligisten SC Freiburg.

Fußba ll und


Wei n


Foto: Abdulhamid Hosbas/Anadolu Agency/ABACA/ddp
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