Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1

D


er amerikanische Wahl-
kampf passt vortrefflich in
unsere Zeit, da er eine Se-
rie ist, mit all seinen Staf-
feln und Folgen, die »Vor-
wahl«, »Caucus« oder
»Fernsehdebatte« heißen:
Bündnisse entstehen und zerbrechen, heute geht
der Held von gestern unter, Verbündete von vor-
gestern werden zu Feinden, und plötzlich tritt
eine neue Hauptfigur auf, die auch gleich neue
Spielregeln mitbringt.
Michael Bloomberg ist ein Philanthrop, der
2019 runde drei Mil liar den Dollar gespendet und
so ein Netzwerk aus den Empfängern seiner Reich-
tümer aufgebaut hat, die heute Wahlempfehlungen
für Bloomberg geben. Dieser Bloomberg und sein
Vermögen von 61,8 Mil liar den Dollar verändern
den Wahlkampf der amerikanischen Demokraten
ungefähr so wie Daenerys Targaryen, Beschützerin
des Reiches, Mutter der Drachen und Sprengerin
der Ketten in Game of Thrones. In der berühmten
Serie bringt jene Daenerys ihre drei Babydrachen
ein – die rasant zu gierig großen Drachen werden.
Michael Bloomberg, 78 Jahre alt, hatte sich den
Wettstreit der über zwanzig Bewerber monatelang
angesehen, leidend und kokettierend. War er nicht
besser, viel, viel besser als all jene? Waren Bernie
Sanders und Elizabeth Warren nicht gefährlich
revolutionär, unwählbar weit links? Im November
dann erklärte Bloomberg seine Kandidatur in der
Erwartung des Sieges, in Erwartung wohl auch von
Dankesworten seiner Partei.
Nun aber hat der Linke Bernie Sanders drei
Vorwahlen gewonnen und führt in den meisten
Umfragen. Das Feld seiner moderaten Konkur-
rentinnen und Konkurrenten ist derart zerklüf-
tet und groß, dass Sanders kein ebenbürtiger
moderater Bewerber gegenübersteht. Kann
Bloomberg die gemäßigten Demokraten hinter
sich versammeln, um Sanders zu verhindern?
Vielleicht wird diese Frage schon am kom-
menden Super Tuesday, dem 3. März, geklärt
werden. Dann wählen 14 Bundesstaaten. Viel
Zeit hat Bloomberg nicht, sein erster Auftritt
neben den Rivalen in Las Vegas ist dramatisch
schiefgegangen. So sehr, dass sich Bloombergs
Helfer im spin room genannten Großen Ballsaal
des Hotels Bally’s anschrien, während eine Hun-
dertschaft Journalisten sie umkreiste.
Es war sein erster Auftritt auf großer Bühne,
und schon reden alle von Bloombergs Untergang,
von der drohenden Katastrophe für die gesamte
Demokratische Partei und der Wiederwahl Donald
Trumps. Im spin room treffen nach einer Debatte
die Kandidaten und Kandidatinnen und ihre
wichtigsten Helfer auf Fox News, CNN und alle
anderen Me dien und platzieren Interpretationen,
reden die Konkurrenz klein und sich selbst stark.
»Mike wird besser werden«, nuschelt der
Chef der Bloomberg-Kampagne ins Nirgendwo
der Kameras. »Die anderen sind Karriere-Politi-
ker, die machen nichts anderes. Wir fangen erst
an.« Manche Pleiten können selbst Großmeister
des spin nicht aufhübschen. Im Leben wie in der
Politik gibt es diese Momente, in denen es gilt.
Die berühmten Weggabelungen, an denen sich
alles entscheidet.
Und wenn ein Kandidat acht Fernsehdebat-
ten auslässt, weil er so anders sein will als die
anderen, wenn er also nur bei der neunten und
zehnten antritt, ehe der alles vorentscheidende
Wahltag kommt, der Super Tuesday – dann soll-
te er seine Sache punktgenau perfekt machen.
Der Kandidat Bloomberg macht in diesem
Wahlkampf tatsächlich alles anders als Bernie
Sanders, Elizabeth Warren, Pete Buttigieg oder
Joe Biden: Auf die ersten vier Vorwahlen, bei
denen noch recht wenige jener 1991 Delegier-
ten zu gewinnen sind, die beim Nominierungs-
parteitag in Milwaukee im Juli nötig sind, ver-
zichtet er. Spenden nimmt Bloomberg nicht an,
das Geld anderer Leute braucht er nicht. Mit
Journalisten redet er kaum, Fragen aus dem
Publikum mag und beantwortet er nicht.


Nett, humorvoll, tolerant
würde ihn niemand nennen


Denn Michael Bloomberg mag Kontrolle, ver-
mutlich kennt er das Leben nur so.
Er wuchs als Sohn russisch-jüdischer Ein-
wanderer in Massachusetts auf, studierte Wirt-
schaft an der Johns Hopkins University und
dann an der Harvard Business School, arbeitete
für die Investmentbanker Salomon Brothers,
ging mit zehn Millionen Dollar Abfindung zu
Merrill Lynch. Er gründete schließlich Bloom-
berg L.P., den Finanzdienstleister, dessen Infor-
mationssystem für Broker, Bloomberg-Terminal
genannt, den Kandidaten reich gemacht hat. An
den Weltbörsen kommt kaum ein Händler ohne
das System aus, das eine Riesenmenge kursrele-
vanter Daten in hohem Tempo verwurstet.
Bloomberg war zunächst Demokrat, dann
Republikaner, nun ist er wieder Demokrat.
Zwölf Jahre lang, bis 2013, war er Bürgermeister
von New York City. Dass er das Rauchverbot in
Büros, Bars und Restaurants durchsetzte, Fahr-
rad- und Busspuren einrichten und neue Parks
gestalten ließ, die Stadt lebenswerter machte,


wird ihm in New York hoch angerechnet. Effi-
zient, ein Macher, solche Worte fallen, da in
dieser pragmatischen Stadt Leute wie Bloom-
berg geachtet werden, die ihren eigenen Laden
gründen, zumal wenn daraus ein Konzern mit
19.000 Mitarbeitern erwächst. Beliebt ist er
nicht. Nett, humorvoll, tolerant würde ihn nie-
mand nennen. Bloomberg – 1,65 Meter klein –
gilt als leicht kränkbar und schroff, jähzornig.
Nach seiner Zeit als Bürgermeister wurde
Michael Bloomberg Philanthrop: 8,2 Mil liar den
Dollar hat er insgesamt fortgegeben, für Klima-
schutz, für diverse demokratische Wahlkämpfe,
für Initiativen gegen Schnellfeuerwaffen. Ein
Macher, stimmt schon.
Das Bloomberg-Versprechen: Er würde die
Partei einen. Er würde Warren und Sanders aus-
schalten und in der Mitte der Partei eine
schmerzhaft gefühlte Lücke schließen. Außer-
dem würde er moderate Republikaner ebenso
gewinnen wie Wechselwähler; er würde die Basis
der Demokraten erhalten, die Progressiven nicht
abstoßen und in den heiß umkämpften Swing-
States vor allem die Frauen begeistern. Er würde
Präsident Trump als Blender überführen: ein
echter Mil liar där und Konzernchef gegen einen
vorlauten Erben, der sechsmal bankrott ging.
Bloomberg machte aus dem Versprechen
seiner Kandidatur eine Verheißung. Rund 400
Millionen Dollar seines eigenen Vermögens
pumpte er in seinen Wahlkampf. Überall im
Land eröffnete er Büros, und die Helfer ström-
ten ihm zu, weil er besser zahlte als seine Kon-
kurrenten, besseres Essen liefern ließ, sogar
Wein. Der Rest der Millionen floss in Werbung.
Die Kernbotschaft, vielfach wiederholt, heißt
»Mike gets it done«, »Mike kriegt es hin«. Nachdem
Trump von seinen Republikanern siegreich durch
das Amtsenthebungsverfahren gelotst worden war,
fürchteten die Demokraten die komplette Nieder-
lage: Trumps Wahlsieg am 3. November, dazu den
Verlust des Repräsentantenhauses, alle Macht für
Trump. »Oh nein, ich schlage den«, sagte Bloom-
berg, »ich weiß, wie das geht, ich kriege das hin.«
Das Problem war die Wirklichkeit. Auf ein-
mal existierten zwei Bloombergs, der Held und

Erlöser aus der Wahlkampfserie, die Kunst- und
Werbefigur Mike – und auch noch der echte
Michael Rubens Bloomberg mit seinen nicht
wenigen Macken. Und einer ruppigen Vergan-
genheit. Deshalb, die Debatte von Las Vegas war
gerade eine Minute alt, überführte nicht Bloom-
berg Trump, sondern Warren Bloomberg.

Millionen Amerikaner sahen
einen Amateur im Fernsehen

Der stand im stilvoll teuren Anzug rechts außen
auf der Bühne und hörte Bernie Sanders zu,
dem Sieger der ersten Vorwahlen. Kaum hatte
Bloomberg einen Punkt gelandet, indem er San-
ders’ ambitionierte Krankenversicherungspläne
attackierte, grätschte Elizabeth Warren hinein:
»So, ich möchte darüber reden, gegen wen wir
antreten: einen Mil liar där, der Frauen ›fette
Weiber‹ und ›pferdegesichtige Lesben‹ nennt.
Und nein, ich rede nicht von Donald Trump.
Ich rede von Bürgermeister Bloomberg.« Dessen
Gesicht gefror. Aber Warren war noch nicht
fertig. »Die Demokraten«, sagte sie, »werden
nicht gewinnen, wenn wir einen Kandidaten
nominieren, für den es normal war, seine Steuer-
erklä run gen versteckt zu halten, Frauen zu be-
leidigen und rassistische Praktiken wie (...) stop
and frisk zu unterstützen.«
Stop and frisk war eine Methode der Verbre-
chensbekämpfung, Bloomberg ordnete sie für
New York an: Schwarze junge Männer wurden
tausendfach von der Polizei kontrolliert, ohne
konkreten Verdacht, einfach nur, weil sie eben
schwarze junge Männer waren. Rassistisch? Na-
türlich. »Aber man muss dahin gehen, wo das
Verbrechen ist«, das sagte Bloomberg damals,
und seither entschuldigt er sich eher halbherzig.
Und dann sagte Warren noch: »Ich werde
den demokratischen Kandidaten unterstützen,
egal wer es sein wird. Aber versteht dies: Die
Demokraten gehen ein enormes Risiko ein,
wenn wir einfach einen arroganten Mil liar där
durch den nächsten ersetzen wollen. Dieses
Land hat nun sehr lange den Reichen gedient
und alle anderen im Schmutz liegen lassen.«

Das Dramatische dieser Minuten war nicht,
dass Warren so scharf war, das gehört dazu,
Wahlkampf ist Show, Unterhaltung, Serienstoff.
Das Dramatische war, dass die ganze wunder-
bare Bloomberg-Erzählung auf größtmöglicher
Bühne gleich zweifach implodierte.
Bloomberg konterte nicht. Dass er seine Fi-
nanzen noch nicht offengelegt habe, ach, er bitte
da um Geduld, das viele Geld sei nicht so flott zu
zählen. Das mit den pferdegesichtigen Lesben ...,
nein, dazu sage er nichts. Und nein, er werde all
den Frauen aus seiner Vergangenheit, mit denen er
Schweigeabkommen geschlossen habe, nicht ge-
statten, nun die Wahrheit zu sagen. 15 Millionen
Amerikaner vor den Fernsehschirmen sahen einen
Kandidaten haspeln, der zweifellos lieber anderswo
gewesen wäre, der miserabel redete, der mit den
Augen rollte. Was hatte er von seinen Gegnern er-
wartet? Ehrfurcht? Und das Schlimmste, sie sahen
einen Amateur – einen Mann, der Präsident der
USA werden will und sich trotzdem nicht vorberei-
tet hatte.
Meistens stimmen Metaphern für eine Weile
und werden dann schief; es könnte aber sein,
dass diesmal der Vergleich bis zum Ende der Ge-
schichte trägt. Bei Game of Thrones vernichtete
die Drachenmutter Daenerys jenes Königreich,
das sie eigentlich hatte erobern wollen.
Im amerikanischen Wahlkampf leiden nun
die Demokraten schwer an sich selbst. Klobuch-
ar, Bloomberg, Buttigieg und Biden, auch noch
Tom Steyer, blockieren sich in der Mitte gegen-
seitig, während am linken Rand Sanders siegt
und wieder siegt und, wenn er durchhält, bald
uneinholbar sein wird. Sie wissen, dass Bernie
Sanders, 78, gerade von einem Herzinfarkt ge-
nesen, ewig unwirsch, niemals gelassen, als
Trumps Lieblingsgegner gilt, weil er so radikal
denkt. Wahlen werden in den USA in der Mitte
gewonnen, die Mitte aber ist weit entfernt von
Sanders.
Es sei denn, ja, es sei denn, im Finale, im
Showdown des 3. November, kommt alles an-
ders – und aus der Jugendbewegung, die Bernie
Sanders trägt, erwächst wieder einmal ein neues
Amerika.

Vitamingehalt

in Krankenhausessen
in Kantinenessen
in unserer Tagescreme

Klimaschutz

Artenschutz

Bodenschutz

die Frauenquote
die Männerquote

einziger Ort, an dem man in Deutschland
fremde Menschen grüßt

Was den Wald so wichtig macht

Was in Unternehmen zu
Kompetenzmangel führen kann

Torten der


Wa h rheit


VON KATJA BERLIN

Unter wegs in ...


Es sollte nur eine Stippvisite werden. Ich re-
cherchierte gerade auf der kenianischen Insel
Pate, wie China seinen Einfluss in Ostafrika
ausweitet, und wollte mir ein Gasfeld ansehen.
Ein Motorradtaxi, auf Swahili Piki-Piki ge-
nannt, brachte mich dorthin. Wir folgten einem
Feldweg, bis wir mitten im Nichts ein handge-
schriebenes Schild erreichten. »Zarara« stand
darauf. Die Firma Zarara gehört dem panafri-
kanischen Öl- und Gasunternehmen Midway
mit Sitz auf den Cayman-Inseln. Tatsächlich, so
sagten mir kenianische Wissenschaftler, sei dies
aber nur Fassade. In Wirklichkeit agiere hier ein
chinesisches Unternehmen, das Wert auf größte
Geheimhaltung lege.
Ich machte ein Foto von dem Schild und
wollte umkehren, als plötzlich ein riesiger
schwarz gekleideter Sicherheitsmann mit einer
Maschinenpistole auftauchte. Wer wir seien?
Etwa Spione? Er werde mich sofort verhaften.
»Ich denke nicht, dass Sie als privater Sicher-
heitsmann das Recht dazu haben«, sagte ich.
»Zudem stehe ich nicht auf Ihrem Firmenge-
lände, sondern davor.« Das war ihm ziemlich
egal. Er schubste und stieß mich, riss einen
Riemen meines Rucksacks kaputt. Als ich ihm
entwischte, packte er meinen Fahrer. Ich be-
schloss, ins nächste Dorf zu gehen, um die Poli-
zei zu holen. Ich marschierte durch brüllende
Hitze, bis mich ein weiteres Piki-Piki auflas.
Wir waren gerade mal fünf Minuten unter-
wegs, als hinter uns ein Pick-up auftauchte,
überholte und vor uns zum Stehen kam. Vier
muskulöse Männer mit Maschinenpistolen
sprangen aus dem Wagen. Ich sei jetzt festge-
nommen, sagte ihr Anführer. »Sie sind doch
von einer privaten Sicherheitsfirma«, sagte ich.
Einer von ihnen zeigte eine Polizeimarke. Sie
sperrten mich ins Auto, klemmten mich von
links und rechts ein und behaupteten, es gehe
jetzt auf die Polizeistation.
Im Wald kamen wir vor einem Schlagbaum
zum Stehen. Von Polizeistation keine Spur. Nur
ein Container, in dem bereits mein erster Piki-
Piki-Fahrer lag. Schwitzend und gefesselt. Man
habe ihn geschlagen, zischter er mir zu. Die
Männer brachten mich zu einem Stuhl unter
einem Baum, um mich zu verhören.
Nach einer halben Stunde ließen sie uns
schließlich laufen. Vom Gasunternehmen habe
ich nichts gesehen, aber begriffen, wie wichtig
es ist. ANGELA KÖCKRITZ

Pate, Kenia
Zu Besuch beim Gasunternehmen

Der doppelte Mike


Michael Bloomberg, Milliardär und Ex-Bürgermeister von New York, hält die demokratischen Kandidaten für zu


schwach und will selbst ins Weiße Haus. Sein Auftakt jedoch gerät zum Desaster VON KLAUS BRINKBÄUMER


Bloomberg hat gern alles unter Kontrolle. Aber die scheint ihm gerade zu entgleiten

Foto (Ausschnitt): Kevin Lamarque/Reuters

6 POLITIK 27. FEBRUAR 2020 DIE ZEIT No 10

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