Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1

»Keinen Fußbreit den Bösen«


Die Slowakei gilt als liberaler Hoffnungsschimmer im Osten Europas. Nun könnte ein Rechtsextremer bei der Parlamentswahl triumphieren VON CATERINA LOBENSTEIN


Bratislava

W


enn die Wahl am Sams-
tag schlecht ausgehe,
sagt Julia Syrna, dann
buche sie einen Flug.
Vielleicht nach Deutsch-
land. Vielleicht nach
Schweden. In jedem
Fall ohne Rückflugticket. Syrna ist 37 Jahre alt,
studierte Ökonomin und Unternehmensberate-
rin, eine zierliche Frau mit blondem Dutt und
perfekt lackierten Nägeln. Sie sagt, sie sei die
meiste Zeit ihres Lebens kein besonders politi-
scher Mensch gewesen. Seit einiger Zeit aber er-
wäge sie, wegen der Politik ihr Land zu verlassen.
Syrna wohnt in Bratislava, der Hauptstadt der
Slowakei. Noch.
Es ist der Mittwochabend vergangener Woche
auf einer Wahlkampfparty der PS, der Partei für
eine fortschrittliche Slowakei. Syrna sitzt mit
einer Freundin in einem großen Raum mit bun-
ten Sofas, inmitten von Wahlkampfhelfern und
Sympathisanten der PS. Es gibt Chips und Sta-
ropramen, tschechisches Bier, auf dem Boden
liegen Flyer, an den Wänden hängen Wahlpla-
kate. Kandidatengesichter, die siegesgewiss in die
Kamera blicken. Syrna sagt, sie werde ihnen am
Sonntag ihre Stimme geben. Siegesgewiss klingt
sie nicht. »Wohin gehen wir«, fragt sie, »wenn
hier die Faschisten regieren?«
An diesem Wochenende wird in der Slowakei
ein neues Parlament gewählt. Es wird dabei nicht
nur um die Neuverteilung der 150 Sitze des slowa-
kischen Nationalrats gehen. Es geht auch um das
politische Gefüge der östlichen EU-Mitgliedsstaa-
ten, die von nationalistischen Hardlinern wie Viktor
Orbán geprägt sind und unter denen die Slowakei
eine Art liberaler Hoffnungsschimmer ist.
Die PS, die Partei, der Julia Syrna ihre Stimme
geben will, ist eine der wenigen linksliberalen
Kräfte in Mittel- und Osteuropa, die in jüngster
Zeit Erfolge verbuchen konnten. 2019 gewann
sie die Europa- und die Präsidentschaftswahlen.
An der Spitze des Landes steht seither die dama-
lige PS-Kandidatin, die Anwältin und Umwelt-
schützerin Zuzana Čaputová.
Während der ungarische Präsident Viktor
Orbán die Brüsseler Bürokratie verhöhnt und
Ressentiments gegen Juden und Flüchtlinge
schürt, hat Čaputová den Schutz von Minderhei-
ten und die enge Bindung an Brüssel ins Zen-
trum ihrer Politik gestellt. Sie will die Korruption
bekämpfen, das größte Problem der Slowakei –
aber auch die Diskriminierung der Roma, die im
ländlichen Osten des Landes leben. Sie will die
Gesundheitsversorgung für bedürftige Menschen
ausweiten – aber auch das Adoptionsrecht für
homosexuelle Paare. Sie will, dass die Bürger den
Politikern in Bratislava wieder vertrauen können –
aber auch den Bürokraten in Brüssel. Der Slogan,
mit dem sie die Präsidentschaftswahl gewann,
lautete: »Keinen Fußbreit den Bösen«.
Am Samstag nun wird sich zeigen, ob sich die
Hoffnung, die Čaputová bei vielen Liberalen
geweckt hat, in eine harte politische Währung,
also in Parlamentssitze verwandeln lässt. Oder ob
die Präsidentin nur eine Episode ist, ein liberales
One-Hit-Wonder, das den Sound der Demokra-
tieverächter nicht zu übertönen vermag.
Bis zu elf Parteien könnten in den Nationalrat
der Slowakei einziehen, auch das bürgerlich-libe-
rale Lager ist zersplittert. Ob es genug Stimmen
bekommt – und überhaupt einen gemeinsamen
Nenner findet –, um eine Regierungskoalition zu
bilden, ist ungewiss.
Die PS belegt in den Umfragen mal den drit-
ten, mal den vierten Platz. An der Spitze liegen
noch immer die regierenden Sozialdemokraten,
die sich allerdings nicht als Anwalt der Arbeiter,
sondern als Anwalt der Oligarchen verstehen –
und deren korrupte Funktionäre für die PS keine
denkbaren Koalitionspartner sind. Zweitstärkste
Kraft könnte die »Volkspartei« des slowakischen


Neonazis Marian Kotleba werden. Der trat jahre-
lang in einer Uniform auf, die der Kluft faschisti-
scher Milizen aus dem Zweiten Weltkrieg nach-
empfunden war. Die Mitglieder seiner Partei be-
grüßen sich mit »Na straz« – dem slowakischen
Pendant zum Hitlergruß.
Kotleba ist nicht der einzige Rechtsradikale, der
in Europa Stimmen fängt. Aber kaum einer hat es
mit seinen Angriffen auf das Establishment so leicht
wie er. Wesentliche Teile der Elite des Landes gelten
als bestechlich. Im Korruptionsindex von Trans-
parency International landet die Slowakei unter
allen EU-Staaten auf einem der hintersten Plätze.
Um zu verstehen, was bei dieser Wahl auf dem
Spiel steht, hilft es, das Verbrechen in den Blick
zu nehmen, das die Bevölkerung so tief erschüt-
tert hat: den Mord an Ján Kuciak, einem 27-jäh-
rigen Journalisten, der die Geschäfte korrupter
Regierungspolitiker aufdecken wollte und dafür
mit seinem Leben bezahlte. Und es hilft, denen
zuzuhören, die seither versuchen, die Erschütte-
rungen, die der Mord auslöste, in politische Ener-
gie zu verwandeln: den Journalisten, die sich
geschworen haben, nun noch hartnäckiger zu
recherchieren. Den Studenten, die nicht müde
wurden, Proteste zu organisieren – und die dafür
gesorgt haben, dass aus spontanen Demonstratio-
nen eine stabile Bürgerbewegung wurde.
Nicht weit von der Parteizentrale der PS ent-
fernt, im Präsidentenpalast, schreitet zehn Tage
vor der Wahl eine große blonde Frau durch einen
weiten Flur. Sie trägt ein weißes Kleid, an ihrer
Seite marschieren drei Wachen der Präsidenten-
garde, mit Säbel und Federhut. Die Wachen
schlagen die Stiefel zusammen. Aus einem Laut-
sprecher scheppert eine Fanfare. Zuzana Čaputová
betritt den Spiegelsaal des Palasts. Über ihr hän-
gen riesige Lüster aus Kristall. Vor ihr stehen elf
Männer und Frauen; viele von ihnen sind keine
30 Jahre alt. Die Präsidentin hat sie eingeladen,
um ihnen den Rücken zu stärken.
Fast auf den Tag genau zwei Jahre ist es her,
seit Ján Kuciak und seine Verlobte, Martina
Kušnírová, von einem Auftragskiller erschossen
wurden, in einem Dorf nordöstlich von Bratis-
lava, mitten in der EU. Die Männer und Frauen,
die an diesem Morgen die Präsidentin treffen,
sind Wegbegleiter von Kuciak. Peter Bárdy zum
Beispiel, ein breitschultriger Mann mit ernstem
Blick, der Chefredakteur des Nachrichtenportals
Aktuality, für das Kuciak gearbeitet hat. Bárdy ist
seit 25 Jahren Journalist. Die beiden vergangenen
Jahre, sagt er, seien die schlimmsten seines Lebens
gewesen. Er sucht seinen eigenen Weg, um mit
dem Mord fertigzuwerden: Er hat das Investiga-

tiv-Ressort seiner Redaktion aufgestockt und
setzt jetzt doppelt so viele Reporter auf die kor-
rupten Eliten des Landes an. Bardy hat sich einen
Button ans Revers geheftet. »All for Jan« steht
darauf.
Neben ihm stehen Studenten, die nach dem
Mord zu Protesten aufriefen, von der Hauptstadt
Bratislava bis in die hintersten Karpatendörfer.
Karolina Farska zum Beispiel, 19 Jahre alt, eine
winzige Person in rosafarbenen Pumps und rotem
Spitzenkleid, die heute zu den lautesten liberalen
Stimmen des Landes zählt. Die Präsidentin gibt
jedem einzeln die Hand: »Danke, dass ihr die
Apathie durchbrecht«, sagt sie. »Danke, dass ihr
der Gleichgültigkeit etwas entgegensetzt.«
Die Unternehmensberaterin Julia Syrna sagt,
sie könne sich noch gut erinnern, wie sie von dem
Mord erfuhr. Wie die Wut in ihr aufstieg. Und
wie sie auf die Straße rannte, mit Tausenden an-
deren Bürgern, um ihre Wut herauszubrüllen.
Syrna nennt Kuciak einen »Nationalhelden«.
Das, was auf seinen Mord folgte, bezeichnet sie
als »Katharsis«.
Nach dem Mord passierte, was viele Slowaken
nicht für möglich gehalten hatten: Der Mörder
wurde gefasst und verurteilt. Und auch der mut-
maßliche Auftraggeber muss sich zurzeit vor
Gericht verantworten: Marian Kocner, ein be-
rüchtigter Geschäftsmann mit besten Verbindun-
gen zur Regierungspartei.
Eine Katharsis? Die PS-Anhängerin Julia Syrna
ist hin- und hergerissen. Die Aufarbeitung des
Mordes, sagt sie, habe ein kostbares Zeitfenster
geöffnet, das es zu nutzen gelte, auch bei der be-
vorstehenden Parlamentswahl. Zugleich befürch-
tet sie, die korrupten Sozialdemokraten könnten
sich nach dieser Wahl mit dem Faschisten Kotleba
verbünden und gemeinsam regieren. So wie Syrna
sehen es viele, die vergangenen Mittwochabend in
die Zentrale der PS gekommen sind.
Der 19-jährige Schüler Dominik Radler zum
Beispiel, der in drei Wochen seine Abiturprüfung
schreibt und dennoch mehr als 200 Kilometer in
die Hauptstadt gefahren ist, um beim Wahl-
kampf der PS zu helfen.
Oder die 36-jährige Verkäuferin Erika Strapko,
die jahrelang von einem EU-Land ins nächste zog –
aber schließlich wieder nach Hause kam, weil sich
ja nichts verändern kann, wenn die, die nach Refor-
men rufen, dem Land den Rücken kehren.
Eigentlich galt die Slowakei mal als Muster-
schüler der EU. Die Wirtschaft des Landes wächst
verlässlich, VW hat hier Fabriken gebaut, die
Arbeitslosigkeit ist niedrig. Doch während die
slowakische Regierung in Brüssel für ihren
Wachstumskurs gefeiert wurde, mussten die Bür-
ger dabei zusehen, wie ein beträchtlicher Teil des
Wohlstands auf wundersame Weise verschwand.
Zum Beispiel in einem noblen Apartmentblock
namens »Bonaparte«.
Der Wohnkomplex thront auf einem Hügel
über Bratislava, nicht weit vom Parlament ent-
fernt. Vor dem Portal fahren Limousinen vor. An
der Mauer, die das Gebäude säumt, sind knapp
ein Dutzend Kameras installiert. Hier wohnte
einst Robert Fico, der ehemalige Regierungschef –
zu einer »eher moderaten Miete«, so formuliert es
ein Mitarbeiter von Transparency International.
Ficos Vermieter war ein Geschäftsmann, der heu-
te wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis sitzt.
Ficos Nachbar war Marian Kocner – der Auf-
tragsmörder von Ján Kuciak. Fico trat nach den
Morden als Regierungschef zurück. Bis heute
aber ist er Chef der Sozialdemokraten, der regie-
renden Partei.
Wegen Männern wie diesen überlegt die Unter-
nehmensberaterin Julia Syrna, ihre Heimat zu ver-
lassen. Und wegen Männern wie diesen weiß sie,
dass sie eigentlich bleiben müsste. Syrna sagt, sie
habe schon einmal im Ausland gelebt, in Österreich.
Drei Jahre habe sie es ausgehalten, dann sei sie zu-
rückgekehrt. Die Slowakei sei halt nicht nur ein
korruptes Land. Die Slowakei ist ihr Zuhause.

Die Slowakei ist seit 1993 eigen-
ständig, bis dahin war sie Teil der
Tschechoslowakei. 2004 trat die
Slowakische Republik der EU und
der Nato bei; seit 2009 ist sie
Mitglied der Euro-Zone. Das
Land hat rund 5,4 Millionen
Einwohner, für Deutschland ist es
ein wichtiger Handelspartner.
In der EU koordiniert es sich oft
mit Ungarn, Tschechien und Polen.

Partner in der EU


SLOWAKEI
Bratislava

Die slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová kämpft gegen die Korruption im Land

Foto: Shutterstock


  1. FEBRUAR 2020 DIE ZEIT No 10 POLITIK 7


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