Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1

Harald Martenstein


Über den chinesischen Künstler Ai Weiwei


und »die langweiligste, hässlichste Stadt, die es gibt«


Harald Martenstein


ist Redakteur des »Tagesspiegels«


Der chinesische Künstler Ai Weiwei ist nach Berlin zurückgekehrt,
um dort sein größtes Werk zu voll enden, nämlich sich selbst. Vor
einigen Monaten war Ai Weiwei endgültig nach Cam bridge umge­
zogen und hatte dort in einem Interview die Deutschen als in tole­
rant, autoritär und Nazis bezeichnet. Das war alles noch Main­
stream. Nun also nutzt er wieder seine Berliner Wohnung und
das Atelier im Bezirk Prenzlauer Berg. Sofort gab er weitere Inter­
views. Der Berliner Zeitung erklärte der Wahlberliner, Berlin sei
»die langweiligste, hässlichste Stadt, die es gibt«.
In der Welt ging Ai Weiwei auf den Vorwurf ein, er sei undank­
bar. Der Künstler zitierte eine »deutsche Führungspersönlichkeit«,
die ihm einen Brief geschrieben habe, darin habe unter anderem
gestanden: »Ai Weiwei, wir haben so viel für Dich getan, wir haben
Dich aus China rausgeholt, ohne uns säßest Du immer noch in
China fest. Es war Angela Merkel, die sich sehr für Dich eingesetzt
hat. Warum sagst Du so was?« Ai Weiweis Antwort: »Wenn ihr
erwartet, dass ich deshalb ewig dankbar oder loyal sein müsste,
habt ihr einen Fehler gemacht.«
Den Nazi­Vorwurf kann er mit einer Zeugenaussage belegen. Ein
Berliner Taxifahrer, der aus dem Libanon stammt, habe ihm gesagt:
»80 bis 90 Prozent der Deutschen sind Nazis.« Überraschender weise
erwähnte der Libanese, dass er eine Deutsche geheiratet habe. Sie sei
»sehr nett« und ist offenbar ebenfalls Nationalsozialistin. Denn die
Deutschen »geben immer vor, sehr nett zu sein, aber tief in ihrem
Innern sind sie Nazis«. Wenn er diese Frau geheiratet hat, scheint
er gerade diese Eigenschaft, das Nazimäßige, besonders attraktiv zu
finden, ähnlich wie ja auch Ai Weiwei: »Wenn Deutschland mich
nicht rauswirft, möchte ich bleiben.« Er arbeitet jetzt für den Bau­


markt Hornbach. Jeder praktisch begabte Nazi soll dort für wenig
Geld ein Kunstwerk kaufen können, zum Selber­Zusammenbauen.
Es besteht aus orange far be nen Sicherheitsjacken und Stahlstangen
und regt zum Nachdenken an.
Nach dem Gesagten wirkt es nicht überraschend, dass auch Ai
Weiwei, ähnlich wie jener Taxifahrer, sein Auge auf eine Deutsche
geworfen hat. Es ist die AfD­Politikerin Alice Weidel. Das kam so,
die vor Erotik knisternde Schilderung ist von mir leicht gekürzt:
»Ich aß in einem Restaurant in der Nähe der Mu seums insel. Und
dann kam diese ziemlich hübsche Lady, sehr hochgewachsen, und
fragte mich: Sind Sie Ai Weiwei? Ich sagte: Ja. Sie fragte, ob sie ein
Selfie mit mir machen könnte. Und ich sagte wieder: Ja. Sie sagte
nur, sie sei Politikerin. Ich wusste aber nicht, von welcher Partei
sie war. Später, nachdem sie es gepostet hatte, fand ich mehr über
sie heraus. Weidel schrieb, sie hätte jemanden getroffen, den sie
sehr bewundere. In so einem Gespräch könnte alles passieren. Ich
erinnere mich noch, wie mir Weidel sagte: Wenn es irgendwas gibt,
das ich für Sie tun kann – bitte lassen Sie es mich wissen.«
Was könnte dies sein, hübsche Lady? Alles kann passieren. Mit
einer solchen Beziehung würden sich Ai Weiwei und Weidel end­
gültig in den Orbit der weltweiten Aufmerksamkeit schießen, die
Bunte müsste eine Extranummer pu bli zie ren. Auch der Doppel­
name Weiwei­ Weidel hätte was. Der Künstler deutet sogar schon,
Deutschland betreffend, ein Umdenken an: »Ich liebe Deutsch­
land, in vielerlei Hinsicht. Ich habe schon mit zehn Heine, Marx
und Engels gelesen, für mich alles Top­Liberale.« Nur mit Berlin
wird er nicht mehr warm: »Alles sehr oberflächlich. Aber Sie haben
ja immer noch einen Fucker wie mich hier.«

Zu hören unter http://www.zeit.de/audio

Illustration Martin Fengel

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