Süddeutsche Zeitung - 21.02.2020

(Barré) #1

Wenn zwischen der Liebknechtbrücke am
Dom und dem Brandenburger Tor nicht Au-
tos, sondern Fußgänger den Rhythmus be-
stimmen würden, begleitet von Fahrrad-
fahrern, Bussen, Taxis und ein paar Liefer-
wagen, dann würde in einem der Zentren
Berlins eine urbane Bühne entstehen, auf
der sich ausprobieren ließe, wie eine Mitte
für alle funktioniert. Und es wären einige
Probleme der Freiflächengestaltung rund
ums Humboldt-Forum leichter zu lösen.
Zu einer Diskussion über diese hatte am
Mittwochabend der Verein Denk mal an
Berlin in die Urania geladen.
Der Kulturcontainer hinter Barockfassa-
den soll von September dieses Jahres an
etappenweise eröffnet werden. Im Streit
über das Projekt haben die Flächen rings-
um meist nur am Rande eine Rolle ge-
spielt, obwohl es entscheidend von ihrer
Gestaltung abhängt, wie sich das Bauwerk
in die Stadt einfügt. Die Verantwortung da-
für liegt beim Land Berlin. Dass diese Auf-
gabe separat ausgeschrieben wurde, war
gewiss ein Fehler. Der Entwurf von BBZ
Landschaftsarchitekten, der 2013 den
Wettbewerb gewann, hat dennoch viele
Vorzüge. Timo Herrmann stellte ihn am
Mittwoch vor. Der Entwurf will einerseits


historische Bezüge sichtbar machen und
muss andererseits damit umgehen, dass
sich die Bedeutung der vier Seiten des
Baus grundsätzlich und wohl irreversibel
gewandelt hat. Als Schlüter das Schloss für
den ersten Preußenkönig emporwuchtete,
war die Schlossplatzseite im Süden, zur
Breiten Straße hin, die wichtigste. Über die
Lange Brücke mit dem Reiterstandbild des
Großen Kurfürsten gelangte man zu Por-
tal I. Heute liegt diese Seite im Abseits. Die
größte Aufmerksamkeit findet die Nordfas-
sade zum Lustgarten hin, aber der Haupt-
eingang ins Humboldt-Forum wird an der
Westseite mit der Kuppel liegen. Die histo-
rischen Bezüge und die zeitgenössische
Stadt stehen in Spannung zueinander.
An der Südseite werden Terrassen ent-
stehen, etwa zwanzig Meter breit, erhöht,
mit Sitzmulden und mit Pflanzentableaus,
die von Alexander von Humboldt inspiriert
sind. Dergleichen gibt es in Berlin sonst
kaum. Natursteinplatten über die Straße
sollen andeuten, dass Schloss und Lustgar-
ten einst einen Raum bildeten, zusammen-
gehörten, was heute der Straßenverkehr
vergessen lässt. An mehreren Stellen wer-
den Gärtchen und Baumgruppen an Grün
erinnern, das es früher gab. Am Spreeufer,

Ostseite, könnten ein sogenannter Spree-
balkon und eine Uferpromenade die Abrie-
gelung gen Osten vielleicht mildern.
In der Diskussion, die der ehemalige
Kulturstaatssekretär André Schmitz flott
moderierte, kamen drei Ärgernisse immer
wieder zur Sprache: die Steinödnis im Sü-
den, das Freiheits- und Einheitsdenkmal
und das Reisebusproblem. Die Stiftung
Humboldt-Forum erwartet, wie Johannes
Wien vom Vorstand sagte, etwa 3,5 Millio-
nen Besucher im Jahr. Das Land Berlin wür-
de die Reisebusse gern am Schlossneubau
halten lassen. Die Stiftung habe, so Man-
fred Kühne von der Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung, das Reisebuskonzept
nicht akzeptiert und vorgeschlagen, für
Busse doch einen Halteplatz vor den Miet-
wohnungen im Nikolaiviertel vorzusehen,
was aber Berlin nicht will. Noch ist die
U-Bahn-Linie mit dem Bahnhof Museums-
insel nicht fertig, und man wundert sich:
Ein paar Monate vor der Eröffnung sind
grundlegende Fragen der Verkehrsfüh-
rung nicht entschieden. Wenigstens wider-
sprach keiner der Präsidentin des Bundes-
amtes für Bauplanung und Raumordnung,
Petra Wesseler, dass die Busse nicht dauer-
haft am Lustgarten herumstehen sollten.

Auf dem Schlossplatz vor der Südfassa-
de stand seit 1891 der Neptunbrunnen, von
Reinhold Begas geschaffen, ein Geschenk
der Stadt an den Kaiser. 1969 fand er einen
neuen Platz im sozialistischen Zentrum
zwischen Rotem Rathaus und Marienkir-
che. Die Mehrheit im Saal wünschte ihn
wieder an den alten Ort versetzt. Das sei, so
der Landschaftsarchitekt Timo Herr-
mann, aufgrund des Straßenverlaufs nicht
möglich, auch befänden sich an der Stelle
Fernwärmeanlagen aus DDR-Zeiten. Die
Rückführung des Brunnens wäre sehr teu-
er. Allerdings hat der Bund vor einigen Jah-
ren Geld dafür versprochen.

Der Entwurf für die Südseite sieht
kaum Grün und viel Stein vor. An dieser Sei-
te ist die Feuerwehrzufahrt vorgesehen,
auch Behindertenparkplätze sowie Stell-
plätze für Ü-Wagen und VIP-Fahrzeuge.
Tilman Heuser vom Bund für Umwelt und
Naturschutz sagte zu Recht, dass viele,
sobald der Bauzaun gefallen ist und der

steinerne Platz sichtbar wird, ausrufen
werden, so könne man heute nicht mehr
bauen. Es ist nicht nur ungut fürs Stadtkli-
ma, sondern auch unfreundlich gegenüber
den Berlinern. Ein Brunnen und Grün auch
an der Südseite – das fände bestimmt eine
Mehrheit. Was dort bislang geplant ist, wi-
derspricht auch der Logik des Schlossneu-
baus, durch den eine Passage in Nord-Süd-
Richtung hindurchführt.
Auch am Mittwochabend konnte sich
keiner für das Freiheits-und-Einheits-
Denkmal begeistern. Es dürfte das unbe-
liebteste Bauvorhaben in Berlin sein, aber
es wird kommen, weil der Bundestag es so
beschlossen hat. Manfred Kühne meinte,
man habe sich „nicht durchringen können,
auf diese Bereicherung des Berliner Stadt-
bildes zu verzichten“. Aber wenn es da nun
hinkommt, möchte man ergänzen, dann
muss doch auch die Straße, die am Staats-
ratsgebäude vorbeiführt, irgendwie den
großen Architekturgesten ringsum antwor-
ten. Wäre es nicht Zeit, an diesem Ort den
Verkehr neu, von den Fußgängern aus zu
planen? Es gibt schon die Idee, die Straße
Unter den Linden autofrei zu gestalten.
Warum nicht das Umfeld des Humboldt-
Forums einbeziehen? jens bisky

von christine dössel

I


n dem sofagemütlichen Kaffeehaus in
Berlin-Mitte fällt er gar nicht weiter
auf. Dunkelblauer Strickpulli mit Zipp-
Kragen, den Haarschopf unter einer Woll-
mütze, schaut Jonas Dassler wie ein norma-
ler Student aus. Einer unter vielen. Vor sich
auf dem Tisch ein Buch, das er gerade ange-
fangen hat zu lesen: Richard Sennetts „Ver-
fall und Ende des öffentlichen Lebens. Die
Tyrannei der Intimität“. Er scheint es für
das Treffen mit Bedacht ausgewählt zu ha-
ben – so wirkt man intellektuell und bele-
sen. Er macht später selber einen Witz dar-
über, ohne dass man sagen könnte, ob das
Buch nun pure Inszenierung ist oder nicht.
Dassler, wässrigblaue Augen, James-Dean-
Gesicht, ist ein freundlicher, reflektierter
junger Mann, der gut und klug spricht.
Aber durchschaubar ist er nicht.
Noch hat er im Café seine Ruhe, noch er-
kennen ihn die Leute nicht. Das dürfte sich
in absehbarer Zeit ändern, so rasant, wie es
mit seiner Karriere vorangeht. Dassler, ge-
boren 1996 in Remscheid, ist Theater- und
Filmschauspieler, beides noch gar nicht so
lange, er ist ja erst 23, hat erst vor fünf Jah-
ren Abitur gemacht und geht schon durch
die Decke. Er ist eine Naturbegabung,
schön obendrein, vielen gilt er als „Jahr-
hunderttalent“. Wer ihn hat spielen sehen,
am Berliner Maxim-Gorki-Theater oder in
Fatih Akins „Der goldene Handschuh“,
wird nichts dagegen sagen. Dassler hat ei-
ne schauspielerische Intelligenz und Prä-
senz, die man nicht erlernen kann.


Als erstes fällt sein Blick auf. Es ist ein
sonderbar kühler und auch cooler Blick
aus fast schon dekadent blauen Augen. Et-
was Unergründliches liegt darin. Einem
Menschen mit einem solchen Blick ist alles
zuzutrauen. Dassler richtet ihn beim Nach-
denken gerne seitlich in die Ferne, dann
zeigt sich seine markante Kinn- und seine
auffallend breite Wangenpartie, die eine
fantastische Projektionsfläche sind.
„Das ist ein Geschenk von den Göttern
der Kunst: dieses Gesicht, dieser Blick“, fin-
det Jens Hillje, Chefdramaturg und Mitlen-
ker am Maxim-Gorki-Theater, wo Jonas
Dassler seit 2017 zum Ensemble gehört.
Hillje spricht von einer „Mischung aus
dem jungen Marlon Brando und Joaquin
Phoenix“, was ziemlich gut hinkommt. Wo-
bei vielleicht auch noch der Schauspieler
Franz Rogowski als Referenzgesicht zu
nennen wäre. Dassler ist ein ähnlicher Ty-
pus; er hat mit Rogowski auch schon ge-
spielt, 2015 in Henri Steinmetz’ Film „Uns
geht es gut“, in dem eine Fünfer-Clique in
der Sommerhitze durch eine Großstadt
zieht. Es war Dasslers Debüt. Mit 18.
Gleich für seine nächsten Rollen in den
Filmen „Das schweigende Klassenzim-
mer“ und „LOMO – The Language of Many
Others“ hat der Anfänger mehrere Aus-
zeichnungen erhalten, darunter 2017 den
Bayerischen Filmpreis als bester Nach-
wuchsdarsteller. Dann kam Fatih Akin und
drehte – zur allseitigen Überraschung –
mit dem unbekannten Dassler in der Rolle
des abgewrackten Frauenmörders Fritz
Honka den Hamburger Kiezmilieumons-
terfilm „Der goldene Handschuh“, der letz-
tes Jahr im Wettbewerb der Berlinale lief.
Es war Dasslers Schritt auf den roten Tep-
pich und ins Scheinwerferlicht einer größe-
ren Aufmerksamkeit.
Auch diesmal ist er wieder bei der Berli-
nale dabei, nicht mit einem neuen Film,
sondern einfach nur als herausragendes
Talent. Als solches wird er am kommenden
Montag bei den „European Shooting
Stars“ geehrt. Die Netzwerk-Organisation
European Film Promotion verleiht diese
Auszeichnung seit 1998 jedes Jahr an zehn
Nachwuchsschauspieler aus Europa. Diese
werden während der Berlinale vorgestellt,


herumgereicht und promotet. Dassler
weiß noch nicht so genau, was ihn da erwar-
tet, aber er freut sich auf den „Austausch
mit den Kollegen und Kolleginnen“. Denn:
„Austausch ist immer gut.“
Deutsche „Shooting Star“-Preisträger
vor ihm waren zum Beispiel Franka Poten-
te, Moritz Bleibtreu, Nina Hoss, Heike Ma-
katsch, Maximilian Brückner, Jella Haase
und, ja, Franz Rogowski. Die Jury scheint
eine gute Nase zu haben. In der Begrün-
dung ihrer Entscheidung für Dassler heißt
es in Hinblick auf seine Rolle als Frauen-
schlächter Fritz Honka: „Er hat die mensch-
liche Seite von Monstern zum Vorschein ge-
bracht und die Monstrosität des Menschli-
chen enthüllt.“
Als Säufer Honka im „Goldenen Hand-
schuh“, Akins Verfilmung des Romans von
Heinz Strunk über eine traurigwahre Mord-
serie im Hamburger Kiezmilieu der Siebzi-
gerjahre, lieferte Dassler eine krasse Meis-
terleistung ab. Entstellt mit einer hässli-
chen Gesichtsmaske, deren Anfertigung
bei den Dreharbeiten täglich drei Stunden
dauerte – breit geschlagene Nase mit
Linksdrall, faulige Zähne, schielender Dun-
kelpupillenblick hinter einem Kassenbril-
lengestell –, spielt der für diese Rolle ei-

gentlich viel zu junge Schauspieler ein
menschliches Ungeheuer in einer Siffwoh-
nung, dem beim Morden zuzuschauen ei-
ne Tortur ist. Man kann verstehen, dass
Menschen diesen Film fürchten oder sich
beim Sehen angeekelt abwenden. Es ist der
widerwärtigste Freakshow-Horror. Und
doch: Wie intensiv sich Dassler in dieses
Unterschichtsmonstrum hineinversenkt
und ihm sogar eine Spur von Restwürde ab-
ringt, das ist verblüffend und groß und ab-
solut bewunderungswürdig.
Was macht das mit einem, so etwas zu
spielen? Warum überhaupt diese Rolle?
Dassler musste solche Fragen schon oft be-
antworten, trotzdem denkt er neu darüber
nach, speist sein Gegenüber nicht mit vor-
gefertigten Phrasen ab. Er spricht viel von
Vertrauen, von dem „geschützten und re-
spektvollen Rahmen“, in dem der Dreh
stattfand. Dass es „keine leichtsinnige Ent-
scheidung“ von Fatih Akin war, ihn zu be-
setzen. „Er vertraute mir die Rolle an. Und
so habe ich auch ihm vertraut.“
Natürlich hat ihm auch die Maske gehol-
fen, „die Maske war ein Geschenk“. Sobald
er sie aufhatte, habe sich das Verhalten der
Menschen um ihn herum verändert, „das
wiederum beeinflusste die Interaktion“.

Gut, eine Maske kann man abends able-
gen. Aber was ist mit den Gedanken und
Trieben eines Honka-Monsters? Dassler
lenkt seinen blauen Tiefkühlblick in die
Ferne, und als er damit zurückkommt,
sagt er: „Ich habe eigentlich keine Ahnung,
was da in mir abläuft. Während eines Films
lebe ich in einer Art Parallelwelt. Auch in
den Drehpausen ist das nicht die Realität,
sondern etwas dazwischen.“
Aber bevor da etwas von der Einsamkeit
und den seelischen Höllenschlundausflü-
gen eines Künstlers anklingen könnte,
preist Dassler schon seine „tollen Kol-
leg_innen“ (die er nie zu gendern vergisst,
er spricht immer beide Geschlechter an
und mit): Wie viel „gegenseitiges Vertrau-
en“ da herrschte und dass daher selbst ei-
ne Szene, in der er Gewalt gegenüber einer
Frau ausüben musste, „Spaß machen“
konnte, „weil es wie ein Tanz ist, den wir
auswendig lernen, wie eine Choreografie“.
Beim Dreh dieser Szenen habe er etwas
erlebt, was den Beruf des Schauspielers für
ihn ausmache: „Dass ich frei bin von mir
selbst. Ich war in diesen Momenten nur für
die andere Person da, dass ihr nichts pas-
siert, und gleichzeitig spielten wir äußer-
lich aber die rohe Gewalt.“ Diese Art von

„Hingabe“, sich „in die Arme von jeman-
dem zu begeben und zu sagen: Wir spielen
jetzt, dass du mich erwürgst“, das sei für
ihn das Glück des Zusammenspiels.
Die Empathie eines Ensemblespielers,
die aus solchen Worten spricht, zeigt sich
bei Dassler auch im Verhältnis zu seinen
Kollegen am postmigrantischen Gorki-
Theater, von denen er in den höchsten Tö-
nen schwärmt und mit denen „spielen zu
dürfen“ er sich dankbar zeigt. Dass es um
ihn, den Jüngsten im Ensemble, einen sol-
chen Hype gibt, spielt Dassler herunter, in-
dem er sich einen „glücklichen Fall“ nennt:
„Ich gehöre zu einer „privilegierten Min-
derheit.“ Und dann legt er los, empört sich
über die „veralteten Rollenbilder“ und „ras-
sistischen Stereotypen“, die es im Film im-
mer noch gibt, kritisiert die „mangelnde
Fantasie für diverse Stoffe“ und dass seine
Kollegen mit Migrationshintergrund im-
mer noch für Dönerverkäufer oder Gangs-
terbosse angefragt werden.

Dassler hat nach dem Abi die Berliner
Schauspielschule Ernst Busch absolviert.
„Dass der Partner auf der Bühne das Wich-
tigste ist“, für diese Formel sei er der Schu-
le dankbar, sagt er. Aber man pflege dort
schon auch ein veraltetes Verständnis von
Theater. „Am Gorki habe ich zum ersten
mal Leute auf der Bühne gesehen, die eine
andere Hautfarbe hatten, die andere Spra-
chen gesprochen haben. Spieler und Spiele-
rinnen, die nicht nur Ausführende sind,
sondern denkende, sich austauschende
Menschen von heute.“
Er ist da schon gut aufgehoben am Gor-
ki. Obwohl sich auch, nachdem er in einem
Studiengangprojekt an der Berliner Schau-
bühne als Danton zu sehen war, Thomas
Ostermeier um das Supertalent gerissen
hat. Jens Hillje erzählt, er habe alle Hebel
in Bewegung gesetzt, Dassler für das Gorki-
Ensemble zu gewinnen. Seit Lars Eidin-
gers Anfängen habe er niemanden mehr ge-
sehen, der so jung schon eine solche „Awa-
reness für das Publikum“ habe und es „so
genießt, auf der Bühne zu sein“. Dabei sei
Dassler aber auch scheu, nicht eitel, ein
„großzügiger Ensembleschauspieler“, von
den anderen dafür geschätzt und unter-
stützt. Und der Regisseur Falk Richter
sagt: „Er weiß erstaunlich viel über Men-
schen und ihre Abgründe. Er kann sich in
etwas ganz Fremdes hineindenken.“
Dassler fand über die Theater-AG sei-
nes Gymnasiums zum Theater, wo er eine
Lehrerin hatte, die mit den Schülern Stück-
entwicklungen machte und „Schultheater
neu dachte“. Er verdankt dieser Frau viel
und hat noch Kontakt zu ihr, so wie er auch
den Kontakt zu seinen Remscheider Freun-
den hält. Es seien „die besten Freunde der
Welt“. Mit einigen von ihnen spielte er jah-
relang in einer Band: Punk, Funk, Rock,
Dassler als Sänger und Gitarrist.
Als Sänger und Leading Actor mit Rock-
starqualität ist er derzeit am Gorki-Thea-
ter in Falk Richters Inszenierung „In My
Room“ zu sehen, einem wunderbareren
Abend von Männern über Männer(bilder).
Auf der Bühne fünf Schauspieler, die über
ihre Väter sprechen – als Söhne. Es sind
schwule Söhne, Migrantensöhne, wüten-
de, liebende, sich schämende und grämen-
de Söhne, die sich total persönlich ins Zeug
legen. Alle sind sie großartig, aber Jonas
Dassler sticht schon deshalb hervor, weil
er die erste halbe Stunde alleine stemmt.
In diesem Anfangsmonolog legt er erst mal
eine fabelhafte Kollegah-„Alpha!“-Boss-
Persiflage hin (als Symbolfigur des toxi-
schen Mannes), um sodann nicht nur den
Part des Autoren-Ichs Falk Richter zu über-
nehmen, sondern als eine Art Überperfor-
mer auch dessen Auseinandersetzung mit
seinem Vater. Dassler macht das virtuos,
mit einer solchen Charmeoffensive, Ko-
mik, Tiefenschärfe und auch stimmlichen
Verve, dass er das Publikum sofort am Wi-
ckel hat.
Das, was Jonas Dassler in dem Stück
von seinem eigenen Vater erzählt, klingt
nach einer liebevollen Beziehung. Dassler
ist Einzelkind, der Vater Versicherungs-
kaufmann, die Mutter medizinisch-techni-
sche Assistentin im Krankenhaus. „Ach Jo-
ni“, sagt der Vater, wenn der Sohn heim
nach Remscheid kommt, „ich bin so stolz
auf dich.“ Dann gehen sie in den Keller und
machen miteinander Musik.

Das Museum Barberini in Potsdam wird ab
September dauerhaft die Impressionisten
aus der Sammlung von Hasso Plattner zei-
gen. Das verkündete der Mitgründer des
Software-Unternehmens SAP und Stifter
des Museums am Donnerstag bei der Eröff-
nung einer Ausstellung zu dem Maler Clau-
de Monet, die nicht unwesentlich bereits
aus Plattners Beständen bestückt wurde.
(Eine Besprechung folgt in den kommen-
den Tagen.)
So hängt bereits jetzt das bisher teuers-
te je bei einer Auktion verkaufte Werk ei-
nes Impressionisten in Potsdam. Damit be-
stätigt sich das Gerücht, wonach es sich bei
dem Bieter, der im Mai 2019 bei Sotheby’s
in New York 111 Millionen Dollar für ein Ex-
emplar aus der Serie der „Heuschober“
von 1880 bezahlte, um Plattners Kunststif-
tung gehandelt hat. Noch bemerkenswer-
ter ist, dass dieses Gemälde nach dem En-
de der Sonderschau dort auch bleiben
wird, zusammen mit mehr als 100 anderen
Werken der Epoche. Damit verfügt das
Potsdamer Haus dann auf einen Schlag
über eine der größten Impressionisten-
Sammlungen außerhalb von Paris.
Das vor drei Jahren eröffnete Museum
Barberini wandelt sich dadurch von einer
Kunsthalle mit erfolgreichen Sonderaus-
stellungen zu einem Sammlermuseum mit
festem Schwerpunkt. Die bisher hier ver-
wahrten Bestände an ostdeutscher Kunst
sollen dann, Plattner zufolge, in das ehema-
lige Potsdamer Restaurant „Minsk“ umzie-
hen, einen lange abrissbedrohten Bau der
DDR-Moderne, der von Plattner gerade
zum Museum ausgebaut wird. rich

Macht die Linden grün


Zu lange wurde in Berlin zu wenig über die Freiflächen rings ums Humboldt-Forum gesprochen. Das ändert sich jetzt – und in den Blick kommt die Stadt


In dem Stück „In My Room“ über
Väter und Söhne stemmt er die
erste halbe Stunde völlig alleine

Das Freiheits-und-Einheits-
Denkmal dürfte das unbeliebteste
Bauvorhaben in Berlin sein

Es wurde hier an dieser Stelle
bereits schon mehrmals und
wiederholt darauf hingewie-
sen, dass Doppelungen und
Tautologien überflüssig und
redundant sind, so was wie sprachlicher
Schaumstoff und verbales Füllmaterial.
Nun muss man natürlich selbstverständ-
lich abgrenzen und unterscheiden zwi-
schen Pleonasmus, Tautologie, Emphase,
den Marx Brothers unter den Wiederholun-
gen. Ich persönlich denke und bin der Über-
zeugung, dass die Wendung „Ich persön-
lich“ oft, ja überwiegend, wenn nicht gar
meistens im Sinne der Emphase benutzt
wird, etwa wenn Friedrich Merz sagt: „Ich
persönlich will meinen Beitrag leisten.“
Das wirkt sofort und auf der Stelle edler,
als wenn er einfach seinen Beitrag leistet
und fertig. Das persönliche Beitragleisten-
wollen ist ein Beitragleisten der Premium-
klasse, zeigt es doch Mut zur Courage.
Nun könnte man sagen, Friedrich Merz
ist ohnehin und sowieso der Meister und
Maestro der emphatischen Emphase,
schließlich stammen von ihm auch der
Satz und das Diktum: „Wenn alle die Axt
schwingen, kann man mit dem Florett
nichts ausrichten.“ Das persönliche Ich ist
aber eine generelle Lieblingsfloskel im Ber-
liner Politsprech, ja, man könnte fast oder
auch beinahe zu der Auffassung und dem
Glauben gelangen, dass nur Menschen in
der Politik was werden können, die über
ein extrem persönliches Ich verfügen.
Das wohl und wahrscheinlich interes-
santeste Zitat in diesem Zusammenhang
und Kontext lieferte unlängst, genauer ge-
sagt kürzlich Horst Seehofer: „Im Moment
habe ich einige Fragen, auch ich persön-
lich.“ Der Satz setzt den Politiker und sein
Ich in ein eher unheimliches Verhältnis:
Als gäbe es einerseits den Politiker, der
sich halt routinemäßig Fragen stellt. Aber
erst sein Ich hakt wirklich nach. Sonst red’
ich nur als Politiker vor mich hin; in dieser
ernsten Situation aber mein ich’s auch als
Mensch so. Ich wurde als Person in ein Amt
gewählt, das ich jetzt ausnahmsweise auch
mal als Person auskleide. Man könnte zig
Belege dafür anführen oder auch zitieren.
Aber wir machen jetzt lieber Schluss und
aus und gut ist und damit ist dieser Text
aber auch wirklich endgültig an sein Ende
gekommen und vorbei. alex rühle

Monet an Potsdam


Hasso Plattner stiftet seine
Impressionisten-Sammlung

DEFGH Nr. 43, Freitag, 21. Februar 2020 (^) FEUILLETON HF2 13
Manche vergleichen ihn mit James Dean: Jonas Dassler, Mitglied am
Berliner Maxim-Gorki-Theater, hat das gewisse Etwas im Blick.FOTO: STEFAN KLÜTER
Geschenk der Götter
Der Schauspieler Jonas Dassler ist ein Glücksfall für Theater und Film.
Auf der Berlinale wird er als „European Shooting Star“ geehrt
b
e
r
l
in
a
le
202
0
PHRASENMÄHER
Ich persönlich
Terrassen, Bäume, Ödnis: Lageplan für
die Freiflächengestaltung am Humboldt-
Forum. FOTO: BBZ LANDSCHAFTSARCHITEKTEN, BERLIN

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