Süddeutsche Zeitung - 21.02.2020

(Barré) #1
von paul-anton krüger

München– Am Jahrestag der Islamischen
Revolution, dem 11. Februar, attackierte
Irans Präsident Hassan Rohani in Teheran
auf dem Azadi-Platz die USA und gestand
ein, dass die Situation schwierig sei. In sei-
ner Rede appellierte er an die Iraner, trotz
aller Enttäuschung an den Parlamentswah-
len an diesem Freitag teilzunehmen. „Ich
bitte Sie, nicht passiv zu sein“, rief er. Er gei-
ßelte den vor 41 Jahren gestürzten Schah –
das Erwartbare. Dann aber merkte der Prä-
sident an, dessen „korruptes Regime“ wä-
re wohl nicht gestürzt worden, hätte es den
Menschen die Freiheit der Wahl gelassen.
„Wahlen sind eine der großen Errungen-
schaften der Islamischen Revolution“, rief
er seinen Landsleuten zu. Weil das Tor und
der Pfad zu Wahlen verschlossen gewesen
seien, hätten die Menschen in der Revoluti-
on die Fesseln gesprengt und diesen Weg
eröffnet.
Vielen Iranern, die gewohnt sind, auf
Zwischentöne zu hören, entging die doppel-
deutige Anspielung nicht. Denn auch bei
der Abstimmung über die 290 Abgeordne-
ten der Madschlis kann von einer Wahl
eigentlich keine Rede mehr sein. Von den
mehr als 14 000 Bewerbern hat der Wäch-
terrat, der jeden Kandidaten für ein öffent-
liches Amt überprüft, mehr als die Hälfte
ausgeschlossen, unter ihnen 92 der amtie-
renden Parlamentarier. Das von den Ultra-
konservativen um den Obersten Führer
Ayatollah Ali Chamenei dominierte Gremi-
um von sechs Klerikern und sechs Juristen

hat es vor allem reformorientierten Kandi-
daten verwehrt anzutreten.
Schon bei einer Kabinettssitzung im Ja-
nuar hatte Rohani, live übertragen im
Staatsfernsehen, dagegen protestiert. „Er-
zählt den Leuten nicht, es gebe für jeden
Sitz im Parlament 17 oder 170 oder 1700
Kandidaten“, rief er. „1700 Kandidaten von
wie vielen Fraktionen? 17 Kandidaten von
wie vielen Parteien? Von einer Partei? Das
ist keine Wahl“, schimpfte er. Ein Zusam-
menschluss reformistischer Parteien hat

nun festgestellt, dass für 160 der 290 Man-
date nur ein Kandidat der Ultrakonservati-
ven antritt und für weitere 70 Sitze zwar
mehrere Kandidaten konservativer Strö-
mungen miteinander konkurrieren, je-
doch keine Reformer zugelassen wurden.
Damit steht bereits vor der Wahl weitge-
hend fest, dass die Prinzipalisten, wie die
Ultrakonservativen in Iran sich selbst nen-
nen, erstmals seit 2013 wieder eine Wahl
für sich entscheiden dürften. Bislang hiel-
ten die Reformisten und Moderaten zusam-

men knapp 120 Sitze, die Ultrakonservati-
ven kamen auf etwa 80 Mandate, fast eben-
so viele Abgeordnete sind Unabhängige.
Es soll der Beginn einer konservativen
Wende in der Islamischen Republik wer-
den, mit der sie wieder alle Staatsorgane
unter ihre Kontrolle bringen wollen. Im Au-
gust 2021 folgt die Präsidentenwahl – und
nicht wenige rechnen damit, dass in den
nächsten Jahren zumindest eine Vorent-
scheidung über die Nachfolge Ali Chame-
neis fällt, der 80 Jahre alt ist. Das wird die
wichtigste Richtungsentscheidung seit
dem Tod von Revolutionsführer Ayatollah
Ruhollah Chomeini im Juni 1989 und könn-
te Irans Kurs auf Jahrzehnte vorbestim-
men. Die gesamte innenpolitische Ausein-
andersetzung richtet sich darauf aus.
Dabei hätten die Konservativen ohne-
hin gute Chancen auf ein Comeback, denn
viele der 53 Millionen Wahlberechtigten,
die bei den jüngsten Wahlen für Rohani ge-
stimmt haben, die Moderate oder Refor-
mer ins Parlament gewählt haben, sind des-
illusioniert, wenden sich enttäuscht von
der Politik ab. Die wirtschaftliche Lage ist
katastrophal; das Bruttoinlandsprodukt
ist nach Berechnungen des Internationa-
len Währungsfonds im abgelaufenen Jahr
um 9,5 Prozent zurückgegangen, die Infla-
tion liegt bei 31 Prozent, und die Landes-
währung Rial hat gegenüber dem Dollar
zwei Drittel ihres Wertes verloren. Die Ölex-
porte sind durch die US-Sanktionen um
mehr als 80 Prozent eingebrochen.
Viele Familien können sich inzwischen
die steigenden Mieten nicht mehr leisten,

vor allem in den größeren Städten. Trotz
Zweit- und Drittjobs verschlechtert sich
ihr Lebensstandard. In den Straßen Tehe-
rans begegnet man bettelnden Menschen,
auch Frauen im Tschador – das gab es vor
einem Jahr noch nicht. Ebenso ist es Roha-
ni nicht gelungen, versprochene gesell-
schaftspolitische Lockerungen gegen den
Widerstand der Konservativen durchzuset-
zen. Beim Kampf gegen die Korruption
und das Missmanagement hat er die Erwar-
tungen vieler ebenfalls nicht erfüllt. Eine
drastische Erhöhung der Benzinpreise lös-
te im November landesweit Proteste aus,
die das Regime brutal niederschlagen ließ;
Hunderte Menschen wurden getötet.
„Viele Iraner haben das Gefühl, dass die
Politiker sich ihnen jetzt zuwenden, um ih-
re eigene Agenda voranzutreiben, egal ob
das Konservative oder Reformer sind, und
weniger, um ihre Probleme zu lösen“, sagte
Abas Aslani von der Teheraner Denkfabrik
Center for Middle East Strategic Studies
derSüddeutschen Zeitung. Aber es gebe Tei-
le der Bevölkerung, die trotzdem wählen
gehen, sagt Aslani. Normalerweise seien
das jene, die loyal zu den Konservativen
sind. Ali Chamenei, der Oberste Führer,
hat die Stimmabgabe zur religiösen Pflicht
erklärt. Er rief dazu auf, „junge, fromme
und revolutionäre Kräfte“ zu wählen.

Die Wahlbeteiligung gilt dem Regime
als Ausweis seiner Legitimität. Nach einer
Umfrage wollten in Teheran nur 21 Prozent
der Wahlberechtigten abstimmen – vor
vier Jahren waren es 50 Prozent in der
Hauptstadt gewesen, wo 30 Mandate
vergeben werden, und landesweit sogar
62 Prozent. Viele Beobachter rechnen dies-
mal mit einem weit geringeren Wert – aller-
dings auch damit, dass das Regime notfalls
nachhelfen könnte. Internationale Wahlbe-
obachter sind in Iran nicht zugelassen.
Die Tötung des in Iran populären Revo-
lutionsgarden-Generals Qassem Soleima-
ni durch die USA hatte die Atmosphäre ein
Stück weit zugunsten der Regierung verän-
dert, sagt Analyst Aslani. Der Abschuss
einer ukrainischen Passagiermaschine we-
nige Tage später, bei dem alle 176 Insassen
getötet wurden, habe das aber wieder über-
schattet. Ein „Schlag für das Vertrauen“ in
das Regime, der die Gesellschaft erschüt-
tert, sei das gewesen, vor allem weil viele
Menschen den Eindruck gehabt hätten,
dass die Regierung gelogen habe und ver-
sucht habe, etwas zu vertuschen.
Das iranische Parlament hat im Verhält-
nis zu anderen Machtzentren der Islami-
schen Republik wenig Einfluss; die Au-
ßen- und Sicherheitspolitik bestimmt der
Oberste Führer. Mit radikalen Änderun-
gen rechnen europäische Diplomaten etwa
mit Blick auf die Zukunft des ohnehin brö-
ckelnden Atomabkommens daher nicht. Je-
doch können die Abgeordneten die meis-
ten Minister und theoretisch auch den Prä-
sidenten des Amtes entheben. Konservati-
ve hatten damit jüngst wieder Außenminis-
ter Mohammed Dschawad Sarif gedroht.
Für Rohani dürfte es schwieriger wer-
den, überhaupt noch politische Initiativen
voranzutreiben. Sollte das Parlament die
nötigen Gesetze blockieren, mit denen
Rohani die Anforderungen der Financial
Action Taskforce (FATF) zu Vorkehrungen
gegen Geldwäsche und Terrorismusfinan-
zierung zu erfüllen versucht, könnte Iran
noch weiter vom internationalen Finanz-
system abschnitten werden. Als chancen-
los muss indes auch jener Gesetzentwurf
gelten, mit dem der Präsident den Einfluss
des Wächterrats auf die Auswahl der Kandi-
daten beschneiden will.

Kabul– Taliban-Vizechef Siradschud-
din Hakkani(FOTO: AP)sieht eine Chance
für eine politische Lösung des Konflikts
in Afghanistan. „Wir stehen kurz vor
der Unterzeichnung eines Abkommens
mit den USA und sind fest entschlossen,
jede einzelne Bestimmung umzuset-
zen“, schrieb Hakkani in einem Kom-
mentar für dieNew York Times.Auch
für innerafghanische Friedensgesprä-
che sieht Hakkani Chancen. „Wenn wir


eine Einigung mit einem ausländischen
Feind erzielen können, müssen wir in
der Lage sein, innerafghanische Mei-
nungsverschiedenheiten durch Gesprä-
che zu lösen.“ Die USA und Vertreter der
Taliban verhandeln seit Sommer 2018
über eine politische Lösung des mehr
als 18 Jahre dauernden Konflikts. Zu-
letzt hatten sich Taliban-Vertreter zuver-
sichtlich gezeigt, ein Abkommen bis
Ende Februar zu unterzeichnen. Dieses
soll einen Zeitplan für den Abzug von
US-Truppen sowie Garantien beinhal-
ten, dass Afghanistan kein Rückzugsort
für Terroristen wird. Es soll zudem
innerafghanische Verhandlungen einlei-
ten, in denen es um eine Neuverteilung
der Macht im Land geht. dpa


Alles unter Kontrolle


Die iranischen Parlamentswahlen an diesem Freitag werden die wichtigste Richtungsentscheidung seit dem
Tod von Revolutionsführer Ayatollah Chomeini sein. Die Konservativen wollen die ganze Macht zurück

München –Heinz-Christian Strache benö-
tigte nur wenige Sätze, um einen diskreten
Weg von Spenden zu seiner FPÖ zu be-
schreiben: „Der Verein ist gemeinnützig,
der hat nichts mit der Partei zu tun. Da-
durch hast du keine Meldungen an den
Rechnungshof.“ So schilderte es der dama-
lige FPÖ-Chef im Sommer 2017 im heim-
lich aufgenommenen Ibiza-Video. Geheim
also und damit illegal sollte das Geld der
vermeintlichen Oligarchennichte fließen,
nicht direkt an die Partei, sondern an zwi-
schengeschaltete Vereine. Strache und
sein Vertrauter Johann Gudenus nannten
damals Namen reicher Gönner und Unter-
nehmen, die angeblich die FPÖ bereits auf
diese Weise diskret mit üppigen Beträgen
ausstaffiert hatten. NachdemSZundSpie-
geldas Ibiza-Video im Mai 2019 veröffent-
licht hatten, wurden tatsächlich einige Ver-
eine in den Dunstkreisen der FPÖ und
anderer Parteien entdeckt. Was bislang
fehlte: Der Beweis, dass tatsächlich auch
Spenden an die Vereine flossen, die eigent-
lich für die FPÖ gedacht waren. Denn die in
dem Ibiza-Video Genannten dementierten
hinterher ebenso wie Strache selbst.
Nun sind die österreichischen Behör-
den auf Großspenden Industrieller in Hö-
he von Hunderttausenden Euro an vier
FPÖ-nahe Vereine gestoßen. Das geht aus
dem Ermittlungsbericht des Bundeskrimi-
nalamts an die Wirtschafts- und Korrupti-
onsstaatsanwaltschaft hervor, der derSüd-
deutschen Zeitungvorliegt. Die Wiener Ta-
geszeitungDer Standardhatte zuerst dar-
über berichtet.
Fast eine halbe Million Euro hat den Er-
mittlern zufolge unter anderem die Ilag-
Vermögensverwaltung der in Österreich
sehr bekannten Familie Turnauer über die
Jahre gespendet. 750 000 kamen vom Waf-
fenhersteller Steyr Arms. Auch der Glücks-
spielkonzern Novomatic, den Strache auf
Ibiza explizit nannte, soll 240 000 Euro an
den Verein „Institut für Sicherheitspolitik“
überwiesen haben. Dass Geld aus den Spen-

den weiter an die FPÖ oder an Strache ge-
flossen ist, bestreiten alle Beteiligten. Man
habe an den Verein gespendet und nicht an
die Partei, sagte Ilag-Geschäftsführer
Hans Herzog demStandard. Auch ein Spre-
cher von Steyr Arms erklärte dem Medien-
bericht zufolge, die Gelder seien in Erwar-
tung eines Beitrags zum öffentlichen Dis-
kurs überwiesen worden.
Die Behörden gehen davon aus, dass
die Vereine in „Absprache mit Strache und
Gudenus“ mit dem Vorsatz gegründet wur-
den, „finanzielle Zuwendungen für die
FPÖ respektive Heinz-Christian Strache zu
lukrieren“. So steht es im Ermittlungsbe-
richt, der sich auf Zeugenbefragungen und
die Auswertung der sichergestellten Han-
dys von Strache und Gudenus stützt. Ver-
dachtserregend seien demnach mehrere
Nachrichtenchats, die belegen würden,
dass beide von den Spenden gewusst hät-
ten. Außerdem habe Steyr Arms die Be-

schlüsse für die kurz vor der Parlaments-
wahl 2017 getätigte Spende erst 2019 ver-
schriftlicht – nach Bekanntwerden der Vor-
würfe rund um Ibiza also. Bei den Vereinen
seien zudem verhältnismäßig geringe Aus-
gaben für den Vereinszweck festgestellt
worden. Einige Spender seien allerdings
noch nicht einvernommen worden, mehre-
re Beträge, die in den Chats von Strache,
Gudenus und anderen FPÖ-Funktionären
erwähnt wurden, noch nicht zugeordnet.
Strache selbst ist im Dezember 2019
aus der FPÖ ausgeschlossen worden und
steht nun in Konkurrenz zu seiner frühe-
ren Partei. Der Ex-Vizekanzler bereite sich
für die Wien-Wahl im Herbst vor, wie öster-
reichische Medien am Donnerstag berich-
teten. Seine Kandidatur für eine neue Liste
von FPÖ-Abtrünnigen wolle er demnach
am Aschermittwoch offiziell bestätigen.
l. al-serori, o. das gupta, p.
münch, f. obermaier, b. obermayer

München– Deutschland und Frankreich
haben den russischen Präsidenten Wladi-
mir Putin zu einem sofortigen Ende der
Kämpfe in der syrischen Provinz Idlib auf-
gefordert. Bundeskanzlerin Angela Merkel
und Staatspräsident Emmanuel Macron
hätten am Rande des EU-Sondergipfels in
Brüssel mit Putin telefoniert, sagte ein
Sprecher der Bundesregierung am Don-
nerstagabend. Beide hätten betont, wie be-
sorgt sie über die „katastrophale humanitä-
re Lage“ der Menschen in Idlib seien. Sie
forderten neben dem Stopp der Kämpfe
auch einen ungehinderten Zugang von
Hilfsorganisationen zu den Bedürftigen.

„Sie erklärten sich bereit, sich gemeinsam
mit Putin und dem türkischen Präsidenten
Recep Tayyip Erdoğan zu treffen, um eine
politische Lösung für die Krise zu errei-
chen“, teilte der Regierungssprecher mit.
In der umkämpften Provinz Idlib gab es
am Donnerstag heftige Auseinanderset-
zungen. Im Nordwesten Syriens starteten
Aufständische eine Gegenoffensive. Unter-
stützt durch Granatfeuer und von Soldaten
der türkischen Armee versuchten Rebellen-
einheiten die Stadt Nayrab zu stürmen, die
sie am 3. Februar an die Truppen des syri-
schen Machthabers Baschar al-Assad verlo-
ren hatten. Nayrab liegt an der strategi-
schen Autobahn M4, die Aleppo mit der
Küstenregion verbindet. Die syrische und
die russische Luftwaffe reagierten auf die
Angriffe mit Bombardements.
Die Gefahr einer neuen Konfrontatio-
nen der Armee des Nato-Staats Türkei mit
Russland und Syrien steigt also, zumal bei
einem Luftangriff zwei türkische Soldaten
getötet und fünf weitere verletzt wurden,
wie das Verteidigungsministerium in Anka-
ra am Donnerstag mitteilte. Das türkische

Militär habe daraufhin Stellungen der syri-
schen Regierungstruppen beschossen.
Russland kritisierte das Vorgehen der Tür-
kei. Es sei besorgniserregend, dass Ankara
militante Gruppen in Syrien unterstütze,
erklärte Moskau am Abend.
Zuletzt hatten russische und türkische
Unterhändler erfolglos über einen Waffen-
stillstand für Idlib gesprochen, am Mitt-
woch drohte der türkische Staatspräsident
Recep Tayyib Erdoğan: Es seien „die letz-
ten Tage“ für das „Regime“ in Damaskus,
seine Aggression zu stoppen und sich an
die Abmachungen des Abkommens von
Sotschi zu halten. Dort hatte sich die Tür-
kei 2018 mit Assads Verbündeten Russland
und Iran auf die Errichtung sogenannter
„Deeskalationszonen“ geeinigt, eine da-
von umfasste Idlib. Seit Assads Truppen in
Idlib gegen die von der Türkei unterstütz-
ten Rebellen vorrücken, fordert Erdoğan ei-
nen vollständigen Rückzug hinter die da-
mals festgelegte Frontlinie und droht
sonst mit einem großen Gegenangriff.
Während Erdoğan eine Operation in Id-
lib „eine Frage des Augenblicks“ nannte,
bemühte sich der türkische Außenminis-
ter am Donnerstag, diplomatische Kanäle
nach Moskau offenzuhalten. Ein Vertreter
der türkischen Regierung brachte gemein-
same Patrouillen mit russischen Soldaten
in Idlib ins Gespräch. Zuletzt waren auch
US-Soldaten mit russischen Patrouillen an-
einandergeraten: Videos zeigten, wie sich
Panzerfahrzeuge der beiden Länder in den
kurdisch kontrollierten Gebieten im Nord-
osten Syriens gegenseitig von der Straße
zu drängen und zu rammen versuchten.
Die Lage der Flüchtlinge verschlechtert
sich unterdessen weiter. Filippo Grandi,
UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, stuf-
te deren Zahl am Donnerstag mit „nahezu
einer Million“ an, etwa 80 Prozent der zu-
letzt heimatlos gewordenen Personen in Id-
lib seien Frauen und Kinder. Der Raum, in
dem Helfer agieren könnten, werde bestän-
dig kleiner. moritz baumstieger

Washington –Der lang jährige Trump-Ver-
traute Roger Stone ist im Zusammenhang
mit der Russland-Affäre zu 40 Monaten
Haft verurteilt worden. Seine Vergehen wö-
gen so schwer, dass er eine erhebliche Zeit
hinter Gittern verbringen müsse, sagte US-
Bezirksrichterin Amy Berman Jackson am
Donnerstag bei der Bekanntgabe des Straf-
maßes. Die ursprüngliche Forderung der
Staatsanwaltschaft von sieben bis neun
Jahren Haft sei jedoch überzogen gewesen.
Die Verteidigung hatte eine Bewährungs-
strafe gefordert.
Der Fall hatte Aufsehen erregt, weil Prä-
sident Donald Trump sich vor dem Richter-
spruch mehrmals deutlich zum Strafmaß
geäußert hatte. So kritisierte er die ur-
sprüngliche Forderung der Staatsanwalt-
schaft als „sehr schrecklich und unfair“. Da-
nach senkte das Justizministerium in ei-
nem höchst ungewöhnlichen Schritt die
Forderung. Aus Protest dagegen erklärten
vier Staatsanwälte ihren Rücktritt von
dem Fall, einige kündigten sogar. Justizmi-
nister William Barr beklagte später, die
Tweets des Präsidenten machten ihm sei-
ne Arbeit unmöglich.
Das hielt Trump aber nicht davon ab,
von Richterin Jackson noch am Dienstag
via Twitter zu verlangen, den Schuld-
spruch der Geschworenen zu verwerfen.
Diese hatten Stone im Herbst für schuldig
befunden, einen Zeugen zu Falschangaben
angestiftet und Untersuchungen des Re-
präsentantenhauses über eine mögliche
Zusammenarbeit von Trumps Wahlkampf-
truppe mit Russland behindert zu haben.
Außerdem hat Stone nach Überzeugung
der Jury den Kongress über Gespräche be-
logen, die er über die Enthüllungsplatt-
form Wikileaks geführt hat. Diese war
2016 im Besitz von mehr als 19 000 Emails,
die bei einem Hackerangriff auf die Füh-
rung der US-Demokraten erbeutet worden
waren. Stone hat ein Fehlverhalten bestrit-
ten und von politisch motivierten Vorwür-
fen gesprochen. Jackson wies dies zurück.
Stone sei nicht belangt worden, weil er
sich für Trump eingesetzt habe. „Er wurde
bestraft, weil er den Präsidenten gedeckt
hat“, sagte sie. Zugleich kritisierte sie, Sto-
ne habe die Öffentlichkeit über das Inter-
net gegen Staatsanwaltschaft und Gericht
aufgestachelt. Es sei sogar eine Fotomonta-
ge von ihr in einem Zielfernrohr verbreitet
worden. „Das ist für die Rechtsprechung
untragbar“, sagte Jackson. Vor zwei Tagen
hatte sie einen Antrag zurückgewiesen,
das Strafmaß für Stone erst später zu ver-
künden. Die Richterin setzte den Vollzug
der Strafe aus, bis sie über Stones Antrag
für einen fairen Prozess entschieden hat.
Der 67-Jährige reagierte auf ihre Entschei-
dung zunächst nicht. ap  Seite 4


Der Ton zwischen Iran und den Europäern ist
deutlich rauer, seit die Außenminister Frank-
reichs, Großbritanniens und Deutschlands
den Konfliktlösungsmechanismus aus dem
Atomabkommen aktiviert haben. Sollte das
Dossier wieder im UN-Sicherheitsrat landen,
so drohte Irans Außenminister Mohammad
Dschawad Sarif, werde sich Iran aus dem
Atomwaffensperrvertrag zurückziehen. An
Eskalation jedoch haben beide Seiten eigent-
lich kein Interesse. Das signalisierte der neue
EU-Außenbeauftragte Josep Borrell jüngst
bei einem Besuch in Teheran.
Hohe Diplomaten beider Seiten verhan-
deln seither darüber, wie das bröckelnde Ab-
kommen noch zu retten sein könnte. Die Eu-
ropäer wollen erreichen, dass Iran manche
der Verstöße gegen Limits des Abkommens
zurücknimmt. So warnen Diplomaten, die
Menge des angereicherten Urans in Iran

könnte bald so groß werden, dass das Re-
gime nur noch wenige Monate brauchen wür-
de, um eine Bombe herzustellen. Das unter-
laufe den Kern der Vereinbarung, man könne
das daher „nicht unbegrenzt hinnehmen“.
Um Iran zu demonstrieren, dass sich die
Europäer dem Abkommen jenseits politi-
scher Bekundungen verpflichtet fühlen, sol-
len einige Transaktionen über die von der EU
eingerichtete Zweckgesellschaft Instex ab-
gewickelt werden und andere Wege gesucht
worden, um den Handel mit Iran zu fördern.
Kommende Woche sollen hochrangige Diplo-
maten darüber wieder in Wien verhandeln.
Das Interesse auf iranischer Seite sei aller-
dings „zögerlich“, wie eine mit den Gesprä-
chen vertraute Person sagte. Sonderlich opti-
mistisch sei kaum jemand mehr, aber man
sei dennoch entschlossen „der Diplomatie
eine Chance zu geben“. PKR

Der lange Schatten von Ibiza


Österreichische Ermittler verdächtigen FPÖ-nahe Vereine des Spendenbetrugs


Appell an Putin


Merkel und Macron fordern von Moskau Ende der Kämpfe in Idlib


Dublin –Der irische Premierminister
Leo Varadkar wird offiziell seinen Rück-
tritt anbieten. Dies kündigte er am spä-
ten Donnerstagabend in Dublin an.
Zuvor war es wie erwartet keiner der
drei großen irischen Parteien gelungen,
bei der Wahl des Regierungschefs genü-
gend Stimmen zu bekommen. Bei den
Wahlen vor zwei Wochen hatte die links-
gerichtete Partei Sinn Fein überra-
schend die etablierten bürgerlichen
Parteien – Varadkars Fine Gael sowie
Fianna Fail – von der Macht verdrängt.
Damit wurde ein Umbruch in Irland
eingeleitet. Sinn-Fein-Chefin Mary Lou
McDonald hatte zwar am Donnerstag
die meisten Stimmen erhalten, aber
nicht genug. Varadkar schließt eine
Koalition mit Sinn Fein aus. dpa


Der Diplomatie eine Chance


Taliban-Vize optimistisch


Umfragen sagen eine schwache Beteiligung voraus: Wahlplakate in Teheran. FOTO: ATTA KENARE / AFP

8 1MG (^) POLITIK Freitag, 21. Februar 2020, Nr. 43 DEFGH
Die UN sprechen von fast einer
Million Flüchtlingen. Die meisten
sind Frauen und Kinder
„Der Verein ist gemeinnützig, der hat nichts mit der Partei zu tun. Dadurch hast du
keine Meldungen an den Rechnungshof“, sagte Strache im Ibiza-Video. FOTO: SZ
Ali Chamenei, der Oberste
Führer, hat die Stimmabgabe
zur religiösen Pflicht erklärt
40 Monate Haft für
Trump-Vertrauten
Richterin: Stone wurde bestraft,
weil er den Präsidenten gedeckt hat
Irlands Premier will abtreten
AUSLAND

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