Der Stern - 04.03.2020

(C. Jardin) #1

H


err Bregman, Sie behaupten, der
Mensch sei kein böses Wesen,
dessen finstere Triebe gebändigt
werden müssten. Sondern er sei
im Grunde gut. Wenn man sich
die Welt anschaut, gerade etwa
die egoistische Panik, die viele ange-
sichts des Coronavirus erfasst: Ist das
nicht eine ziemlich naive Vorstellung?
Das höre ich die ganze Zeit.
Und was antworten Sie?
Man muss sich erst mal klar werden, wo-
her der Gedanke kommt, der Mensch sei
schlecht. Er wird uns tagtäglich in den
Nachrichten vermittelt. Die aber zeigen
die Ausnahmen, nicht die Regel. Dieses
Muster zeigt sich jetzt auch in der Corona-
Krise. Die meisten Menschen sind besorgt,
verhalten sich verantwortungsbewusst
und bleiben ruhig. Schlagzeilen machen
aber die krassen Ausnahmen. Darin ist die
Coronavirus-Lage vergleichbar mit der
Situation nach einer Naturkatastrophe.
Anfangs denkt man: Überall Panik, das
Schlechte im Menschen kommt zum Vor-
schein. Wenn aber Wissenschaftler später
die Lage mit Abstand analysieren, kommt
oft heraus: Die meisten Menschen haben
sich sozial und gut verhalten.
Was ja Ihre These ist – der Mensch ist gut.
Was brachte Sie auf die Idee?
Ich habe mich mit dem bedingungslosen
Grundeinkommen beschäftigt und dabei
gelernt: Geld ohne Leistung macht nicht
faul. Aber Geld bekommen fürs Nichts-
tun? Das finden natürlich nicht alle gut.
Die Kritik war immer: So sind die Men-
schen einfach nicht, so uneigennützig.
Das fand ich faszinierend. Der Gedanke,
dass der Mensch schlecht ist, steckt tief
in uns drin.
Ist aber falsch, sagen Sie.
Wir müssen uns fragen: Was macht den
Menschen als Spezies erfolgreich? Jahr-
hundertlang war die Begründung: Weil wir
ein großes Hirn haben, weil wir eben intel-
ligent sind. Das Problem ist aber: Andere
Menschenarten, wie etwa der Neander-
taler, hatten ein viel größeres Gehirn.
Was macht uns denn erfolgreich?
Dass wir nett zueinander sein können.
Nicht die stärksten Vertreter unserer Gat-
tung hatten die meisten Kinder – sondern
die nettesten.
Also nicht „Survival of the fittest“?
Eher „Survival of the friendliest“ –freund-
liche Menschen kooperieren einfach bes-
ser. Das war unser Erfolgsrezept. In den
1960er Jahren hat eine Forscherin ein fas-
zinierendes Experiment gemacht. Sie hat
bei Silberfüchsen immer die freundlichs-
ten – nicht die stärksten – sich vermehren

Der Historiker Rutger Bregman ist überzeugt:


Wir sind im Grunde gut. Ein Gespräch über den


Erfolgsfaktor Nettigkeit und das gut getarnte Böse


„Schlechte


Menschen sind die


Ausnahme“


Interview: Marc Goergen

100 5.3.2020

KULTUR


BUCH

Free download pdf