Der Stern - 04.03.2020

(C. Jardin) #1

MUSIK


Er hat Flow, eine
tolle Stimme und
etwas, das man im
chartrelevanten
Rap oft vermisst:
was zu sagen. Der
Hamburger Rapper Disarstar nennt
sich Antikapitalist. Deshalb atmen auf
dem Album „Klassenkampf & Kitsch“
einige Songs den Geist von Marx und
Engels. Manchmal klingt die Kritik
eindimensional, manchmal klar, kraft-
voll, konkret. Doch Politik ist nicht das
ganze Album. Disarstar lässt gefühl-
voll in sein depressives Inneres blicken,
rappt über sein ADHS und seine Be-
ziehungsprobleme. Nicht alle Tracks
glänzen. Aber die Platte gibt einem
das gute Gefühl, dass da einer macht,
worauf er Bock hat. 22222

RAP


Wir wollen Meg
Remy vorstellen,
die Frau hinter dem
Bandnamen U. S.
Girls, der etwas in
die Irre führt, denn
es gibt keine weiteren Girls in der
Band, und Remy wohnt schon lange in
Kanada. Wer sich für die Verästelun-
gen des Indie-Pop interessiert, dürfte
von ihr gehört haben; auch in den Play-
lists der Streamingdienste tauchen die
U.S. Girls regelmäßig auf. Das könnte
mit dem Album „Heavy Light“ noch
zunehmen, denn dieser Pop ist herrlich
stimmungsverstärkend. So wie Grimes:
sehr bunt, sehr divers. Nur ohne
akustische Gimmicks. Der Albumtitel
basiert übrigens auf Kafkas Satz „Ein
Glaube wie ein Fallbeil, so schwer,
so leicht“. Trifft es gut. 22222

POP


FOTO: NICOLAS ZONVI

Nur kein Stillstand,
bloß keine Routine:
Seit er zu Beginn der
Neunziger nach Chi-
cago zog, ist Jeff
Parker stets auf der
Suche nach neuen Klängen. Als Gitar-
rist erforschte er erst mit Tortoise, spä-
ter mit weiteren Bands den Free Rock;
mittlerweile geht er auch als Produzent
auf Erkundungstour. Für die „Suite for
Max Brown“, gewidmet seiner Mutter
Maxine, schob er sanft Beats und
Samples zusammen, die er und seine
Band The New Breed anschließend
mal mit geborgten Klangfetzen, mal
mit Improvisationen schmückten.
Nicht nur die Coverversion von John
Coltranes „After the Rain“ zeigt: Für
den 52-Jährigen ist der Jazz das aktu-
ell größte Abenteuer. 22222

JAZZ


ris, eine von Nicola Amati und eine von
Guarneri del Gesù. Er hat mir nicht verra-
ten, welche Geige von welchem Bauer
stammte. Ich sollte sie alle ausprobieren.
Die vierte Geige war nicht so perfekt ge-
baut wie die anderen. Ich habe sie genom-
men, wusste nicht, was sie war, habe einen
Ton gespielt, und dann blieb mir die Luft
weg. Was ist das?! Für mich ist sie das bes-
te Instrument der Welt. Der Klang ist
Wahnsinn. Sie stammt aus dem Jahr 1742.
Ich könnte sie mir nie im Leben leisten.
Der Unterschied zu einer normal tollen
Geige ist der eines Sportwagens zu einem
Formel-1-Wagen. Du kannst innerhalb
einer Sekunde gegen die Wand fahren. Du
musst lernen, damit umzugehen. Und
wenn mal etwas danebengeht: Die Geige
ist definitiv nicht schuld.
Protokoll: Oliver Creutz

V


or ein paar Jahren rief mich eine
Dame aus Hamburg an. Sie sagte:
„Wir möchten gern ein Instru-
ment kaufen und es Ihnen zur
Verfügung stellen. Wir würden es
gern als Investition erwerben.
Suchen Sie sich eins aus.“ Ich sagte ihr: Ich
habe bereits eine sehr gute Geige, und
wenn ich sie weglegen soll, brauche ich das
beste Instrument, das ich finden kann. Das
hat einen gewissen Preis. Sie sagte: „Das ist
mir klar.“ Geld spiele keine Rolle. „Haupt-
sache, Sie mögen das Instrument. Wenn Sie
es mögen, werden Sie es viel spielen. Wenn
Sie es viel spielen, wird der Wert nach oben
gehen.“ Eine ganz kühle Kalkulation.
Ich streute mein Interesse unter Geigen-
händlern. Mein Handy stand nicht mehr
still. Schließlich kam ein namhafter Händ-
ler auf mich zu und sagte: „Ich hätte da
was.“ Er brachte zwei Geigenkästen nach
Hamburg, wo ich damals gerade probte.
In jedem Kasten zwei Geigen. Er öffnete sie,
und vor mir lagen Instrumente im Wert
von vielen Millionen Euro. Zwei Stradiva-

Vorsicht, kostbar:
Hope, 46, hält
ein Werk des
Geigenbauers
Guarneri del Gesù

Daniel Hope spielt auf einer Geige, die er sich niemals leisten
könnte. Hier erzählt er, wie sie zu ihm gefunden hat

„Mir blieb die Luft weg“


Daniel Hope: „Belle Époque“
Zwei CDs mit Stücken aus dem frühen


  1. Jahrhundert 22222


104 5.3.2020

KULTUR

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