Der Stern - 04.03.2020

(C. Jardin) #1

im Ausguck. Das Kartell von Sinaloa und


das der Nueva Generación liefern sich er-


bitterte Kämpfe um Escobars ehemaliges


Revier. Wer sich als Tourist nicht in Drogen-


geschäfte begibt, hat nichts zu befürchten.


Er muss auch nicht die bittere Armut se-


hen, in der die Hälfte der Bevölkerung lebt.


Stundenlöhne in Höhe von kaum einem


Dollar sind es, die den Kartellen willfähri-


ge Handlanger liefern.


„Die Menschen fernab vom Tourismus


sind sich selbst überlassen“, sagt Brenda


González. Immer montags fährt sie 80


Kilometer ins Dorf Chanchen I im Landes-


inneren, wo sie mit ihrer Stiftung „Rodan-


do con Causa“ Kinder armer Familien be-


treut. Sie malen, singen, machen Yoga.


„Viele werden von den Eltern vernachläs-


sigt, sprechen noch nicht einmal Spanisch“,


sagt González. „Wir können ihre Lebens-


chancen verbessern.“


Für diese Kinder ist Tulum Lichtjahre


entfernt. Der Hauptort, sechs Kilometer


abseits vom Strand, ist ein unspektakulä-


res, typisch mexikanisches Provinzstädt-


chen, direkt an der Staatsstraße 307 gele-


gen. Der Charme erschließt sich erst auf


den zweiten Blick. Doch für Touristen ist


das Pueblo, wie die Einheimischen die


40 000-Einwohner-Stadt nennen, eine


wunderbare Basis für einen prallen Urlaub.


Nicht nur, weil man hier für 40 Dollar sehr


ordentlich übernachten kann und mit Ein-


heimischen preiswerte, leckere Fajitas


speisen kann. Es gibt auch Sushi-Bars wie


das Nao oder die Bar Batey. Jeden Abend


spielt eine Band. Davor bieten Kleinkrimi-


nelle Cannabis und Kokain feil, kleine Kin-


der Kuscheltiere.


Morgens wird man vom Gebell streu-


nender Hunde geweckt. Vom Nachbarn, der


im Hinterhof schnulzige Boleros aufdreht.


Oder durch den Saftverkäufer auf dem Las-


tenfahrrad, der über scheppernde Laut-


sprecher selbst gebrautes Maisgetränk an-


preist. „Das leckere Pozol, mit Kokosnuss


oder Kakao. Mein Herr, meine Dame,


geben Sie uns ein Zeichen, wir stoppen


sofort.“ Ein nahrhafter Energielieferant


für Touren ins Hinterland. Zu einer der


zahlreichen Maya-Ruinen. Oder nach


Muyil, nur 20 Minuten vor der Stadt. Nach-


fahren der Mayas haben sich dort zu einer


Kooperative zusammengeschlossen. In


Holzbooten schippern sie Touristen über


die Lagunen des Nationalparks, die die


Mayas schon vor mehr als 1000 Jahren mit


Kanälen verbanden.


Am Eingang des ersten Kanals steht


noch die Ruine eines Häuschens, das einst


als Zollstation diente. Heute steigt man


hier am Bootssteg in das glasklare Süß- 4


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