Der Stern - 04.03.2020

(C. Jardin) #1
FOTOS: SONJA OCH/STERN; DPA

Meister, 1961 in
Aschaffenburg
geboren, ist ge-
lernter Maschinen-
bautechniker in
der Kerntechnik-
branche. Im März
2011 war er für
eine Studie im
Kernkraftwerk
Fukushima. Nach
einem Erdeben
der Stärke 9,0 kam
es dort zu Explo-
sionen (kl. Foto). Es
folgte ein Tsunami,

der ganze Städte
an der Ostküste
Japans auslöschte.
Allein infolge des
Erdbebens starben
mehr als 18 000
Menschen. Die japa-
nische Regierung
erklärte den atoma-
ren Notfall. Meister
ist verheiratet und
hat zwei erwach-
sene Söhne. Er ist
seit 40 Jahren bei
seinem Unterneh-
men beschäftigt.

S


ie sind Projektleiter bei einem
Kerntechnikunternehmen und
waren vor neun Jahren in Fuku-
shima tätig, als ein gewaltiger
Tsunami die Kernschmelze
auslöste. Plagen Sie heute noch
Albträume?
Nein, die hatte ich auch nie. Nach wie vor
schießen mir aber schon bei leichten Er-
schütterungen sofort die Bilder von dem
furchtbaren Erdbeben durch den Kopf.
Sie waren mit einem zehnköpfigen Team
dort. Was genau haben Sie gemacht?
Wir waren als eine von insgesamt vier
Arbeitsgruppen an einer internationalen
Studie zur Ultraschalltechnik beteiligt.
Jedes Team durfte sein neu entwickeltes
Verfahren vorstellen, um kleinste Risse
an Schweißnähten zu finden. Unsere Prü-
fung am Reaktordruckbehälter in Block
vier sollte am nächsten Tag starten. Wir
waren gerade dabei, unsere Ultraschall-
geräte und Computer aufzubauen, als die
Erde plötzlich anfing zu beben.

Das Beben erschütterte die Ostküste
Japans und erzeugte einen Tsunami mit
bis zu 20 Meter hohen Wellen. Wie haben
Sie die Naturkatastrophe in Erinnerung?
Plötzlich begann der Boden leicht zu vib-
rieren. Die Erschütterung wurde binnen
Sekunden immer stärker, sodass wir uns an
Schreibtischen festklammerten. Von oben
drückte sich eine große weiße Staubwolke
wie eine dicke Nebelschicht herunter, und
mein Kollege schrie: „Es brennt!“ Dann er-
tönte der Räumungsalarm.
Und alle stürmten panisch los?
Nein, im Gegenteil. Die Japaner sind Erd-
beben gewohnt und blieben deshalb auch
ruhig und gelassen. Stellen Sie sich vor: Die
zogen vor der Schuhwechselzone sogar
noch ihre Arbeitsschuhe aus. Diese Gelas-
senheit übertrug sich auf uns. Bevor wir
den Raum verließen, verstauten wir unse-
re Monitore und Rechner in Kisten, damit
sie nicht beschädigt werden.
Absurd.
Definitiv. Noch heute bin ich beeindruckt,
wie entspannt die Japaner angesichts der
Stärke des Bebens blieben. Gemeinsam lie-
fen wir ein Stück bergauf zu einem Sport-
platz. Dort untersuchte uns der japanische
Strahlenschutz. Zum Glück war keiner
kontaminiert. 72 Stunden später waren wir
dann wieder zu Hause in Deutschland.
Gab es für den Einsatz eine ordentliche
Entschädigung vom Arbeitgeber?
Nicht im Sinne einer Prämie oder sonsti-
gen Gratifikation. Allerdings durfte jeder
von uns so lange zu Hause bleiben, bis er
sich wieder einsatzfähig fühlte. Bei mir
dauerte das drei Wochen.
Einen Monat nach der Katastrophe ver-
kündete Kanzlerin Merkel die Energie-
wende. Wie haben Sie das empfunden?
Ich war enttäuscht. Das gewaltige Erd-
beben und der Tsunami hatten in Fuku-
shima die Kernschmelze ausgelöst. Aber
solch eine Naturkatastrophe ist bei uns
unmöglich. Auch wenn ich mich damit un-
beliebt mache: Ich bin nach wie vor über-
zeugt von der Atomkraft, denn sie ist
bei uns in Deutschland eine saubere und
sichere Art der Energieerzeugung.
Klingt, als hätten Sie auch nach diesen
schlimmen Erlebnissen nie über einen
Jobwechsel nachgedacht.
Stimmt. Keiner aus meinem Team wollte
deswegen übrigens den Job hinschmeißen
oder gar die Branche wechseln. Nach wie
vor sind wir auch heute in fast der gleichen
Konstellation weltweit im Einsatz und wa-
ren seitdem auch zig Male wieder in Kern-
kraftwerken. Ich fühlte mich dort immer
sicher und hatte nie Angst. 2
Interview: Sabine Hoffmann

Der Deutsche arbeitete im März 2011 im Atomkraftwerk
in Fukushima, als es dort zur Nuklearkatastrophe kam

Robert Meister


Robert Meister, 59,
in Erlangen,
wo er bei dem
Kern tech-
nikunternehmen
Framatome
angestellt ist

122 5.3.2020

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