Der Stern - 04.03.2020

(C. Jardin) #1

D


ie CDU ist benommen. Nicht bei
klarem Verstand. Vom Hufeisen
am Kopf getroffen. Jenem Huf-
eisen, das der fatalen Theorie von
der Äquidistanz, der gleichen Ent-
fernung zur AfD und zur Linken,
den Namen gab. In der Mitte, so besagt die-
ses rostige Stück Eisen, ist die Christdemo-
kratie fest verankert, an den beiden Enden,
zur Rechten und zur Linken, die Unberühr-
baren. Ewig weit entfernt. Gleich weit.
Thüringen hat das Modell für die Einfäl-
tigen natürlich längst ad absurdum geführt.
Denn wer könnte behaupten, dass Bodo
Ramelow, der landesväterliche Linke, und
Björn Höcke, der rechtsradikale Hetzer, auf
eine Stufe zu stellen wären? Ein Sozialist
und ein Faschist. Das widerlegt schon der
bloße Augenschein. Deshalb bemühen sich
die Intelligenten an der Spitze der CDU
längst um eine differenziertere Herleitung.
Das Hufeisen-Modell? Tot.
In Wahrheit aber natürlich nicht, denn
selbst in höchster Not sollen sich die Par-
teifreunde im Osten noch entsprechend
verhalten. Das aber ist ganz und gar töricht,
unpolitisch und realitätsfern. Geradezu
zerstörerisch für die ohnehin gerupfte
Christdemokratie im Osten. Denn was sie
als Partei der Mitte kennzeichnen soll,
macht sie tatsächlich bewegungsunfähig.

Für die Linke braucht es keinen Abgren-
zungsbeschluss. Beide Parteien sind sich
historisch, ideologisch und kulturell ganz
und gar fremd. Niemals kämen sie auf die
Idee, einander als Partner zu suchen. Es sei
denn, der Staat geriete in Not, wie in Thü-
ringen. Und auch dann nur befristet.
Ganz anders sieht es zwischen CDU und
AfD aus. Hier gehen die Milieus fließend
ineinander über. Viele in der CDU wollten,
wenn sie dürften. Als der Liberale Kemme-
rich in Weimarer Manier zum Ministerprä-
sidenten gewählt wurde, ließen sich solche
CDU-Abgeordneten von ihren geheimen
Sehnsüchten an die Seite der AfD treiben.
Eine lückenlose Abgrenzung von den
Rechtsextremen ist also unverzichtbar, erst
recht nach dem Blutbad von Hanau. Mit
der Linken aber muss die CDU dann gehen
dürfen, wenn es keinen anderen Weg gibt,
um die Zersetzung der Demokratie abzu-
wenden. Das kann schon 2021 nach der
Wahl in Sachsen-Anhalt vonnöten sein, wo
sich nur noch eine Kenia-Koalition von
CDU, SPD und Grünen zwischen links und
rechts behaupten konnte.
Westliche Ignoranz ist das Problem.
Westliche Abgrenzungsrituale haben die
CDU im Osten in höchste Not gebracht. Die
West-CDU, zutiefst von Kaltem Krieg und
Antikommunismus geprägt, kann sich
einen Unberührbarkeitsbeschluss gegen
die AfD gar nicht vorstellen, ohne reflex-
haft auch die Linke in Bann zu legen. Im
Westen aber ist die Linke so schwach, dass
sich das Bündnisproblem gar nicht stellt.
Der Reinheit der westlichen Christdemo-
kratie zuliebe soll sich die östliche doch
mal eben selbst entleiben.
Verlogen ist das obendrein. Die Kanzle-
rin telefoniert aus dem Kanzleramt mit
Ramelow und bestätigt damit, dass die
Linke, seine Linke, die Mehrheitslinke
längst im demokratischen Parteiensystem
verankert ist. Verlässlich. Ramelow ist So-
zialdemokrat, nach einer Parteifusion gäbe
er einen prächtigen SPD-Vorsitzenden ab.
Ähnlich war ja auch der Weg der Grünen.
Franz Josef Strauß hielt sie „nicht für
eine demokratische Partei“. Heute hofft
die Union auf die einstmals Verfemten.
Der Ost-CDU aber fehlt eine markante
Stimme, die im Westen Gehör findet. Wie
die einstige Regierungschefin Christine
Lieberknecht, die in der Krise zur beherz-
ten Anwältin Ramelows wurde. Um den
Doppelbeschluss der CDU einzustampfen
aber brauchte es eine Rebellion des gesam-
ten Ostens. Deren fernes Beben im Ade-
nauer-Haus die Gläser zittern lässt. 2

„Die CDU Deutschlands lehnt Koalitio-
nen und ähnliche Formen der Zusammen-
arbeit sowohl mit der Linkspartei als auch
mit der Alternative für Deutschland ab“,
hatte der Hamburger CDU-Parteitag 2018
beschlossen. Präsidium und Vorstand be-
kräftigten das seither. Mehrfach. Eisern.
Der Beschluss aber ist unhaltbar, er müss-
te fallen – jedenfalls in dieser Pauschalität.
Denn es gibt keine linke Versuchung für die
CDU, wohl aber eine rechte.

ROST AM KOPF


Für die CDU gibt es keine linke Versuchung,


wohl aber eine rechte. Deshalb muss sie sich gezielt


nur von der AfD abgrenzen


18 5.3.

KOLUMNE


JÖRGES


Hans-Ulrich Jörges
Der stern-Kolumnist schreibt
jede Woche an dieser Stelle

ZWISCHENRUF AUS BERLIN


ILLUSTRATION: JAN STÖWE/STERN
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