Der Stern - 04.03.2020

(C. Jardin) #1

Das Festival des Journalismus


TAG DER WAHRHEIT


Vor knapp 20 Jahren habe ich eine Geschichte für
den stern geschrieben, es war der Höhepunkt der
BSE-Krise, der Verzehr von Rindfleisch war in
Deutschland komplett eingebrochen. Die Angst
vor Creutzfeldt-Jakob ging um, einer tödlich ver-
laufenden Hirnerkrankung. Viele Menschen
fürchteten, den „Rinderwahnsinn“ zu bekommen.
In meiner Geschichte argumentierte ich, dass
unsere Ängste völlig fehlgeleitet wären – im üb-
rigen auch durch uns Medien, die in großen Buch-
staben das Feuer schürten. Echte Gefahren wie
Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Alkohol
würden wir ausblenden, unsichtbare Risiken wie
Viren oder Umweltgifte dagegen übertrieben
wahrnehmen. „Die Risiken der eigenen Lebens-
führung sind ein Tabuthema“, sagte mir damals
ein Risikoforscher.
Die Frage, wie gefährlich das neuartige Corona-
virus ist, kann derzeit keiner so recht beantwor-
ten. In China liegt die Sterberate bei 2,3 Prozent
der offiziell gemeldeten Krankheitsfälle – eine
Zahl, die niemand richtig ernst nimmt. Es sieht so
aus, als wäre Corona gefährlicher als die Grippe.
Ältere Männer mit einer Vorerkrankung, etwa an
Herz oder Lunge, oder mit Diabetes sind bedroh-
ter als andere.
Wie in den BSE-Zeiten gieren wir Menschen
auch heute nach Informationen. Wir wollen alles
wissen über Corona, wollen Sicherheit und das

V


Gefühl, uns schützen zu können. Das ist verständ-
lich, und wir Journalisten haben die Aufgabe und
Pflicht, das alles zu liefern. Aber wie schon damals
finde ich es wichtig, dass wir besonnen bleiben:
Nach derzeitigem Wissensstand haben wir es ak-
tuell nicht mit einer Seuche zu tun, die flächen-
deckend die Menschen dahinraffen wird wie zum
Beispiel die Spanische Grippe 1918-1920.
Seit vergangener Woche ist Corona nun auch bei
uns. Mein Kollege Norbert Höfler berichtet in
unserer Titelgeschichte ab Seite 24, wie der Erre-
ger Stück für Stück in unseren Alltag eindringt
und welche mittel- und langfristigen Folgen wir
zu erwarten haben.
Dabei geht es weniger um unsere Gesundheit.
Was Corona von früheren kollektiven Bedrohun-
gen unterscheidet, sind die Auswirkungen auf das
globale Miteinander. Jetzt bekommen wir zu spü-
ren, dass ein unsichtbarer Erreger auf der ande-
ren Seite der Welt unseren Wohlstand bedrohen
kann. Das ist eine echte Gefahr, bei aller Beson-
nenheit.
Danke, dass Sie den stern lesen.

Ab sofort läuft der Vorverkauf für den „Tag der Wahrheit“
am 25. April in Hamburg! Auf fünf Bühnen bieten der stern
und die Mediengruppe RTL ein umfangreiches Programm rund
um Journalismus. Gäste sind u. a. Salman Rushdie, Richard
David Precht und Günter Wallraff. Mehr auf Seite 92 und unter
http://www.tag-der-wahrheit.de

Kommen Sie uns besuchen!


5.3.2020 3

Florian Gless, Chefredakteur

Liebe Leserin, lieber Leser!


Herzlich Ihr

EDITORIAL

Free download pdf