Der Stern - 04.03.2020

(C. Jardin) #1

  1. Quartal 2020 4. Quartal 2020


Entwicklung
im besten Fall

Entwicklung
im schlechtesten Fall

erwartetes Gewinnplus Dax-30

+11,9 %

Gewinnschätzung des Dax-30
für 2020 in Prozent

FOTO: BORIS ROESSLER/DPA; INFOGRAFIKEN: QUELLE: LBBW

BÖRSENWERTE? UNGEWISS


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Conti hat Werke in allen Corona-Krisen-
regionen, sowohl in China als auch in Ita-
lien. Eine Firmensprecherin sagt, in China
standen die Werke bis zum 10. Februar still,
seither werde die Produktion schrittweise
wieder aufgenommen. Man bemühe sich,
potenzielle Einschränkungen der Liefer-
kette so gering wie möglich zu halten. Noch
schaffen sie es bei Volkswagen, die Auswir-
kungen auf die Produktion auszugleichen.
Ein Vorteil dabei: Corona verbreitet sich
zeitversetzt um den Erdball. Erst stand in
China alles still, nach einigen Wochen kam
das Virus in Europa an. In Nord- und Süd-
amerika gibt es erst wenige Fälle. In China
entspannt sich die Lage jetzt anscheinend
langsam wieder: Inzwischen laufen alle
chinesischen Werke von VW wieder und
auch die vieler Zulieferer. Deswegen wird
jetzt geprüft, ob fehlende Komponenten
für Autos, die in Wolfsburg gebaut werden
sollen, aus China nach Deutschland umge-
leitet werden können. Das ginge auch, weil
während des Corona-Ausbruchs in China
kaum neue Autos verkauft wurden. Teile
sind also genügend da. Corona mag sich in
einer globalisierten Welt rasend schnell
verbreiten. Autoteile können das inzwi-
schen aber auch: zur Not per Flugzeug.
Zur Verteidigung ihrer Lieferkette grei-
fen Manager bisweilen zu ungewöhnli-
chen Mitteln. Holger Klein erzählt dem
stern eine Geschichte aus China. Klein lebt
mit seiner Familie in Shanghai, er managt
das Asiengeschäft bei dem Autozulieferer
ZF Friedrichshafen. Das Unternehmen ge-
hört mit 149 000 Beschäftigten zu den Big
Playern der Autoindustrie.
Damit Fabriken ihren Betrieb wieder
aufnehmen dürfen, verlangt die chinesi-

Seit wenigen Tagen produziert der Auto-
zulieferer ZF auch Masken, etwa 100 000
Stück pro Tag. Was nicht selbst gebraucht
wird, wird gespendet oder der Regierung
zur Verfügung gestellt.
Für unsere Ersparnisse gibt es hingegen
kein Sterillium. An den Weltbörsen behiel-
ten die Investoren überraschend lange die
Nerven. Trotz Corona erreichten der Dax,
der Dow und andere Indizes Rekordmar-
ken. Doch seit vergangener Woche klingt
es an der Wall Street so: „Fuck, Fuck, Fuck“.
Corona killt die Kurse.

In der vergangenen Woche verloren die
Aktien der Unternehmen an den Börsen
der Welt rund vier Billionen US-Dollar. Mit
der Summe könnte man alle 30 im Dax no-
tierten deutschen Firmen dreimal kaufen,
von Adidas bis Wirecard.
In New York traf stern-Mitarbeiterin Sa-
brina Keßler den Börsenhändler Peter
Tuchmann, er trägt seine Haare sorgfältig
zerzaust, sein Spitzname ist „Einstein of
Wall Street“. Tuchman ist 62, seit 35 Jahren
auf dem Parkett. Bei Corona will er sich
aber nicht festlegen. Tuchman sagt: „Ich
weiß, dass das im Prinzip nur eine Art Grip-
pe ist. Influenza-Wellen hat es immer ge-
geben. Aber hat die US-Regierung das auch
im Griff? Ich bin mir nicht sicher.“
Erst in einigen Wochen oder Monaten
werden sich die ökonomischen Folgen
zeigen. Erst dann entscheide sich, ob die
Weltwirtschaft in eine Rezession stürzt.
Den möglichen Schaden durch Corona
für Deutschland schätzen Volkswirte im
Berliner Wirtschaftsministerium derzeit
auf 0,2 bis 0,5 Prozent des Bruttoinlandpro-
dukts. Das wäre ein Wohlstandsverlust von
sechs bis 15 Milliarden Euro. Das wäre noch
keine Katastrophe.
Erste Verlierer stehen aber schon fest.
Dazu zählen Fluglinien, Hotelketten,
Modefirmen, Kreuzfahrtreedereien oder
Autovermieter. Die Kursabschläge sind ja
auch berechtigt. Die Reisen, die jetzt stor-
niert werden, holt niemand mehr nach.
Das Frühjahrskleid, das jetzt nicht gekauft
wird, wird zum Sonderposten, der ver-
ramscht werden muss.
Anders bei Autos oder Smartphones. Da
sind viele Käufe nicht aufgehoben, son-
dern nur aufgeschoben. Corona hinter-

sche Regierung, dass die Arbeiter Atem-
schutzmasken tragen. Nur wer Masken hat,
kann produzieren. Masken aber sind Man-
gelware. Kleins Leute erfuhren durch Zu-
fall von einer Fabrik, die im Süden Chinas
zum Verkauf stand. Der Manager sagt: „Da
haben wir gesagt, wir kaufen das Ding,
bringen das auf einen Lkw und fahren es
zu uns ins Werk nach Zhangjiagang, das ist
in der Nähe von Shanghai.“

An der Börse in Frankfurt zeigen alle Kurven
nach unten – ob das anhält, ist ungewiss


FÜR UNSERE


ERSPARNISSE


GIBT ES KEIN


STERILLIUM


30 5.3.2020
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