Der Stern - 04.03.2020

(C. Jardin) #1
Ulrike Posche stellte fest, dass schon
sehr viele ihrer Texte im stern das
Thema „Hengstparade“ umkreisten –
FOTOS: AXEL GRIESCH/FINANZEN VERLAG/LAIF; IMAGO/EPD; DPAFOTOS: AXEL GRIE es scheint ein Lebensthema zu sein

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lon-Wald“ hielt, wenn man von Wuppertal
nach Kassel fuhr. Aber wer fährt heute
noch mit dem D-Zug von Wuppertal nach
Kassel? Der schneidige Merz hat bei der
Panzerartillerie gedient. „Kettenbrunzer“
und „Bumsköppe“, so die Feldnamen.
Sicher wäre Merz gern so wie Helmut
Schmidt. Überheblich, aber beliebt. Nur,
Schmidt war ein Macher. Merz dagegen ist
ein Poser. Ihm mit der Nachricht zu kom-
men, dass ein Hochwasser durch die
Deiche bricht, müsste sich erst mal
einer trauen. Er wirkt schon belei-
digt, wenn er bloß zuhören soll.
Man sieht ihm auch an, dass er
lieber mit Männern und „auf
Augenhöhe“ kommuniziert.
Zu Frauen fällt ihm das ein:
„Ich habe Annegret Kramp-
Karrenbauer in vielfältiger
Weise Rat gegeben, ihr Hilfe-
stellung angeboten, für das Amt, das sie
ausübt. Ich finde, dass sie das ausgespro-
chen gut macht.“ Welch fein herabgelasse-
nes Lob! Connie @amortentia, Amerika-
nistikstudentin aus Mainz, schrieb auf
Twitter: „Würde gern wissen wie es ist so
ein aufgeblasenes Ego wie Friedrich #Merz
zu besitzen.“ Hey Connie, hinter „wissen“
und „ist“ kommt ein Komma!

Fifty Shades of Grey am Leib und den
Scheitel à la Schmidt

Auch Norbert Röttgen parliert auf Global
Conferences lieber mit dem US-Außenmi-
nister und dem Nato-Generalsekretär als
mit – AKK. Auch Röttgens Ego ist gut be-
lüftet, seit er in Talkshows sitzt und in der
„New York Times“ zitiert wird. Seine Welt
sind die Bilderberg-Konferenzen. Exklusi-
ve Zirkel, english spoken, Fifty Shades of
Grey am Leib und Scheitel à la Schmidt.
Röttgen hat ein Grübchen im Kinn, was die
Kolleginnen vom People-Magazin „Bun-
te“ einst zum Namenszusatz „CDU-Beau“
verleitete. Ja, fotogen ist er! Robert Habeck
sagt auch, er sei „analytisch am weitesten


  • von den Mitbewerbern“.
    Wer Robert Habeck im Look des Bürger-
    meisters von Stenkelfeld beim World Eco-
    nomic Forum drollig durch sein Englisch
    stolpern sah, wünscht sich, Röttgen würde
    wenigstens das Internationale regeln, falls
    Habeck Kanzler wird. Aber wir sind ja noch
    bei der CDU: Man fragt sich, warum Nor-
    bert, 54, denkt, jemand wie er könne Kanz-
    ler werden! Welche Hybris treibt den
    Mann? Wer will denn dauernd gesagt krie-
    gen, dass er keine Ahnung hat, ständig be-
    lehrt werden, immer korrigiert? Röttgen


wohnt in Königswinter, nicht davor und
nicht dahinter. Weinhänge, Drachenfels,
rheinische Lieder – aber er ist seltsamer-
weise überhaupt kein gelassener Schunkel-
typ! Welche Déformation professionelle
macht, dass einer immer nur über „In halte“
reden will? Als er noch Bundesumwelt-
minister war, wusste Doktor Röttgen
bereits alles besser als Doktor Merkel.
„Muttis Klügster“ nannten Zeitungsschrei-
ber ihn. Er wäre 2012 dann fast Minister-
präsident von NRW geworden, doch kurz
vor der Wahl haute er einen Satz raus und
zeigte, wie er wirklich tickt: „Bedauerli-
cherweise entscheidet nicht allein die CDU
darüber, sondern die Wähler entscheiden
darüber.“ Klar, Ironie! Merz sagt auch im-
mer, es wäre Ironie, wenn er danebengreift.
Nur beim jovial daherkommenden
Onkel Armin kann man alles mitessen. Er
schafft es, mögliche Überheblichkeit im
Speckmantel zu servieren und böse Sätze
mit Guss zu lackieren. Natürlich verlor
Röttgen die Wahl. Auch Friedrich Merz ver-
lor mal eine Wahl. Und sogar Laschet ver-
lor schon – ausgerechnet gegen Röttgen.
Das machte sie zu Parteifreunden. Und
machen wir uns nichts vor: Sie sind alle aus
demselben Holz. So gesehen egal, wer es
wird. Alle drei haben Jura an der Uni Bonn
studiert. Nacheinander wurden Merz und
Laschet EU-Abgeordnete in Brüssel. Nach-
einander wurden sie beide Ordensritter
wider den tierischen Ernst. Gleichzeitig
zog das NRW-Trio 1994 in den Deutschen
Bundestag. Und da muss sie begonnen ha-
ben, die Hengstparade. Drei machthung-
rige Jungs, die mit scharrenden Hufen und
losen Zügeln an die Spitze wollten. Natür-
lich gab es auch Frauen. Berufstätige Frau-
en, die auf sie warteten, wenn sie von ihren
Abenteuern im Auswärtigen Ausschuss
oder von der außerparlamentarischen
Dienstreise nach Hause kamen. Alle drei
paarten sich nach dem Motto „jung gefreit,
nie gereut“. Jeder zeugte drei Kinder, Söh-
ne und Töchter. So, als hätten sie auch das
einander abgeguckt, damit keiner dem an-
deren voraus ist. Der philosophische Poet
Robert Habeck hat übrigens vier Söhne.
Dies nur mal als Info on top.
Wir wissen nicht, wie die Sache ausgeht.
Ob Habeck oder Esken, ob Röttgen, Merz
oder Laschet. Eines jedoch scheint gewiss:
Die nächste Kanzlerin wird ein Mann. 2

Wenn Merz eine Journalistenfrage beant-
worten soll, dann sieht man ihm den Ekel
in den Mundwinkeln an, dann springt ihm
die Ungeduld aus den Nasenlöchern. Das
muss er sich bei Helmut Kohl abgeguckt
haben. Noch länger schraubt sich dann
sein drolliger Kopf mit dem Caro-Kaf-
fee-förmigen „Haarplätzchen“ (ein Wort,
das die Kollegin Evelyn Roll erfunden hat)
aus dem Körpergewinde in den Saal. Er
spricht gern über das Führen, die Führung,
die Führungskrise der Ära Merkel. Doch wo
führt das hin? Friedrich Merz ist 64 Jahre
alt, er ist kurz nach dem Korea-Krieg gebo-
ren. Er kommt aus Brilon im Sauerland.
Über Brilon weiß man, dass der D-Zug
früher erst in „Brilon“ und dann in „Bri-

RADE


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