Der Stern - 04.03.2020

(C. Jardin) #1
ILLUSTRATION: MARIO WAGNER/2 AGENTEN

E


s gibt diese Verbrechen, mit denen der Rich-
ter nicht allzu viel Mühe hat: ein Täter, ein
Opfer, ein zufälliges Zusammentreffen, viel-
leicht in dunkler Nacht. Sobald der Täter
gefasst ist, legt er ein widerspruchsfreies
Geständnis ab, und wenn er schließlich ver-
urteilt wird, finden alle, womöglich sogar er
selbst, dass seine Strafe angemessen ist.
Und dann gibt es diese ganz anderen Ver-
brechen, die zu ganz anderen Prozessen füh-
ren – von denen einer im November vergangenen Jahres
vor dem Landgericht Bonn beginnt. Angeklagt wegen
räuberischer Erpressung sind: zwei Männer aus dem Ro-
ckermilieu, 26 und 36 Jahre alt, und eine Frau, 31, nennen
wir sie Nora Cohr*. Der Geschädigte heißt Manfred Merk.
Er ist 50 Jahre alt, Chef eines mittelständischen Unter-
nehmens – und keineswegs ein Zufallsopfer.
Es geht in diesem Prozess um einen „Sugerdaddy“, der
im Leben Gewinner und Verlierer gleichermaßen war.
Um ein „Sugerbaby“, das nie richtig Fuß fassen konnte.
Um Rocker, Türsteher, eine angebliche Geldübergabe in
Abu Dhabi. Es geht um Uhren für Tausende von Euro
und am Ende auch um einen Multimillionen-Vertrag.
Vor allem aber geht es darum, was Liebe und Geld mit
Menschen zu machen vermögen.
Es ist ein Dienstag im Januar, als Nora Cohr von ihrem
Stuhl im hinteren Teil des Gerichtsaals aufsteht, um die
Glasscheibe herumgeht, die sie vor ihren beiden Mitan-
geklagten und vor böswilligen Zuschauern schützen soll,
und sich am Zeugentisch niederlässt. Ihre Anwälte und
zwei Personenschützer, breitschultrige Männer in Zivil,
folgen ihr, stellen ihre Stühle hinter sie. Drei weitere Per-
sonenschützer sitzen im Publikum, ein Dutzend schwer
bewaffneter Polizisten patrouilliert vor dem Saal und
dem Gerichtsgebäude. Die junge Frau ist Kronzeugin der
Staatsanwaltschaft und befindet sich seit ihrer Verhaf-
tung im Zeugenschutzprogramm. Die Polizei befürch-
tet, dass sie sonst getötet werden könnte.
Nora Cohr legt ihre Hände auf dem Tisch ab, ihre
dunklen Haare fallen auf die Schultern, sie trägt eine
schwarze Hose und eine schwarze Bluse. Nur ihre Schu-
he, die sind weiß, mit goldenen Pailletten auf der Kap-
pe. „Ich fange mal an“, sagt sie. Dann erzählt sie, wie es
ihrer Ansicht nach dazu kommen konnte, dass sie nun
hier sitzt. Ihre Stimme ist tief und rau.
Nora Cohr spricht eine halbe Stunde, eine Dreivier-
telstunde, dann unterbricht die Richterin sie mit Fra-
gen – unter anderem nach einer Liebesaffäre, von der
eine ihrer Freundinnen der Polizei berichtet hat. Die
habe es nie gegeben, sagt Nora Cohr. Aber warum sei die

Freundin dann davon ausgegangen?, fragt die Richte-
rin. Na ja, antwortet Nora Cohr und schaut die Richte-
rin an, sie habe in den vergangenen Jahren halt viele Ge-
schichten erzählen müssen.
Es darf vermutet werden, dass viele im Saal sich in
diesem Moment eine Frage stellen, die keiner aus-
spricht: Was ist mit den Geschichten, die Nora Cohr in
diesen Tagen dem Gericht erzählt? Eine davon – an de-
ren Wahrheitsgehalt die Zweifel eher gering sind – be-
ginnt 2014. Eine Freundin berichtet der arbeitslosen
Cohr, die ziemlich pleite ist, von der Internetplattform
„My Sugar Daddy“. Dort können ältere, wohlhabende
Männer jüngere Frauen kennenlernen, um einen
Tauschhandel einzugehen: Geld, Geschenke, Reisen
gegen Zeit – wobei Zeit in diesem Zusammenhang oft
Sex bedeutet. Nora Cohr meldet sich bei der Plattform
an, lernt bald Manfred Merk kennen, den Geschäftsfüh-
rer eines von ihm selbst gegründeten Telekommunika-
tionsunternehmens.
Der Sugardaddy und sein Sugarbaby verabreden sich
im Kölner Hotel „Hyatt“, wo Nora feststellt, dass Man-
fred anders aussieht, als er sich beschrieben hat: Er ist
übergewichtig und nur noch an den Seiten des Schädels
behaart. Aber er ist nett.
Man hat Sex im Hotelzimmer, anschließend gibt Man-
fred Nora 1200 Euro und vereinbart mit ihr, wie die Ver-
bindung künftig aussehen soll: Sie bekommt von ihm
200 oder 300 Euro im Monat. Dafür wird sie eine Bezie-
hung mit ihm führen, mit ihm ins Restaurant gehen,
Sex mit ihm haben und „Ich liebe dich“ zu ihm sagen.
Die beiden beginnen, sich regelmäßig in Hotels zu
treffen. Sie habe Sachen machen müssen, sagt Nora Cohr
vor Gericht, die sie sonst nie gemacht hätte. Auf einem
Bild, das sie von Manfred Merk aufgenommen hat, liegt
er, so beschreibt sie es, nackt auf dem Boden eines
Hotelzimmers, er trägt eine Schweinemaske, in seinem
Hintern steckt ein Schuh.
Aber die finanzielle Seite des Deals entwickelt sich
positiv. Anfangs besucht Merk seine Geliebte auch in
ihrer Eineinhalb-Zimmer-Bude. Dann besorgt er ihr
eine neue Wohnung, bezahlt die 1600 Euro Miete im
Monat und selbstverständlich die Möbel. Das Arrange-
ment wäre vielleicht noch lange so weitergegangen –
hätte sich nicht inzwischen, wahrscheinlich unbemerkt
von Manfred Merk, etwas Entscheidendes in Nora Cohrs
Leben verändert.
Im Sommer 2015 lernt Nora „auf der Straße“, wie sie
es nennt (und was sie nicht weiter ausführt) Jan Nowak
kennen. Nowak, ein Kerl mit Stoppelglatze, der aus dem
Rocker- und Rotlichtmilieu kommt und fast so breit wie
hoch ist, erzählt ihr, dass er sein Geld als Türsteher ver-
* Namen der Angeklagten und des Opfers geändert. diene, zudem sei er mal fast Fußballprofi gewesen. 4

Er ist 50, sie 31, am Ende
ist ihre Beziehung ein Fall
fürs Gericht – wo es dann
um Erpressung geht, um
böse Rocker und teure Uhren
und um eine angebliche
Geldübergabe in Abu Dhabi


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