Der Stern - 04.03.2020

(C. Jardin) #1
Das Sugarbaby und der Beinahe-Kicker werden ein Paar.
Womit Nora Cohrs erste Geschichte endet – die Ge-
schichte, bei der man wohl davon ausgehen kann, dass
sie stimmt.

D


ie Verliebtheit, so beginnt die zweite Geschich-
te, habe vielleicht zwei oder drei Wochen ge-
dauert. Danach sei sie emotional abhängig von
Jan gewesen. Und sie beginnt, sich zu verwan-
deln. Sie färbt sich die Haare blond, lässt sich
die Lippen aufspritzen, zweimal die Brüste ope-
rieren. Die junge Frau ist nun nicht mehr nur ein Sugar-
baby mit einem festen Freund, sie arbeitet auch als Pros-
tituierte, unter anderem in der Schweiz.
Jan, so sagt sie vor Gericht, wusste zunächst nichts
von ihrem speziellen Verhältnis zu Manfred Merk.
Dann, eines Abends, schickt der ihr eine SMS. Cohr weiß
nicht mehr, was in der Nachricht stand, sie weiß nur, wie
sie endete: Kuss, Manfred.
Jan ist an diesem Abend mit seinem Freund Pascal
Roth bei Nora. Als er die SMS sieht, beginnen die bei-
den, sie auszufragen: Wer ist dieser Mann? Wie hast du
ihn kennengelernt? Was ist das für eine Beziehung, die
ihr habt? „Ich habe den beiden dann gesagt, wer das ist“,
sagt Nora Cohr. Sie hätten den Namen gegoogelt, und
sie seien begeistert gewesen. „Einen Jackpot haben sie
das genannt. Und Jan meinte zu mir: Du gehörst jetzt
mir, das ist wie ein Sechser im Lotto.“
Anschließend, so Nora Cohr, hätten die Männer den
Plan ausgeheckt, Manfred Merk zu erpressen. Sie habe
davon gehört, aber nicht so richtig, die beiden hätten im
zweiten Stock ihrer Wohnung gesprochen, während sie
im ersten gewesen sei. Bald nach diesem Abend – der
stattgefunden hat oder nicht, es gibt niemanden außer
Nora Cohr, der davon berichtet – beginnen die Geldfor-
derungen an Merk. Seine Geliebte behauptet, sie werde
von Rockern bedroht, diese Rocker würden sich nur mit
Geld beschwichtigen lassen, sonst würden sie ihr die
Finger abschneiden oder sonst was mit ihr tun. In den
kommenden zweieinhalb Jahren, bis zum Februar 2018,
wird Manfred Merk deshalb laut Anklage 1 615 000 Euro
bezahlen.
Das Leben von Nora Cohr, sagt eine Freundin vor
Gericht, sei für sie immer eines wie im Film gewesen.
Da sei immer Drama gewesen, es sei Wahnsinn, was
Nora alles habe durchstehen müssen. Damit ist vor
allem gemeint: eine lang anhaltende finanzielle Not lage,
die Trennung von ihrem Ehemann, eine schwer erkrank-
te Tochter, ein ausdauernder Sorgerechtsstreit um diese
Tochter, den ihr Ex-Mann gewinnt, woraufhin er die Toch-
ter mit in die Niederlande nimmt. Und jetzt noch der Pro-
zess – in dem es vor allem um eine Frage geht: Stimmt
es, dass Jan Nowak und Pascal Roth sie zur Erpressung
gedrängt haben? Oder hat sie sich das Ganze allein aus-
gedacht, die Bedrohung durch Rocker erfunden?
Jan Nowak und Pascal Roth sprechen vor Gericht
nicht. Roth verfolgt das Geschehen meist mit regungs-
loser Miene, Nowak lächelt ausdauernd süffisant vor
sich hin, bei Aussagen, die wohl seiner Wahrnehmung
des Ganzen entsprechen, nickt er.
Nora Cohr versucht derweil, das Bild einer doppelten
Abhängigkeit zu zeichnen: Da ist Sugardaddy Manfred,

der abhängig von ihr ist. Und da ist sie selbst, gefangen
in ihrer Abhängigkeit von Jan Nowak, der sie auch ge-
schlagen habe und ihr gedroht haben soll, Nacktbilder
von ihr an ihre Eltern weiterzuleiten.
Die Kronzeugin beschreibt sich selbst als das Werk-
zeug ihrer Mitangeklagten. Doch obwohl die beiden
schweigen, bleibt Nora Cohrs Darstellung nicht un-
widersprochen. Namina F., die mit Nora bis zu deren
Festnahme befreundet war, berichtet, sie habe nie
davon gehört, dass Jan Nora geschlagen habe. Und sie
würde deren Eltern jetzt auch nicht als besonders
konservativ einschätzen.
Dann ist da die Sache mit den Uhren: Einmal kauft
Nora bei einem Bonner Juwelier eine Breitling und eine
Rolex, für zusammen fast 20 000 Euro. Jan Nowak habe
ihr genau gesagt, welche Uhren sie kaufen solle, sie habe
den Auftrag schnell erledigt und den Laden wieder
verlassen, sagt Nora Cohr. Sie seien bestimmt eine
Stunde beim Juwelier gewesen, berichtet dagegen
Namina F., die ihre Freundin begleitet hatte. Nora Cohr
habe sich mehrere Uhren angeschaut und sich dann
entschieden.
Ein anderes Mal fliegt Nora Cohr mit Namina F. nach
Abu Dhabi. Nach einigen Tagen schreibt sie ihrem Sugar-
daddy, auch in Abu Dhabi würde ihr jemand folgen. Sie
brauche Geld, die Rocker würden das von ihr verlangen.
„Mir geht es scheiße“, schreibt sie.
„Das glaube ich“, antwortet er.
„Können wir telefonieren?“, fragt sie.
„Ich google mal, was ich dir an Geld schicken kann“,
antwortet er.
Manfred Merk sucht nach einem Weg, seiner Gelieb-
ten zu helfen, Dutzende Nachrichten gehen hin und her,
schließlich sendet er per Western Union 7000 Euro, die
Nora Cohr an einem Geldautomaten abhebt. Von die-
sem Punkt an unterscheiden sich die Geschichten, die
von den beiden Reisenden erzählt werden.
Nora Cohr sagt, Jan habe sie nach Abu Dhabi geschickt,
um dort eine Geldübergabe zu tätigen. Sie und ihre
Freundin seien auf dem Trip „sehr depressiv unterwegs
gewesen“. Sie seien nicht ausgegangen und hätten kaum
geshoppt, das Geld, das Merk ihr überwiesen habe, habe
sie auftragsgemäß durch ein Autofenster an eine ihr
unbekannte Frau übergeben.

N


amina F. sagt zu dem Abu-Dhabi-Urlaub: „Das
war meine Idee, ich musste mal weg. Wir sind
dann in ein Reisebüro und haben gemeinsam
einen Flug und das Hotel gebucht. Ich habe
alles selbst bezahlt. Der Urlaub war eigentlich
ganz normal. Wir haben in Restaurants geges-
sen, Nora hat viel geshoppt. Sie hat immer gesagt: Wenn
das Geld nicht mehr reicht, dann schickt der Manfred
welches. Das ist kein Problem.“
Es gibt nichts außer Nora Cohrs Aussage, das ihre Mit-
angeklagten Jan Nowak und Pascal Roth mit der Erpres-
sung in Verbindung bringt: Die SMS, die Bedrohungen
schildern und Geld verlangen, sind ausschließlich von
einem Handy ausgegangen – dem von Nora Cohr. Das
Geld, angeblich mal 80 000, mal 125 000, mal 350 000
Euro, soll Merk entweder persönlich an Nora Cohr über-
geben oder in ihren Briefkasten geworfen haben.

56 5.3.2020

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