Focus - 22.02.2020

(Sean Pound) #1

Der schwarze Kanal


Foto: Susanne Krauss

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E


r sei das Bürgerlichste, was in Thüringen
herumlaufe, hat der ehemalige Ministerpräsi-
dent von Thüringen, Bodo Ramelow, in einem
Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“
gesagt. Das hat mir zu denken gegeben.
Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, in der
es als Stigma galt, als bürgerlich zu gelten. Heute wollen alle
bürgerlich sein – die AfD, die Sozialdemokraten, die Grünen
ohnehin. Jetzt also auch die Leute von der Linkspartei. Was
früher ein Zeichen von Langeweile und Spießigkeit war, steht
nun für Verlässlichkeit und Solidität. Bürgerlich zu sein ist die
Zusicherung, dass man als Politiker keinen Quatsch macht,
wenn man an die Regierung kommt. Seht her, ihr könnt mir
vertrauen, lautet das Versprechen.
Wenn man sich Ramelow ansieht, muss man sagen: Bür-
gerlicher geht’s nicht. Er verlässt nie ohne Anzug und Kra-
watte das Haus. Sein Hund, ein Jack-Russell-Terrier namens
„Attila“, ist fast so berühmt wie er
selbst. Allerdings sieht auch Björn
Höcke sehr bürgerlich aus. Auch Herr
Höcke legt Wert auf eine gepflegte
Erscheinung und trägt immer Anzug,
wenn er vor die Tür tritt.
Der äußere Schein kann trügen,
weshalb in den vergangenen Wochen
verschiedentlich darauf hingewiesen
wurde, dass Bürgerlichkeit vor allem
eine Frage der inneren Haltung ist,
die mit Selbstbeherrschung, politi-
scher Reife und einer freundlichen
Gelassenheit angesichts der Zumu-
tungen der Welt einhergeht.
Gelassenheit ist nicht Ramelows
stärkste Seite. Schon die einfachsten
Fragen führen ihn an seine Gren-
zen. Ich spreche hier aus Erfahrung.
Ramelow ist der einzige Politiker,

den ich getroffen habe, der ein Interview abbrach, weil
ihm die Zielrichtung nicht passte.
Ich weiß nicht mehr genau, wie wir darauf kamen, aber
während eines Gesprächs in seinem Büro beklagte er sich
bei mir, dass er jahrelang vom Verfassungsschutz beob-
achtet worden sei, worauf ich erwiderte, dass ich vollstes
Vertrauen in die deutschen Sicherheitsbehörden hätte und
deshalb selbstverständlich davon ausginge, dass der Ver-
fassungsschutz seine Gründe gehabt habe. Das reichte,
um mich des Zimmers zu verweisen. Ein Kollege hat dann
das Interview ohne mich zu Ende geführt.
Ramelow hat auch schon Interviews mit dem MDR oder
dem Video-Blogger Tilo Jung zwischendurch abgebro-
chen. Vergangene Woche saß er bei Sandra Maischber-
ger. Als sie ihn als „sozialistischen Ministerpräsidenten“
ansprach, war es fast wieder so weit, dass er aufgestanden
und gegangen wäre. Gleich im ersten Satz des Parteipro-
gramms der Linkspartei steht, dass sie eine „sozialistische
Partei“ sei. Ich kann mir den Widerspruch nur so erklären,
dass Ramelow wie viele autoritär veranlagte Menschen
an einem Übermaß an Ichbezug leidet. Wer alles auf sich
bezieht, verliert irgendwann den Kontakt zur Realität.
Wie sehr ihn der Verlust seines Amtes getroffen hat,
offenbarte er in der Sendung bei „Maischberger“, als er
über die „schweren Zeiten“ sprach, die er durchlitten habe.
Er habe das Massaker am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt
erlebt und den Hungerstreik der Kalikumpel in Bischoffe-
rode, sagte er, „aber so was, was ich seit Mittwoch erlebe,
was meine Familie erlebt, das haben wir noch nicht erlebt“.

I


ch glaube gern, dass eine Wahl-
niederlage für einen Politiker
eine traumatische Erfahrung sein
kann. Demokratie ist manchmal
einfach Mist. Aber so tragisch wie ein
Amoklauf? Hoffen wir, dass die Über-
lebenden des Schulmassakers am
Gutenberg-Gymnasium um 22.45 Uhr
nicht mehr vor dem Fernseher sitzen.
Ich denke, sie würden Herrn Ramelow
sonst gern darüber aufklären, dass es
sicher schlimm ist, wenn sich die eige-
nen Karrierepläne zerschlagen, aber
das es deutlich schlimmer ist, wenn
man Mitschüler im Kugelhagel verliert.
Überall kann man jetzt lesen, dass
die Linkspartei eine Partei wie alle
andern sei (ausgenommen die AfD
selbstverständlich, mit der will nie-
mand verglichen werden). Die Digital-
Intellektuelle Marina Weisband brach-

JAN FLEISCHHAUER


Der Sozialist


als Wutbürger


Bodo Ramelow gilt als Vorzeigedemokrat, der erst
ans Land und dann an die Partei denkt. Dabei gibt
es kaum einen Politiker, der so mit sich selbst
beschäftigt ist wie der Mann aus Thüringen. Schon
die leiseste Kritik führt ihn an seine Belastungsgrenze

»


In China wäre Ramelow
ein sehr glücklicher
Mensch. In China gibt es
weder freche Journalisten
noch eine Öffentlichkeit,
die einen mit alten
Äußerungen oder Ankün-
digungen in Verlegenheit
bringen könnte

«

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