Focus - 22.02.2020

(Sean Pound) #1

WISSEN


Hoden

Männer

Häufigkeit von Krebserkrankungen
bei 15- bis 39-Jährigen in Deutschland
2016, in Prozent

31,3
malignes Melanom d. Haut 12,5
Morbus Hodgkin 7,4
Non-Hodgkin-Lymphom 6,6
Schilddrüse 5,7
Leukämien 5,4
Gehirn 5,2
Darm 4,7
Weichteile und meso-
theliales Gewebe 3,0
Lunge und Bronchien 2,5

alle Krebsarten^1

(^1) ohne „sonstige Tumoren der Haut“
43,0
Brustdrüse
Frauen
27,6
malignes Melanom d. Haut 16,5
Schilddrüse 13,2
Gebärmutterhals 8,6
Morbus Hodgkin 4,7
Darm 3,6
Non-Hodgkin-Lymphom 3,2
Gehirn 2,9
Leukämien 2,8
Eierstöcke 2,6
alle Krebsarten^1 57,0
Foto: KiTZ
76 FOCUS 9/2020
Kinder-, Jugend- und Erwachsenenalter
gut zu organisieren. „Wir sprechen uns zu
einzelnen Patienten immer wieder ab“,
sagt Pfister. Anderswo mögen die Klinik-
abteilungen weniger vernetzt sein.
Auch Tina Zahn aus dem nahen Schwet-
zingen machte viele gute Erfahrungen
mit den Heidelberger Medizinern, seit vor
knapp zehn Jahren auf einen zunächst
unerklärlichen epileptischen Anfall die
Diagnose Astrozytom Grad 3 folgte. Ein
Hirntumor. „Vor drei Jahren, als ich wie-
der einmal in einer Selbsthilfegruppe mit
deutlich älteren Menschen saß, erwachte
der Wunsch nach einem Forum, in dem
ich mich mit Gleichaltrigen austauschen
kann.“ Zahn gründete den „Treffpunkt
Heidelberg“, eine von mittlerweile 33 ein-
schlägigen Verbindungen in Deutsch-
land. Rund 1000 junge Betroffene gehören
ihnen an.
So trifft sich Tina Zahn regelmäßig
mit Chantal, Annette, Nina, Jessica und
weiteren jungen Frauen und Männern,
deren gemeinsames Schicksal die Diag-
nose Krebs ist. Einige ihrer Themen seien
für junge Patienten einfach „kniffliger“
als für ältere, sagt Zahn – die Fruchtbar-
keit etwa, die von der Therapie häufig in
Mitleidenschaft gezogen wird, und die
finanzielle Lage.
Natürlich kommen bei den Treffen
Gefühle zur Sprache. Weil die Gruppe
anderen und künftigen Leidensgenos-
sen „Mut machen und Unterstützung
anbieten“ will, organisierte sie zum ver-
gangenen Weltkrebstag am 4. Februar
eine Ausstellung professioneller Fotos,
die einige ihrer Mitglieder in selbst
gewählten, fröhlichen bis leicht melan-
cholischen Posen zeigt. Die Bilder auf
der vorhergehenden Seite entstammen
dieser Ausstellung, die noch bis 27. März
im Heidelberger Klinikum zu sehen ist.
Erfahrene Patienten beraten die jungen
Der soeben in Berlin zu Ende gegangene
Deutsche Krebskongress, eine alle zwei
Jahre stattfindende Synopse des Leis-
tungsstandes der Onkologen, legte in
diesem Jahr einen Schwerpunkt auf die
Betreuung krebskranker Kinder, Jugend-
licher und junger Erwachsener. Als Man-
gel bewerten Fachärzte unter anderem,
dass ihre jungen Patienten seltener als
andere an klinischen Studien teilneh-
men, in denen neue Therapien ausge-
testet werden. Auch findet bei ihnen zu
selten eine molekulare Untersuchung des
Tumors statt, obwohl derartige Analysen
in einigen Fällen dazu führen, dass die
Behandlung zielgenauer – „personali-
siert“ – wird.
Zudem spielten „zahlreiche besondere
psychosoziale Faktoren“ bei diesen Pati-
enten eine Rolle, betont Charité-Onkolo-
gin Eggert. Eine Konsequenz daraus hat
die Universitätsklinik Leipzig gezogen.
Dort betreut ein Team um die Psycholo-
gieprofessorin Anja Mehnert-Theuerkauf
junge Krebskranke. Ihre Abteilung vermit-
telt im Rahmen des Projekts „Peer2Me“
erfahrene an neu diagnostizierte Patienten
als Ratgeber und Gesprächspartner.
Bei den AYAs, den späten Teenagern
und jungen Erwachsenen mit Krebs,
beobachtet Mehnert-Theuerkauf vieler-
lei Krisen. „Ältere Menschen haben meist
schon einige einschneidende Lebenser-
eignisse hinter sich und verfügen daher
über mehr psychische Bewältigungsstra-
tegien“, sagt sie. Immer wieder beobach-
tet die Psychologin, dass junge Patienten
besondere Risikofreude zeigten, wenn
sie den Eindruck hätten, gleichsam dem
Tod von der Schippe gesprungen zu sein.
So komme es vor, dass sie danach ihre
Medikamente nicht einnehmen. Ande-
rerseits erlebt Mehnert-Theuerkauf, dass
die Diagnose junge Leute häufig in einer
Phase trifft, in der sie sich von ihren Eltern
abnabeln. „Viele wirft es zurück, wenn
sie wieder abhängiger werden.“
Immerhin, die Freunde blieben ihr treu
Chantal Chipman, 28, aus Mannheim,
die vor knapp vier Jahren mit Bauch-
schmerzen zum Arzt ging und sich am
nächsten Tag einer Krebsoperation unter-
ziehen musste, hat gegen die vielfältigen
Abhängigkeiten des Patientenlebens ihre
persönliche Strategie entwickelt. „Ich
bastle viel, baue meine eigenen Möbel
zusammen, male und meditiere.“
Chipman leidet an einem sehr selte-
nen Tumor, der mehrere Organe befallen
hat. Abgesehen von etlichen Eingriffen,
machte sie lange Chemotherapien durch.
Für die Fotoserie des „Treffpunkt Heidel-
berg“ ließ sie sich mit kahlem Schädel
fotografieren – lachend, teilweise ver-
deckt von einem prallen Blumenstrauß.
Ob sie sich so auch im Alltag präsentiert?
„Klar. Alle meine Freunde kennen mich
so. Keine meiner Beziehungen hat sich
verändert, nur weil ich zeitweise keine
Haare habe.“n
KURT-MARTIN MAYER
Geschlechtsspezifisch Hodenkrebs ist bei
jungen Männern am häufigsten, Brustkrebs bei
gleichaltrigen Frauen. Danach folgt Hautkrebs
Selten bis ungewöhnlich
„Bei einigen jungen Krebsüberlebenden treten
später Folgekrankheiten auf“
Stefan Pfister, Kindertumorzentrum Universitätsklinik Heidelberg
Quellen: Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs, krebsdaten.de

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