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or 75 Jahren, in den letzten
vier Monaten des Krieges,
versanken viele deutsche
Städte im Feuersturm und
Bombenhagel. Der Krieg
war entschieden, die Infrastruktur, die
Eisenbahn- und Straßennetze, die Fa-
briken und Versorgungszentren lagen in
Trümmern, die alliierten Truppen rück-
ten auf das Reichsgebiet vor. Für den
Bombenkrieg bedeutete das eine Neu-
ausrichtung. Jetzt gingen die Alliierten
zum „Moral Bombing“ über. Um die
Kriegsmoral der Deutschen zu brechen,
wurden Flächenbombardements und
Feuerstürme entfesselt. Für viele Städte
und ganze Landstriche brach die größte
Katastrophe ihrer Geschichte an.
VON DANKWART GURATZSCH
Von Ende 1944 bis April 1945 fielen
zwei Drittel aller Weltkriegsbomben.
Sie fielen überwiegend auf Zivilisten,
auf Frauen, Kinder, Greise. Magdeburg
wurde 17-mal angegriffen, nach dem
Feuersturm vom 16. Januar war die
Stadt zum zweiten Mal so tot wie nach
der größten Katastrophe ihrer Ge-
schichte, der Brandschatzung im Drei-
ßigjährigen Krieg.
Nicht nur Großstädte, auch Mittel-
und Kleinstädte wurden für würdig be-
funden, von Hunderten Bombern heim-
gesucht und Straße für Straße in Schutt
und Asche gelegt zu werden. Plauen im
Vogtland, 111.000 Einwohner, sollte nach
den Protokollen der Luftkriegskom-
mandos „aus der Landkarte gelöscht“
werden. In 14 Bombenangriffen bis zum
- April wurde die Stadt zu 75 Prozent
zerstört. Pforzheim (80.000
Einwohner) ereilte das Schick-
sal in einer einzigen Nacht. Am - Februar legten 1575 Tonnen
Bomben in 20 Minuten 98 Pro-
zent des Stadtgebiets in Trüm-
mer. Jeder fünfte Einwohner
fand den Tod. Chemnitz, das
sächsische Manchester, erlebte
seinen Untergang am 5. März.
Als 75 Prozent der Stadtfläche
in Schutt gesunken waren,
sprach auch die alliierte Luft-
aufklärung von einer „weiteren
toten Stadt“.
Es ist nur ein Auszug aus dem
Katalog des Grauens, dessen
Eintragungen sich selbst noch
für die zweite und dritte Gene-
ration der Nachlebenden zu
einem Trauma verdichtet ha-
ben, das auch 75 Jahre später auf
den Familien lastet und man-
chen Jüngeren so verfolgt, als
habe er es selbst erlebt. „Sie
merken doch, wie ich zittere,
ich habe ein Trauma“, zitiert der
Pforzheimer Kurier eine der
letzten Zeitzeuginnen, die Alt-
stadträtin Ellen Eberle, die die
psychische Last der Schreckens-
nacht bis heute körperlich
spürt. Darf man das heute poli-
tisch ausschlachten?
Die bedrückende Erfahrung
gerade in den am schwersten
getroffenen Städten ist genau
das: die Instrumentalisierung
der Ereignisse des Grauens für
politische Tagesinteressen. Der
Vorwurf trifft keineswegs nur
die Schlagzeilen produzieren-
den Rechten, die mit martia-
lisch-theatralischen „Trauer-
märschen“, mit Kränzen, Fac-
keln und Fahnen meinen, die
um stille und würdige Gedenk-
feiern bemühten Städte das
„richtige“ Gedenken erst noch
lehren zu müssen. Denn zuneh-
mend sind es nun auch die Lin-
ken, die dieses Gedenken für
sich zu kapern und politisch
umzudeuten versuchen.
Schauplatz Heidefriedhof in
Dresden am 13. Februar 2020,
dem 75. Jahrestag der Bombar-
dierung. Vor den Massengrä-
bern haben sich Dresdner ver-
sammelt, um erstmals in der
Geschichte der Gedenkveran-
staltungen einer Verlesung der
Namen von Tausenden Bom-
benopfern zuzuhören. Die Ver-
anstalter, Mitglieder der von der
Stadt eingesetzten AG 13. Febru-
ar und der Erinnerungswerk-
statt Denk Mal Fort!, hatten an-
gekündigt: „Mit unserer Veran-
staltung, die allen Bürgern of-
fensteht, wollen wir auf diese
tragische Geschichte hinweisen undtragische Geschichte hinweisen und
den Toten, soweit möglich, ihre Indivi-den Toten, soweit möglich, ihre Indivi-
dualität zurückgeben.“
Doch es kam zum Eklat. Sprechchöre
und Gebrüll überdröhnten die Namens-
lesung,Transparente wurden enthüllt:
„Deutsche Täter*innen sind keine
Opfer!“ Angeführt von der Links-
jugend, der Jugendorganisationjugend, der Jugendorganisation
der Partei Die Linke, zogen die
Krakeeler anschließend trom-
melnd durch die Dresdner Innen-
stadt und zündeten beim Gloc-
kengeläut aller Dresdner Kirchen
in jenen Minuten, in denen vor 75
Jahren die Bomben auf die Stadt
fielen, ein Freudenfeuerwerk.
Für die anstehenden Gedenk-
veranstaltungen in anderen Städ-veranstaltungen in anderen Städ-
ten ist das kein gutes Vorzeichen.
Die bisher von den Parteien der
Mitte beachtete Äquidistanz zum
linken und rechten Rand wird
auch in der Medienberichterstat-
tung immer öfter durchbrochen.
Das hatte sich schon im Vorfeld
des Dresdner Eklats gezeigt, als
etwa der „Spiegel“ den Dresdnern
unterstellte, einem „Opfermy-
thos“ zu huldigen, wenn sie auf
den Gräbern ihrer Angehörigen
Kränze niederlegen.
In Wahrheit ist das selbst ein
Mythos. Nur zweieinhalb Wochen
nach der deutschen Kapitulation,
als viele Deutsche noch in aller
Eile ihre Parteibücher verbrann-
ten und die Parteiabzeichen im
Müll entsorgten, am 27. Mai 1945,
hatte sich das sächsische Landes-
kirchenamt schon an alle evange-
lisch-lutherischen Gemeinden
Sachsens mit dem Aufruf ge-
wandt: „In einer Zeit des Gerich-wandt: „In einer Zeit des Gerich-
tes stehen wir jetzt. Wir haben
Buße zu tun für viele Verschul-
dung. Wir sind alle mitschuldig.
Tue jeder für sich Buße! Schlage
jeder an seine Brust! Gott wider-jeder an seine Brust! Gott wider-
steht den Hoffärtigen, aber den
Demütigen gibt er Gnade.“
Dies, und nicht die Umetiket-
tierung des Gedenktages durch die SEDtierung des Gedenktages durch die SED
zum Kampftag gegen die angloamerika-zum Kampftag gegen die angloamerika-
nischen Imperialisten und Kriegstrei-nischen Imperialisten und Kriegstrei-
ber, ist 70 Jahre lang der Tenor aller Ge-
denkfeiern abseits der politischen Pro-
pagandaveranstaltungen in Dresden ge-
wesen. Hier war das private Gedenken
mit seinen ganz eigenen Riten, mit öku-
menischen Gottesdiensten, Gedenk-
konzerten, Zeitzeugenlesungen und
Friedhofszeremonien zu allen Zeiten
stärker als das politisch vereinnahmte
und instrumentalisierte.
Die Bundeszentrale für politische Bil-
dung sieht diesen Umgang mit dem Ge-
denktag bis in die unmittelbare Gegen-
wart positiv: „In Dresden (hat sich) eine
kritische Erinnerungs- und Forschungs-
kultur entwickelt, so vielfältig und krea-
tiv wie in keiner anderen deutschen
Stadt. Auch das ist Dresden.“
Allerdings, „als Reaktion auf die NPD-
Demonstrationen“ darf man diese „kri-
tische Erinnerungskultur“ ihrem An-
satz nach nicht verstehen; die reicht bis
1946 zurück, hat den SED-Staat über-
standen und sieht sich durch die Rede
vom „Opfermythos“ seit 1990 nur ein
weiteres Mal der Missdeutung und des
politischen Missbrauchs ausgesetzt.
Kann die Monstrosität eines Flächen-
bombardements mit Zehntausenden
Toten in einer einzigen Nacht und der
Vernichtung der kulturellen Identität
einer Stadt überhaupt durch Belehrung
„bewältigt“ werden? So unstrittig es ist,
dass der Terror von Deutschland ausge-
gangen ist, so unbezweifelbar ist ja
auch, dass die Tötung aus der Luft Lei-
chenberge hinterlassen hat, die selbst
noch die Nachkommen der Getöteten
albtraumartig belasten.
Das gilt selbstverständlich nicht für
Dresden allein. Und so ist die Gedenk-
kultur zu einem lastenden Thema für
viele Städte in Deutschland geworden –
und damit auch zur Zielscheibe von
„Gegenveranstaltungen“, zu denen die
Akteure jeweils aus ganz Deutschland
anreisen, während die Einheimischen
kein anderes Anliegen haben, als des
Unterganges ihrer Stadt und des Lei-
dens der Bombentoten in stiller Ein-
kehr zu gedenken.
Aber wie kann die Gedenkkultur vor
der politischen Instrumentalisierung
geschützt werden? Weder Historiker-
kommissionen, noch Menschenketten
und Politikerreden, noch Appelle der
Kirchen, Gottesdienste und klug und
einfühlsam zwischen Täterspuren und
Opfern vermittelnde „Gedenkwege“ ha-
ben das bisher bewirken können.
Sollte man nicht einen ganz neuen
Ansatz wählen? Viele Leserbriefschrei-
ber und Kommentatoren haben gerade
jetzt, im Jahr des 75. Gedenkens, ge-
fragt, warum es in Deutschland noch
immer kein Museum des Bombenkrie-
ges gibt? Eine Einrichtung, die alle
Aspekte dieser geschichtlich neuen, ma-
schinengeleiteten Form der Kriegfüh-
rung bis in die jüngste Gegenwart hin-
ein, bis zum Atom-, Drohnen- und Cy-
berkrieg, darstellt und aufarbeitet? Und
warum sollte ein solches Institut, ver-
gleichbar etwa dem im Aufbau begriffe-
nen Dokumentationszentrum für Ver-
treibung in Berlin, nicht Experten aller
betroffenen Länder zu grenz- und sy-
stemübergreifender Zusammenarbeit
zusammenführen?
Dresden wäre prädestiniert, ein sol-
ches Museum mit angeschlossenen For-
schungsinstituten zu errichten und aus-
zugestalten. „Über keine andere zer-
störte Stadt des Zweiten Weltkrieges ist
so viel Fachliteratur und Belletristik pu-
bliziert worden wie über Dresden,“
heißt es in einer Studie. Überdies ver-
fügt die Stadt bereits über Sammlungs-
bestände, die den Grundstock für ein
solches Museum bilden könnten.
In gleicher Weise könnten und müss-
ten dann in den Etagen darüber andere
schwer getroffene Städte Deutschlands
von Pforzheim bis Würzburg und Hal-
berstadt sowie wiederum in den Etagen
darüber jene Städte Europas von Guer-
nica bis Coventry, London und Rotter-
dam, die durch deutsche Bombenab-
würfe verheert und zerstört wurden, ih-
re Schicksale dokumentieren und den
bis heute Hauptbetroffenen der Krieg-
führung aus der Luft, den Zivilisten
(man denke an aktuelle Bilder aus Sy-
rien), nahebringen.
In den obersten Geschossen würde
dann das darzustellen sein, was sich aus
alldem in jüngster Zeit entwickelt hat,
was betroffen macht und ängstigt, was
sich unheilvoll abzeichnet und was die
Bombenteppiche und Feuerstürme des
Zweiten Weltkriegs bereits zu einem hi-
storischen Kapitel der Kriegführung
macht: die gezielte personenfixierte Tö-
tung aus der Luft.
Vor anderen Städten bringt der Sym-
bolort Dresden die Voraussetzungen
mit, ein solches zweifellos über die
Grenzen Deutschlands hinaus förde-
rungswürdiges Projekt zu realisieren.
Die Wucht, die Sinnlosigkeit und das
Ausmaß der Zerstörung dieser Stadt hat
sich mehr als jedes andere Bombarde-
ment einer Stadt in Europa in das Ge-
dächtnis eingetragen. Dresden wurde
zum Symbol des Bombenkrieges
schlechthin. Und: die Stadt besitzt so-
gar ein Gebäude, das wahrscheinlich
wie kein zweites geeignet wäre, eine sol-
che Einrichtung aufzunehmen: den
0monumentalen, leer stehenden
Gasspeicher von Reick (Architekt Hans
Erlwein), der mit seinem ungeheuren
Fassungsvermögen die ganze Frauen-
kirche in sich aufnehmen könnte.
Soll man wirklich bei Rüpeleien auf
Friedhöfen und bei Gedenkfeiern ste-
hen bleiben? Alle derartigen Versuche
der Aufrechnung von welcher Seite
auch immer haben bisher nur ver-
mocht, das Gedenken zu vergiften,
Straßenkämpfe zu provozieren und
einen Kulturkampf anzuheizen, der vie-
len Menschen Kränkungen zufügt und
den Zugang zu den wahren Geschehnis-
sen verbaut.
Ein Museum kann diesen unsinnigen
Streit durch Forscherfleiß und kon-
struktive, versöhnliche Zusammenar-
beit vieler Nationen, die alle ihren Ei-
genbeitrag leisten und zusätzliche
Aspekte einbringen, befrieden und die
Positionen, sie mögen so gegensätzlich
sein wie sie wollen, in das Licht der Er-
kenntnis und Aufklärung stellen. Und es
kann über alle Lager hinweg demütig
machen in der Einsicht, dass es den-
noch Taten und Katastrophen gibt, die
sich für alle Zeiten jeglicher Erklärung
entziehen.
WWWir brauchen einir brauchen ein
Luftkriegsmuseum
Generationen von Europäern wurden von Bomben und brennenden Straßen
traumatisiert. Es sollte einen Ort geben, um die Erinnerung an diese
Katastrophe wachzuhalten. Und das Museum kann nur in einer Stadt sein
Bilder aus dem Bombenkrieg:
Zerstörte deutsche Mittelstädte
Hildesheim und Pforzheim, ildesheim und Pforzheim,
amerikanische B17-Bomber,
Gedenkgottesdienst 1945 in der
Ruine der Kathedrale von Coventry
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05.03.20 Donnerstag,5.März2020DWBE-HP
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