Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1
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  1. Februar 2020 Hertha-BSC-Verteidiger Jor-
    dan Torunarigha wird im DFB-Pokalspiel gegen
    Schalke 04 von gegnerischen Fans mit Affen-
    lauten rassistisch beleidigt. Das Sportgericht
    des DFB verurteilt Schalke zu einer Geldstrafe
    von 50 000 Euro.

  2. Januar 2018 Die Spieler Anthony Ujah
    und Leon Balogun von Mainz 05 werden wäh-
    rend des Spiels bei Hannover 96 Ziel rassis-
    tischer Beleidigungen. Hannover wird zu
    einer Geldstrafe von 20 000 Euro verurteilt.

  3. Dezember 2019 Antonio Rüdiger vom
    FC Chelsea wird im Spiel bei Tottenham Hot-
    spur rassistisch beleidigt. Der Schiedsrichter
    veranlasst Stadiondurchsagen und droht
    mit dem Spielabbruch.


Tatort Stadion
Auswahl rassistischer Vorfälle im europäischen
Profifußball


  1. Oktober 2019 Rassistische Anfeindungen
    gegen schwarze Spieler der englischen
    Nationalelf durch bulgarische Fußballfans
    beim Qualifikationsspiel zur Europameister-
    schaft zwischen Bulgarien und England.
    Das Spiel wird zweimal unterbrochen
    jedoch anschließend fortgesetzt.

  2. Februar 2020 Bei einem Drittligaspiel
    zwischen Preußen Münster und den Würzbur-
    ger Kickers wird der Würzburger Spieler Leroy
    Kwadwo von einem Zuschauer mit Affenlauten
    bedacht. Anwesende Fans helfen den Ord-
    nungskräften, den Mann ausfindig zu machen.


Co-Trainer Alexander Nouri (links) und Marius Wolf
trösten Jordan Torunarigha KOLVENBACH / IMAGO

Bulgarienfan beim Hitlergruß DPA PICTURE-ALLIANCE


  1. November 2019 Beim Spiel der italienischen
    Serie A zwischen Hellas Verona und Brescia
    Calcio geben die Heimfans mehrfach Affen-
    laute von sich, sobald Mario Balotelli den Ball
    spielt, und beleidigen ihn mit rassistischen
    Rufen. Mitspieler und Gegner müssen Balotelli
    überreden weiterzuspielen.


ein anderer Aspekt: Ein Betroffener fängt
vielleicht irgendwann an zu glauben, dass
alle Weißen rassistisch denken. Nicht jeder
ist mental stark genug zu erkennen, dass
das Unsinn ist. Aber dann haben die Ras-
sisten gewonnen. Dann haben sie Hass ver-
breitet.
SPIEGEL:Hat sich Ihrer Meinung nach das
gesellschaftliche Klima verändert?
Rüdiger:Es bekommt jeder mit, dass die
rechten Kräfte immer mehr Stimmen er-
halten. Sei es die AfD in Deutschland, sei
es in Frankreich oder in Ungarn. Um mich
persönlich sorge ich mich dabei nicht.
Aber ich sorge mich um meine fünf Nich-
ten, ich sorge mich um mein gerade gebo-
renes Kind. Um sie habe ich Angst.
SPIEGEL:Clemens Tönnies, Schalkes Auf-
sichtsratschef, hat im vergangenen Jahr
eine Rede gehalten, in der er Afrikaner be-
leidigte. Letztlich durfte er Schalke-Chef
bleiben. Ihre Mutter stammt aus Sierra
Leone. Was denken Sie über den Fall?
Rüdiger:Als ich hörte, was Herr Tönnies
gesagt hat, dachte ich: Jetzt ist was los!
Aber dann gab es kaum Konsequenzen.
Auch dieses Thema verschwand relativ
schnell wieder. Mich haben die Aussagen
sehr überrascht, denn zuvor hatte ich über
Herrn Tönnies immer gehört, dass er
eigentlich einer sei, der sich für Menschen
aller Art einsetzt.
SPIEGEL:Es gibt von den Fußballverbän-
den Anti-Rassismus-Kampagnen. Promi-
nente Spieler sagen »no to racism« in die
Kamera, oder Kapitäne lesen vor Spielen
eine Botschaft vor. Ist das Heuchelei?
Rüdiger:Ich denke dann – lasst es uns
schnell hinter uns bringen. Ich weiß, dass
solche Kampagnen wichtig sind. Aber
ich glaube nicht mehr wirklich daran. Tut
mir leid.
SPIEGEL:Wie können Sie dann noch Freu-
de am Fußball haben?
Rüdiger:Wenn ich zu Hause bei meinen
Liebsten bin, kann ich es ausblenden.
Doch manchmal, wenn ich allein im Auto
sitze, kommen die Gefühle zurück. Dann
kämpfe ich mit mir selbst. Aber keine Sor-
ge, es geht für mich weiter – irgendwie.
SPIEGEL:Italiens Nationalspieler Mario
Balotelli hat einmal erzählt, wie er als
Kind versucht hat, das Schwarz von seiner
Haut abzuwaschen, und wie er einen Leh-
rer gefragt hat, ob er ein schwarzes Herz
habe. Wann wurde Ihnen bewusst, dass
Ihre Hautfarbe ein Thema sein kann?
Rüdiger:Gott sei Dank hat mein Vater mir
früh erklärt: Du hast mehr Pigment als an-
dere. Das macht dich nicht besser oder
schlechter als sie. Und das ist die Haltung,
die ich bis heute bewahrt habe und meinen
Kindern weitergeben möchte. Ich bin stolz
auf das, was ich bin. Und daran wird nie-
mand etwas ändern.
Interview: Peter Ahrens, Jörn Meyn

fenheims Sponsor Dietmar Hopp hart
durchgegriffen. Wie beurteilen Sie das?
Rüdiger:Dass einzelne Spieler, Funktionä-
re oder Schiedsrichter in Fußballstadien
beleidigt werden, gibt es leider schon seit
Jahrzehnten. Was Herr Hopp dann Gutes
für seine Region getan hat, spielt eigentlich
keine Rolle, denn solche Fadenkreuzpla-
kate sind so oder so völlig inakzeptabel.
Niemand, absolut niemand muss sich so
beleidigen lassen. Auf der anderen Seite
stellen sich jetzt viele – und auch ich – die
Frage, warum nicht bei vielen anderen Fäl-
len in der Bundesliga so durchgegriffen
worden ist. Mir fällt da sofort der rassisti-
sche Vorfall gegen Jordan Torunarigha in
Schalke ein oder die länger anhaltenden
Beleidigungen gegen Timo Werner. Hier
ist nicht wirklich etwas passiert.
SPIEGEL:Glauben Sie, dass man grund -
legend etwas tun kann, um des Rassismus
Herr zu werden?
Rüdiger:Schon vor vielen Jahren haben
sich Leute darüber Gedanken gemacht,
wie man den Rassismus endgültig aus der
Gesellschaft vertreiben kann. Jetzt sind
wir im Jahr 2020, und es gibt ihn immer
noch. Vielleicht hat es eine Zeit mit weni-
ger Vorfällen gegeben. Aber im Moment
habe ich das Gefühl, dass wir Rückschritte
machen.
SPIEGEL:Sie klingen hoffnungslos.
Rüdiger:Nein, es ist nicht hoffnungslos.
Dass vor drei Wochen zum Beispiel die
Fans von Preußen Münster aufgestanden
sind, um Leroy Kwadwo zu unterstützen,
zeigt mir, dass es Hoffnung gibt. Aber es
muss etwas passieren, sonst wird es immer
schlimmer. Bildung ist der Schlüssel. Es
fängt zu Hause bei der Erziehung an, es
geht dann weiter in den Kindergärten und
den Schulen. Da müssen die Kinder lernen,
dass wir alle gleich sind.
SPIEGEL:Portos Moussa Marega etwa
hat das Spielfeld nach rassistischen Belei-
digungen verlassen und Probleme bekom-
men. Ist das der richtige Weg?
Rüdiger:Ich habe mir diesen Fall genau
angeschaut. Marega sah erst die Gelbe Kar-
te, und als er vom Platz gehen wollte, wur-
de er auch noch von seinen eigenen Mit-
spielern daran gehindert. Er hatte also
nicht einmal die Unterstützung seiner
eigenen Leute. Er war wieder allein. Das
hat besonders geschmerzt, und es zeigt
mir – wenn die Täter nicht bestraft werden,
bringt es auch nichts, den Platz zu verlas-
sen. Denn dann bist du am Ende selbst der
Buhmann.
SPIEGEL:Chelsea hat wegen rassistischer
Vorfälle gegen eigene Fans lebenslange
Stadionverbote verhängt.
Rüdiger:Die Täter muss man so bestrafen,
dass es ihnen richtig wehtut. Dass sie es nie
vergessen. Denn sie wissen gar nicht, was
sie uns mit Affenlauten antun. Stadion -
verbote allein genügen nicht. Dazu kommt

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