Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1

derzeitigen gemäßigten und europafreund -
lichen Parteien schaut. Es sei doch klar,
erklärt er, dass es so nicht weitergehen kön-
ne. »Wenn man dem Kapital keine Grenzen
setzt, aber keine europaweite Exekutive,
keine Steuergesetze, kein Haushaltsrecht
für das Europäische Parlament schafft, dann
erleben die Leute Europa als ungerecht.«
Die Rechten würden immer deutlicher in
ihrer Politik der Diskriminierung – da müss-
te die Linke dagegenhalten mit einer wage-
mutigeren Umverteilung. »Man muss den
Bürgerinnen und Bürgern etwas anbieten!«
Er ist ein Mann, der gern viel vorhat, der
sich freut, wenn es viel zu verändern gibt.
Auf seiner kommenden Deutschlandreise,
erklärt er, da werde er Menschen von
der SPD treffen und ihnen erklären, wie
Deutschland und Frankreich eine euro -
päische Vermögensteuer hinbekommen!
Deutschland, so beendet er unser Treffen,
ist ihm ein Rätsel: So kreativ und sozial nach
dem Krieg, so träge und ängstlich heute.


Thomas Piketty operiert wie die großen
Intellektuellen der französischen Geistes-
geschichte, zerlegt die Welt und baut eine
bessere in Gedanken auf. Darin steht er in
der Tradition von Jean-Paul Sartre und
Michel Foucault. Aber am Ende seiner
Überlegungen, darin liegt ein Unterschied,
steht nicht die Forderung nach Einsicht in
die existenzielle Freiheit oder die Dekon-
struktion des Diskurses – Thomas Piketty
empfiehlt, nach vielen Worten und Berech-
nungen, kräftige Überweisungen auf die
Girokonten all jener, die zu viel Zeit damit
verbringen herumzurechnen, ob das Geld
reicht. Auch so, könnte man seinen Ansatz
zusammenfassen, lässt sich eine Gesell-
schaft einen und befrieden. Dabei ver-
kennt er freilich den Einfluss kultureller
Denkmuster, das Bedürfnis nach Sinnstif-
tung durch Zugehörigkeiten und auch,
dass Zufriedenheit eine kollektive Anstren-
gung ist und mehr Investitionen in den
öffent lichen Raum, in Bildung und Ge-
sundheit ebenso viel bewirken können.
Aber sein Optimismus ist ansteckend.
Thomas Piketty wirkt völlig zufrieden, so-
gar rundum glücklich. Er kann die Krisen
der Welt aufzählen und beschreiben und
wirkt dabei voller Tatendrang. Letztlich,
glaubt er, wird es mehr Gerechtigkeit
geben. Der Sohn linker Eltern, die sich
irgendwann zum Ziegenzüchten in den
Süden Frankreichs verabschiedet haben,
sieht keinen Grund, Vorschläge nicht zu
machen, nur weil sie politisch nicht durch-
setzbar scheinen.
Das ist die Moral seines neuen, dicken
Buches: Jede Gesellschaft versucht sich
einzureden, ihre spezielle Ungerechtigkeit
müsse aus guten Gründen so bestehen,
aber in Wahrheit ist das gar nicht so, alles
lässt sich ändern. Warum tun wir es nicht?


121

Belletristik Sachbuch

1 (1)Pascal Mercier
Das Gewicht der Worte Hanser; 26 Euro

2 (5)Monika Helfer
Die Bagage Hanser; 19 Euro

3 (2)Delia Owens Der Gesang
der Flusskrebse Hanserblau; 22 Euro

4 (–)Laetitia Colombani
Das Haus der Frauen S. Fischer; 20 Euro

5 (4)Lisa Taddeo
Three Women. Drei Frauen Piper; 22 Euro

6 (8)George Saunders
Fuchs 8 Luchterhand; 12 Euro

7 (3)Saša Stanišić
Herkunft Luchterhand; 22 Euro

8 (–)Andrea Camilleri
Das Bild der Pyramide Lübbe; 22 Euro

9 (6)Sebastian Fitzek
Das Geschenk Droemer; 22,99 Euro

10 (9)Lucinda Riley
Die Sonnenschwester Goldmann; 22 Euro

11 (7)Susanne Fröhlich
Ausgemustert Knaur; 16,99 Euro

12 (13)Bov Bjerg
Serpentinen Claassen; 22 Euro

13 (–)Jasmin Schreiber
Marianengraben
Eichborn; 20 Euro

14 (–)John Grisham
Die Wächter Heyne; 24 Euro

15 (14)Christian Baron
Ein Mann seiner Klasse Claassen; 20 Euro

16 (10)Sigrid Nunez
Der Freund Aufbau; 20 Euro

17 ( 12)Ildikó von Kürthy
Es wird Zeit Wunderlich; 20 Euro

18 (11)Jussi Adler-Olsen
Opfer 2117 dtv; 24 Euro

19 (16)Ingrid Noll
In Liebe Dein Karl Diogenes; 24 Euro

20 (19)Katja OskampMarzahn,
mon amour Hanser Berlin; 16 Euro

1 (2)Bas KasDer Ernährungskompass
C. Bertelsmann; 20 Euro
2 (1)Jonathan Franzen
Wann hören wir auf, uns
etwas vorzumachen? Rowohlt; 8 Euro
3 (–)Peter HahneSeid ihr noch ganz
bei Trost! Quadriga; 12 Euro
4 (4)Kübra Gümüșay
Sprache und Sein Hanser Berlin; 18 Euro
5 (10)Umberto Eco
Der ewige Faschismus Hanser; 10 Euro
6 (–)Maja Göpel Unsere Welt
neu denken Ullstein, 17,99 Euro
7 (3)Stephen HawkingKurze Antworten
auf große Fragen Klett-Cotta; 20 Euro
8 (7)Walter KohlWelche Zukunft
wollen wir? Herder; 24 Euro
9 (6)Ajahn Brahm
Der Elefant, der das Glück vergaß
Lotos; 16,99 Euro
10 (8)Marc Friedrich / Matthias Weik
Der größte Crash aller Zeiten
Eichborn; 20 Euro
11 (5)Peter Wohlleben
Das geheime Band zwischen
Mensch und Natur Ludwig; 22 Euro
12 (15)Michelle Obama
Becoming Goldmann; 26 Euro
13 (16)Edward Snowden
Permanent Record S. Fischer; 22 Euro
14 (14)Peter Maffay
Hier und Jetzt Lübbe; 20 Euro
15 (–)Andreas Michalsen
Mit Ernährung heilen Insel; 24,95 Euro

16 (9)Patrik Svensson
Das Evangelium der Aale Hanser; 22 Euro
17 (12)Gerhard Wisnewski
verheimlicht – vertuscht –
vergessen 2020 Kopp; 14,99 Euro
18 (–)Bernhard Pörksen / Friedemann
Schulz von Thun
Die Kunst des
Miteinander-Redens
Hanser; 20 Euro

19 (13)Vincent Klink Ein Bauch lustwandelt
durch Wien Ullstein; 24 Euro
20 (11)Doris Dörrie
Leben, schreiben, atmen Diogenes; 18 Euro

Im Auftrag des SPIEGELwöchentlich ermittelt vom Fachmagazin »buchreport« (Daten: media control);
nähere Informationen finden Sie online unter: spiegel.de/bestseller

Die Gefahren der Polarisie-
rung und die Kunst
des Dialogs: zwei Wissen-
schaftler über bessere
Kommunikation in Gesell-
schaft und Politik.

Das Romandebüt der
ehrenamtlichen Sterbe-
begleiterin berührt durch
die ergreifende Schilde-
rung von brutaler Trauer
und allmählich zurück-
kehrendem Lebensmut.
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