Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1
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E


ine der größten Nummern, die Joko
und Klaas bisher gelangen, war die
mit dem falschen Ryan Gosling, drei
Jahre ist das her. Damals schmuggelten die
beiden Entertainer einen Laiendarsteller
in die ZDF-Gala »Goldene Kamera« ein,
der sich als Gosling ausgab; der echte war
gar nicht da. Dass der Mann, der dem Hol-
lywoodstar nicht sonderlich ähnlich sah,
es bis auf die Bühne schaffte, war ein
Scoop. Das ZDF stand als Deppensender
da, Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-
Umlauf waren die Helden, die das Fern -
sehen dekonstruiert hatten.
Nun sollen die beiden wieder gefälscht
haben, ähnlich meisterhaft. Diesmal aber
haben sie ihre eigenen Fans betrogen. Die
Blamierten sind nun Joko, Klaas und ihr
Haussender ProSieben. Sie haben sich
selbst zerlegt – und die Glaubwürdigkeit
des Fernsehens gleich mit.
Am Dienstag hatte das NDR-Format
»STRG_F« enthüllt, dass Joko und Klaas
die Einspielfilme ihrer Shows wohl ge-
fälscht haben. Einer der angeblichen Fakes:
In der gemeinsamen Sendung »Duell um


die Welt« war zu sehen, wie Schauspiele-
rin Sophia Thomalla aus einem Helikop-
ter geschubst wird, die Augen mit einer
Spezialbrille verdeckt, gesichert mit ei-
nem Seil. Angeblich wusste Thomalla we-
der, wo sie sich befindet, noch, was sie er-
wartet, doch offenbar war alles mit ihr
abgesprochen.
Eine weitere Täuschung: In Heufer-Um-
laufs Show »Late Night Berlin« brüstete
dieser sich damit, einen Fahrraddieb ge-
stellt zu haben. Neben dem Mann erschie-
nen plötzlich der Sänger Adel Tawil und
die Rapper-Truppe Die Atzen zu einem
Spontankonzert, bis der Mann flüchtete.
In Wahrheit war der angebliche Täter of-
fenbar ein Statist.
Joko und Klaas stehen nun da wie zwei
Zauberer, die dem Publikum vormachen,
dass sie über magische Kräfte verfügen.
Das Publikum glaubt und ist begeistert,
bis es den doppelten Boden im Zylinder
bemerkt.
Fernsehen ist der Verkauf von Illusio-
nen. Die Kamera lässt kleine Leute groß
erscheinen und alte etwas jünger. Pappku-
lissen wirken, wenn sie gut sind, wie echte
Städte. Wenn im »Tatort« jemand erschos-
sen wird, weiß der Zuschauer, dass der
Schauspieler nach Drehschluss aufsteht
und nach Hause geht. Dass der »Bergdok-
tor« im echten Leben kein Arzt ist, dürfte
ebenfalls als Allgemeinwissen gelten. Es
sind Gesetze, die gelten, seit es Fernsehen
gibt. Allerdings nur für fiktionale Formate.
Die Einspielfilme bei Joko und Klaas ka-
men wie Dokumentationen daher, und da
gelten andere Regeln. Sie müssen authen-
tisch sein.
In den späten Neunzigerjahren fing das
Privatfernsehen an, die Grenzen zwischen

Realität und Fiktion aufzuheben. RTL,
Sat.1 & Co. zeigten plötzlich Gerichtsver-
handlungen, schließlich Dokus über zer-
rüttete Familien und Reportagen über die
Einsätze von Feuerwehr und Polizei.
Die Sendungen heißen »Verdachtsfälle«
oder »Familien im Brennpunkt«. Sie tun
so, als erzählten sie aus dem echten
Deutschland. Menschen leben dort zu
zehnt in verschimmelten Wohnungen, der
Sohn grüßt seine Mutter mit »Fick dich!«.
Nichts davon ist echt, das komplette Per-
sonal besteht aus Laiendarstellern. Umfra-
gen ergaben damals, dass kaum ein Zu-
schauer verstand, dass ihm nur etwas vor-
gespielt wurde. Seit einigen Jahren müssen
solche Sendungen deshalb als »Scripted
Reality« gekennzeichnet werden.
Joko und Klaas haben sich der Mittel
dieses Proll- und Krawallfernsehens nun
offenbar bedient, ohne es kenntlich zu ma-
chen. Das wäre halb so schlimm, zählten
die beiden zu den üblichen Knallchargen,
wie es sie zuhauf gibt im deutschen Fern-
sehen. Doch zwischen alldem, was einem
dort an Unterhaltung zugemutet wird, ge-
hörten Joko und Klaas zu den Guten. Cle-
ver, smart, gesellschaftlich engagiert, Zeit-
geisthelden. Sie schaffen es, dass junge
Leute den Fernseher einschalten, auch,
weil sie glaubwürdig erscheinen.
Vor allem Heufer-Umlauf genügte es
nie, nur ein Clown zu sein. Er ist auch eine
Art moralisches Gewissen seiner Genera-
tion, ähnlich wie Jan Böhmermann, nur
auf angenehmere Art, ohne Andersden-
kende abzumeiern. Gemeinsam riefen die
beiden zu Spenden auf für die Seenotretter
und sammelten so mehr als eine Milllion
Euro ein.
Als Joko und Klaas im vergangenen
Jahr bei einem Duell gegen ihren Haussen-
der ProSieben 15 Minuten Sendezeit ge-
wonnen hatten, verschenkten sie diese an
eine Seenotrettungskapitänin und einen
Sozialarbeiter, der Obdachlosen hilft. Es
ist nicht übertrieben, an solche Fernseh-
macher hohe Maßstäbe anzulegen, auch
wenn es nur um Unterhaltung geht.
Dass die beiden nun als Schummler da-
stehen, lässt nicht nur Zweifel aufkom-
men an ihrer eigenen Arbeit. Wie soll der
Zuschauer künftig unterscheiden, was er
im Fernsehen glauben kann und was
nicht?
Die ersten Reaktionen der Beschuldig-
ten verschlimmerten die Sache nur noch.
Ihre Produktionsfirma Florida machte sich
in Statements über die Vorwürfe lustig.
ProSieben versuchte, die Recherchemetho -
den des NDR abzuwerten.
»Un ser Job ist es, dass wir das Fern se -
hen von innen her aus schö ner ma chen
kön nen«, sagte Heufer-Umlauf einmal. Ge-
rade ist das Gegenteil der Fall.
Alexander Kühn

Kultur

Verlorene


Unschuld


AffärenDie TV-Entertainer
Joko und Klaas sind auch
deshalb erfolgreich, weil sie so
glaubwürdig wirken. Nun
stehen sie als Schummler da.

RETO KLAR / BERLINER MORGENPOST / FUNKE FOTO SERVICES
Moderatoren Heufer-Umlauf, Winterscheidt: Mittel des Proll- und Krawallfernsehens
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