Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1
RTL TVI / AP

Anschlag auf den Brüsseler Flughafen (TV-Bild)

5./6. April

Amri fordert einen
kleineren Geld-
betrag von Cem.
Dieser erfährt,
dass Amri andere
Bewohner des
Flüchtlingsheims
bestiehlt.


  1. März


V-Mann Cem fährt
mit Amri zum So-
zialamt nach Ober-
hausen. Eine Mit-
arbeiterin der Be-
hörde warnt den
Tunesier, das LKA
verdächtige ihn, sich
Sozialleistungen er-
schlichen zu haben.


  1. April


Islamisten treffen
sich mit dem
V-Mann in dessen
Wohnung. Einer
der Männer sagt,
Amri habe ihm er-
zählt, er wolle in
Deutschland einen
Anschlag verüben.


  1. März


Amri äußert Freude
über in Brüssel ver-
übte Terroranschläge.
Er wohnt zwischen-
zeitlich bei einem
Freund in Dortmund.
Geld, so Amri, wolle
er mit Schmuck-
verkauf auf Trödel-
märkten verdienen.

»Einladung zum Paradies« spielte. Da er
wenig Ergiebiges brachte, endete der Ein-
satz bald wieder.
Fünf Jahre später aber schleusten
Cems VP-Führer ihren besten Mann zu-
rück in die Islamistenszene. 2013 startete
die Bochumer Polizei ihre Operation »Nep -
tun«. Es ging um Sami A., einen salafisti-
schen Prediger und Gefährder, der es we-
gen seiner mutmaßlichen Mitgliedschaft
in Osama Bin Ladens Garde als »Leib-
wächter« des Terroristenführers zu einiger
Berühmtheit gebracht hatte. In Deutsch-
land unterhielt Sami A. wohl Kontakte
zur al-Qaida nahestehenden »Düsseldor-
fer Zelle«, die einen Sprengstoffanschlag
geplant hatte.
Cem sollte Sami A. so nahe wie möglich
kommen, dessen Netzwerk auskundschaf-
ten und seine Absichten aufklären.
Damals hatte sich bereits eine beträcht-
liche Anzahl Islamisten aus Deutschland
in den Bürgerkrieg nach Syrien aufge-
macht. Die Sicherheitsbehörden waren
alarmiert, aber schlecht informiert über
die Szene. Murat Cem sollte das ändern.
Nur wie?
Als Einstiegshilfe hatten seine VP-Füh-
rer Cem einen Stand der »Lies!«-Kam -
pagne im Stadtzentrum von Bochum
empfohlen, wie er sagt. Dort verteilten
Isla misten kostenlos Koranexemplare an
Passanten und versuchten sie in Gesprä-
che zu verwickeln. Doch der V-Mann fand
den Salafistenstand nicht.
Schließlich steuerte Cem eine konser-
vative Moschee an. Dort log er, er wolle
mehr über seinen Glauben lernen. Man
hieß ihn willkommen. Cem knüpfte Freund-
schaften und fuhr zu Islamseminaren. Ei-
nes Tages lud ihn jemand zu einem be -
sonderen Gebet ein: Der Prediger war
Sami A., seine Zielperson.
Vor der ehemaligen Moschee im Bochu-
mer Stadtteil Langendreer stehen heute
zwei Bänke. Es ist Vormittag, die Straßen
sind ruhig, die Vögel zwitschern.
An dem Gebäude erinnert nichts daran,
dass es einmal einer der wichtigsten Treff-
punkte für Salafisten war. Spitzengardinen
hängen hinter den Scheiben. Auf den Fens-
terbänken stehen Figuren aus Porzellan
und Plastik. Sami A. wurde 2018 in einem


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rechtsstaatlich fragwürdigen Verfahren
nach Tunesien abgeschoben (SPIEGEL
30/2018). Aus seiner Moschee ist eine
Wohnung geworden.
Cem setzt sich auf eine Bank. »Scheich
Sami war radikal, aber auch ein lieber
Mensch«, sagt er. »Der Koran, den er mir
beigebracht hat, war nicht falsch.« Er be-
nutzt noch immer die respektvolle Anrede
»Scheich«, auch wenn er A. ausspioniert
hat. Sie seien so etwas wie Freunde ge-
worden, sagt Cem.
Für seine Aufenthalte in Bochum tausch-
te Cem die Straßenkleidung gegen die
Dschalabija, ein arabisches Gewand. Er
ließ sich den Bart wachsen und fuhr mit
seinen neuen Freunden von einer Salafis-
tenveranstaltung zur nächsten. Er war äl-

Doch Murat Cem war nun tief ins sa -
lafistische Milieu der Bundesrepublik
Deutschland vorgedrungen. Er lernte
die Protagonisten der Szene kennen, Ha-
san C. aus Duisburg etwa, der in seinem
Reisebüro jungen Männern Propaganda -
videos des IS zeigte. Oder Boban S., des-
sen Dortmunder Koranschule zu einem
Sammelbecken für Islamisten wurde.
Und Murat Cem traf auf Ahmad A. alias
Abu Walaa, den mutmaßlichen IS-Statthal-
ter aus Hildesheim. Er war als »Prediger
ohne Gesicht« bekannt, weil er peinlich ge-
nau darauf achtete, dass es keine Bilder
von ihm gab, die ihn von vorne zeigten.
Unter Abu Walaa war der »Deutsch-
sprachige Islamkreis Hildesheim« (DIK)
zu einer der radikalsten Moscheen hierzu-
lande avanciert. In den verwinkelten Räu-
men im Erdgeschoss eines rotgeklinkerten
Eckhauses sammelten sich Fanatiker aus
ganz Deutschland.
Murat Cem wurde einer der Dauergäste
»Ich habe gedacht, ich wohne da«, sagt er
heute. Er übernachtete in der Moschee,
häufig ohne Decke oder Kissen, und trai-
nierte im Fitnessraum.
Es war Cems Verdienst, dass der Gene-
ralbundesanwalt schließlich ein Verfahren
gegen die prominentesten salafistischen
Hassprediger in Deutschland beginnen
konnte. Der Prozess gegen Abu Walaa und
seine Unterstützer läuft immer noch vor
dem Oberlandesgericht in Celle.
Cem deckte auch auf, wie aus dem Um-
feld der Prediger reihenweise junge Män-
ner und Frauen nach Syrien und in den
Irak verschwanden. Er nannte der Polizei
Namen und Daten und verhinderte so ei-
nige Terrortrips.
Der V-Mann lebte damals ausschließlich
für die Sicherheit der Bundesrepublik
Deutschland, 24 Stunden am Tag, 7 Tage
pro Woche, Urlaub gab es nicht. Mit sei-
nem Toyota Corolla, den das Düsseldorfer
Landeskriminalamt gemietet hatte, fuhr
Cem im Ruhrgebiet umher, Bochum, Dort-
mund, Duisburg und immer wieder nach
Hildesheim. Irgendwo trafen sich immer
ein paar Salafisten.
Er sei besessen von seiner Mission ge-
wesen, sagt Cem. Je mehr Islamisten er
kennenlernte, desto zufriedener waren

»Du kannst im Paradies


einen Ferrari aus Gold


haben«, soll der »Scheich«


versprochen haben.


ter als die meisten, deswegen nannten sie
ihn »Abi«, Türkisch für großer Bruder.
Für Sami A. gab er den treuen und wiss-
begierigen Gefährten. Sie gingen zusam-
men zum Karatetraining und in die Sauna.
Und wenn Sami A. einmal Bochum ver -
lassen wollte, was er als abgelehnter Asyl-
bewerber eigentlich nicht durfte, nahm
Cem ihn in seinem Auto mit.
Der Polizei berichtete er all das – und
noch viel mehr. Wie ein Teufelsaustreiber
bei Sami A. in der Moschee zu Besuch ge-
wesen sei. Dass Sami A. seinen Zuhörern
von Jungfrauen und nicht endender Man-
neskraft im Paradies berichtete. Einmal, so
Cem, habe einer der Zuhörer gefragt, was
denn sei, wenn er im Paradies einen Ferrari
wolle. »Du kannst einen Ferrari aus Gold
haben«, soll Sami A. geantwortet haben.
Trotz Cems Einsatz gewannen die Be-
hörden lediglich die Erkenntnis, dass Sami
A. eine wichtige Figur in der Islamisten-
szene war. Für ein Strafverfahren reichten
die Informationen nicht.
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