Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1
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D


ie Weizenfelder wogen gelb wie in einer Herzschmerz-
schnulze nach Rosamunde-Pilcher-Manier, die Pferde-
rücken glänzen auf sattgrünen Weiden, aber schon die
Behausungen der Menschen sehen oft geduckt, angegammelt
und ein bisschen gruselig aus. Der dreiteilige Fernsehfilm
»Unterleuten« spielt in einer idyllischen Gegend voller schwie-
riger Leute. In dreimal 90 Minuten darf der Zuschauer die
Felder, Wiesen und Wälder, die meist renovierungsbedürf -
tigen Häuser, vor allem aber die
merkwürdigen Bewohnerinnen
und Bewohner eines branden-
burgischen Dorfes kennenler-
nen. Wer genau hinsieht, er-
kennt im Dorf Unterleuten bald
eine Ansiedlung der Schmutzi-
gen, Hässlichen und Gemeinen.
Der Regisseur Matti Geschon-
neck ist ein mit vielen Preisen
ausgezeichneter Routinier des
deutschen Fernsehfilms, der für
das ZDF nun souverän einen
Bestsellerroman der Schriftstel-
lerin Juli Zeh aufbereitet hat.
»Unterleuten« ist eine Typen-
komödie, in der keiner wirklich
zu den Guten gerechnet wer-
den kann. Die oft wunderbar
durchtrieben lächelnde Schau-
spielerin Dagmar Manzel gibt
eine allein in ihrem Haus leben-
de Witwe, die außer ihren Kat-
zen auch den Ehegatten ihrer
Nachbarin streichelt. Diesen
Kerl zwischen zwei Frauen ver-
körpert der bullige, immer diabolische Thomas Thieme als
Dorftyrann, der wie zu DDR-Zeiten den größten Landwirt-
schaftsbetrieb am Ort leitet. Rosalie Thomass spielt eine aus
Berlin zugezogene junge Mutter mit Esoterikspleen und
einem ökologievernarrten ehemaligen Soziologieprofessor
(Ulrich Noethen) an ihrer Seite. Und Bjarne Mädel tritt als
Dramatiker mit Schreibhemmung auf, den es gleichfalls aus
der Großstadt ins Dorf verschlagen hat, wo er jeden Som-
mertag auf dem Sitz rasenmäher herumkurvt und über den
Titel seines neuen Theaterstücks nachgrübelt, von dem leider
noch keine Zeile existiert.
Die Grundgeschichte der Romanvorlage wie des Films ist
schlicht: Die bis dahin friedlichen Bewohner des Dorfes Un-
terleuten werden von einer Teufelsmacht in Versuchung ge-
führt. Die Abgesandte eines Windkraftunternehmens (betont
hochhackig und zähnefletschend dargestellt von Mina Tan-
der) stellt ihnen bei einer Dorfversammlung nicht sagenhaften
Reichtum, aber doch eine zuverlässige alljährliche Platzmiete
von 150 000 Euro in Aussicht, wenn sie auf einem von zwei

dafür besonders geeigneten Grundstücken zehn Windräder
aufstellen darf. Die Dorfgemeinschaft aus alten und neuen,
DDR-erfahrenen und weststämmigen, armen und wohlha-
benden Unterleutnern zerstreitet sich im Nu. Im Film bren-
nen Gummireifen und Müllcontainer. Unbekannte schmieren
Hass parolen in Farbbuchstaben auf Garagentore. Im Dunkel
der Nacht rotten sich Dörfler zusammen, die Mauersteine in
Hausfenster schleudern. Und natürlich fließt irgendwann
auch Blut. Heimat klingt in »Unterleuten« nach Heimtücke.
Juli Zehs Roman aus dem Jahr 2016, der kapitelweise die
Perspektive wechselt, ist ein manchmal etwas überdeutlich
konstruiertes Lehrstück über Einsamkeit und bedrohliche
dörfliche Enge, Gefühlsnotstand und rustikales Wutbürger-
tum. Die Kunst des Regisseurs Geschonneck erweist sich in
»Unterleuten« vor allem in der sorgsamen, bei allem Willen
zur Komik stets geduldigen Erforschung der Charaktere.
Zwar wird im Film viereinhalb Stunden lang ausschließlich
von Menschen erzählt, die rücksichtslos und gierig stets ihren
eigenen Vorteil suchen. Und doch darf jede der Figuren dieses
deutschen Sittenbilds wenigstens ein paar kurze Momente
einen Rest von Menschlichkeit und Trostbedürftigkeit offen-
baren. Der eigentlich unerträglich rechthaberische Altkom-

munist, den der Schauspieler Hermann Beyer am Stock
durchs Dorf tapern lässt, trauert einer unerfüllten Jugendliebe
hinterher. Der Dorfschlägertyp, den Charly Hübner in die
Ruine einer Autowerkstatt hineinmuffelt, ist ein romantischer
Outsider und verwahrloster Vater, dessen Tochter sich ver-
gebens um Nähe bemüht. Und selbst die gnadenlos ehrgeizige
und sogar ihren Freund belügende Reitstallunternehmerin,
die Miriam Stein spielt, ist nicht bloß eine Spekulantin, die
sich tagaus, tagein bescheuerte Motivationstrainertipps an-
hört, sondern wenigstens ein paar Augenblicke lang auch
eine tragisch um ihren Lebenstraum Betrogene.
»Es ist nicht so einfach mit dem einfachen Leben«, darf
Jörg Schüttauf in der Rolle des Dorfbürgermeisters einmal
einen Gesprächspartner belehren, der glaubte, auf dem Land
sei das Glück zu Hause. Die Spannung und das Vergnügen
entstehen in Matti Geschonnecks Film aus dem genauen
Blick auf die vielen Spielarten des Unglücks, die unter den
Bewohnern von Unterleuten zu entdecken sind.
Wolfgang Höbel

Heimat und


Heimtücke


FernsehkritikDer Regisseur Matti Geschonneck
zeigt im ZDF-Dreiteiler »Unterleuten« einen
wilden Dorfkrimi – und ein deutsches Sittenbild.

DER SPIEGEL Nr. 11 / 7. 3. 2020


Kultur

MATHIAS BOTHOR / ZDF
»Unterleuten«-Darsteller:Rustikaler Bürgerkrieg

Sendetermine: 9., 11. und 12. März
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