Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1

G


ute Organisation ist für einen Kri-
miautor oberstes Gebot. Sein Job
besteht aus dem Ordnen von Hand-
lungsfäden, im Schaffen von Übersicht
an schauderhaft demolierten Tatorten,
in der peniblen Personenführung inmit-
ten unübersichtlicher Menschenaufläu-
fe. In Arne Dahls Wohnung hängen die
Mäntel sorgsam aufgereiht, und die
Tische sind leer geräumt. Der Autor
trägt ein Sakko überm Hemd und geht
auf Strümpfen, »das ist so bei uns in
Skandinavien, wir ziehen zu Hause die
Schuhe aus«, sagt er. Es gibt zwei
Biblio theken. Im Wohnzimmer, wo auf
einer langen Couch ein Kissen mit ei-
nem kreischbunten Werbeaufdruck des
deutschen Verlags für einen Arne-Dahl-
Krimi liegt, sind alle Wände bis unter
die Decke mit Regalen voller literari-
scher Werke und Sachbücher. In Dahls
Schreibstube, einem schmalen Raum
gleich neben der Küche, stehen aus-
schließlich Krimis in den Regalen,
viele in englischsprachigen Paperback-
Ausgaben.
»Es gibt sehr viele schlechte Krimis
und sehr wenige gute«, sagt Dahl am
Küchentisch seiner Altbauwohnung im
Stockholmer Stadtteil Södermalm. Der
Autor antwortet auf die Fragen des Be-
suchers in deutscher Sprache, seit vielen
Jahren hat er einen Zweitwohnsitz in
Berlin. Es sei nicht nur die Sprachkunst
und die raffinierte Konstruktion, die
gute Krimis auszeichne, glaubt Dahl.
»Die Dinge müssen unerwartet gesche-
hen, damit ich mich nicht langweile. Ich
mag keine Krimis, in denen ich schon
nach ein paar Seiten weiß, was pas-
siert.« In den Büchern des schwedi-
schen Schriftstellers, der mit bürger -
lichem Namen Jan Arnald heißt und
1963 geboren ist, wird der Leser zuver-
lässig überrumpelt von äußerst über -
raschenden Wendungen.
So ist es auch in Arne Dahls neuem
Buch »Vier durch vier«. Der Stockhol-


mer Privatermittler und Ex-Cop Sam
Berger versucht darin, nicht nur eine aus
Russland stammende Frau zu retten,
deren Entführer ein Ultimatum gestellt
hat, er jagt auch seiner schon vor Mo-
naten plötzlich verschwundenen Kolle-
gin und Geliebten nach.
Arne Dahl hat weit mehr als ein Dut-
zend Kriminalromane veröffentlicht,
seit er Ende der Neunziger bekannt
wurde. In Deutschland hieß sein erster,
im Jahr 1999 erschienener Bestseller
»Misterioso«. Unter den spektakulär
erfolgreichen skandinavischen Krimi-
autoren zeichnet sich Dahl neben seiner
zupackenden, klaren Sprache und prä-
zisen Kompositionskunst durch zwei
Talente aus. Er gilt als Spezialist für be-
sonders gemeine Grausamkeiten. Und
er hat es verstanden, spannend und sou-
verän über die Arbeit großer Ermittler-
teams und verschachtelter Verbrecher-
organisationen zu schreiben. Etliche
Bücher aus seinen Reihen über die
Fahnder des sogenannten A-Teams und
über eine Europol-Polizistentruppe na-
mens Opcop wurden auch fürs Fern -
sehen verfilmt.
Mit dem Helden Sam Berger, der vor
seinem Auftritt in »Vier durch vier«
schon im Vorgängerbuch »Sieben minus
eins« in Erscheinung trat, probiert der
Schriftsteller Dahl nun etwas ande res
aus. Nach den großen Schlachtschilde-

rungen übt er sich diesmal in der Kunst
des psychologischen Kammerspiels.
»Ich habe meine Schriftstellerarbeit
angefangen mit skandinavischen Poli-
zeikrimis, die vielleicht ein bisschen hu-
morvoller und spielerischer sind als die
anderer Autoren und oft von Ermittler-
kollektiven handeln«, sagt Arne Dahl.
»Jetzt wollte ich von Figuren mit etwas
komplexeren Charakteren erzählen
und habe versucht, stärker mit den Mit-
teln der Psychologie zu arbeiten. Und
was die Gewalt angeht, hatte ich mir
vorgenommen, sie aus dem neuen Ro-
man möglichst ganz herauszuhalten.«
Das Erste ist ihm geglückt. Sam Berger
ist ein kantiger, sich seit einem blutigen
Ausraster in Jugendjahren selbst nicht
recht über den Weg trauender Drauf-
gänger, der im neuen Buch sogar brav
Sitzungen bei einer Psychotherapeutin
besucht. Den zweiten Vorsatz, sich in
Fragen der Grausamkeit ein wenig zu-
rückzuhalten, musste Arne Dahl auf -
geben. »Mein Buch handelt von einem
Beutezug, der fast vorzivilisatorischen
Charakter hat, ein bisschen wie die Er-
oberungsexkursionen der Wikinger«,
berichtet er. »Daraus hat sich eine fast
archaische Art von Gewalt ergeben –
im Grunde wie in einer griechischen
Tragödie.«
Tatsächlich sind Schwert und Mes-
ser die bevorzugten Waffen im neuen,
in manchen Szenen nervenzerrüttend
brutalen Roman, der von den Verbre-
chen einer Russenmafia handelt. Das
Buch spielt zwar in der Gegenwart,
bietet aber zugleich einen kühlen his-
torischen Abriss über das Eindringen
osteuropäischer organisierter Krimi-
neller in den Westen nach dem Zusam-
menbruch des Kommunismus. Der
Ermittler Berger soll eine entführte
Frau aufspüren und vor der Exekution
durch ihren Entführer bewahren – und
hat dafür, wie es scheint, nur 74 Stun-
den Zeit. Er dringt ins Milieu der Rus-

12 SPIEGEL BESTSELLER / FRÜHJAHR 2020


Bücher

Mord nach Wikingerart


KrimisEin Besuch in Stockholm bei dem Schriftsteller Arne Dahl,
dessen neuer Roman »Vier durch vier« ein
psychologisches Kammerspiel ist – mit viel roher Gewalt.

Arne Dahl:Vier durch vier.
Piper; 448 Seiten; 16,99 Euro.
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