HASSPREDIGER ABU WALAA(1) Ausschnitt aus einem Video des Terror -
verdächtigen. (2) Durchsuchung des salafistischen »Deutschsprachigen Islamkreises
Hil desheim« im Juli 2016. (3) Observationsfoto der radikalen Koranschule
von Boban S. in Dortmund im November 2015. (4) Der Angeklagte Ahmad A.
alias Abu Walaa vor Gericht in Celle.
OLE SPATA / DPA
DER SPIEGEL Nr. 11 / 7. 3. 2020 15
kows zu besorgen, sagte Amri. Er wolle in
Deutschland Anschläge im Namen Allahs
verüben. Sie könnten auch gemeinsam
nach Paris fahren. Er kenne dort Brüder,
von denen sie Waffen bekämen, so Amri.
Cem war hellwach: Gab es endlich die
Möglichkeit, den gewaltbereiten Tunesier
hochgehen zu lassen? Mit einer Methode,
die er als V-Mann häufig angewendet hat-
te – einem Scheinkauf illegaler Waren?
Wieder spielte Cem auf Zeit, er müsse da-
für Vorbereitungen treffen. Dann sprach
er mit seinen Führungsbeamten.
Die Polizisten aber kamen seinem
Wunsch nicht nach. Es sei alles zu riskant,
sagten sie, und spiele im Ausland, wo an-
dere Gesetze gelten würden. Sie erinner-
ten Cem daran, wer im Zentrum ihres In-
teresses stand: Abu Walaa, der mutmaß -
liche IS-Mann, und nicht Anis Amri.
»Ich habe denen gesagt: Komm, lass uns
das machen, lass mich mit dem Amri die
Waffen kaufen gehen«, sagt er. »Aber die
wollten das nicht.« Das Landeskriminal-
amt (LKA) Nordrhein-Westfalen beantrag-
te zumindest, Anis Amri fortan telefonisch
zu überwachen.
Zugleich veränderte sich das Verhältnis
zwischen dem Spitzel und radikalem Tu-
nesier. Per Messenger fragte Amri seinen
neuen Bekannten plötzlich, ob er ein Poli-
zeispitzel sei. War Cem aufgeflogen? Panik,
Angst, die Polizei erwog, ihn aus der Szene
abzuziehen. Doch Cem gelang es schnell,
den Verdacht gegen sich zu zerstreuen.
Die Polizei aber war unsicher, wie sie
mit Amri umgehen sollte. Wenn sie gegen
ihn aktiv würde, könnte ihr V-Mann auf-
fliegen. Und den brauchten die Staats-
schützer unbedingt für das Großverfahren
gegen Abu Walaa und dessen Gefährten.
Das Landeskriminalamt und der Gene-
ralbundesanwalt entschieden sich für
einen Kompromiss. Um ihren wertvollen
V-Mann zu schützen, baten sie das Bun-
desamt für Verfassungsschutz darum, ein
sogenanntes Behördenzeugnis zu schrei-
ben. Es sollte die Spur zu VP01 verschlei-
ern und zugleich die Gefährlichkeit Amris
unterstreichen.
In dem Papier hieß es, dem Bundesamt
lägen »unbestätigte Hinweise« auf folgen-
des Szenario vor: Anis Amri versuche »of-
fensiv, Personen als Beteiligte an islamis-
tisch motivierten Anschlägen im Bundes-
gebiet zu gewinnen. Er beabsichtige, sich
mit Schnellfeuergewehren des Typs AK 47
zu bewaffnen, die er über Kontaktperso-
nen in der französischen Islamistenszene
beschaffen könne«.
Anis Amri verbrachte inzwischen viel
Zeit in Berlin. Die dortige Generalstaats-
anwaltschaft lehnte es ab, gegen ihn zu er-
mitteln. Das Papier des Verfassungsschut-
zes war den Anklägern zu dünn.
Auch im Bundeskriminalamt (BKA) wa-
ren die Beamten skeptisch. Das Szenario
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