Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1

J


ohn Grisham hat Filterkaffee ge-
kocht. Zucker sei keiner da, nur
Milch, sagt er kurz nach der Begrüßung
mit einem deutlichen Südstaaten -
akzent. In Charlottesville, einer be-
schaulichen Studentenstadt im US-
Bundesstaat Virginia, hat er seit Kur-
zem eine neue Wohnung ohne Bett,
die er als Büro nutzt. Die Bilder in
der Küche lehnen noch an der Wand.
Der Schreibtisch nebenan, der voll -
gepackt ist mit Papierstapeln, Mappen
und verschiedenen Ausgaben seiner
Bücher, stammt aus der Verfilmung
von »Die Firma«. An ihm saß schon
Tom Cruise. Grisham schreibt aller-
dings nie an diesem Tisch, wie er er-
zählt. Das mache er zu Hause auf
seiner Farm, 20 Minuten von Char -
lottesville entfernt, immer von sieben
bis elf Uhr.


SPIEGEL: Mr Grisham, »Die Wächter«
ist, wenn ich richtig gezählt habe, Ihr



  1. Buch in 32 Jahren.
    Grisham: Mir wird irgendwann lang-
    weilig, wenn ich nicht schreibe. Ich habe
    mir diese Routine angewöhnt. Ich fange
    immer am 1. Januar mit dem nächsten
    Buch an. Januar bis März sind produk-
    tive Monate: Das Wetter ist schlecht,
    die Tage sind kurz. Am 1. Juli versuche
    ich, durch zu sein, anschließend bleiben
    noch ein paar Wochen für Korrekturen.
    Mitte August ist alles fertig. Dann neh-
    me ich mir ein paar Wochen frei, bis die
    Langeweile wieder einsetzt, und ich
    überlege, was das nächste Buch sein
    könnte.
    SPIEGEL: Gibt es so etwas wie eine
    Grisham-Formel?
    Grisham: Ich versuche, meine Leser
    durch clevere Spannungsgeschichten zu
    unterhalten. Das ist, was ich selbst gern
    lese. Ich picke mir ein Thema oder Pro-
    blem raus, das mit dem Rechtssystem
    zu tun hat, und baue darum eine Ge-
    schichte.


SPIEGEL: Amerika liefert Ihnen den
Stoff, und Sie bauen bloß die Handlung
drum herum?
Grisham: In »Die Wächter« erzähle
ich drei Fälle, einen großen und zwei
kleinere. Es geht um Fehlurteile,
um das Versagen der Justiz. Ich werde
immer wieder gefragt, ob es das
denn tatsächlich gibt: Diese Fehlurtei-
le, passieren die wirklich? Weiße

wollen das nicht wahrhaben. Afro -
amerikaner wissen, dass das bittere
Realität ist.
SPIEGEL: Das Buch basiert in Teilen
auf einem echten Fall: John Bryan soll
1985 seine Ehefrau erschossen haben,
er selbst bestreitet das bis heute.
Grisham: Teile der Beweiskette im
Buch sind an seinen Fall angelehnt. Ich
habe vor ein paar Tagen einen Brief von

18 SPIEGEL BESTSELLER / FRÜHJAHR 2020


Bücher

»Ich fange immer am



  1. Januar an«


SpannungKaum jemand liefert so verlässlich Erfolgstitel wie John Grisham.
Nun erscheint sein 40. Buch, »Die Wächter«. Ein Bürobesuch in Virginia.

»Meine Frau sagt: Hör auf zu predigen und
schreib einen schnörkellosen Thriller.«
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