Also habe ich das Buch dahin verlegt.
Es war großartig.
SPIEGEL: Klingt nach einer Recher-
chereise mit Essen und Wein.
Grisham: Recherche, ganz genau ...
Das Buch, an dem ich momentan
schreibe, spielt zu Hause in Mississippi.
Es geht, zum dritten Mal, um die Pro-
tagonisten aus »Die Jury«. Das muss
ich nicht recherchieren.
SPIEGEL: Und was funktioniert so gar
nicht?
Grisham: Wenn es nicht funktioniert,
kommt es nicht ins Buch. Ist doch
klar.
SPIEGEL: Aber Sie müssen doch mal
Feedback bekommen haben von
Lesern, die sagen: Lassen Sie mal
lieber.
Grisham: Ich habe mal online ein paar
Besprechungen gelesen, was ich nor-
malerweise nicht tue, weil sie immer
derart fies sind. Wenn die Amateure
dein Werk rezensieren, wird’s oft bru-
tal. Weshalb ich das für gewöhnlich
vermeide. Und dann sah ich einen
Kommentar von einem jungen Leser,
vielleicht 25, Afroamerikaner. Der
schrieb, dass er großer Fan sei und es
super fände, wenn ich doch mal einen
schwarzen Helden erfinden würde. Ich
hatte vorher noch nie darüber nach -
gedacht. Also habe ich mich hingesetzt
und »Das Komplott« geschrieben. Da-
rin sitzt ein afroamerikanischer Anwalt
im Gefängnis. Das Buch handelt nicht
von Rassismus, es hat einfach nur einen
schwarzen Helden. Ich wollte schauen,
ob ich das kann. Weibliche Hauptfigu-
ren habe ich auch probiert. Meine Frau
sagt allerdings, dass meine weiblichen
Charaktere nicht meine stärksten
Figuren seien. Ich kann nicht wie eine
Frau denken.
SPIEGEL: In »Die Wächter« lassen
Sie Ihren Anwaltshelden Cullen Post,
der sich ausschließlich mit Fehlurteilen
beschäftigt, einmal sagen: »Ich hatte
Hunderte Mandanten, und nach kurzer
Zeit war ich an einem Punkt, an
dem ich alle für schuldig hielt.« Wie
gut können Sie selbst Menschen ein-
schätzen?
Grisham: Es ist schwierig, nicht irgend-
wann jedem, der in die Kanzlei hinein-
kommt, gefühllos, abgestumpft, zynisch
und skeptisch gegenüberzutreten. Der
große Teil ist schuldig, die respektieren
weder dich noch das System. Das sind
Kriminelle. Da Mitgefühl zu zeigen ist
nicht ganz einfach. Und dann sitzt da
einer, von dem man denkt: Vielleicht
der da, der war’s nicht. Kommt aber
selten vor.
SPIEGEL: Ich frage deshalb, weil Sie
Anfang 2016 sagten, dass Donald
Trump Ihnen keine Angst mache,
im Gegenteil, er als Kandidat der
Republikaner am einfachsten zu schla-
gen sei.
Grisham: Das habe ich gesagt, mehr-
fach sogar. Vielleicht auch einmal zu
viel. Andererseits kann ich mich nicht
daran erinnern, wann ich das letzte
Mal richtiglag. Ich habe ihn unterstützt,
dachte aber trotzdem nicht, dass
Obama Präsident werden würde – weil
er schwarz ist.
SPIEGEL: Lässt sich der Erfolg von
Trump mit einer Faszination für Gau-
ner erklären?
Grisham: Wir neigen dazu, Verbrecher
zu unseren Helden zu machen. Trump
hat auch etwas davon, er ist schamlos,
wenn es um seine Laster geht. Er ist
dreist genug, damit anzugeben, keine
Steuern gezahlt zu haben. Das ver-
schafft ihm sicher eine gewisse Anzie-
hungskraft.
SPIEGEL: Diese ganzen Intrigen und
Skandale unter Trump – steckt da auch
ein Grisham-Thriller drin?
Grisham: Das Material wäre reichhal-
tig genug, na klar. Ich habe eine Weile
darüber nachgedacht. Bei Trump und
all den irren Geschichten habe ich al-
lerdings das Gefühl, dass es zu verrückt
klingen würde.
Interview: Daniel C. Schmidt
Foto: Thomas van Veen für SPIEGEL BESTSELLER 19
ihm bekommen. Ein weiterer Revi -
sionsantrag vor Gericht ist abgelehnt
worden. Er sitzt seit mehr als 30 Jahren
in Haft.
SPIEGEL: Erzählt ein Grisham-Buch
immer etwas über die Zustände in den
USA?
Grisham: Nicht immer. Meine Frau
sagt mir hin und wieder, dass ich mal
von der Kanzel runterkommen soll:
»Hör auf zu predigen und schreib einen
schnörkellosen Thriller!« Kein Pro-
blem, keine Botschaft, bloß eine pa-
ckende Handlung. Ich versuche das
dann und mache es auch, aber je älter
ich werde, umso mehr Themen habe
ich, die mich ankotzen. Wir könnten in
unserem Justizsystem genügend Dinge
geradebiegen, wenn wir nur den politi-
schen Willen dazu aufbringen würden.
Ich bin in Briefkontakt mit etwa einem
halben Dutzend Männern, die einsit-
zen. Ich bin davon überzeugt, dass die
alle unschuldig sind. Diese Geschichten
brechen einem das Herz.
SPIEGEL: Sie waren selbst jahrelang
Strafverteidiger. Würden Sie für einen
von denen noch einmal vor Gericht
ziehen?
Grisham: Ich kann mir kein Szenario
vorstellen, in dem ich mich verleiten
lassen könnte, noch einmal in den Ge-
richtssaal zurückzukehren. Strafvertei-
digung ist ein stressiger Beruf, wenn
man das täglich macht. Das ist harte
Arbeit. Ich bin viel zu faul, dahin noch
einmal zurückzugehen. Ich habe das
einmal gemacht, 1996, und mir dann
geschworen, nicht mehr freiwillig vor
Gericht zu erscheinen, zumindest nicht
als Anwalt. Mit den Büchern kann ich
eine viel größere Zielgruppe erreichen.
Ich kann ein Licht auf bestimmte Miss -
stände werfen.
SPIEGEL: Wissen Sie genau, was Ihre
Leser von Ihnen wollen, was unbedingt
reinmuss?
Grisham: Ich denke da viel drüber
nach. Was muss vorkommen, was
darf nicht fehlen, wer erzählt die Ge-
schichte? Die Kulisse ist eine Sache.
Manchmal suche ich mir einen Ort
raus, wo ich noch nicht war, und fahre
dort hin. Vor ein paar Jahren habe ich
ein Buch geschrieben, »Die Begnadi-
gung«, das überall auf der Welt hätte
spielen können. Ich war zu der Zeit
viel in Italien, aber nie in Bologna.
John Grisham:Die Wächter.
Heyne; 448 Seiten; 24 Euro.