Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1
bustern erwirtschaftet wurden, deren
Filmmusiken unmittelbar nach dem
Konsum eines Films als stets bombasti-
sche musikalische Gleichschaltung eben
nicht in Erinnerung bleiben, hat Zim-
mers Strahlkraft bislang nicht geschadet.
Der Effekt, der entsteht, wenn dauerhaft
zu viel Adrenalin in der Orchestrierung
enthalten ist, dürfte die Marvel-Filme
vielmehr erst zu dem gemacht haben,

was sie sind: eine Art totale Esperanto-
Musik, kompatibel für einen internatio-
nalen, alle Stile und Traditionen über-
windenden Popcorn-Massenmarkt.
Allerdings, und das zeigt nicht zu-
letzt der grandiose neue »Bond«-Titel-
song, kann Hans Zimmer auch ganz an-
ders. Wer den Science-Fiction-Film »In-
terstellar« von Christopher Nolan mit
Zimmers elegischem, ruhigem Score
gesehen hat, oder, noch beeindrucken-
der, Denis Villeneuves »Blade Runner

Mit Marvel-
Comics
Milliarden
erwirtschaftet.

A


ls die 18-jährige Billie Eilish im
Februar in London bei den Brit
Awards den neuen »James Bond«-Titel-
song »No Time to Die« auf einem Bar-
hocker sitzend inmitten eines großen
Streichorchesters erstmals live sang, lä-
chelte schräg rechts hinter ihr der Kom-
ponist Hans Zimmer in sich hinein, ste-
hend, im schwarzen Anzug, hinter seinem
Keyboard. Der gebürtige Frankfurter hat-
te erst im Januar kurzfristig die musikali-
sche Leitung für den neuen »Bond« über-
tragen bekommen, nachdem sein Vorgän-
ger, der Komponist Dan Romer, von den
Produzenten wegen »künstlerischer Dif-
ferenzen« gefeuert worden war.
Derartige Scores, also Filmmusiken
für große, internationale Produktionen,
sind für einen Komponisten Mammut-
aufgaben. Für die beiden letzten »Bond«-
Filme »Spectre« und »Skyfall« etwa wur-
de zudem weit mehr Musik komponiert,
als in den Filmen tatsächlich zur Anwen-
dung kam – als Rangiermasse für den
Filmschnitt, um auch extrem lange Span-
nungsaufbauten stets musikalisch beglei-
ten zu können. Nimmt man Billie Eilishs
Performance aus London als Maßstab
für das, was noch kommt, dürfte Zimmer
die Aufgabe blendend erfüllen.
Zimmer gilt als unangefochtene
Nummer eins in Hollywood, wenn es
darum geht, massentaugliche Monu-
mentalmusik mit gelegentlich einge-
streuten Ambientmomenten zu liefern.
Seine Produktionsfirma Remote Control
Productions mit Sitz in Santa Monica,
Kalifornien, beschäftigt mehr als hundert
Komponisten, Arrangeure, Orchestrie-
rer, Musiker, Dirigenten und Techniker –
und gleicht damit einer Musikfabrik.
Stolz verweist Remote Control auf
mehr als 200 in den letzten Jahrzehnten
realisierte Filmmusiken, deren Filme in
der Summe stattliche 28 Milliarden Dol-
lar eingespielt haben, und auf diverse
Auszeichnungen, darunter einen Oscar
1995 für den Score zu Disneys »König
der Löwen«. Dass etliche dieser Enter-
tainmentmilliarden mit Marvel-Block-


44 SPIEGEL BESTSELLER / FRÜHJAHR 2020


Spezial

Der Klangfabrikant


Filmmusik IIHans Zimmer gilt als Meister der Blockbuster-Untermalung:
Jetzt liefert er den Soundtrack zum neuen »James Bond«-Film.

Komponist Zimmer: Alchemistisches Gespür für die Balance

2049«, der durfte einen ganz ande-
ren, weit entfernt von bewährt durch -
deklinierten Erfolgsformeln agierenden
Komponisten kennenlernen. Gerade im
zweiten Teil von »Blade Runner«, einer
Gemeinschaftskomposition mit Benja-
min Wallfisch, bewies Hans Zimmer ein
alchemistisches Gespür für die Balance
aus Geschichtsbewusstsein – die Origi-
nalmusik von Vangelis – und radikaler,
auch technischer Neudeutung.
Derartige Fähigkeiten sind in Holly-
wood rar. Ein Indiz für die Durchset-
zungsfähigkeit und den wachen Geist
des vielbeschäftigten Players Zimmer,
der sich seit Jahren nur noch in der obers -
ten Etage der Industrie bewegt. Allein
in diesem Jahr stehen neben dem letzten
»Bond«-Film mit Daniel Craig noch die
Zimmer-Produktionen zu dem Marvel-
Film »Wonder Woman 1984« sowie »Top
Gun: Maverick« an, dem im Trump-
Amerika heiß erwarteten zweiten Teil
von »Top Gun« aus dem Jahr 1986.
Sein Lächeln bei den Brit Awards ist
das wissende Lächeln eines Mannes,
der keine künstlerischen Differenzen
zu kennen scheint.

Max Dax
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