24 DER SPIEGEL Nr. 11 / 7. 3. 2020
Grundgesetz
Streit um Kinderrechte
Bundesjustizministerin Christine Lam-
brecht (SPD) bangt um ihren Plan, Kinder-
rechte explizit ins Grundgesetz aufzuneh-
men. Im Koalitionsausschuss am Sonntag
will die SPD die Union überzeugen, dem
Vorhaben endlich zuzustimmen. Andern-
falls drohen die Sozialdemokraten damit,
Projekte zu blockieren, die CDU/CSU
wichtig sind. »Der Koalitionsvertrag trifft
zum Thema ›Kinderrechte im Grundge-
setz‹ eine klare Aussage. Deswegen muss
es jetzt in der Koalition grünes Licht für
meinen Entwurf geben«, fordert Lam-
brecht. Unionsfraktionsvize Thorsten Frei
kündigt Widerstand an. Der Gesetzestext
räume dem Staat zu viel Einfluss ein, das
gehe zulasten der Eltern. Frei: »Da steckt
ein ungeheurer Sprengstoff drin.« Er ver-
warf die Idee, der Gesetzentwurf könne
gegen ein anderes Projekt »verdealt« wer-
den. Die oppositionellen Grünen, denen
Lambrechts Entwurf nicht weit genug
geht, drängen dagegen auf die Aufnahme
von Kinderrechten ins Grundgesetz. »Da
geht es um Rechte der Kinder gegenüber
dem Staat. Eltern nehmen diese Rechte
für ihre Kinder wahr. Damit werden auch
die Elternrechte gestärkt«, sagt Vizefrak -
tionsvorsitzende Katja Dörner. Unterstüt-
zung kommt auch vom Unabhängigen
Beauftragten für Fragen des sexuellen Kin-
desmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig:
»Kinderrechte im Grundgesetz wären ein
wichtiges Signal und ein wichtiger Beitrag
für mehr Kinderschutz und Schutz vor
sexueller Gewalt.« LY R
So gesehen
Ruhe im Sturm
Die nächste Twitter-Revolution
verheißt globalen Frieden.
Schnell getippt, für immer Unfrieden
gestiftet: Wer halb fertige Gedanken-
splitter per Tweet mit der Welt teilt, ris-
kiert den globalen Shitstorm. Man woll-
te nur witzig sein, vielleicht etwas pro-
vokativ – und erntet tausendfache
Abscheu. Im schlimmsten Fall drohen
Jobverlust und soziale Isolation. Nicht
nur die Verursacher, auch die Empörten
leiden: Angesichts der schlimmen Kurz-
nachricht steigt ihr Blutdruck, sie ver-
fassen erboste Antworten, die Erregung
wächst, am Ende sind alle frustriert. Bis
es wieder von vorn losgeht.
Nun schafft das Unternehmen Twit-
ter Abhilfe. Die Plattform testet in Bra-
silien eine neuartige Form von Tweets:
Sogenannte Fleets verschwinden nach
24 Stunden. Etwaige Antworten kann
nur der Absender sehen, was die Einmi-
schung unbeteiligter
Dritter ausschließt.
War der Fleet eine
Dummheit, wird er
nur wenigen be -
kannt und ist bald
vergessen.
Eine gute Idee,
aber nur ein Anfang.
Graduell sollte Twitter Fleets mit
noch kürzerer Frist und noch kleinerer
Verbreitung testen, um den Schaden
weiter zu minimieren. Am Ende
kann es nur eine Lösung geben: den
»Deleet«, einen sich selbst sofort
löschenden Tweet mit simulierten
Reaktionen. Sein Absender hat das be -
friedigende Gefühl, es allen mal so
richtig gesagt zu haben, denn intelligen-
te Antwort-Bots geben ihm den Ein-
druck wilder Netzdebatten. Tatsächlich
ist niemand in Unruhe versetzt worden,
weil kein Mensch das Geschwafel ge -
lesen hat. Allen wäre geholfen.
Als Testgebiet bietet sich zwingend
Washington, D. C., an.Stefan Kuzmany
Deleets
statt
Tweets:
Allen wäre
geholfen.
HELENA LEA MANHARTSBERGER
Polizisten in Hamburg 2017
F. BOILLOT / RUBYIMAGES
Kinderkonferenz in Berlin
G-20-Krawalle
Dosenwurf mit Folgen
Fast drei Jahre nach dem G-20-Gipfel
in Hamburg kommt ein damaliger Poli-
zist vor Gericht. Er soll am Rande der
Demonstration »Welcome to Hell« eine
volle Bierdose auf Kollegen geworfen
haben. Der Prozess gegen den Mann
beginnt am 22. Mai vor dem Amtsge-
richt Altona, wie eine Sprecherin der
Hamburger Strafgerichte bestätigte.
Anberaumt sind drei Verhandlungstage.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem
37-Jährigen versuchte gefährliche Kör-
perverletzung und einen tätlichen
Angriff auf Vollstreckungsbeamte vor –
auch wenn die Dose niemanden getrof-
fen habe. Der Mann, der im Winterse-
mester 2019 ein Medizinstudium begon-
nen hat, war am Tag der mutmaßlichen
Tat privat unterwegs. Zu Beginn der
Ermittlungen hatte er einen Dosenwurf
zwar eingeräumt, zugleich aber Straf -
taten bestritten. Er habe weder auf
uniformierte Kollegen gezielt noch die
Absicht gehabt, sie zu verletzen. Als
Motiv für einen bewussten Wurf ins
Leere nannte er Wut über den aus seiner
Sicht zu harten Polizeieinsatz. SMS