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Deutschland
DER SPIEGEL Nr. 11 / 7. 3. 2020
ne sich drehen, spätestens mit den ersten
Coronatoten. Das Thema sei »maximal un-
dankbar« für einen Gesundheitsminister,
sagt er. Das Volk erwarte »Aktionismus«.
So richtig viel kann Spahn allerdings
gar nicht unternehmen. Streng genommen
muss sich der Bundesgesundheitsminister
bei der Krise vor allem auf Empfehlungen
und die Kommunikation beschränken –
die mit besorgten Bürgern, mit Ländern
und Kommunen. Es bleibt ihm wenig an-
deres übrig. Der Föderalismus macht das
Krisenmanagement kompliziert. Jedes der
16 Länder erstellt einen eigenen Pande-
mieplan. Laut Infektionsschutzgesetz sind
es die Kommunen, die entscheiden, ob
Kindergärten geschlossen oder Veranstal-
tungen vertagt werden.
Das macht die Sache so unangenehm
für Spahn: Er steht im Rampenlicht – und
kann doch nicht alles selbst entscheiden.
Je mehr sich das Virus ausbreitet, desto
härter müssen aber die Maßnahmen sein.
Das weiß auch Spahn.
Der Krisenstab der Bundesregierung ei-
nigte sich bereits darauf, dass die Deut-
schen, die in einem Hotel auf Teneriffa un-
ter Quarantäne gestellt wurden, nicht vor
dem 10. März zurückkehren dürfen. Sie
müssen die Zwangsisolierung auf der spa-
nischen Insel absitzen. Für Urlauber, die
im europäischen Ausland in Quarantäne
müssen, soll das künftig die Regel sein.
Jens Spahn hat da noch einiges mehr
auf seinen Zetteln stehen. Über ein Dut-
zend Blätter sind es inzwischen, auf denen
er notiert hat, was es in Zukunft besser zu
machen gilt. Es sind die ersten Lehren aus
zwei Monaten Coronakrise. Schnellere
Tests, steht darauf. Eine neue Statistik, die
auch zeigt, wie viele der Tests negativ aus-
fallen. Oder mehr Kompetenzen für den
Bundesgesundheitsminister, wenn es da-
rum geht, eine zentrale Unterbringung
für Verdachtsfälle oder Reiserückkehrer
zu organisieren. Die Krise kann noch lange
dauern.
Im Bundestag sprach Spahn bei seiner
Regierungserklärung davon, man müsse
sich auf »die nächste Stufe« vorbereiten.
Möglicherweise müssten Ärzte und Klini-
ken sich irgendwann auf Patienten mit
schweren Symptomen konzentrieren.
Kurz: planbare Eingriffe verschieben, um
mehr Zeit und Betten für behandlungs -
bedürftige Coronafälle zu haben. Für
Deutschland wäre das ein ungewohnter
Akt der Rationierung.
»Das kann und das wird Stress auslö-
sen«, sagte Spahn, und es klang ein biss-
chen, als spräche er auch über sich selbst.
Cornelia Schmergal, Christoph Schult
‣Lesen Sie auch auf Seite 104
Seit den ersten Coronavirus-Fällen ist
der Kreis Heinsberg ein Testfall.
lich. Er sehe Corona als »milde Erkran-
kung«, in sozialen Medien gebe es eine
»Überdramatisierung«. Spahn blickt jetzt
sichtbar zufriedener.
Andere lassen sich nicht so leicht in sein
Entdramatisierungskonzept einbinden. In
der vergangenen Woche drängte Bundes-
innenminister Horst Seehofer (CSU) in ei-
nem kurzen Gespräch vor einem gemein-
samen Auftritt darauf, Großveranstaltun-
gen wie die Internationale Tourismusbörse
in Berlin (ITB) abzusagen.
Seehofer erinnerte Spahn an jenen
Skandal, bei dem sich in den Achtziger-
jahren rund 1500 Patienten durch verseuch-
te Blutkonserven mit HIV infiziert hatten.
Er glaubt seither, dass man Krisen politisch
nur überstehen kann, wenn man beson-
ders rigide durchgreift – und das nach au-
ßen demonstriert. Handle die Regierung
zu vorsichtig, drohe schlimmstenfalls ein
Untersuchungsausschuss, warnte er.
Auch Spahn hielt die ITB mit Teilneh-
mern aus Ländern mit vielen Coronafällen
für keine gute Idee. Doch er verwies auf
die Gesetzeslage und darauf, dass die Kom-
munen für solche Absagen zuständig seien.
Da müsse man halt »kreativ« sein, entgeg-
nete Seehofer.
Als beide kurz darauf vor der Bundes-
pressekonferenz saßen, konnten sie ihren
Zwist kaum verbergen. Der Krisenstab der
Bundesregierung müsse sich um das The-
ma kümmern, sagte Seehofer. »Jens, ich
weiß, was du da zurzeit zu schultern hast,
du hast jede Unterstützung des Innen -
ministeriums – und meine persönliche«,
sagte er. Es klang wie eine Drohung. Die
ITB wurde kurz darauf abgesagt.
Unter Wissenschaftlern gibt es bislang al-
lerdings nur verhaltene Kritik an Spahn. Ein
Vorwurf kommt vom Virologen Alexander
Kekulé, Direktor des Instituts für Medizini-
sche Mikrobiologie an der Universität Hal-
le-Witttenberg. Er findet, in Deutschland
hätten schon vor Wochen »alle schweren
Atemwegsinfektionen auf Sars-CoV-2« ge-
testet werden müssen. Auch Spahn räumt
ein, dass nicht alles optimal laufe. »Es dau-
ert teilweise noch zu lange, bis Verdachts-
fälle getestet werden«, sagt er am Mittwoch
bei seiner Regierungserklärung.
Als er mit seiner Rede beginnt, zählt
das Robert Koch Institut 240 Infizierte in
Deutschland, wenig später sind es rund
260, am Donnerstagnachmittag werden es
400 sein. Doch im Bundestag wollen die
meisten Abgeordneten ein Zeichen für Ge-
schlossenheit setzen. »Die Bundesregie-
rung macht im Moment vieles richtig«,
sagt Kordula Schulz-Asche von den Grü-
nen. Er begrüße die »Besonnenheit« der
Regierung, meint FDP-Chef Christian
Lindner.
Ein Ärztefunktionär, der sich mit Spahn
häufig berät und daher nicht genannt wer-
den will, mahnt jedoch, die Stimmung kön-
In sieben Schritten
entstehen die verblüff endsten
Zusammenhänge – so
überraschend, vergnüglich
und unterhaltsam war
Geschichte noch nie.
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