SPIEGEL:Neben Merz gilt Armin Laschet
als aussichtsreichster Kandidat. Ihm haben
Sie bereits Kanzlerformat bescheinigt.
Schröder:Aber Laschet hat sofort klar -
gestellt: Schröders Einfluss in der CDU ist
begrenzt. Ich habe ihm übrigens ausrich-
ten lassen, ich würde mich ab jetzt absolut
zurückhalten.
SPIEGEL:Wäre es besser gewesen, die
CDU hätte sich auf einen Nachfolger für
Kramp-Karrenbauer verständigt, statt wie
jetzt in eine Kampfkandidatur hineinzu-
laufen? Ist das ein Nachteil?
Schröder:Ich habe überhaupt nichts von
dem sehr langwierigen Verfahren meiner
Partei gehalten, die Vorsitzenden per Mit-
gliederentscheid zu bestimmen. Die CDU
macht es nun in ähnlicher Weise. Aber sie
verzichtet zumindest auf die Doppelspitze.
SPIEGEL:Warum keine Doppelspitze?
Schröder:Wenn man Führung will, dann
muss es eine oder einer machen.
SPIEGEL:Das hat die SPD in den vergan-
genen Jahren versucht. Nach Ihnen kamen
13 Parteivorsitzende, die kommissarischen
inbegriffen. Vielleicht wären zwei dann
doch mal einen Versuch wert.
Schröder:Warum dann nur zwei? Nach
Ihrer Logik könnten es auch 25 sein.
SPIEGEL:Sie haben sich kritisch über das
neue Führungsduo Saskia Esken und Nor-
bert Walter-Borjans geäußert. Jetzt läuft
es für die SPD gar nicht so schlecht. Haben
Sie sich umsonst Sorgen gemacht?
Schröder:Die beiden verdienen eine faire
Chance. Sie haben dazugelernt, und dabei
hat der Fraktionsvorsitzende Rolf Mütze-
nich eine wichtige Rolle gespielt. Er hat ih-
nen gesagt: Leute, mal langsam. Über die
Frage, ob die Koalition beendet wird, ent-
scheidet nicht ihr, sondern die Fraktion. Und
dann sind die beiden von ihrer Ankündigung
abgerückt, die Große Koalition zu verlassen.
SPIEGEL:Dafür haben die beiden jetzt ein
Glaubwürdigkeitsproblem, oder?
Schröder:Das ist nicht meine Frage. Viel
wichtiger ist, dass wir jetzt in einer von
Krisen gekennzeichneten Zeit nicht die
Koalition verlassen.
SPIEGEL:Die Wahl der neuen Partei -
vorsitzenden war auch verknüpft mit ei-
nem inhaltlichen Neuanfang. Saskia Esken
hat kürzlich als mögliche Instrumente ei-
ner gerechteren Gesellschaft Enteignungen
und Vergesellschaftung genannt.
Schröder:Ich war mal Juso-Vorsitzender.
Da habe ich eine Revolution geplant, die
ich später als Kanzler verhindert habe.
SPIEGEL:Ist der Grundgedanke nicht
trotzdem richtig, dass die SPD nach links
rücken muss, um Profil zu gewinnen?
Schröder:Wenn die SPD meint, sie könn-
te ähnliche Positionen vertreten wie die
Linke, ist das ein Problem. Das kann in
einem Detail mal der Fall sein, aber nicht
generell. Die SPD muss, wenn sie mehr-
heitsfähig bleiben will, wieder mit der
CDU um ökonomische und gesellschafts-
politische Kompetenz konkurrieren.
SPIEGEL:In der SPD setzen viele auf ein
Linksbündnis. Ist das mit dem Rückzug
von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafon-
taine einfacher geworden?
Schröder:Natürlich hängt so ein Bündnis
immer auch an Personen. Herr Lafontaine
ist schon noch in vielen Köpfen. Die Linke
ist aber heute eine demokratische Partei,
mit der man koalieren kann. Ein Vergleich
mit der AfD wäre unsinnig. Das glaubt
doch keiner ernsthaft. Selbst die CDU
nicht mehr, auch wenn sie versucht hat,
damit Wahlen zu gewinnen.
SPIEGEL:Vielleicht will die SPD gar nicht
mehr regieren. Walter-Borjans hat im No-
vember gesagt, er halte es für verzichtbar,
einen Kanzlerkandidaten aufzustellen.
Schröder:Die SPD muss den Anspruch
erheben, das Land führen zu wollen.
Wann immer die SPD das Land regiert hat,
ist das dem Land ganz gut bekommen. Das
war bei Brandt mit der Ostpolitik so, das
war auch bei Schmidt mit der Wirtschafts-
politik so. Und es ist doch auch nicht alles
schlecht gewesen, was meine Regierung
gemacht hat.
SPIEGEL:Heute fällt es schwer, sich einen
SPD-Kanzler vorzustellen. Wer sollte aus
Ihrer Sicht Kanzlerkandidat werden?
Schröder:Also, ich habe mir eigentlich
vorgenommen, über diese Frage nicht zu
reden. Aber wenn wir schon mal dabei
sind, dann finde ich, dass vier, fünf Leute
infrage kommen. Olaf Scholz, Hubertus
Heil, Franziska Giffey, Rolf Mützenich und
Lars Klingbeil, der Generalsekretär. Die
würde ich im Moment sehen. Meine Emp-
fehlung wäre: Setzt euch zusammen und
entscheidet das.
SPIEGEL:Eigentlich haben die Partei -
vorsitzenden das Vorschlagsrecht. Die ha-
ben Sie jetzt unterschlagen.
Schröder:Die fünf müssen das natürlich
mit der Parteiführung besprechen. Und
eine oder einer aus dem Team wird dann
die Nummer eins.
SPIEGEL:Wer wäre Ihnen am liebsten?
* Mit den Redakteuren Marc Hujer und Christian Teevs
in Hannover.
Schröder:Das wäre doch vermessen,
wenn ich das jetzt sagen würde. Das müs-
sen die selbst hinkriegen.
SPIEGEL:Wenn Sie bisher nach einem
Kanzlerkandidaten gefragt wurden, haben
Sie vor allem Olaf Scholz genannt. Ist sei-
ne Position nach dem verlorenen Mitglie-
dervotum geschwächt?
Schröder:Scholz ist ein sehr guter Finanz-
minister und hat große internationale Er-
fahrung. Daher ist er natürlich einer der-
jenigen, die eine wichtige Rolle in einem
solchen Team spielen können.
SPIEGEL:Es fällt auf, dass Klingbeil unter
den neuen Parteivorsitzenden lauter ge-
worden ist. Läuft er sich auf deren Kosten
als Kanzlerkandidat warm?
Schröder:In solchen Kategorien sollte man
nicht denken. Jede Parteiführung muss doch
froh sein, wenn sie einen profilierten Gene-
ralsekretär hat. Es ist viel Arbeit, eine Volks-
partei zu managen, man braucht jemanden,
der das kann. Und Lars Klingbeil kann es.
Deswegen sollte die Parteiführung keine
Konkurrenz darin sehen, sondern sich freu-
en, dass sie so einen tüchtigen Generalse-
kretär hat. Wenn er die Auseinandersetzung
mit der CDU so führt, dass Kramp-Karren-
bauer sich über ihn beschwert, ist das doch
eher positiv. Lars Klingbeil ist klug genug,
nie den Eindruck zu erwecken, dass er etwas
hinter dem Rücken der Vorsitzenden macht.
SPIEGEL:Wie kommt es, dass Klingbeil
sowohl mit Ihnen als auch mit dem Juso-
Vorsitzenden Kevin Kühnert so gut kann?
Schröder:Das ist doch ein Zeichen von
Realismus.
SPIEGEL:Was halten Sie von Kühnert?
Schröder:Sie können doch nicht von mir
erwarten, dass ich Herrn Kühnert charak-
terisiere, wie es mein wunderbarer Freund
Sigmar Gabriel getan hat.
SPIEGEL:... der ihm den Rat gegeben hat,
erst mal eine Berufsausbildung abzuschlie-
ßen. Kühnert redet übrigens gern über Sie.
Neulich hat er festgestellt, Sie hätten eine
gemeinsame Leidenschaft, den Fußball.
Mit dem Unterschied, dass Sie in die Loge
gingen und er in die Fankurve.
Schröder:Jeder junge Mensch braucht je-
manden, an dem er sich abarbeiten kann.
SPIEGEL:Sie haben ihn aber auch schon
mal für seine Kapuzenpullis kritisiert. Küh-
nert sagt, das sei authentisch.
Schröder:So was gehört doch nicht in den
SPIEGEL. Aber wenn Sie mal ins Archiv
gucken: Ich war 1980 der erste Bundes-
tagsabgeordnete, der ohne Krawatte in
den Plenarsaal gegangen ist. Es gab damals
ein großes Tohuwabohu in der Unionsfrak-
tion, manche haben gerufen: »Zieh dich
vernünftig an!« Und als ich das dann als
Kanzler getan habe, da haben sie mich we-
gen zu teurer Anzüge kritisiert.
SPIEGEL: Herr Schröder, wir danken Ih-
nen für dieses Gespräch.
36 DER SPIEGEL Nr. 11 / 7. 3. 2020
Deutschland
HANNES JUNG / DER SPIEGEL
Schröder beim SPIEGEL-Gespräch*
»Fünf Leute kommen als Kandidaten infrage«