Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1

Reporter


44


Ernährung
Müssen wir jetzt
alle Sumpfbiber essen,
Herr Bosch?

SPIEGEL:Sie bieten Ihren Kunden
gebietsfremde Tiere an, die als blinde
Passagiere mit Frachtern zu uns
nach Europa gekommen oder ausge-
setzt worden sind.
Bosch:Das sind eher die Nachfahren
der Arten, die früher auf diesem Weg in
unsere Ökosysteme geraten sind.
SPIEGEL:Sie bekommen diese Tiere
von Jägern und Fischern und verarbei-
ten sie in Speisen. Wie kamen Sie auf
die Idee?
Bosch:Wir hatten einen Artikel über
den Roten Amerikanischen Sumpf-
krebs im Berliner Tiergarten gelesen.
Der Krebs, der im Süden der USA
heimisch ist, wurde hier von Aquarium-
besitzern ausgesetzt. Wie etliche die-
ser invasiven Arten ist auch er in seiner
Heimat eigentlich eine Delikatesse.
Da er besonders anpassungsfähig ist,
vermehrt er sich ungehindert.
SPIEGEL:Ein weiteres Beispiel?
Bosch:Nilgänse. Die haben eine ähn -
liche Ernährungsart wie Stockenten,
sind aber durchsetzungsstärker als
unsere heimische Art.
SPIEGEL:Ihr Angebot steht unter dem
Motto: Was uns plagt, essen wir?
Bosch:Genau. Wir essen gegen die
Plage an, aber vieles lässt sich nicht
mehr rückgängig machen. Somit sehen
wir die Tiere einfach nicht mehr
nur als Problem, sondern als Potenzial.
SPIEGEL:Sie bieten auch Nutria an ...
Bosch:... auch Sumpfbiber genannt.
SPIEGEL:Wie schmeckt Sumpfbiber?
Bosch:Erinnert mich an eine Mischung
aus Kaninchen und Wachtel.
SPIEGEL:Wo liegen Ihre Grenzen?
Bosch:Ich probiere alles, was im
Rahmen der Gesetze ist und genießbar
scheint. Der Waschbär bringt uns
aber manchmal an Grenzen. Die einen
sagen, er sei zu niedlich, um ihn zu
essen, die anderen finden ihn, weil er
theoretisch ein Allesfresser ist, zu ekelig.
Bei Spanferkeln wird das selten ange-
merkt, alles eine Frage der Esskultur. BHA

Lukas Bosch, 30, Mitgrün-
der von Holycrab,
einem Berliner Start-
up für Delikatessen

Hartmut Beyer, 77:
Es ist Kriegsschrott, in dem wir hier
paddeln: sogenannte Abwurftanks. Sie
erhöhten die Reichweite von Kampf-
flugzeugen. Für meinen besten Freund
(im hellen Hemd) und mich wurden sie
zum Boot. Wir waren Flüchtlingskin-
der und lebten in Behelfsheimen in Hal-
densleben in Sachsen-Anhalt, meine
Familie stammt aus Danzig. Wir hatten
kein Fahrrad, keinen Fußball, keine
Bücher, kein Fernsehen; unser Spiel-
zeug war simpel. Zum Glück waren es
bis zur Ohre, so heißt der Fluss, nur
hundert Meter. Ältere Jungen hatten
die zwei bis drei Meter langen Blech -
behälter aus dem Wasser geborgen.
Damit wir sie als Boote benutzen konn-
ten, musste eine Öffnung ausgeschnit-
ten werden, der Boden wurde dann
vorsichtig platt geklopft, mit dem Ham-
mer oder mit groben Holzpflöcken.
Die kleinen Risse oder Löcher, die
dabei entstanden, überpinselten wir
mit Teer und klebten in mehreren
Schichten Sackfetzen darauf. Die Pad-
del bestanden aus Besenstielen mit

Holzbrettern daran. In unserem Boot
hatten wir kleine Sandsäcke, um es
zu stabilisieren. Es war nicht einfach,
in so ein Ding einzusteigen und damit
herumzupaddeln. Es kippte schnell um.
Wir hatten aber bald den Bogen raus
und machten mit drei oder vier Booten
Fahrten in die Natur. Wir waren eine
Truppe von sechs bis acht Jungen, die
am Wochenende gleich nach dem
Frühstück loszog, abends kamen wir
zurück, und kein Mensch kümmerte
sich darum, was wir draußen trieben.
Ab 1. Mai gingen wir barfuß, egal, wie
das Wetter war. Schwimmen lernten
wir praktisch von selbst, wir tobten im
Wasser, und plötzlich konnten wir es
eben. Wir spielten Völkerball mit den
Mädchen, wir holten Fische aus dem
Wasser, Rotfedern, Aalquappen, auch
Aale. Die hatten sich manchmal in
Schrottrohren verkrochen, man hielt
die Öffnungen zu und hatte den Aal.
Die Eltern freuten sich, es war ja noch
die Zeit der Lebens mittelkarten. Es
war schön, wenn es mal etwas Beson-
deres zu essen gab.
Aufgezeichnet von Barbara Supp

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