Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1
Willst du ein Auto? Willst du Geld? Willst
du studieren? Du kannst alles machen, was
du willst. Ich will nur dich.
Einen Monat nach der Hochzeit schlug
er sie das erste Mal. Sie habe sich in Ge-
sellschaft falsch verhalten.
Wenn sie mit seiner Schwester unter-
wegs war, rief er an, er fragte: Hast du
Spaß? Hast du viel Spaß? Sie antwortete:
Ich bin mit deiner Schwester und ihrem
Mann unterwegs. Als sie zurückkam, nann -
te er sie eine Schlampe.
Einmal holte er ein Laptop raus und
setzte ihr Kopfhörer auf. Sie sollte sich
eine Aufnahme anhören. Er hatte ein Auf-
nahmegerät in eine Ritze der Couch ge-
steckt und die Geräusche des Tages aufge-
nommen. Man konnte nichts hören, außer
dem Fernseher. Er sagte: Ich höre, wie du
»Psst« sagst. Er sagte: Gib’s zu, er war da.
Er schlug sie inzwischen fast jeden Tag,
er trat sie mit den Füßen. Danach weinte
er und sagte: Bitte verzeih mir. Er ist krank,
aber er liebt mich, habe sie gedacht.
Wenn er nach Hause kam, nahm er ihr
Handy und las ihre Nachrichten, als wäre
es die Zeitung. Es spielte sich ein, wie ein
Ritual. Wenn sie das Haus verließ, verfolg-
te er sie, er lief hundert Meter hinter ihr
her. Er war mein Schatten, sagt sie.
Er glaubte, sie hätte ein Verhältnis mit
dem Mann der Schwester. Er würgte sie
im Schlaf, sie solle endlich gestehen. Ein-
mal holte er ein Messer aus der Küche,
setzte sich auf sie und rief: Gibst du es jetzt
zu? Sag es. Sag es. Oder ich töte mich
selbst. Er richtete das Messer auf seinen
Hals.
Schließlich log sie: Ja, ich geb’s zu.
Er sagte: Versprich, dass du das nicht
noch mal machst!
Sie sagte: Ich versprech’s.
Es habe lange gedauert, aber irgend-
wann habe sie verstanden, dass sie mit
ihm keine Zukunft haben wird, dass sie
nie studieren wird, und nie etwas erleben.
Sie sagt: Mit ihm waren alle meine Träu-
me tot.
Eines Tages, als er sie wieder schlug,
nahm sie ihr Handy und ging.
Sie sitzt im Fernsehzimmer des Hauses,
sie sagt, da sei vor allem Wut und Hass.
Sie hoffe, dass er nie wieder einen schönen
Tag erleben wird. Sie sagt: Er hat mein Le-
ben verschwendet.
Allein der erste Tag in Freiheit sei es
wert gewesen, diesen Weg zu gehen.

Zimmer 7:Sie sitzt im dritten Stock, in
einem Besprechungsraum, die Stadt reicht
bis zum Horizont, aber sie hat keinen
Blick für die Ferne.
Ein Wort wiederholt sie immer wieder –
Angst.
Sie heiratete ihn, weil die Familie es
wollte, ihr Mann ist ihr Cousin. 2010 ka-
men sie nach Deutschland, sie bekamen

Mit 14 Jahren begann sie, sich mit Rasier -
klingen zu ritzen. Man hat den Schmerz am
Arm, sagt sie, dann vergisst man schneller.
Sie sei ein ruhiges Kind gewesen.
Eigentlich sei sie bis heute ruhig.
Er hatte ihr auf Instagram geschrieben,
sie trafen sich, gingen essen, kurz darauf
waren sie ein Paar. Er kaufte ihr Rosen,
Geschenke, sie gingen in den Zoo. Das war
schön, sagt sie.
Als das Kind kam, wurde er anders.
Laut, aggressiv, reizbar. Er schrie sie an,
er trat das Essen mit dem Fuß weg. Sie sah
wieder den Vater. Aber sie konnte nicht
zurückschreien. Sie sagt, sie habe noch nie
in ihrem Leben geschrien.
Einmal saßen sie auf der Couch, er hatte
ein Messer in der Hand, er fasste auf die
Spitze und maß mit seinen Fingern ein
paar Zentimeter Klinge ab. Er sagte: Schau
mal, so tief drin, und du bist tot.
Irgendwann fragte die Hebamme, als er
auf der Arbeit war: Du siehst nicht glück-
lich aus, ist alles in Ordnung? Danach kam
sie hierher.
Er schreibt ihr jetzt auf Facebook. Zu-
erst drohte er, dass er zu ihren Eltern fah-
ren würde, mit ihrer Mutter »spielen«.
Dann schrieb er, er habe Kleidung für das
Kind, sie solle ihm die Adresse nennen,
wo sie nun wohne, dann würde er ihr die
Sachen schicken. Dann schrieb er, dass er
sie liebe und vermisse.
Sie erzählt ihre Geschichte sehr sachlich
und mit wenigen Worten.
Sie sagt, nur ein ganz kleiner Teil in ihr
will zu ihm zurück.

Büro:Sie arbeitet hier seit 32 Jahren. Sie
war dabei, als ein Mann auf dem Amt auf
seine Frau einstach, und einmal klingelte
eine Frau ohne Schuhe. Sie hat Frauen er-
lebt, die Hunderte Kilometer anreisten, weil
viele der etwa 350 deutschen Frauenhäuser
voll waren, und solche, die sich kaum ein
eigenes Leben aufbauen konnten, die kein
Konto hatten, keine EC-Karte, keine Arbeit.
Die ganz von vorn anfangen mussten.
Sie sagt: Es hat sich in den vergangenen
Jahrzehnten schon viel geändert für Frau-
en. Vergewaltigung in der Ehe ist seit mehr
als 20 Jahren eine Straftat. Auch andere
Gesetze wurden zugunsten von Frauen ge-
ändert. In der Einrichtung sei auch man-
ches einfacher geworden. Früher war ihre
Arbeit im Frauenhaus noch ein Ehrenamt,
inzwischen werde sie vom Land und der
Stadt finanziert.
Es kämen allerdings noch genauso viele
Frauen wie früher hier unter, ungefähr
60 bis 80 Frauen pro Jahr. Die Gewalt im
Verborgenen, sagt sie, sei in all den Jahren
nicht weniger geworden.

Zimmer 13: Er war nicht ihr Typ. Aber
er wollte unbedingt mit ihr zusammen
sein. Er fragte sie: Willst du ein Haus?

Bei Straftaten wie Bedrohung, Stalking,
Nötigung in der Partnerschaft waren
2018 laut Bundeskriminalamt 88,5 Pro-
zent der Opfer Frauen. Bei schwerer
Körperverletzung waren 82,4 Prozent
der Opfer weiblich.

Studien zufolge ist jede dritte Frau in
Deutschland min destens einmal
in ihrem Leben von Gewalt betroffen.

»Gewalt gegen Frauen geht uns alle
an, sie kommt in allen sozialen
Schichten und Altersgruppen vor.«
Franziska Giffey, Familienministerin, November 2019


Ein Frauenhaus in einer deutschen Groß-
stadt, Mitte Februar. In dieser Geschichte
wird die Gewalt geschildert, die die dort
lebenden Frauen erlebt haben. Manche er-
zählen aus ihrer Sicht, was sie hierherge-
bracht hat, manche Erlebnisse wurden mit-
hilfe der Mitarbeiterinnen des Hauses
rekonstruiert. Zum Schutz der Frauen wer-
den keine Namen genannt, es wird nicht
erwähnt, wo in Deutschland dieses Haus
steht. Details, beispielsweise Alter oder
Wohnorte, werden meist weggelassen.

Büro: Die Tür ist immer verriegelt. Es gibt
ein festes Protokoll, wie sie zu öffnen ist:
An der Gegensprecheinrichtung fragen,
wer da ist. Dann zur Tür gehen, sie per-
sönlich entriegeln. Fünf Frauen arbeiten
hier, außerdem eine Hauswirtschafterin,
zwei Praktikantinnen. An diesem Tag ist
das Haus beinahe voll belegt, elf Frauen
zwischen 19 und 38 Jahren, hinzu kom-
men zwölf Kinder, das jüngste ist zwei Mo-
nate, das älteste zehn Jahre alt. Die meis-
ten Frauen teilen sich ein Zimmer mit
ihren Kindern, es gibt ein paar Gemein-
schaftsräume, die alle nutzen können. Das
Gebäude hat etwas von einem Labyrinth,
es dauert eine Weile, bis man sich zurecht-
gefunden hat. Vormittags, wenn die Kin-
der in der Schule oder im Kindergarten
sind, ist es sehr still.

Zimmer 11: Vor zwei Monaten hat sie ein
Kind geboren, seit zwei Wochen ist sie hier.
Sie ist Anfang zwanzig und Produktions-
arbeiterin.
Es begann mit dem Vater. Er arbeitete
in einer anderen Stadt und fuhr am Wo-
chenende zu ihnen, nach Hause. Manch-
mal floh sie, kurz bevor er kam, ins Kin-
derheim, ihre Mutter holte sie samstags
wieder ab. Er war dann noch da.
Sie sagt, ihr Vater habe sich das abge-
guckt oder geerbt. Der Großvater sei auch
so gewesen – dauernd betrunken. Laut, ag-
gressiv, reizbar. Sie hat manches vergessen,
aber eines weiß sie noch: Wenn dem Vater
das Essen nicht schmeckte, warf er es aus
dem Fenster.

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