Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1

rückgehen. Manche von ihnen muss man
später erneut aufnehmen. Es gibt solche,
die einen neuen Mann kennenlernen und
ihn zu nett finden, die sich beschweren: Er
sage dauernd »Ich liebe dich«.
Was eine Mitarbeiterin bis heute be-
schäftigt: Eine Frau hatte sich schon ein
neues Leben erarbeitet, sie wollte eine
Ausbildung machen, eine Wohnung fin-
den. Dann lernte sie einen sehr viel älteren
Mann kennen, der ihr sagte, er kümmere
sich schon. Sie nahm einen Job in einer
Wurstfabrik an und zog zu ihm.
Kein Mann im Haus. Und doch sind im-
mer Männer im Raum, in den Geschichten
der Frauen.


Zimmer 8: Sie träumt, dass er an ihrem
Bett steht.
Ob die Nachbarn etwas mitbekommen
haben, weiß sie nicht, sie müssen was
gehört haben, er hat mit Tellern nach ihr
geworfen. Sie müssen was gesehen haben,
ihr Gesicht war manchmal grün und blau.
Sie hatten sich im Deutschkurs kennen-
gelernt, er war Schneider. Er sagte zu ihr:
Du bist eine ruhige Frau, eine gute Frau.
Er schenkte ihr Blumen, Kleider, er war
nett, sagt sie. Ihre Familie wollte ihr einen
Mann suchen, aber sie wollte ihn. Sie sagt,
sie mussten fliehen, weil ihre Familie sie
sonst umgebracht hätte. Sie kamen zu Fuß
nach Deutschland.
Sie sagte zu ihm, er solle sich eine Ar-
beit suchen, sie sagte: Es ist nicht gut, dass
du immer zu Hause bist.


Sie war schon einmal im Frauenhaus,
aber ging zu ihm zurück, aus Angst, ohne
ihn nicht klarzukommen. Sie hatte nichts
und kannte niemanden. Danach war es
schlimmer als zuvor. Als sie ihn verlassen
wollte, stach er ihr mit einem Messer in
den Hals. Sie hat ihn angezeigt.
Ob sie ihn noch liebt?
Sie sagt: Ich kann nicht Ja sagen und
nicht Nein.
Sie vermisst ihre Mutter.

Büro: Sie ist seit ein paar Wochen Prakti-
kantin hier. Anfangs habe sie manchmal
geweint, wenn sie nach Hause kam. Inzwi-
schen gehe es, sagt sie.

Zimmer 15: Als sie floh, verletzte sie sich
schwer. Ehrenmordgefahr, sagen die Mit-
arbeiterinnen. Mehr darf hier nicht stehen,
sie ist noch in Lebensgefahr.

Zimmer 19: Sie spricht eindringlich, aber
so leise, dass man sie kaum versteht.
Jedes zweite Wochenende hat ihr Mann
das Kind, das ist sein Recht, und er besteht
darauf. Er lebt in einer anderen Stadt, sie
fährt Hunderte Kilometer mit dem Zug,
um den Jungen dort wieder abzuholen.
Er weiß, in welcher Stadt sie jetzt lebt.
Er fährt manchmal in diese Stadt, geht in
Cafés, läuft durch die Straßen und erzählt
ihr davon. Ich war da, soll das heißen.
Über ihn sagt sie: Er hat Probleme.
Über sich selbst sagt sie: Ich habe Angst
in meinem Herz.

Ihr Kind ist jetzt drei Jahre alt. Sie sagt,
ihr Sohn habe zu viel gesehen, das sei nicht
gut für ihn gewesen, sie sagt: Sein Charak-
ter gefällt mir nicht.

Zimmer 17: Sie ist unterwegs, zum Ju-
gendamt. Sie stammt aus einer weit ent-
fernten Stadt. Eine Nachbarin hatte Lärm
gehört und die Polizei gerufen. Die Kinder
wohnen bei ihm, die Behörden glauben,
dass sie dort sicherer seien, er hatte ange-
geben, dass sie die Kinder schlage.

Büro: Denkt man schlechter über die Welt,
wenn man hier arbeitet?
Eine Mitarbeiterin sagt: Nein. Man höre
nur sehr viele Geschichten, die sonst ver-
borgen blieben.
Rührseligkeit sei nicht ihr Ding, sagt sie.
Einmal war das Fernsehen hier, das war
anstrengend, alles sollte traurig sein. So
sei es aber nicht. Es sei auch nicht jede
Frau, die kommt, geschlagen worden, viele
erführen psychische Gewalt, Isolation. Sie
ist gegen einfache Lösungen. Es sei doch
fast immer irgendwie komplizierter.

Zimmer 14: Sie geht noch zur Schule,
nachmittags arbeitet sie, sie ist dauernd
unterwegs und an diesem Tag nicht da.
Erst vor Kurzem hatte sie vor der Tür ge-
standen, ihr Vater habe sie geschlagen.
Kurz nach diesem Tag im Februar wird sie
verschwinden, einfach so, ohne sich zu ver-
abschieden, mitten in der Nacht.

DER SPIEGEL Nr. 11 / 7. 3. 2020 51


TINA BERNING / DER SPIEGEL
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